Aufrüstung gegen Flüchtende: Finnland macht Grenze zu Russland dicht

Roland Bathon

Grenzübergang zwischen Finnland und Russland bei Nuijamaa. Bild: Tuomas Vitikainen / CC BY-SA 4.0 Deed

Fast alle russisch-finnischen Grenzübergänge wurden geschlossen. Situation vor Ort verschärft sich. Warum Norwegen und Estland nachziehen wollen.

Die finnischen Behörden haben die Schließung von Grenzübergängen nach Russland ausgeweitet. Nur noch ein arktischer Übergang in der Region Murmansk ist seit der Nacht vom 24. auf den 25. November geöffnet, an dem aktuell laut der Sankt Petersburger Stadtzeitung Fontanka 300 Personen auf einen Grenzübertritt warten. Sie sind bei frostigen Temperaturen teilweise schon seit Tagen vor Ort.

"Humanitäre Krise" in der russischen Grenzregion

Der Gouverneur von Murmansk Andrej Tschibis bezeichnete die örtliche Situation als "humanitäre Krise". In die Region käme "ein Strom ausländischer Bürger", die alle nach Finnland wollten und nun vor Ort feststecken. Er verhängte am Donnerstag in seiner Region einen Alarmzustand.

In Finnland tobt derweil ein Streit um die Härte der Maßnahmen. Das finnische Justizministerium beklagt, dass die Sperre der Grenzübergänge, verfügt durch das Innenministerium, das Asylrecht an sich aushebele. Die Beantragung internationalen Schutzes seien "durch die Verfassung, das EU-Recht, die Europäische Menschenrechtskonvention" garantiert. Würden alle Grenzübergänge geschlossen, wäre die Stellung eines Asylantrags in Finnland nur noch am Flughafen Helsinki möglich.

An den Grenzübergängen ist mittlerweile finnisches Militär im Einsatz, das neue Schutzbarrieren errichtet. Migranten versuchten auch, solche Barrieren gewaltsam zu durchbrechen. Entsprechendes Videomaterial veröffentlichte der örtliche karelische TV-Sender 47news.

Norwegen und Estland bereiten sich auf Schließungen vor

Andere Staaten wollen sich den finnischen Grenzschließungen anschließen, um nicht zur Ausweichroute für die dort zurückgewiesenen Migranten zu werden. Der norwegische Premierminister Store erlaubte den eigenen Behörden eine Schließung der norwegisch-russischen Grenze durchzuführen und meinte, Norwegen würde die Situation beim Nachbarn genau beobachten.

Der estnische Innenminister Läänemets erklärte, man bereite sich ebenfalls auf die Komplettschließung seiner Grenzübergänge vor. Laut Reuters hat Lettland in der dritten Novemberwoche 75 Migranten an der eigenen Ostgrenze an einer Einreise gehindert.

In Ostfinnland, wo viele Verwandte jenseits der Grenze haben, meldet sich auch Unmut über die Komplettblockade. In der Stadt Lappenranta kamen etwa 300 Menschen vor der Stadtverwaltung zusammen, um ihren Unmut mit dem neuen Grenzregime zu bekunden.

Sie forderten, den legalen Grenzverkehr für Personen mit den nötigen Papieren wieder zu öffnen. Die Moskauer Zeitung Kommersant zitiert auch eine finnische Juristin, die kritisiert, dass die Aufnahme von 10.000 Ukrainern für ihr Heimatland kein Problem war, jetzt aber einige Hundert Migranten aus anderen Staaten als riesige Zahl wahrgenommen werde.

Fluchthelfer sitzen laut örtlichen Medien in der Türkei

Hart wiegt der Vorwurf der westlichen Politik, Russland würde absichtlich Migranten zur EU-Ostgrenze schleusen, um die Situation der europäischen Politik zu destabilisieren und Rechtsextreme zu stärken. Die Journalisten von Fontanka haben deswegen von Hunderten von Migranten aus dem Nahen Osten genutzte Chats danach durchsucht, wie sie zur finnischen Ostgrenze gelangen. Sie kooperierten dabei mit der finnischen Zeitung Helsingin Sanomat.

In den Chats ist die Rede von Vermittlern, die gegen Bezahlung bei dem Weg zur EU für um die 3.000 Euro helfen. Das Dienstleistungspaket dieser Vermittler enthält die für ein Visum notwendige Einladung nach Russland, ein Flugticket nach Moskau oder Minsk, die Reise nach Sankt Petersburg und den Transport zur finnischen Grenze.

Nicht alle Migranten leisten sich ein solches Rundum-Servicepaket und greifen etwa beim Grenztransfer auf örtliche Taxifahrer zurück oder tauschen sich in den Chats über günstige Transportmöglichkeiten aus. Auch bei den berühmten Fahrrädern, mit denen die Migranten lange die Grenze überquerten, gibt es Pauschalangebote, die diese beinhalten.

Ebenso gibt es aber auch Meldungen über einen vermehrten Fahrraddiebstahl in der russischen, grenznahen Stadt Kostomukscha. Dort schwankt die Einstellung der Einheimischen zu den Migranten zwischen Mitleid und Furcht.

Die Fontanka-Journalisten fanden solche Vermittler interessanterweise in der Türkei, wo "viele Organisationen, die solche Touren anbieten, ihren Sitz haben". Beweise für eine zentrale Steuerung dieser Serviceleistungen oder eine Beteiligung der russischen Behörden fanden sie bei ihrer Recherche nicht.

Natürlich ist es dennoch nicht auszuschließen, dass Russlands Offizielle die türkischen Schlepper stillschweigend gewähren lassen, vor allem angesichts der Tatsache, dass russische Visa aufgrund der von ihnen beschafften Einladungen problemlos erteilt werden.

Wenn das russische Visum abläuft, wird verhaftet

Viele Flüchtlinge bleiben in der Grenzregion, wenn ihre russischen Visa ablaufen und ihnen der Grenzübertritt nicht gelungen ist. Vom 15. bis 21. November seien in Russisch Karelien nahe der Grenze 150 Ausländer mit abgelaufenen Visa festgenommen worden, berichten lokale Behörden.

Die Recherche in den Migrantenchats blieb nicht folgenlos. Nach ihrer Veröffentlichung, so berichtet Fontanka seinen Lesern, wurden die Chats von Besuchern mit finnischen Namen überschwemmt, die körperliche Drohungen, Nazi-Parolen und rassistische Beleidigungen gegen die Migranten ausstießen und sie aufforderten, Finnland zu meiden. Fontanka vermutet finnische Rechtsextremisten hinter der Aktion.

Im November überquerten laut dem finnischen Grenzschutz bisher über 400 Einwanderer die Grenze und beantragten Asyl, Finnische Medien sprechen von etwa 700.

Noch im Oktober waren es nur 32 gewesen, vor allem ab der Monatsmitte November stiegen die Zahlen sprunghaft an. Als häufigste Herkunftsstaaten nennt die örtliche Presse den Jemen, den Irak, Syrien und Somalia.