Aufruf an Biden: Rettung palästinensischer Leben wird israelische Leben retten
Über tausend Juden blockieren Grand Central Station in New York. Sie rufen: "Nie wieder für jeden". Warum US-Regierung wegen Gaza-Krieg unter Druck gerät. Gastbeitrag.
Israels wochenlange Bombardierung des Gazastreifens und die kürzlich gestartete Bodeninvasion haben mehr als 9.000 Palästinenser getötet, darunter 3.700 Kinder, und das mit voller Unterstützung der US-Regierung. Weltweite Forderungen nach einem Waffenstillstand bleiben ungehört. Letzte Woche hatte ein hochrangiger Menschenrechtsbeauftragter der Vereinten Nationen genug davon.
"Ich schreibe in einem Moment großer Sorge für die Welt, auch für viele unserer Kollegen", schrieb der langjährige Menschenrechtsanwalt Craig Mokhiber in seinem Rücktrittsschreiben als Leiter des New Yorker Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte.
Wieder einmal sehen wir, wie sich ein Völkermord vor unseren Augen entfaltet, und die Organisation, der wir dienen, scheint machtlos zu sein, ihn zu stoppen.
Mokhibers Rücktritt ist eine starke, persönliche Kritik an der Uno. Die 193 Mitglieder zählende Generalversammlung verabschiedete eine Resolution zum Waffenstillstand im Gazastreifen mit 120 zu 14 Stimmen bei 45 Enthaltungen, doch werden Anträge auf einen Waffenstillstand im Sicherheitsrat stets von den USA mit einem Veto blockiert.
In seinem Rücktrittsschreiben wies Mokhiber auf einen Protest vor gut einer Woche hin, als mehr als tausend Juden und mit ihnen Solidarisierte in der Grand Central Station in New York City eine Massenkundgebung abhielten und einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza forderten. Die Demonstranten kletterten auf die historischen Zugabfahrtstafeln des Bahnhofs und hängten Transparente mit Botschaften wie "Nie wieder für irgendjemanden", "Trauert um die Toten und kämpft mit allem, was ihr habt, für die Lebenden" und "Die Palästinenser sollten frei sein". Etwa 400 Demonstranten wurden verhaftet.
"Wir sind hier, um gegen den Völkermord zu protestieren, der in unserem Namen geschieht. Das muss aufhören", sagte Rosalind Petchesky, emeritierte Professorin am Hunter College, dem TV-Nachrichtenprogramm Democracy Now in den USA. "Die Palästinenser sind seit 75 Jahren Opfer von Unterdrückung, und das muss aufhören".
Jane Hirschmann war mit 13 Familienmitgliedern – ihrem Mann, ihren Kindern und Enkelkindern – vor Ort. Kurz vor ihrer Verhaftung erklärte sie:
Meine Eltern waren Überlebende des Holocausts. Ich habe eines gelernt: Nie wieder bedeutet nie wieder für jeden. Wir dulden das nicht, und Netanjahu sollte besser mit der Bombardierung des Gazastreifens aufhören ... Juden, amerikanische Juden, müssen sich erheben und sagen: "Nicht in unserem Namen. Nicht mit unseren Steuergeldern."
Dr. Steve Auerbach stand in der Mitte des Protests in einem weißen Arztkittel und hielt ein selbst gebasteltes Schild mit der Aufschrift "Jüdische Kinderärzte sagen: Stoppt das Töten von Kindern und Familien".
"Ich war noch nie so stolz darauf, Kinderarzt zu sein, wie am Freitag, dem 13. Oktober, als eine durch und durch etablierte Organisation, der Landesverband New York der American Academy of Pediatrics, erklärte: 'Wir stehen zu den Kindern in Israel und den Kindern in Gaza. Wir lieben alle Kinder und alle Familien gleichermaßen' und einen sofortigen Waffenstillstand forderte", so Auerbach.
Leider werden weiterhin Kinder und ihre Familien getötet ... Es ist kein jüdischer Wert, Bomben auf Kinder abzuwerfen sowie Kinder und ihre Familien zu töten.
Der Staat Israel verteidigt nicht die Juden weltweit
Im Interview mit Democracy Now sagte Craig Mokhiber, dass die Demonstranten am Grand Central "die israelische Propaganda entkräften, dass man handle, um die Juden zu verteidigen".
Israel vertritt die alte antisemitische Behauptung, dass die Regierung die jüdischen Menschen auf der ganzen Welt repräsentiert. Das entspricht nicht nur nicht den Tatsachen, sondern ist auch sehr gefährlich. Jeder muss wissen, dass Israel ein Staat ist, der für seine eigenen Verbrechen verantwortlich ist, und diese Verantwortung erstreckt sich nicht auf unsere jüdischen Brüder und Schwester, von denen viele neben Muslimen, Christen und anderen in Demonstrationen in diesem Land und in ganz Europa aufstehen und sagen, dass das ein Ende haben muss.
Bei einer Benefizveranstaltung in Minneapolis am Mittwochabend wurde US-Präsident Joe Biden von der Rabbinerin Jessica Rosenberg unterbrochen, die rief:
Herr Präsident, wenn Ihnen das jüdische Volk am Herzen liegt, dann wende ich mich als Rabbinerin an Sie, um Sie zu einem sofortigen Waffenstillstand aufzurufen.
Später sagte Biden zum ersten Mal öffentlich, dass er eine Pause der Feindseligkeiten in Gaza unterstütze. Der Rabbiner fragt: "Was bedeutet eine Pause?", worauf Biden antwortete: "Eine Pause bedeutet, dass es Zeit gibt, die Gefangenen herauszuholen."
Bislang scheint die israelische Führung unbeeindruckt von Bidens vorsichtigen Empfehlungen zu sein. Biden hat öffentlich immer wieder betont, dass er Israel nach dem Überraschungsangriff vom 7. Oktober, bei dem die Hamas bis zu 1.400 Menschen in Israel tötete und über 200 Geiseln nahm, nicht zur Zurückhaltung aufgerufen habe.
Am Donnerstag bombardierte Israel ein UN-Schulgebäude in Gaza und tötete dabei mindestens 27 Menschen. Vorausgegangen waren mehrere Angriffe auf das dicht besiedelte Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens, bei denen über hundert Zivilisten getötet wurden – angeblich, um einen Hamas-Kommandeur zu töten.
Die Uno hat gesagt, dass die Bombardierung möglicherweise ein Kriegsverbrechen darstellt. Mindestens 18 israelische Soldaten sind bisher bei der Bodeninvasion getötet worden. Es ist nicht klar, wie viele israelische Geiseln seit Beginn des israelischen Angriffs auf Gaza umgekommen sind.
Die Rettung palästinensischer Leben wird israelische Leben retten.
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Democracy Now. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.