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Auf dem Weg zum Psychotherapie-Bot

Pharmafirmen und Wissenschaftler treiben mit Digitaltechnik die Automatisierung der Psychotherapie voran - zum Nutzen von psychisch Kranken?

Mit diesem Dialog wirbt eine Gruppe von Psychologen und Programmierern der Universität Stanford für ihr Programm Woebot [1] - ein Chatbot gegen Niedergeschlagenheit und Angst. Software zum Einüben positiven Denkens. Oder, wie die Entwickler lieber formulieren, "ein bezaubernder Roboter-Begleiter, der bereit ist, dir rund um die Uhr zuzuhören".

"Hey Mark, wie geht es dir heute?"

"Ich habe gerade Abschlussprüfungen. Ich drehe durch!"

"Das ist völlig verständlich! Ich denke, das zeigt nur, wie wichtig es dir ist, gut abzuschneiden."

Die App ist seit knapp einem Jahr erhältlich und stieß auch in Deutschland bereits auf Interesse [2].

Die meisten Journalisten prophezeien der Software eine große Zukunft. Viele vermerken allerdings, dass diese Künstliche Intelligenz bisher nicht besonders schlau wirkt: "Sie versteht fast kein Wort von dem, was der Nutzer schreibt und kann deshalb auch nicht direkt darauf eingehen", heißt es beispielsweise im Spiegel. Tatsächlich verlaufen die Gespräche mit dem "Sorgenroboter" - das bedeutet "Woebot" sinngemäß - öfter mal so:

Bot: "Hey Matthias! Hast du einen Moment, darüber nachzudenken, was heute gut gelaufen ist?"

Mensch: "Das habe ich doch gerade erst getan."

Bot: "Super! Noch etwas? Ein positives Ereignis, klein oder groß?"

Auf die Texteingaben reagiert die Software ziemlich stereotyp mit Floskeln, die manchmal passen, öfter mal aber nicht. Immerhin gleicht das Programm die Äußerungen der Nutzer mit einer Stichwortliste ab, um gefährliche Situationen zu erkennen:

Mensch: "Ich glaube, ich brauche Hilfe."

Bot: "Mein Notfallsystem wurde ausgelöst. Ich habe den Ausdruck 'brauche Hilfe' als Zeichen für eine Krise eingestuft. Ist dies korrekt? Bist du in einer Krise."

Mensch: "Na ja ..."

Bot: "Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst."

Die Psychologin und Gründerin von Woebot Labs, Alison Darcy, verweist auf eine klinische Studie [3], die Woebots Wirksamkeit belegen soll. Bei näherer Betrachtung wirkt die Untersuchung allerdings methodisch fragwürdig (kurze Nachbeobachtung, Auswahl der Probanden, statistische Power …).

Dennoch stiegt niemand geringeres als Andrew Ng, der bekannte Informatiker und Experte für Maschinenlernen, im Oktober 2017 bei Darcys Unternehmen ein. "Auch wenn eine Chatbot-Software niemals einen menschlichen Therapeuten ersetzen wird, ermöglicht es Woebot, mit geringen Kosten Millionen von Menschen psychologische Beratung zu bieten", begründete [4] Ng seine Entscheidung. Die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz würden die Behandlung psychisch Kranker in naher Zukunft von Grund auf verändern.

Skaleneffekte durch die Verlagerung ins Netz?

Ist ein Chatbot besser als nichts, wenn sonst niemand fürs Zuhören zur Verfügung steht? Steht Woebot für die Zukunft der Psychotherapie?

Die Digitalisierung verändert die Krankenversorgung, vor allem in Gestalt von Telemedizin und Telepsychotherapie. Angetrieben wird diese Entwicklung von ökonomischen Interessen, in erster Linie vom Streben nach Rationalisierung. Neue Geschäftsmodelle entstehen, neue Akteure drängen in diesen Markt.

Das Internet, besonders das mobile Internet, spielt für diese Rationalisierungsversuche eine Schlüsselrolle. Bekanntlich heißt der heilige Gral der Internet-Ökonomie "Skalierbarkeit". Dieser Ausdruck bezeichnet nicht nur ein technisches Problem: Besonders profitabel sind Geschäftsideen, die weitgehend unabhängig von der Zahl der Nutzer funktionieren. Wenn gleichgültig ist, ob nur eine Person ein digitales Angebot nutzt oder aber zehn Personen oder auch fünftausend, dann sinken die Fixkosten pro Einheit gegen Null und die Profite sprudeln. Eine Software wie Woebot lässt sich beliebig oft vervielfältigen. Wird sie massenhaft genutzt, können bereits geringe Gebühren zu hohen Gewinnen führen.

Die Hoffnung auf solche Skaleneffekte trieb bereits den Hype um die Massive Open Online Courses [5] (MOOC) vor fünf, sechs Jahren an. Heute traut Andrew Ng - selbst ein einflussreicher Pionier auf dem Gebiet der Internetkurse - der digitalisierten Psychotherapie genau das gleiche zu: "So wie die MOOCs erstklassige Hochschulbildung weltweit verfügbar machen, wird Woebot erstklassige Beratung für die seelische Gesundheit bieten."

Dieser Vergleich ist mutig. MOOCs verbanden Videovorträge mit Übungen zum Ankreuzen und Online-Communities. Viele sahen in den Online-Lehrgängen eine Revolution der Hochschulbildung, einige hielten die altmodische "Präsenzlehre" bereits für überholt. Die Revolution fand nicht statt, die MOOCs wurden weit überschätzt.

Dass aus diesem Hype kein Boom wurde, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens sind die Internetlehrgänge didaktisch keine Alternative zur herkömmlichen Lehre an den Universitäten. Zweitens fanden die Investoren kein Geschäftsmodell, das unabhängig von der etablierten Hochschul- oder Weiterbildung profitabel gewesen wäre.

MOOCs als Lernmethode eignet sich nämlich nur für disziplinierte und selbständige Nutzer. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die einen solchen Kurs beginnen, gibt vor der Endprüfung auf. Ob im Netz oder im Seminarraum, Studierende brauchen Betreuung und Ansprache. Sie haben Fragen und wollen Feedback. Zu einem Studium gehört nun einmal Interaktion. Interaktion geht natürlich auch über das Netz, beispielsweise mit Skype, aber diese Betreuung kostet nun einmal nicht weniger als in einem Klassenzimmer oder Hörsaal. Der erhoffte Rationalisierungseffekt blieb aus.

Einige MOOC-Anbieter beschäftigten daher Lehrkräfte (Tutoren) aus Regionen, in denen niedrigere Löhne gezahlt werden. Andere versuchten, die Interaktion mit den Studierenden - also den Unterricht - mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu automatisieren, beispielsweise Hausaufgaben mit mustererkennender Software zu benoten. All diese Versuche sind letztlich gescheitert. MOOCs gibt es zwar immer noch, aber sie fristen ein Nischendasein als Marketing-Instrument einer Handvoll finanzstarker Universitäten.

Wird es bei der Psychotherapie im Netz diesmal anders sein? Obwohl Interaktion doch ein wesentlicher Teil einer psychologischen Behandlung ist, mindestens so wichtig wie bei einem Studium? Ja, glaubt [6] Alison Darcy von Woebot Labs. Allerdings räumt sie die Schwierigkeiten ein, die sehr an die der MOOCs erinnern:

Kognitive Verhaltenstherapie über das Internet wirkt am besten, wenn ein ausgebildeter Coach gelegentlich telefonisch mit dem Patienten spricht. Ausgebildete Therapeuten werden aber immer der Skalierbarkeit des Angebots im Wege stehen; letztlich gilt das für jeden 'Menschen in der Schleife'. Ein weiteres Problem betrifft das Engagement. Internettherapie leidet unter hohen Abbrecherquoten. Sie fühlt sich an wie eine Hausaufgabe, sie sind einfach nicht interessant genug, um das Interesse der Leute aufrecht zu erhalten.

Alison Darcy

Aber, argumentiert Darcy, die Woebot-Software überwindet diese Hindernisse. Wie? Die humorigen Sprüche und die spielerische Aufmachung (Gamification) der Software hielten die Nutzer bei der Stange. Und dass der Chatbot auf die eingetippten Botschaften reagiert und sich mitfühlend äußert - "Das ist bestimmt nicht leicht für dich, Matthias!" - wirke ähnlich wie die Interventionen eines menschlichen Therapeuten.

Der alte Traum von der automatischen Gesprächstherapie

Der Chatbot als Psychotherapeut hat eine lange Geschichte. Sie begann im selben Moment, als die Maschinen das Sprechen lernten. Das erste Programm, das "natürlichsprachige Eingaben" verarbeiten konnte - also keine standardisierten Computerbefehle - war Eliza [7], entwickelt von Joseph Weizenbaum [8].

Der Computerwissenschaftler entwickelte in den 1960er Jahren ein System, das den Anschein erwecken sollte, als verstünde es die Eingaben über eine Tastatur. Allerdings hatte die Software keine entsprechende Wissensbasis zur Verfügung. Daher modellierte Weizenbaum Eliza an einem Psychotherapeuten, der lediglich wiederholt, was sein Patient zu ihm sagt. Auf die Eingabe "Ich hasse meine Mutter!" antwortet das Programm beispielsweise: "Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie." Anders gesagt, Eliza nutzt Gesprächsstrategien, die verdecken, dass das Programm nichts versteht.

Weizenbaums Chatbot erregte die Phantasie der Öffentlichkeit enorm und wurde als Durchbruch der KI-Forschung gefeiert. Psychiater wie Kenneth Colby, ein renommierter Psychoanalytiker und Computerwissenschaftler an der Stanford-Universität, waren begeistert. "Man kann einen menschlichen Therapeuten als jemanden auffassen, der Information verarbeitet", erklärten Colby und einige gleichgesinnte Kollegen - und machten sich sogleich an die Arbeit, eigene Therapiemaschinen zu entwickeln.

Im Jahr 1989 gründete Colby dann eine Firma namens "Malibu Artificial Intelligence Works". Zu deren Produkten gehörte ein Lernprogramm namens "Depressionen überwinden", das von der US-Bundesbehörde für Veteranen an traumatisierte ehemalige Soldaten verteilt wurde. Colby sprach in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise von einer "Reprogrammierung" der Depressiven. Auf öffentliche Kritik an seiner Therapie-Software antwortete [9] er einmal: "Wenigstens bekommt das Programm keinen Burnout, verachtet Sie nicht und versucht nicht, Sex mit Ihnen zu haben."


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3974410

Links in diesem Artikel:
[1] https://woebot.io/#features
[2] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/woebot-facebook-chatbot-gegen-depressionen-a-1173977.html
[3] https://mental.jmir.org/2017/2/e19/
[4] https://medium.com/@andrewng/woebot-ai-for-mental-health-d0e8632b82ba
[5] https://www.heise.de/tp/buch/telepolis_buch_3184153.html
[6] https://medium.com/@dralisondarcy/why-we-need-mental-health-chatbots-17559791b2ae
[7] http://www.med-ai.com/models/eliza.html.de
[8] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Der-letzte-Service-zum-Tode-von-Joseph-Weizenbaum-188114.html
[9] http://www.nytimes.com/2001/05/12/us/kenneth-colby-81-psychiatrist-expert-in-artificial-intelligence.html