Auf der Spur der Anthrax-Briefe
Die Bioterrorismusbedrohung vor und nach dem 11. September
Nach dem Terrorangriff vom 11.September auf die USA geht die Angst um, der nächste Eskalationsschritt seitens jener oder anderer Terroristen könnte im Einsatz von biologischen, chemischen, radiologischen oder gar nuklearen Explosivwaffen bestehen. Nach dem Auftreten von Milzbrand-Erkrankungen bei bislang 23 US-Bürgern, dem Tod fünf Infizierter und dem Verdacht der Anthrax-Kontamination in einer Größenordnung von sicherlich einigen Dutzend stellen sich zahlreiche Fragen: nach dem oder den Tätern, nach der Wirkung, nach der Absicht, nach den technischen Möglichkeiten, nach den Widersprüchen in den öffentlichen Stellungnahmen von US-Behörden. Und schließlich nach der Größenordnung der tatsächlichen Bedrohung, die sich gemäß den Möglichkeiten von Terror-Organisationen ergeben kann.
Die Bio-Terroranschläge in den USA
Bereits vor dem Bekanntwerden der ersten Milzbrand-Infektion, die sich gegen Ende der ersten Oktoberwoche auch gleich als erster Todesfall herausstellte, ging eine berechtigte Angst in den Leitartikeln und Kommentaren der US-Medien um. Beschrieben wurden die verschiedensten Szenarien, auf welche Weise sich Terroristen der B-Waffen-Option bedienen könnten. Nachdem bekannt geworden war, dass sich einer der WTC-Attentäter, Mohamed Atta in Florida für Pestizidflugzeuge interessiert hatte, war der Gedanke naheliegend, es müsse sich dabei um die Absicht des Ausbringens von biologischen oder chemischen Kampstoffen gehandelt haben.
Die Ermittlungen haben bis heute keine wirklich eindeutigen Ergebnisse erbracht oder diese werden zurückgehalten und nicht veröffentlicht. Anthrax-Briefe wurden versandt an: eine Boulevard-Zeitung in Florida, eine Boulevard-Zeitung in New York (New York Post, Poststempel 18.09.), den Senatsvorsitzenden und demokratischen Politiker Thomas A. Daschle (Poststempel 9.10.), den demokratischen Senator Patrick J. Leahy, Vorsitzenden des Justiz-Ausschusses des US-Senats (Poststempel 9.10.) sowie an NBC-Moderator Tom Brokaw (Poststempel 18.09.).
Andere Kontaminationen des Außenministeriums, der Poststelle des Pentagons, der US-Botschaften in Vilnius, Athen und Wien stellen sich als Kreuz-Kontaminationen durch Post-Sortieranlagen heraus. Weitere Kontaminationen außerhalb der USA, etwa in Deutschland, Pakistan, Kenia, Argentinien und auf den Bahamas, erwiesen sich als Fehlalarm.1 Lediglich eine Kontamination außerhalb der USA wurde bislang bestätigt. Es handelt sich dabei um ein Schreiben, das in Zürich aufgegeben wurde und an ein Kinderkrankenhaus in Chile adressiert war.2 Die Analyse ergab, dass dieses Anthrax nicht mit dem in dem USA aufgetauchten identisch ist.3
Bis jetzt sind fünf Personen an Milzbrand verstorben, zwei davon geben den Ermittlern erhebliche Rätsel auf, da kein erkennbarer Zusammenhang zwischen der Quelle der Infektion und den versandten Briefen besteht. Vier Briefe, in denen Anthrax-Sporen versandt wurden, konnten identifiziert werden. Sie wurden alle in Trenton, New Jersey, aufgegeben und weisen laut FBI ähnliche Merkmale auf. Vorangegangene Pressemeldung, wonach die Briefe an NBCs Tom Brokaw und an den Herausgeber der New York Post den Poststempel des 11.Sept getragen hätten, haben sich als falsch erwiesen.
Qualität der Anthrax-Sporen
Bis etwa Mitte November hatten sich US-Behörden und Politiker nur vorsichtig zur Natur der Anthrax-Sporen geäußert. Diese Stellungnahmen waren nicht wirklich hilfreich, zur Klärung der Natur der Erreger beizutragen.4 Einmal hieß es, sie seien "waffenfähig".5 Ein anderes Mal wurde gesagt, sie enthielten eine Substanz, die ein Verklumpen oder Zusammenkleben verhindere.6 Das FBI stellte zunächst, am 9.11., fest:
"Letters 1 (NBC) and 2 (NY Post) are identical copies. Letter 3 (Senator Daschle), however, contains a somewhat different message than the other letters. The Anthrax utilized in Letter 3 was much more refined, more potent, and more easily disbursed than letters 1 and 2."
Später werden diese Aussage wieder korrigiert. "In a statement, the F.B.I. said the letter to Senator Leahy 'appears in every respect to be similar to other anthrax-laced letters' received by Mr. Daschle, NBC News and The New York Post."7
Nach dem Lungenmilzbrand-Todesfall der 94jährigen Frau Lundgren im verschlafenen Städtchen Oxford in Connecticut, in deren Wohnung und Umgebung keinerlei Sporen entdeckt werden8, zeigte eine DNA-Analyse "of the anthrax bacteria that killed Mrs. Lundgren ... that it was indistinguishable from the strain found in tainted letters sent to elected officials on Capitol Hill and the news media elsewhere."9
Wenn es zutrifft, dass hinsichtlich der Virulenz und der physikalischen Beschaffenheit der verwendeten Sporen kein Unterschied zu den anderen Briefen besteht, dann muss die Menge, die an Senator Leahy versandt wurde, besonders groß gewesen sein. Dieser stellte nämlich fest, mit dem an ihn verschickten Anthrax hätten mehr als 100.000 Menschen getötet werden können.10 Aber auch dies könnte nur ein Versuch medialer Aufmerksamkeitsgewinnung oder eine Desinformation gewesen zu sein, denn kurz darauf hieß es, der betreffende Brief sei noch gar nicht zur Gänze geöffnet und analysiert worden.11
Genauso wie bei Kernwaffen gibt es bei biologischen Waffen klare wissenschaftlich-technische Kriterien, die vom Zustand der gefundenen Substanz auf die Herkunft insofern schließen lassen, als der wissenschaftliche, technische oder gar größere industrielle Hintergrund zumindest in Ansätzen erkennbar wird. Bei Kernwaffen etwa gilt eine Isotopenreinheit von 90% bei Uran-235 oder Plutonium-239 nach US-Angaben als "weapons-grade". Jenseits der 95% wird von "super-weapons-grade" gesprochen. Genauso wie ein Fund von geschmuggeltem Uran oder Plutonium im Gramm-Bereich, der solche Charakteristika aufweist, kein Beweis dafür ist, dass dieser aus einem Atomwaffenprogramm stammt, - ein Forschungslabor käme genauso in Betracht - sieht es auch mit den bisherigen Anthrax-Funden aus. Eine optimale "inhalationstechnische Größe" zur Auslösung des Lungenmilzbrandes von 1,5-3 Mikron12, die Verwendung von Zusatzsubstanzen, die auf besondere physikalische Eigenschaften schließen lassen, sowie vor allem die Virulenz des verwendeten Materials lassen darauf schließen, dass dieses Material aus einem staatlichen Labor stammt und nicht in der "Garage nebenan" von ein paar Laien mit terroristischen Ambitionen entwickelt wurde. Andererseits wurde keine Antibiotika Resistenz durch gentechnische Modifikation festgestellt, die auf einen Ursprung in einem höchst fortgeschrittenen Biowaffenprogramme schließen ließe. Das FBI vertritt eindeutig die Einzeltäter-These ohne sich über Herkunft und Ursprung festzulegen.
"F.B.I. analysts have said that their best guess was that the terrorist was most likely a man who worked in a laboratory or had a scientific background. If employed, the analysts said, he probably had little contact with the public and was comfortable working with extremely hazardous material. Hundreds of laboratories around the country are reported to keep anthrax. "13
Barbara Hatch Rosenberg, die Leiterin der Arbeitsgruppe für Biowaffen der Federation of American Scientists (FAS), spricht von einer "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit", dass die verwendeten Sporen aus einem staatlichen US-Labor stammen.14
"All the available evidence indicates that the source of the mailed anthrax, or the information and materials to make it, is a US government program".15
Recherchen von Barbara Hatch Rosenberg, die zunehmend von der Washington Post und der New York Times bestätigt werden, sowie auch eine Aussage eines hochrangigen US-Diplomaten bei der in Genf stattgefundenen Überprüfungskonferenz zur B-Waffen-Konvention lassen - bei aller Vorsicht - folgendes Bild erkennen.16 Der verwendete Anthrax-Stamm entspricht der Ames-Klassifizierung der Northern Arizona University State Datenbank. Die entsprechende Probe dort kam vom heute so genannten "Defence Science and Technology Laboratory" (DSTL) des Britischen Verteidigungsministeriums, in der Szene als die B- und C-Waffen-Abteilung der Brits, vulgo "Porton Down" bekannt.17 Die scheinen sie zuvor wiederum vom USAMRIID, dem "US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases", bezogen zu haben. USAMRIID behauptet, die Erreger zuvor von einem Labor des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) erhalten zu haben.
Philip C. Hanna, ein Mikrobiologe der University of Michigan gibt die Anzahl der US-Labors, die Zugang zum Ames-Athrax-Strang hatten, in der Größenordnung von 10 bis 24 an.18 Nach Recherchen der Washington Post ist jenes spezifische Anthrax insgesamt nur an fünf verschiedene Labors geliefert worden, in die USA, Kanada und Großbritannien. Die Proliferation in weitere Labors lasse sich auf ein Dutzend einschränken. Die Washington Post bemerkt: "The new documents shed little light on the early history of the Ames strain, which remains somewhat murky despite the recent attention."19 Die Verwirrung über die Ames-"Substrains" wäre nicht so groß, hätte nicht die Iowa State University das entsprechende Referenzmaterial zerstört, das sich jetzt nur mehr am USAMRIID befindet. Jüngste Veröffentlichungen in der New York Times und der Washington Post erhärten die These, dass das verwendete Anthrax nicht nur aus einem staatlichen US-Labor, sondern aus einem militärischen US-Labor stammt:
"The dry powder used in the anthrax attacks is virtually indistinguishable in critical technical respects from that produced by the United States military before it shut down its biowarfare program, according to federal scientists and a report prepared for a military contractor.
The preliminary analysis of the powder shows that it has the same extraordinarily high concentration of deadly spores as the anthrax produced in the American weapons program. While it is still possible that the anthrax could have a foreign source, the concentration is higher than any stock publicly known to be produced by other governments. The similarity to the levels achieved by the United States military lends support to the idea that someone with ties to the old program may be behind the attacks that have killed five people. The Federal Bureau of Investigation recently expanded its investigation of anthrax suspects to include government and contractor laboratories as a possible source of the deadly powder itself, or of knowledge of how to make it."20
Weitere Recherchen des Global Security Newswire, die auch auf Insider-Informationen basieren, deuten darauf hin, dass dieses Anthrax in sehr kleinen Mengen und lange nach Beendigung des US-Offensivprogramms hergestellt wurde:
"Genetic testing suggests the sophisticated anthrax mailed to two U.S. senators and two news organizations was produced in a small batch, and fairly recently, according to a well-connected molecular biologist. ... Mark Wheelis, a University of California-Davis microbiologist, similarly says that if the material were stolen from a government lab, it must have been done after 1980, probably from a small batch used for biological defense research, and not taken from U.S. offensive weapons stocks."21
Ein anderer Experte, ein vormaliger US-Waffeninspektor im Irak, beeilte sich daraufhin sofort, die Irak-Täter-These auszugraben und den Recherchen der Federation of American Scientists sachliche Inkompetenz zu unterstellen.22 Gleichzeitig jedoch sprach auch dieser Biowaffenexperte davon, dass nur ein staatliches Programm in der Lage sei, Anthrax solcher "Qualität" herzustellen.23
Wie auch immer. Bis zum Ende der Überprüfungskonferenz zur Bio- und Toxinwaffenkonvention, die die USA am 6. Dezember mit einem Eklat zum Scheitern gebracht haben (Nach uns die Sintflut), dringt von Regierungsstellen wenig bis gar nichts an die Presse. Die "Ermittlungen" über die Natur des eingesetzten Anthrax wird praktisch von NGOs, wie der FAS durchgeführt. Die Ergebnisse dessen erreichen mit ein paar Tagen Verspätung die Leitmedien die Times und die Post, die auch darüber berichten. Erst ab diesem Zeitpunkt tauchen in der Post, Times und Artikel auf, die auch durch ehemalige Insider des US-Biowaffenprogramms bestätigen, dass das eingesetzte Anthrax aufgrund der biologischen Eigenschaften und genetischen Analysen, aufgrund der chemischen Zusätze und aufgrund der physikalischen Eigenschaften höchstwahrscheinlich aus dem militärischen Biowaffen-Programm der USA stammt.
John Bolton, der Unterstaatssekretär für Rüstungskontrolle der USA, hatte diesbezüglich am 19.11. bei der Genfer Überprüfungskonferenz der Bio- und Toxinwaffenkonvention gemeint:
"We don't know, as I say in the statement, at the moment, in a way that we could make public, where the anthrax attacks came from."24
Die amtlichen Ermittlungen sind mittlerweile soweit fortgeschritten, dass sich einige Fragen beantworten ließen.
- Welche Labors oder andere Lagerstätten verfügen heutzutage überhaupt noch über diese Form von waffenfähigem Anthrax in den USA?
- Wie groß ist der Personenkreis, der Zugang zu genau diesem Material hatte?
- Wie groß ist der potentielle Personenkreis, der die Kenntnisse hatte, dieses Material in Umlauf zu bringen?
- Wann wurde dieses Material hergestellt? (Eine Trocknung und damit eine Überführung des Materials in die sogenannte "Waffenfähigkeit" nach 1972 könnte eine Vertragsverletzung der USA nach der Bio- und Toxinwaffen-Konvention von 1972 darstellen, sofern es sich um ein staatliches Labor handelt und das Material aus diesem entwendet wurde. Ähnliches gälte im Fall einer Herstellung nach dem 25. November 1969, dem Tag, an dem Präsident Nixon die Beendigung der offensiven Biowaffenforschung der USA verkündet hat.)
- Wenn dieses Material erst kürzlich hergestellt wurde, lässt sich daraus schließen, ob es in einem kleinem oder in einem großem Maßstab gezüchtet wurde.
- Welche geheimen und schwarzen Programme gibt es in den USA im Biowaffen-Bereich noch, die nicht ausgetrochnet oder stillgelegt wurden?
Judith Miller, Stephen Engelberg und William J. Broad, die mit ihrem Standardwerk "Biological Weapons and America's Secret War"25 teilweise schon einen Finger in diese Wunde gelegt hatten, haben erst wenige Tage vor den WTC-Anschlägen in der New York Times aufhorchen lassen. Die USA hätten in den letzten Jahren ein geheimes Biowaffenforschungsprogramm aufgebaut, das Präsident Bush noch auszuweiten gedenke und dessen Durchführung möglicherweise bereits das Verbot des Offensivcharakters der Bio- und Toxinwaffenkonvention verletze (Pentagon bestätigt nach Pressebericht Forschung an biologischen Kampfstoffen). In diesem Artikel heißt es:
"Earlier this year, administration officials said, the Pentagon drew up plans to engineer genetically a potentially more potent variant of the bacterium that causes anthrax, a deadly disease ideal for germ warfare."26
In diesem Times Artikel ist gleich von mehreren schwarzen und verdeckten Programmen in den USA die Rede, die vom Pentagon und von der CIA durchgeführt wurden und werden und über die in der Clinton-Ära keine eine ausreichende politische Kontrolle bestanden habe. Interessanterweise ist in der US-Berichterstattung über die Anthrax-Vorfälle bislang kaum eines dieser Programme oder der Auftragnehmer namentlich genant worden, etwa das "West Jefferson, Ohio, laboratory of the Battelle Memorial Institute, a military contractor that has been selected to create the genetically altered anthrax."27
Was die Times am 4. September noch schrieb, dass in den USA mehrere verdeckte Biowaffen-Forschungsprogramme betrieben werden, die möglicherweise die Bio- und Toxinwaffen-Konvention verletzen und dass eines dieser Programme in der Weiterentwicklung eines besonders aggressiven Anthrax-Erregers besteht, ist nach dem 11. September offenbar zunächst als unpatriotisch der kollektiven Amnesie zum Opfer gefallen.
Barbara Hatch Rosenbergs letztes Update der "wissenschaftlichen NGO-Ermittlungen" stammt vom 10. Dezember. Sie nennt folgende Labors aus der offenen wissenschaftlichen Literatur erschlossen:
"1. USArmy Medical Research Institute for Infectious Diseases (Ft. Detrick, MD)#*
2. Dugway Proving Ground (Utah)#*
3. Naval Research Medical Center and associated military labs (MD)#
4. Battelle Memorial Institute (Ohio; plus laboratories in many other locations)#*
5. Duke University Medical School, Clinical Microbiology Lab. (NC)
6. VA Medical Center, Durham (NC)
7. USDA laboratory and Iowa State College of Veterinary Medicine, Ames (Iowa)
8. LSU College of Veterinary Medicine*
9. Northern Arizona State University (Arizona)*
10. Illinois Institute of Technology Research Institute (IL)
11. University of New Mexico Health Sciences Center, Albuquerque (NM)*
12. Institute for Genomic Research (MD)
13. Chemical and Biological Defense Establishment, Porton Down (UK)*
14. Center for Applied Microbiology and Research, Porton (UK)*
15. Defense Research Establishment, Suffield (CA)*
* Obtained through a FOIA request by the Washington Post (article Nov 30, 01)
# indicates laboratories in the US that are probably more likely than the others to have weaponization capabilities."
Besonders interessant dabei ist der Dugway Proving Ground in Utah.28 Diese Einrichtung der US-Army auf einer Fläche von 3.200 Quadratkilometern war lange Zeit Gegenstand von Verschwörungstheorien ähnlich der Area 51. In den letzten Tagen haben sich die Hinweise jedenfalls erheblich verdichtet, dass genau dort Anthrax jener Art, wie es bei den Bio-Briefbomben verwendet wurde, hergestellt wurde. Die "Baltimore Sun" berichtete am 12. Dezember29:
"For nearly a decade, U.S. Army scientists at Dugway Proving Ground in Utah have made small quantities of weapons-grade anthrax that is virtually identical to the powdery spores used in the mail attacks that have killed five people, government sources say."
Die Washington Post und die Times kamen am 14. Dezember mit ähnlichen Berichten, wonach selbst die hellhörigsten Beobachter des US-Biowaffen-Programms darüber überrascht seien, dass die US-Militärs solches Material überhaupt hergestellt hätten.30 Die Post bestätigte soeben überdies zweierlei: Bei der Quelle des Athrax handelt es sich eindeutig um das USAMRIID. Nur fünf Labors verfügen über genau diesen Ames-Subtyp. Die Labors am Dugway Proving Ground waren die einzigen, die eine Überführung von Anthrax in die pulverisierte Form vorgenommen haben. Zusätzlich verfügt die CIA noch über eigene oder Vertragslabors, die mit Anthrax arbeiten. Diese wurden jedoch noch nicht genannt.31
Aufgrund der verworrenen Informationspolitik der US-Regierung wurde bislang in alle Richtungen spekuliert. Wobei die sachbezogenen Ermittlungen des FBI eine Sache sind und die Spekulationen über einer ausländische Beteiligung Iraks oder Al-Qaidas eine andere.
Die politisch motivierte Tätersuche
Seit dem 11.September sind Behauptungen zu vernehmen, es könnte sich bei dem eigentlichen Urheber - der Anthrax-Biobriefbomben wie auch der WTC-Anschläge - um Saddam Hussein handeln. Es gebe klare Hinweise einer Verwicklung Iraks.32 Nein, eine solche gebe es nicht, war wiederum aus dem State Department und anderen Quellen zu vernehmen.
Entgegen den auf einen Krieg gegen den (Bush gegen Hussein, II. Akt?) eingeschworenen Falken in der jetzigen US-Regierung und ihrem Klientel gibt es bis keinen einzigen Beweis, der auf eine Verwicklung Iraks schließen ließe. Im Umkehrschluss der gegenwärtigen US-Realpolitik bedeutet dies folgendes: Hätte man in Washington auch nur den Hauch eines Beweises über die Verwicklung des Hussein-Regimes in die WTC-Anschläge oder die Anthrax-Biobriefbomben-Attacken, brauchten solche Vermutungen nicht künstlich konstruiert werden. Man hätte unilateral, d. h. ohne Rücksicht auf die Meinung von Verbündeten und Alliierten, salopp gesagt, Bagdad bereits in die Erdumlaufbahn bombardiert.
Im letzten und sehr ausführlichen Bericht der UN Special Commission (UNSCOM) zur Verifikation des Status und der Zerstörung des irakischen nuklearen, biologischen, chemischen und Raketenrüstungsprogramm, der nach der Ausweisung der UN-Inspektoren am 29.1.1999 veröffentlicht wurde, wird der damals bekannte Sachstand - und sicherlich unvollständige Sachstand - des irakischen B-Waffen-Programms referiert.33 Dieser Bericht macht folgendes deutlich:
- Irak hatte die UNSCOM bis 1995 - wie in allen anderen Bereichen von Massenvernichtungsswaffen auch - an der Nase herumgeführt und nur zugegeben, was gerade beweisbar war.
- 21 oder 25 Sprengköpfe von Al-Hussein Raketen wurden mit B-Waffen bestückt, davon 16 mit Anthrax.34 Ebenso kleinere Sprengkörper für Flächenbombardements.
- Im Zuge der von der UNO nach der Sicherheitsratsresolution 687 verlangten "vollen, endgültigen und vollständigen Offenlegung" aller Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen wurde festgestellt, dass nur der als "Vollum" bezeichnete Typ von Sporen des Bacillus anthracis waffenfähig gemacht wurden. Hinweise auf den Ames-Typ gibt es keine. Sehr wohl sei jedoch seit 1988 versucht worden, andere virulente Stämme des Bacillus anthracis im Ausland zu beschaffen.
Es gibt aufgrund der Kenntnis des irakischen B-Waffenprogramms bislang keinen einzigen belastbaren Hinweis, wonach die im Irak entwickelten Anthrax-Kulturen eine Ähnlichkeit mit jenen der Biobriefbomben in den USA hätten.
Möchte man analytisch keine Möglichkeit auslassen, so kann man über die möglichen Täter oder die Tätergruppe folgende begründete Spekulation anstellen.35
- Es handelte sich um einen staatlichen Akteur, der den Bacillus Anthracis selbst herstellte und die Bio-Briefbombenanschläge alleine und durch sein eigenes Agentennetz durchführte.
- Der oder die Täter waren eine selbständige Terroristengruppe, die jedoch durch einen Staat unterstützt wurden und von diesem entweder das Material und das know-how erhielten.
- Der oder die Täter haben den Kampfstoff selbst hergestellt oder durch einen befreundeten Wissenschafter erhalten.
- Es gibt keine terroristische Verschwörung. Vielmehr handelt es sich um einen Einzeltäter aus den USA mit Zugang zu dortigen staatlichen Labors, womöglich sogar aus der ehemaligen offensiven oder späteren "defensiven" B-Waffen-Forschung. Diese These wird immer wahrscheinlicher. Trifft sie zu, ist damit zu rechnen, dass die Bush-Regierung nur Zug um Zug zugeben wird, was nachgewiesen werden kann. Eine gentechnische Analyse der verwendeten Materials kann darüber Klarheit verschaffen, wie oft es vervielfältigt wurde. Es ließe sich daraus auch feststellen, ob das Material in kleinem Umfang oder in einem industriellen Prozess vermehrt wurde.
Bio-Terrorismus oder Bio-War?
Trotz der bislang verständlichen Panik in den USA und anderswo, handelt es sich bis dato nicht um die seit langem beschworenen und befürchteten epidemischen "Biowaffenangriffe" mit einer Massenvernichtungsfähigkeit, sondern um "biologische Briefbomben".
Briefbomben sind ein altbekanntes Terror-Mittel. In den USA versandte ein Einzeltäter, der sogenannte "Una-Bomber" jahrelang Sprengfallen. In Österreich war es der Briefbomen-Attentäter Franz Fuchs, der als Autodidakt mit Nitroglyzerin gefüllte Briefbomben versandte, die bei mehreren Personen schwerste Verletzungen hervorgerufen haben. In den USA ist die Drohung mit Anthrax-Anschlägen ein Volkssport der Ultrarechten, der sich vor allem gegen Abtreibungskliniken richtet36. Mehrere solche Täter wurden bereits festgenommen.37 Öffentliche zugängliche Bauanleitungen wie etwa "Scientific Principles of Improvised Warfare and Home Defense, Volume 6-1: Advanced Biological Weapons38 werden nach einem Bericht der New York Times seit langen dem interessierten Publikum angeboten. Obgleich solche Texte als "Biowaffen-Kochbuch" bezeichnet werden, ist doch ein erheblicher Zweifel angebracht, ob dies ein Gebrauchstext für den nicht mikrobiologisch ausgebildeten Laien sein kann: eben so wenig können die zahlreichen inkriminierten und vom Internet genommenen Texte zur Kernwaffenphysik dem terroristischen Laien etwas nutzen.
