Aufmerksamkeitsökonomie und das Produktivitätsparadox

Warum ist mit den Informationstechnologien nicht die Arbeitsproduktivität gestiegen?

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Während der letzten 50 Jahre haben Unternehmen auf der ganzen Welt Billionen von US-Dollar für Computer und andere "Informationstechnologien" ausgegeben. Der Vorteil soll angeblich eine höhere Produktivität sein, d.h. zu höheren Gewinnen für das Unternehmen mit einer gegebenen Zahl von Angestellten und einer bestimmten Arbeitszeit führen. Zu Beginn dieser Entwicklung hatten Gesellschaftsprognostiker in den 50er und 60er Jahren Ängste über die daraus entstehende große Arbeitslosigkeit oder die zunehmende Freizeit geäußert. Wie könnte eine so lange Freizeit noch Gewinne erzielen lassen?

Sie hätten sich keine Sorgen machen brauchen, da die verkündete Zunahme an Freizeit und Produktivität niemals eingetreten ist. Während die gesamte Produktivität in den 50er Jahren um fast 3 Prozent jährlich gestiegen ist, als Computer diese noch kaum beeinflußt haben, hat sich die Zunahme zumindest der Produktivität seitdem deutlich verlangsamt und wird offiziell anstatt immer weniger mehr und mehr Zeit "am Arbeitsplatz" verbracht. Obwohl die Durchschnittsfamilie inzwischen kleiner geworden ist, scheint jetzt nicht mehr ein Vollzeitbeschäftigter auszureichen, sondern müssen zwei Familienmitglieder arbeiten, um eine Mittelschichtsfamilie in einem Land zu ernähren, das sich in den 50er Jahren damit gebrüstet hatte, daß jeder bald der Mittelschicht angehören werde.

In dieser Zeit ist jedoch, wie wir alle wissen, der Preis der Computer drastisch gefallen, während ihre Rechenkapazität gleichzeitig so unglaublich viel größer wurde, daß ein gewöhnlicher PC jetzt mehr Rechenkapazität und Speicher besitzt, als sie in den 50er Jahren weltweit zur Verfügung standen. Das Paradox ist, warum die gewaltige Zunahme an Rechenkapazität an vielen Arbeitsplätzen nicht zu einer feststellbaren, um nicht zu sagen: großen Zunahme der Produktivität geführt hat oder führen wird.

Es gibt viele Gründe, warum die traditionelle Ökonomie sich mit der Beantwortung dieser Frage schwer tut. So ist noch nicht einmal klar, wie man überhaupt Produktivität messen kann. Wenn eine Fabrik ein perfekt standardisiertes Produkt, beispielsweise eine 60-Watt-Birne, immer wieder, jahrein und jahraus, produziert, dann kann die Produktivität leicht gemessen werden. Sie ist einfach die jährliche Gesamtzahl der Glühbirnen (oder von irgendeinem anderen standardisierten Produkt), geteilt durch die Gesamtzahl der Arbeitsstunden. Doch wenn verschiedene Produkte in verschiedenen Jahren hergestellt werden, dann gibt es keine allgemein anerkannte Methode, sie zu vergleichen. Entspricht ein Volvo S70 aus dem Jahr 1999 einem, zwei oder zehneinhalb Volvos 544 aus dem Jahr 1960?

Noch schwieriger zu vergleichen sind die sogenannten Dienstleistungen. Ist ein Rechtsanwalt im Jahr 1999 produktiver als einer im selben Büro einige Jahre früher? Die einzige Möglichkeit des Vergleichs besteht darin, nachzusehen, wieviel der Rechtsanwalt heute im Verhältnis zum früheren verlangt. Aber da Rechtsanwälte soviel verlangen, wie sie können, hat diese Zahl mindestens so viel mit der Nachfrage nach Rechtsanwälten als mit dem "Output" eines bestimmten Rechtsanwalts zu tun.

Das Beispiel des Rechtsanwalts kann so gut wie jedes andere zeigen, daß es von Vorteil ist, dasselbe Problem aus der Perspektive des Übergangs zu einer neuen Wirtschaftsform, die ich die Aufmerksamkeitsökonomie genannt habe, zu betrachten. Nicht alle Rechtsanwälte verlangen dasselbe Honorar. Wie bei einem Filmstar kann man normalerweise mehr verlangen, je größere Aufmerksamkeit man erhält. Ist ein bekannterer Rechtsanwalt aber wirklich ein besserer Rechtsanwalt? Ja, sofern ein guter Rechtsanwalt durch seine Präsenz in einer Interaktion das Gleichgewicht verändern kann. Um dies leisten zu können, muß der Rechtsanwalt irgendwie eine ungewöhnlich große Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, und das ist am wahrscheinlichsten die Folge davon, daß er bereits zuvor Aufmerksamkeit erhalten hat.

Dasselbe gilt natürlich für Künstler. Wenn man die Produktivität anhand der Dollar mißt, die der Künstler pro Arbeitsstunde verdient, dann wird sich herausstellen, daß in aller Regel diejenigen Künstler, die am meisten Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, auch am meisten verdienen. Wenn man die Produktivität jedoch mit der geleisteten Arbeit oder der Anzahl der Pinselstriche auf der Leinwand pro Stunde messen würde, dann würde das Ergebnis lächerlich sein. Manchmal erhält ein langsamer und bedächtiger Künstler viel mehr Aufmerksamkeit als ein schnell arbeitender, der nur Mist produziert.

