Aufrüstung vs. Demokratie: Wie Militarismus zum öffentlichen Gut erklärt wird

Wehrminister Pistorius volkstümlich in Funktionsjacke, umringt von seinen Schützlingen in Uniform.

Wehrminister Pistorius volkstümlich in Funktionsjacke, umringt von seinen Schützlingen. Foto: penofoto / Shutterstock.com

Was gibt es für wen in einem gespaltenen, kaputt gesparten Land zu verteidigen? Das Wording bestimmt die Wahrnehmung. Sollte es aber nicht. Ein Kommentar.

"Wenn das die Zukunft der Demokratie ist, dann gute Nacht" – so reagierte Boris Pistorius (SPD), den man ohne Polemik als Kriegsminister bezeichnen kann, auf Proteste während eines Wahlkampfauftritts vor einigen Tagen in Leipzig. Sie richteten sich hauptsächlich gegen die militaristische Zeitenwende in Deutschland, die mit einem autoritären Staatsumbau und einem ebenso autoritären Staatsverständnis einhergeht. Letzteres hat Pistorius mit dem oben erwähnten Satz auf den Punkt gebracht.

Denn tatsächlich steht es um die Zukunft einer Demokratie besser, wenn es möglich ist, auch den Mitgliedern der Bundesregierung wie allen anderen Akteuren lautstark den eigenen Unwillen ins Gesicht zu sagen. Sorgen muss man sich eher über das autoritäre Staatsverständnis eines Ministers machen, der angesichts solcher Proteste das Ende der Demokratie kommen sieht.

Proteste gegen Bundeswehr-Gelöbnisse gestern und heute

Dabei waren Proteste gegen die Militarisierung der Gesellschaft in Deutschland noch vor 20 Jahren viel stärker. Angefangen bei den massiven Protesten gegen die Gelöbnisse in Berlin rund um den 20. Juli, den Jahrestag des Hitler-Attentats. Für mehrere Jahre war das Brimborium ein wichtiges Datum des Gelöbnix-Protestbündnisses.

Auch damals wurde nicht das militaristische Zeremoniell, sondern der Protest dagegen als Ende der Demokratie diffamiert. Heute gibt es immerhin noch Adbusting-Aktionen gegen die Bundeswehr und ihre Rituale. Dazu wurden satirische Plakate verwendet.

Wenn Aufrüstung zum öffentlichen Gut erklärt wird

Dass Proteste gegen die Militarisierung heute kleiner sind, liegt auch an der offiziellen Sprachpolitik. Da wird nicht mehr von Aufrüstung geredet, sondern von Verteidigung, die ja ein Grundrecht sei, erklärte unlängst der Professor für Volkswirtschaftslehre Tobias Börger in der taz, deren Leserinnen und Leser sich zum Teil noch daran erinnern, dass die Zeitung einmal auch deswegen gegründet wurde, um ein Forum gegen den Militarismus zu schaffen.

Börger ist Mitherausgeber einer Studie mit dem Titel "Der Wert von Sicherheit und nationaler Verteidigung". Schon durch die Überschrift wird deutlich, dass es hier darum geht, die militaristische Zeitenwende zu flankieren. Dazu dient auch die Sprache, was nun nicht besonders neu ist.

Schon in den 1980er Jahre kritisierten AKW-Gegner, dass die AKW-Betreiber mit Begriffen wie Kernkraft oder Entsorgungspark semantisch dafür sorgen wollten, dass ihre Produkte eher mit Entspannung als einer potentiell tödlichen Technologie verbunden werden. Daher sollte der Begriff "Atom", der doch sehr stark an die tödliche Bombe erinnert, möglichst vermieden werden . Der positiv besetzte Begriff der öffentlichen Güter

Genau so werden heute in der Semantik Begriffe wie Krieg und Militär durch positiv besetzte Wörter wie Sicherheit und Verteidigung ersetzt, die dann zum öffentlichen Gut erklärt werden. Dieser Begriff ist auch in den sozialen Bewegungen positiv gesetzt. Als öffentliche Güter werden Dienstleistungen definiert, die für alle Menschen lebensnotwendig sind. Dazu gehören Gesundheit, Wohnen, Carearbeit. Diese öffentlichen Güter sollen für alle Menschen zugänglich sein, unabhängig von ihrem Geldbeutel.

Dafür sollen auch öffentliche Gelder ausgegeben werden. Nur: Genau dieses Geld ist meistens nicht vorhanden, wenn es nach den Vorstellungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik geht, der sich mindestens der FDP-Wirtschaftsminister Christian Lindner verpflichtet fühlt. Also wird an allen Ecken und Enden bei diesen öffentlichen Gütern gekürzt – dafür wird fieberhaft nach Wegen gesucht, wie trotz der Schuldenbremse weiter Gelder für die Aufrüstung locker gemacht werden können.

Bessere Freibäder statt Aufrüstung

Das führt zu Unmut, wie ihn in einer taz-Kolumne kürzlich Kersten Augustin am Beispiel der schlecht bewirtschafteten Freibäder in Deutschland ausdrückte. Nachdem Augustin sehr anschaulich die Probleme beschrieben hat, seinen Sohn ein Zertifikat zu beschaffen, das ihm Schwimmkenntnisse bescheinigt, kommt er zu dem Schluss: "Wenn es heißt, die deutsche Infrastruktur sei marode, ist das abstrakt. Konkret heißt es: Der Staat erfüllt seine banalste Ausnahme nicht: dass seine Bürger nicht ersaufen."

Und Kersten Augustin fügt noch eine Frage an, die sich auch viele Menschen stellen, wenn wieder einmal kein Bus kommt oder die Wartezeit für einen Termin im Bürgeramt Monate dauert: "Wieso soll man noch Parteien der sogenannten Mitte wählen, die Milliarden für Aufrüstung bereitstellen, aber den eigenen Staat sturmreif schießen?"

Konkurrierende öffentliche Güter oder Mogelpackung?

Wenn nun plötzlich die Aufrüstung semantisch zum "öffentlichen Gut Sicherheit" erklärt wird, konkurrieren plötzlich verschiedene öffentliche Güter miteinander. Börger hat dies im taz-Interview so ausgedrückt:

Unsere Methodik kommt aus dem Bereich der Umwelt- und der Gesundheitsökonomik. Wenn es um Klimaschutz geht oder die Verbesserung der Luftqualität in Städten, wird diese Art von Studien sehr routinemäßig angewendet, es geht dabei um die Bewertung so genannter öffentlicher Güter. Unsere Studie ist, soweit wir das überblicken können, die erste, die dieses Konzept auf die Verteidigungspolitik anwendet.

Tobias Börger, taz

Gleich im Anschluss spitzt er zu:

Aber es ist sinnvoll, Verteidigungsmaßnahmen als ein öffentliches Gut zu betrachten. Wenn man innerhalb der deutschen Grenzen lebt und es einen gewissen Verteidigungsschutz gibt, dann kommt der allen zugute, die sich hier aufhalten. Die Frage ist dann: Was ist uns das wert? Wir reden gerade wegen des Regierungsentwurfs für den Haushalt viel über die Kosten. Aber aus einer Wohlfahrtsperspektive muss man auch erkennen, dass die Ausgaben einen Nutzen produzieren. Und um die Quantifizierung dieses Nutzens geht es.

Tobias Börger, taz

Spannende Forschungsfrage

Auf die Frage, ob es nicht Konflikte zwischen den öffentlichen Gütern und Verteidigung gibt, antwortet Börger:

Diese Überlegungen gibt es auf jeden Fall, und das ist auch eine absolut spannende Forschungsfrage. Methodisch würde man hier versuchen, Präferenzen der Bevölkerung für die einzelnen Budgetposten im Haushalt zu erfahren.

Dann kann man diese Zielkonflikte betrachten, die es natürlich gibt: Wenn also ein Verteidigungshaushalt steigen soll, dann muss vielleicht ein Sozialhaushalt dementsprechend kleiner ausfallen. Meines Wissens gibt es Fragestellungen wie diese in der Literatur bereits schon, und wir im Team überlegen, ob wir das in Zukunft auch nochmal erforschen.

Tobias Börger, taz

Hier wird deutlich, dass die Studie ein Teil der Bemühungen der ideologischen Staatsapparate ist, für die Aufrüstung den Gürtel enger zu schnallen und weiter Verzicht zu üben. Das kann auch in den knappen Slogan "Kanonen statt Butter" zusammengefasst werden. Wenn nun Militarismus zum öffentlichen Gut erklärt wird, soll diese Verzichtspolitik für die Betroffenen akzeptabler gemacht werden.

Wenn eine linke Zeitung Rüstungsmanager lobt

Wie schnell auch manche Linke die Militarisierung der Gesellschaft mitmachen, zeigt ein Porträt des Rheinmetall-Vorsitzenden Armin Papperger in der einst deutschlandkritischen Wochenzeitung Jungle World.

Dort wird nicht nur völlig ohne Fragezeichen die dubiose Geheimdienstmeldung über einen angeblichen von Russland geplanten Anschlag auf den Rüstungsprofiteur wiedergegeben, sondern dies wird dann auch noch mit einer antimilitaristischen Aktion gegen den Konzern Rheinmetall vermengt.

Am Ende heißt es über den Rüstungsmanager: "Ein ‚Herzensanliegen‘ hatte Pappberger die ‚wirkungsvolle und verlässliche Unterstützung‘ der Ukraine im Juni genannt, diese Zusammenarbeit wolle er noch vertiefen.". Ein solcher Satz ist 2024 in einer einst deutschlandkritischen Zeitung nicht etwa als Kritik, sondern als Lob gemeint.

Hier zeigt sich, wie der ideologische Kampf für den deutschen Militarismus Früchte trägt.

Keinen Menschen und keinen Cent

Da ist es tatsächlich ein gutes Zeichen, wenn Menschen noch gegen Pistorius, Rheinmetall und Co. protestieren und die Kernfrage der Studie "Was ist Dir die nationale Sicherheit wert?" mit einem aktualisierten Satz von August Bebel beantworten: "Keinen Menschen und keinen Cent".