Zu einer Versachlichung der Debatte scheint es also angebracht, zwischen dem inneramerikanischen Bedrohungs-Diskurs vor dem 11. September und der öffentlichen Wahrnehmung danach zu differenzieren. Eine solche Differenzierung wurde in einer Anhörung des US-Repräsentantenhauses vom 12.Oktober 2001 genauso getroffen.
"Many agree a biological weapons attack on the United States could be psychologically devastating and, depending on the microorganism or toxin, kill thousands of people. However, there are opposing views concerning the likelihood and impact of such an event. Policymakers, scholars, and the news media are becoming increasingly alarmed by the potential for biological weapons terrorism. Driving these concerns are the global spread of scientific knowledge and technology relevant to biological weapons terrorism, the vulnerability of the civilian population, the events of September 11, 2001, which demonstrated the intent of the terrorists to inflict mass casualties, and the recent cases of anthrax discovered in Florida." Others consider the likelihood of a terrorist attack using biological weapons to be low because of difficulties involved processing biological agents into lethal forms, and problems delivering the weapons in a manner which would achieve large-scale casualties."39
Folgt man diesen Empfehlungen, so ist vor allem zweierlei zu unterscheiden. Der Bedrohungsdiskurs, der vom US-Militär und den Geheimdiensten in der zweiten Hälfte der 90er Jahre geführt wurde. Dieser Diskurs führte zwangsläufig auch durch die massive mediale Aufwertung dieses Themas auch zu einer erhöhten Aufmerksamkeit in gewaltbereiten und terroristischen Kreisen. Dem gegenüber zu stellen ist die "reale Datenlage", die wirklich aufgetretenen Fälle an B-Waffen-Einsatz oder -Freisetzung durch nicht-staatliche Akteure.
Der US-Diskurs vor dem 11. September
It begins with a threat. A terrorist group declares that unless its demands are met within 48 hours, it will release anthrax over San Francisco. Two days later, a private plane flies across the Bay, spreading an aerosol cloud that shimmers briefly in the sunlight before disappearing. Scenario one: thousands are killed in the panic as 2 million people flee the city. Another 1,6 million inhale anthrax spores. (...) More than a million of the Bay Area's 6-5 million residents die.
New Scientist 1998)
The fifth Egyptian plague, around 1500 B.C., is believed to have been a result of anthrax.
US-Army
Dieses zweite Zitat und Bookmark wurde im Mai 1999 protokolliert. Der Server, von dem dies stammt, wurde nach dem Auftreten der ersten Anthrax-Fälle in den USA vom Netz genommen und ist bis heute nicht erreichbar.
Wo sich Katastrophenszenarien, die seit Jahren die sicherheitspolitischen Eliten in den USA erregen mit einer naturwissenschaftlichen Neuinterpretation des Alten Testaments trefflich paaren und die 'fünfte ägyptische Plage' als Milzbrandbakterien geoutet wird, da muss man schon im Alten Testament selbst Nachschau halten, um zu verstehen, wie das US-Militär in eine biologische Bedrohungshysterie verfallen ist. Die Israeliten, eine ethnische Minderheit im alten Ägypten, im strategischen newspeech eine 'rogue-nation' (ein Schurkenstaat), setzen mit Gottes Hilfe Milzbrandbakterien (newspeech: eine Massenvernichtungswaffe) in terroristischer Manier gegen die ägyptische Zentralmacht ein: "Verweigerst Du aber die Freilassung und hältst sie weiter fest, dann kommt die Hand des Herren zum Verderben an dein Vieh auf dem Felde (...) eine schrecklich schwere Seuche. Aber einen Unterschied machte der Herr zwischen Israels Vieh und dem Ägyptens: Keinem Israeliten stirbt ein Stück."40 So geschah es denn auch in der alttestamentarischen Überlieferung und in der Theorie. Den Ägyptern verreckte jedes Stück auf dem Felde, den Israeliten kein einziges, es war immun. Das darf jedoch bezweifelt werden.
Im Mai 1998 begann das US-Verteidigungsministerium mit einem großangelegten Impfprogramm aller Militärangehöriger gegen Milzbranderreger als eine Gegenmaßnahme gegen die erwartete biologische Kriegsführung von 'Schurkenstaaten'.