Aus dieser Perspektive betrachtet hat ein Filmschauspieler, der die Aufmerksamkeit von Millionen von Menschen auf sich zieht, vielleicht die größte Produktivität. Man kann genauso viel oder noch mehr Arbeit für einen Film benötigen, den niemand sehen will, wie für einen Film, der von Hunderten von Millionen angesehen wird. Daher scheint ein berühmter Schauspieler auch nicht produktiver als ein unbekannter sein zu müssen, wenn man die Größe des Publikums außer Acht läßt. Doch die Tatsache, daß so viele Menschen den Film sehen, ist ein Hinweis für einen größeren Arbeitserfolg, weswegen es auch Sinn macht, einen Star produktiver als einen unbekannten Schauspieler zu nennen.

Diese Beispiele zeigen, daß die richtige Methode zur Messung von Produktivität in der erhaltenen Aufmerksamkeit liegt. Selbst gewöhnliche Waren ziehen Aufmerksamkeit auf sich, da sie sonst nicht gekauft würden. In einer der folgenden Kolumnen werde ich die damit verbundenen Komplexitäten näher darstellen, aber an dieser Stelle könnte es nützlich sein, eine einfache Formel zu betrachten: Je mehr Aufmerksamkeit man glaubt, erhalten zu können, wenn man einen Gegenstand besitzt, desto wahrscheinlicher wird man diesen kaufen und desto mehr wird man dafür zu zahlen bereit sein. Überdies wird man, je mehr man das Bedürfnis verspürt, auf etwas seine Aufmerksamkeit zu richten, desto eher auch bereit sein, dafür auch Geld zu bezahlen. Man kauft eher ein Buch, das man zu lesen beabsichtigt, als eines, von dem man weiß, daß man es wahrscheinlich nicht lesen wird, es sei denn, daß einfach schon der Besitz des ungelesenen Buches jene beeindrucken wird, deren Aufmerksamkeit man haben will. Ebenso kauft man Kleidung mit der Hoffnung, Aufmerksamkeit auf den eigenen Geschmack, auf seine Attraktivität, seine guten Beurteilungskriterien oder auf irgendetwas zu lenken, das einen auszeichnet.

Überlegen Sie sich einmal, wie man das auch auf die Computer anwenden könnte. Wenn Sie sich dieser Tage einen Computer kaufen, dann geht es nicht nur darum, die Welt durch das Internet sehen zu können, sondern auch darum, durch die Teilnahme in Chat-Räumen, das Versenden von Emails oder das Einrichten einer Web-Page gesehen zu werden. Vielleicht benötigen Sie aber auch den Computer einfach nur zur Textverarbeitung oder zum Desktop-Publishing, um damit Manuskripte herzustellen, die mehr Leser finden sollen, weil sie attraktiver gestaltet (oder auch einfach mehr) sind als jene, die man ohne Computer hätte verfertigen können. Selbst Spreadsheet- oder Datenbankprogramme eröffnen eine bessere Möglichkeit, Aufmerksamkeit für die Szenarien, die man entworfen hat, oder die klugen Bits an Wissen, die man gespeichert hat, zu finden. Diese Hoffnungen, irgendwie Aufmerksamkeit zu finden, mögen scheitern, aber sie erklären zu einem guten Anteil, warum man einen Computer kauft.

Das Hauptproblem bei den Hoffnungen auf Aufmerksamkeit ist natürlich, daß es nur eine begrenzte Menge davon im Internet oder im Leben überhaupt gibt. Die bloße Tatsache, daß man beispielsweise eine Web-Page besitzt, bedeutet noch nicht, daß irgendjemand diese auch findet und Zeit für sie aufwendet. Wir leben in einer Welt mit einer begrenzten Menge an Aufmerksamkeit. Und wenn wir die ganze oder praktisch die gesamte Aufmerksamkeit direkt oder indirekt aufeinander richten, dann gibt es darüber hinaus keine mehr. Wir können nur hoffen, die Aufmerksamkeit zu verändern, indem wir beispielsweise zum Nachteil von anderen mehr Aufmerksamkeit auf uns lenken.

Wenn wir einmal in einer Welt leben würden, in der produktiv zu sein, wirklich nur bedeuten würde, Aufmerksamkeit zu finden, dann könnte die Gesamtmenge der Produktivität nicht mehr wachsen. Wir müßten sogar mehr und mehr arbeiten, um auch nur ein durchschnittliches Maß an Aufmerksamkeit zu erhalten oder diejenige zu sichern, die wir bereits gewonnen haben. Aus diesem Grund wird der Druck zu arbeiten für fast alle deutlich. Unsere Tage werden immer stärker mit Arbeit zugepackt. Wir kaufen Computer, um unsere persönliche Produktivität zu erhöhen, und sofern wir Erfolg am Output messen, scheint sich unsere Produktivität zu vergrößern. Doch wenn wir sie mit der von anderen erzielten Aufmerksamkeit messen, dann ist das nicht notwendigerweise so.

Unternehmen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von den einzelnen Menschen, aus denen sie sich zusammensetzen. Wenn man in einem großen Unternehmen arbeitet, dann kann man seinen Computer auch dazu verwenden, innerhalb des Unternehmens mehr Aufmerksamkeit von den anderen zu erhalten, ohne daß dadurch die Aufmerksamkeit auf das ganze Unternehmen ansteigt. Der eigene Computer würde dann nur die eigene Produktivität vermehren, aber sich nicht auf das Unternehmen auswirken.

Daher sollten wir nicht überrascht sein, daß der Aufstieg der Aufmerksamkeitstechnik, die wir mit der Informationstechnik verwechseln, kaum die gesamte Produktivität von Staaten und Unternehmen erhöht hat -und dies auch in Zukunft nicht tun wird. Aber diese Technik wird das Verlangen nach Aufmerksamkeit größer und die Jagd nach ihr immer zwanghafter und schwieriger werden lassen.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer