Auf der Suche nach der Kernexplosion

Wie Seismologen unterirdische Atomtests aufspüren

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Für die Überwachung von Erbeben sind weltweit Messstationen errichtet. Sie dienen dazu, den Ort, die Stärke und die Häufigkeit der Beben möglichst genau zu bestimmen. Im Laufe der Jahre konnten die Meßmethoden zwar erheblich verbessert werden, aber immer noch lässt die Genauigkeit in der Lokalisation des Epizentrums zu wünschen übrig.

Die Seismologen zeichnen die von den Hypozentren ausgehenden Wellen auf. Die Gesteinspartikel können longitudinal, also in der Ausbreitungsrichtung vor und zurück, oder senkrecht zur Ausbreitungsrichtung hin und her (transversal) schwingen, was sich auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit auswirkt: Longitudinalwellen kommen rascher voran als Transversalwellen. Da das Gestein bei Longitudinalwellen ziehharmonikaartig gestaucht und gestreckt wird, heißen sie auch Kompressionswellen. Bei den Transversalwellen, auch Scherwellen genannt, wirken kurzzeitige Scherkräfte auf das Gestein ein.

Erdbebenwellen gehorchen den gleichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie gewöhnliche Schallwellen. Sie werden beim Durchgang durch unterschiedlich dichte Zonen gebrochen und reflektiert, nämlich an der Grenzfläche zu einem weniger dichten Medium. Ferner werden sie bei der Ausbreitung gedämpft, weswegen sich Kompressionswellen zum Teil in Scherwellen, die L- oder Love-Wellen, umwandeln.

Die Dubletten (kreisförmiges Symbol), die von den Messstationen (dreieckiges Symbol) in China registriert wurden (Bild: Science)

Demnach kommen bei den Erdbeben erst die longitudinalen P- Wellen (Kompressionswellen; durchschnittliche Geschwindigkeit bis 13 km/s), anschließend die transversalen S-Wellen (Scherwellen; bis 7,5 km/s), gefolgt von den langsameren Oberflächenwellen oder L-Wellen (3,8 km/s). Für die Forscher besteht nun die Aufgabe, diese Wellen mit den benachbarten Messstationen abzugleichen. Dazu werden die Kurven über P- und S-Wellen betrachtet. Zentrales Element ist der Ausgangspunkt, der üblicherweise aus der Betrachtung der Wellen und ihrer Herkunft ermittelt wird.

David Schaff und Paul Richards von der Columbia Universität legen nun in Science eine Arbeit vor, bei der sie etwa 14.000 Erdbeben oder Explosionen aus China analysieren. Sie gehen davon aus, dass wiederholte Erdbeben entstehen, wenn die gleichen Mechanismen an ähnlichen Orten wirksam werden. So wurden wiederholte Ereignisse in den aktiven Zonen der großen Erdbeben und in den Subduktionszonen gefunden. Solche Daten aus der Zeit zwischen 1985 und 2000, die im "Annual Bulletin of Chinese Earthquakes" erfasst sind, wurden nun auf "Dubletten" untersucht, nämlich für einen CC größer als 0,8, und das für ein Zeitfenster von 5 Sekunden vor der P-Welle bis 40 Sekunden nach der L-Welle. Der "cross-correlation" Koeffizient (CC) zeigt dabei trotz zerstreuter Welle eine Korrelation zwischen den Messstationen. Die Analysen erfassen 1301 Ereignisse entsprechend dem "Annual Bulletin of Chinese Earthquakes" (ABCE) und eine Menge weiterer kleiner Ereignisse. Durch die Korrelation entstehen Dubletten, die einerseits das Geschehen auf deutlich weniger als 900 Meter im Durchmesser beschränken und zudem das Wissen um die Herkunft des Bebens um den Faktor 10-1000 verbessern. Vorausgesetzt, die Ereignisse wiederholen sich innerhalb eines Jahres.

Die Explosion im Juni 1953 an der Nevada- Versuchsstation (Bild: National Nuclear Security Administration, Nevada Site Office)

Wofür sind solche Ergebnisse von Bedeutung? Einerseits für die Erbebenforschung. Vor allem aber für die Registrierung von unterirdischen Atomwaffenversuchen. Denn nach Aussagen der Internationalen Atomwaffenschutzkommission werden inzwischen nicht mehr fünf, sondern 35-40 Staaten als potentielle Hersteller gehandelt.

Das Reviewed Event Bulletin (REB) hat die Kriterien erarbeitet, die für die Erfassung der Explosionen relevant sind. Gleichwohl sind die Voraussetzungen, nach denen die Ereignisse in das "Reviewed Event Bulletin" aufgenommen werden, unzureichend, insbesondere wenn nach kleinen Explosionen gesucht wird. Denn die Ergebnisse werden von zwei Fehlern beherrscht, nämlich der Berechnung des Ausgangspunkts und die Laufzeit. David Schaff und Paul Richards stellen fest, dass 53 Prozent der Dubletten durch das REB nicht erfasst werden.

Ähnliche Ergebnisse haben John Armbruster und Mitarbeiter in einer dreijährigen Studie mit Daten aus Russland und Kasachstan entwickelt (Seismic Location Calibration for 30 IMS Stations in Eastern Asia). In dieser Untersuchung wurde eine 3D-Methode benutzt, um den Ursprung der Beben zu analysieren und die Fehler um 20 Prozent zu verringern. Diese Studie führt dazu, dass die Ellipse des Explosionszentrums zwischen 500-800 Metern berechnet und die Fehler zur Abschätzung der Explosion reduziert werden. Mit der inzwischen von David Schaff und Paul Richards vorgestellten Methode nach der die Laufzeit durch Cross-Correlation errechnet und nicht durch den Beginn bestimmt wird, bewegen sich die Werte für die Ellipse um 100-300 Meter.

Ferner werden Fehleinschätzungen weitgehend vermieden, wie die Beurteilung von zwei Versuchen auf der chinesischen Lop Nor-Basis bestätigen (1992 und 1996): das Explosionszentrum wird enger denn je lokalisiert, nämlich mit 100 Metern.

Solche Ergebnisse zeigen einen zunehmenden Wandel in der Auswertung der Daten. Zum Teil resultieren sie aus den Erfahrungen, zum Teil sind sie Ausdruck einer völlig neuen Dimension. "The Music of Earthquakes: Waveforms of Sound und Seismology" nannten es Andrew Michael, Stephanie Ross und David Schaff in ihrem Erdbeben-Quartet No.1. Denn Töne, so sagen die Autoren, zeigen mehr auf als sich die Seismologen vorstellen können.