Im Grunde handelt es sich immer um das gleiche Bedrohungsmuster: Die technologische Überlegenheit der stärksten Militärmacht der Welt, der USA, sei einerseits so uneinholbar fortgeschritten, andererseits sei diese am allerwenigsten auf gewalttätige Attacken fremder Mächte auf ihrem eigenen Territorium vorbereitet, wenn diese sich asymmetrischer Mittel und Strategien bedienen, worauf schon 1997 von Patrick M. Hughes, Direktor der Defense Intelligence Agency, einem der zahlreichen US-Militärgeheimdienste vor einem Senatsausschuss hingewiesen wurde.41 Der Herausgeber von Jane's Intelligence, Clifford Beal, hat kürzlich diese Form asymmetrischer Herausforderung als allgemeinen Trend der Zukunft prognostiziert.42
Auch wenn die Bedrohung durch asymmetrische Attacken nach dem 11. September zweifelsohne durch Terror-Organisationen wie der Al-Qiada eine hohe Plausibilität zukommt; auch wenn zweifelsfrei feststeht, dass Usama Bin Ladin die Herstellung von Massenvernichtungswaffen selbst als "religiöse Pflicht" bezeichnet hat, was die CIA im Februar 2000 und Februar 2001 in den jährlichen Berichten über "die weltweite Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA" feststellte,
"Although terrorists we've preempted still appear to be relying on conventional weapons, we know that a number of these groups are seeking chemical, biological, radiological, or nuclear (CBRN) agents. We are aware of several instances in which terrorists have contemplated using these materials. Among them is Bin Ladin, who has shown a strong interest in chemical weapons. His operatives have trained to conduct attacks with toxic chemicals or biological toxins. HAMAS is also pursuing a capability to conduct attacks with toxic chemicals."43
"Terrorist groups are actively searching the internet to acquire information and capabilities for chemical, biological, radiological, and even nuclear attacks. Many of the 29 officially designated terrorist organizations have an interest in unconventional weapons, and Usama bin Ladin in 1998 even declared their acquisition a "religious duty."44
selbst dann, darf mehrfach bezweifelt werden:
- staatliche Akteure, die noch 'halbwegs bei Verstand sind', die USA ernsthaft mit Biowaffen attackieren würden. Die US-Nukleardoktrin schließt in einem solchem Fall einen nuklearen Gegenschlag nicht aus;
- dass eine Terrororganisation wie die Al-Qaida, die es auf eine Maximierung der Tötung abgesehen hatte, sich mit ein paar Bio-Briefbomben abgeben würde;
- dass die Al-Quaida, in der Lage wäre, derartiges Anthrax-Material selbst herzustellen.
Überdies ist der US-Diskurs zu den sogenannten "Massenvernichtungswaffen" im militärischen und sicherheitspolitischen Jargon zweifellos irreführend. Dabei nämlich werden nukleare, chemische und biologische Waffen gleichermaßen als Massenvernichtungswaffen (weapons of mass destruction, WMD) bezeichnet, obwohl dies von ihrer Wirkungsweise her keine korrekte Beschreibung darstellt. Strategische Nuklearwaffen sind unterschiedslos Massenvernichtungswaffen, auf die die erklärten und nicht erklärten Kernwaffenmächte als zentrales Element ihrer nationalen Sicherheit setzen. Chemische und biologische Waffen sind Massentötungswaffen. Die Wirkung chemischer Waffen kann anderes als die von Kernwaffen - mit ihrer radioaktiven Reststrahlung - nach kurzer Zeit bereits gänzlich unwirksam sein. Viele potentielle biologische Waffen, gleich ob auf viraler oder bakterieller Basis eignen sich im Prinzip als strategische Zweitschlagwaffe oder als Terrorwaffe, da der technische Aufwand zu ihrer Herstellung im Unterschied von Kernwaffen wesentlich geringer ist.
Zum Einsatz als taktisches Mittel in einem begrenzten Krieg sind sie eher untauglich, obgleich der Einsatz von biologischen Waffen seitens Japans im Zweiten Weltkrieg stattfand45, seitens der Sowjetunion im Afghanistan-Krieg in geringem Umfang offenbar stattfand.46
Es gibt bis heute keine erklärte Biowaffen-Doktrin (vergleichbar zu den Nukleardoktrinen der Kernwaffenmächte) als Konzept der nationalen Sicherheit. Die westlichen Staaten der NATO haben auf biologische Waffen als strategische Mittel ausdrücklich verzichtet. Von der Sowjetunion unter Gorbatschow wird berichtet, dass Interkontinentalraketen mit biologischen Sprengköpfen bestückt wurden, es ist dies aber der einzige Hinweis auf ein solches Vorgehen, ein strategisches Konzept dazu wurde nicht entwickelt.47 Dennoch werden erst recht nach dem 11. September von den USA zahlreiche Staaten verdächtigt, Biowaffenprogramme als strategisches militärisches Instrument zu entwickeln.
Zwischen Alarmismus, Realismus und Bagatellisierung
Die sowohl in der US-Literatur wie auch in den regierungsamtlichen Stellungnahmen vertretene alarmistische Position, die USA seien sowohl was die Bedrohung durch Nuklearwaffen als auch durch biologische Waffen anbelangt, einem größerem Risiko als je zuvor ausgesetzt48, entbehren nicht einer gewissen Ironie. Zum einen ist die größte systematische Konfrontation mit der Drohung von Massenvernichtungswaffen, der Kalte Krieg, unblutig zu Ende gegangen. Mit der Selbstauflösung der Sowjetunion und ihres strategischen Glacis, dem Warschauer Pakt. Seitdem haben die USA die Rolle eines sicherheitspolitischen Hegemons übernommen.
Auch der Verweis darauf, dass die Liberalität der US-Ökonomie es allen rechtsextremen und rassistischen Milizen ermögliche, im Versandhandel Milzbranderreger gleichermaßen einfach zu bestellen, wie an der nächsten Straßenecke automatische Schusswaffen zu kaufen, lässt sich als weitgehend inneramerikanische Angelegenheit verorten. Ob sich dadurch tatsächlich die Gefahr eines 'katastrophalen Terrorismus'49 mit biologischen Waffen konstituiert, wurde vor dem 11. September nicht nur von Terrorismusexperten selbst50, sondern auch von aufmerksamen Beobachtern der US-Militärbürokratie erheblich in Zweifel gezogen.51 Eine abschließende Beurteilung einer solchen terroristischen Bedrohung erscheint daher vor der Klärung der Urheberschaft der gegenwärtigen Anthrax-Briefbomben in den USA intellektuell nicht redlich zu sein.
