Auf dem Pfad zu einer Erwärmung um 3,3 bis 5,4 Grad
Die Energie- und Klimawochenschau: Von marginalen Effekten des Lockdowns, Dürre in Mitteleuropa und Waldbränden im Amazonas
Eigentlich hätte es die Schlagzeile der letzten Woche sein müssen. Die CO2-Emissionen der letzten 15 Jahre wie auch die weiterhin prognostizierten Emissionen entsprechen am besten dem Worst-Case-Szenario des Weltklimarats IPCC, dem Szenario RCP 8.5 - oder auch einer zu erwartenden durchschnittlichen globalen Erwärmung um 3,3 bis 5,4 Grad Celsius bis zum Jahr 2100. Das sind Größenordnungen, in denen manche Regionen der Erde unbewohnbar werden dürften.
Auch heute, bei einer durchschnittlichen Erwärmung um 1,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, häufen sich bereits verheerende Extremwetterereignisse, von denen wir hier nur einige aktuelle aufgezählt hatten (Multiple Katastrophen).
Mit den Auswirkungen einer globalen Erwärmung um 3,3, bis 5,4 Grad befasst sich die aktuelle Studie des Forscherteams des Woods Hole Research Center jedoch nicht, sondern lediglich mit dem Abgleich der Szenarien des IPCC mit dem tatsächlichen Emissionspfad der letzten Jahre und dem, der nach der aktuellen Klimapolitik für die Zukunft zu erwarten ist.
Das Szenario RCP 8.5 hatte vielfach als zu alarmistisch gegolten, würde aber am besten die bisherigen Emissionen und die zu erwartenden Ergebnisse der Klimapolitik abbilden. Von den aktuellen Emissionen würde das Szenario nur um etwa ein Prozent abweichen. Die Zahl hinter den jeweiligen IPCC-Szenarien steht für die Zunahme an Strahlungsenergie, in diesem Fallen wären das 8,5 Watt pro Quadratmeter.
Betrachtet man die kumulierten Treibhausgasemissionen, die bis 2030 bzw. 2050 zu erwarten sind, bewege man sich ungefähr in der Mitte zwischen zwei Szenarien, RCP 4.5 und RCP 8.5. Dass sie das letztere für wahrscheinlicher halten, begründen die Studienautoren damit, dass Rückkopplungseffekte wie beispielsweise tauender Permafrost und die Zunahmen von Waldbränden bislang in den IPCC-Szenarien zu wenig beachtet wurden.
Auch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben die Forscher des Woods Hole Research Center in Betracht gezogen. Wenn man von pandemiebedingten Einschränkungen bis zum Ende des Jahres ausginge, würde dies einer Emissionsreduktion um 4,7 Gigatonnen CO2 entsprechen und damit weniger als einem Prozent der kumulierten Emissionen seit dem Jahr 2005.
Mit den Auswirkungen des Lockdowns auf die Klimaerwärmung beschäftigt sich auch eine Studie, die vergangene Woche in Nature Climate Change erschienen ist. Der Effekt wäre mit 0,01 Grad weniger Erwärmung bis zum Jahr 2030 marginal, so die Wissenschaftler. Ein kurzzeitiger Rückgang von 25 Prozent der Kohlendioxid- und 30 Prozent der Stickoxidemissionen wurde zum Teil dadurch aufgewogen, dass aufgrund der geringeren Luftverschmutzung weniger kühlende Aerosole in der Atmosphäre vorhanden waren.
Die Berechnungen basieren auf der Auswertung von Mobilitätsdaten von Google und Apple, wobei gleichzeitig dem Fakt Rechnung getragen wurde, dass der Energieverbrauch in den Haushalten leicht erhöht war. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die Luftverschmutzung in Asien heute bereits wieder fast genauso hoch ist wie vor dem Lockdown.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die direkten Auswirkungen des Lockdowns auf das Klima zu vernachlässigen sind, betonen jedoch die Chance, durch grüne Wachstumsimpulse und weniger Investitionen in fossile Energien den Pfad der wirtschaftlichen Erholung zu beeinflussen und so die Klimaerwärmung bis zum Jahr 2050 um 0,3 Grad Celsius zu verringern.
Lang anhaltende Hitze- und Dürreperioden in Mitteleuropa zu erwarten
Zurück zum Worst-Case-Szenario des IPCC und seinen Folgen: Für Mitteleuropa würde eine weitere Klimaentwicklung, die dem Szenario RCP 8.5 entspricht, eine starke Zunahme von Dürren bedeuten, wie Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) berechnet haben. Dürreperioden, die über zwei Sommer anhielten - wie die Dürre 2018/2019 - könnten demnach in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts siebenmal häufiger eintreten. Die davon betroffene Ackerfläche würde sich auf mehr als 40 Millionen Hektar verdoppeln.
Unter den Szenarien RCP 4.5 und RCP 2.6 wäre die Gefahr ausgedehnter Sommerdürren hingegen um die Hälfte bis 90 Prozent geringer, auch wäre weniger Fläche betroffen. Die Dürre 2018/2019 ist übrigens seit gut 250 Jahren einzigartig, zuletzt gab es in Mitteleuropa im Jahr 1766 eine Dürre dieses Ausmaßes.
Lang anhaltende Hitze- und Dürreperioden in Mitteleuropa stehen in Zusammenhang mit dem Rückgang des Meereises in der Arktis, wie Stefan Rahmstorf in einem Gastbeitrag im Spiegel sehr gut erklärt. Dadurch, dass der Temperaturunterschied zwischen Subtropen und Arktis abnimmt, verliert der Jetstream über der Nordhalbkugel an Dynamik und Hoch- oder Tiefdruckgebiete können sich über lange Zeit über einer Region halten.
Doch nicht nur die Luftströmungen, sondern auch die großen Meeresströmungen verändern sich. Rahmstorf verweist auf eine Abschwächung des Golfstroms, die noch weiter zu anhaltendem Extremwetter beitragen kann. Dass der Golfstrom schwächer ist als jemals in den letzten hundert Jahren, hat Christopher Piecuch von der Woods Hole Oceanographic Institution nachgewiesen. Piecuch untersuchte den Floridastrom, den südlichen Beginn des Golfstroms. Dieser transportiert Wärme und Salz zunächst entlang der nordamerikanischen Küste nach Norden und später nach Osten in den Nordatlantik. Anhand von Daten zur Höhe des Meeresspiegels konnte Piecuch rekonstruieren, dass sich der Floridastrom innerhalb der letzten 110 Jahre verlangsamt hat.
Mehr Brände als 2019
Waren die verheerenden Waldbrände im Amazonas-Regenwald im vergangenen Sommer noch ein medienbeherrschendes Thema, so finden sie in diesem Jahr weitaus weniger Beachtung. Sei es, dass Brasilien momentan mehr mit dem katastrophalen Umgang mit der Covid-19-Pandemie assoziiert wird, sei es, dass sich katastrophale Zustände in der Wahrnehmung immer weiter normalisieren. Jedenfalls ist die aktuelle Waldbrandsituation in Brasilien nicht besser als vor einem Jahr.
Je nachdem, was die trockenen Monate August und September mit sich bringen, könnte die Bilanz in diesem Jahr sogar noch schlimmer ausfallen als 2019. Wie amerika21 berichtet, gab es im Juli 2020 6.800 Brandherde im Amazonasgebiet, das waren 28 Prozent mehr als im Vorjahr. Ursache vieler dieser Brände sind illegale Brandrodungen. Mitte Juli hatten Präsident Jair Bolsonaro und Umweltminister Ricardo Salles die Brandrodungen im Amazonasgebiet und im Pantanal für 120 Tage per Dekret verboten. Umweltschützer zweifeln allerdings daran, dass das Verbot auch durchgesetzt und Verstöße geahndet werden.
In der ersten Jahreshälfte wurden im brasilianischen Amazonasgebiet 2.544 km² Wald vernichtet, das ist ein Anstieg um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Fast die Hälfte der entwaldeten Flächen (43 Prozent) entfielen auf den Bundesstaat Pará. Dort lägen auch die am stärksten von illegaler Entwaldung betroffenen indigenen Schutzgebiete Apyterewa, Mundurucu und Kayapó.
Einsicht ohne Einlenken
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat Versäumnisse in der Klimaschutzpolitik eingeräumt. "In den nächsten Monaten müssen wir dafür sorgen, dass der Weg zur einer CO2-Neutralität unumkehrbar wird", zitiert dpa. Wenn man sich jedoch Altmaiers Positivbeispiele ansieht, die seiner Meinung nach beweisen, dass die Bundesregierung den Klimaschutz ernst nimmt, dann merkt man schnell, dass es mit der Einsicht nicht so weit her ist: der Kohleausstieg, der Green Deal der EU und der neue CO2-Preis.
Dabei ist der deutsche Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 in erster Linie eine Zementierung des Versäumnisses, der Green Deal wurde beim EU-Gipfel im Juli bereits finanziell abgespeckt und der Einstiegspreis für CO2-Emissionen von 25 Euro pro Tonne ab 2021 wurde vielfach als zu niedrig eingeschätzt, um eine Lenkungswirkung zu entfalten. Außerdem hat sich Altmaier hinreichend beim Ausbremsen der Windenergie an Land hervorgetan. Der Bundesverband Windenergie erinnert daran, dass ein 18-Punkte-Plan zur Stärkung der Windenergie an Land seit Oktober 2019 im Wirtschaftsministerium auf dem Tisch liegt und auf seine Umsetzung wartet.
Auf ein Einsehen der Bundesregierung hoffen große Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung schon lange nicht mehr. Unter dem Motto "Aufstand mit Abstand" traten Klimaaktivisten am Wochenende an über zehn Orten in Aktion. In Berlin wurde etwa das Heizkraftwerk Moabit besetzt, um einen schnelleren Kohleausstieg zu fordern, in Heidelberg die Zufahrt zu einem Zementwerk und in Wesseling am Rhein die Hafeneinfahrt der Shell-Raffinerie blockiert. Bei den Aktionen wie in Berlin geht es aber nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um die Auswirkungen der Rohstoffförderung im globalen Süden, wie etwa Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von Steinkohle in Kolumbien.
Und zuletzt noch eine kleine gute Nachricht: Die badische Gemeinde Denzlingen hat die Abwrackprämie neu erfunden, bzw. ist sie vielleicht die erste, die den Wortsinn verstanden hat. Wer in Denzlingen sein Auto mit Verbrennungsmotor abmeldet und sich verpflichtet, für die nächsten drei Jahre auf ein eigenes Auto zu verzichten, erhält einen Zuschuss für ein Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr oder für den Kauf eines E-Bikes in Höhe von 500 Euro. Wer keinen Pkw besitzt, kann übrigens trotzdem Zuschüsse für die Anschaffung eines Lastenrads erhalten.