In den 90er Jahren wurden fünf verschiedene Datenbanken zur Erfassung von B- und C-Waffen-Anschlägen, -Drohungen und -hoaxes von nicht-staatlichen Akteuren bzw. einem terroristischem Umfeld, aufgebaut52:
- Eine Datenbank von Harvey McGeorge aufgrund einer Studie des US Department of Defense für den Zeitraum 1945 bis 1994. (plus 200 Fälle),
- eine Datensammlung des "Canadian Intelligence Service" des Zeitraums 1945 bis 1995 (30 B- und 62 C-Vorfälle),
- eine Datensammlung von Bruce Hoffman der RAND-Corporation im Zeitraum 1968 bis 1998, wobei 50 Fälle von Terrorismus mit Massenvernichtungssubstanzen incl. radiologischer Waffen genannt werden,
- eine Datensammlung von Seth Carus der National Defense University des US Department of Defense für den Zeitraum 1900 bis 1999.53,
- eine Datensammlung des Center for Non-Proliferation Studies, im Zeitraum 1900 bis 1999.
Die überwiegende Mehrzahl aller dokumentierten Fälle betrifft Drohungen und Einschüchterungen ohne substantielles Bedrohungspotential. Leitenberg schließt daraus: "Excluding the preparation of ricin, a plant toxin which is relatively easy to prepare, there are only a few recorded instances in the years 1900 to 2000 of the preparation of biological pathogens in a private laboratory by a non-state actor."54
Nach allem, was bisher bekannt ist, kann man festhalten: Auch nach dem 11. September ist die Wahrscheinlichkeit, dass Terroristen oder Einzeltäter ohne Unterstützung von oder Zugang zu einem staatlichen Biowaffenprogrammen (gleich welcher Nationalität) in der Lage wären, selbständig ein nennenswertes Biowaffen-Potential zu entwickeln, eher gering, wie viele Internetausdrucke von irgendwelchen obskuren Bauanleitungen man in Afghanistan auch noch finden wird. Auf der anderen Seite ist die Vorstellung, Terroristen vom Schlag jener, die die WTC-Anschläge verübten, könnten im Besitz von Anthrax solcher Qualität sein, tatsächlich außerordentlich alarmierend.
Der Bedrohungsdiskurs in den USA - und in weiterer Folge auch in Europa -, der schon in den späten 90er Jahren vom Szenario einer asymmetrischen Kriegsführung besetzt war, hat sich nach dem 11. September noch weiter in diese Richtung verschoben. Die asymmetrischen Aspekte enthielten dabei zuvor vor allem Bio-Waffen-Bedrohungen und Infowar-Attacken. Jetzt wurde dis noch ausgeweitet:
Die zukünftige Militärplanung der USA vor dem 11. September konzentrierte sich weitgehend auf staatliche Akteure und "unvermeidliche strategische Überraschungen".55 Nach dem 11. September jedoch wurde die "Quadrennial Defense Review" (QDR), die vierjährige Planung für die Strategie und das Streitkräftedispositiv, die Ende September vorliegen sollte, erheblich überarbeitet.
"Future adversaries will most certainly have a range of new means with which to threaten the United States. It is possible to identify confidently some of these means, including new techniques of terror; ballistic and cruise missiles; weapons of mass destruction, including advanced biological weapons; and weapons of mass disruption, such as information warfare attacks on critical information infrastructure. Others, like those used to attack the United States on September 11, 2001, may be a surprise."56
Ein Sachverhalt ist jedoch völlig evident. Einmal bestehende Produktionsanlagen für biologische Waffen lassen sich einzig durch Rüstungskontrolle und Verifikationsmaßnahmen, d.h. durch Inspektionen vor Ort aus der Welt schaffen. Die bereits im Juli des Jahres von der Bush-Regierung verkündete Kehrtwende bei der Biowaffen-Verifikation57 wird wahrscheinlich Ende dieser Woche die Verhandlungen in Genf über ein Zusatzprotokoll zur Bio- und Toxinwaffen-Konvention endgültig zum Scheitern bringen, nachdem zu Beginn der Überprüfungskonferenz von den USA klar gemacht wurde: "Bolton Says BWC Draft Protocol Is Dead and Won't Be Resurrected".
Wenn auch der Rückzug der USA aus Rüstungskontroll- und anderen multilateralen Abkommen (siehe auch ABM-Vertrag, Kyoto, Kleinwaffen, Landminen, internationaler Strafgerichtshof für Kriegverbrechen) vorwiegend ideologisch bedingt ist, bleibt völlig unklar, welche Bedeutung man in Washington der Biowaffenbedrohung tatsächlich zuordnet.
Man darf also gespannt sein, ob die USA künftig bei der "Beseitigung der Biowaffenbedrohung" vorwiegend auf "militärische Lösungen" setzten werden. Dies war die Hauptbegründung der US-britischen Luftangriffe auf Irak im Dezember 1998.
"Dr. Georg Schöfbänker ist Leiter des Österreichischen Informationsbüros für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in Linz.