Aus für Mobbing-Minister in London

Als elitärer Kontrollfreak berüchtigt: Dominic Raabs Karriere ist vorerst zu Ende. Foto: Richard Townshend / CC-BY-3.0

Großbritanniens Regierung verliert mit dem Vize-Premier und Justizminister ein neoliberales Schwergewicht: Dominic Raab muss zurücktreten. Warum der Schritt überfällig war.

Auf Erich Fromm geht die Beobachtung zurück, dass eine gewisse Liebe zum Leben es ermöglicht, Unordnung auszuhalten. Während hingegen eine Art "Todestrieb" sich in einem übersteigerten Kontrollbedürfnis artikuliert. Dominic Raab verlangte angeblich von seinen Mitarbeitern, ihm die exakt gleiche Speise jeden Tag im selben Moment zu servieren.

Wenn dies nicht geschah, wurde der Chef sehr ungemütlich – um es vorsichtig auszudrücken. Raab selbst lebt in einem engen Regime täglicher Leibesübungen und sehr klarer Termineinteilungen. Dies kann durchaus als eine Tugend interpretiert werden. Auch Kampfesmut ist ihm nicht abzusprechen. Noch am 20. April wollte er um sein Amt "kämpfen bis zum Tod".

Härte gegen sich selbst und andere wird gesellschaftlich durchaus belohnt. Gestählte Körper der Pflichterfüllung. Zumindest 24 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Dominic Raabs aus den verschiedenen Regierungsämtern, die er innehatte, haben dies nicht mehr ausgehalten und sich über Raabs Mobbing beschwert.

Vorwürfe dieser Art gegen Tory-Regierungsmitglieder sind nichts Ungewöhnliches. Der Verteidigungsminister Gavin Williamson empfahl etwa einem Mitarbeiter, sich "die Kehle durchzuschneiden". Ungewöhnlich hingegen ist, dass Raab darüber gestürzt ist.

Dominic Raab und das Mobbing

Raab legte am heutigen 21. April einen Rücktrittsbrief vor, der frei von eigenem Schuldbewusstsein oder gar Eingeständnissen ist. Eher sieht er sich als Opfer unsinnig hoher Anti-Mobbing-Standards, mit denen ein gefährliches Exempel statuiert werde.

In einem Punkt ist dem ehemaligen Vize-Premierminister, der kurzfristig während Boris Johnson schwerer Covid-Erkrankung Premierminister war, zuzustimmen: Verfahren über Beschwerden von Mitarbeitern müssen transparent sein und sachlich bewertet werden.

Die Ergebnisse der Untersuchungen des Anwalts Adam Tolley liegen der Öffentlichkeit noch nicht vor. Raab selbst sah aber anscheinend keinen Grund mehr, diese abzuwarten. Das Urteil über seinen Charakter und seine Fähigkeiten als Vorgesetztem scheinen bereits gefällt zu sein. Raab räumt ein, dass sich zumindest zwei Vorwürfe nicht entkräften ließen, ohne zu sagen, welche dies sind.

Seine nicht wenigen politischen Gegner meinen, zum ausreichenden Beleg für Raabs mangelnde Eignung zu höheren Ämtern würde allein sein Schreiben zum Rücktritt ausreichen. Darin zeige Raab deutlich, dass er schlicht nicht verstehe, was ihm vorgeworfen wird.

Raab sieht sich als Opfer, weil Informationen aus der Untersuchung gegen ihn durchgestochen wurden und an die Öffentlichkeit kamen. Ein typischer Schachzug. Der Skandal liegt nicht in den Vorkommnissen, sondern darin, dass sie überhaupt bekannt wurden.

Er habe nie geflucht, geschrien oder gar mit Dingen nach Mitarbeitern geworfen. Wenn er Menschen – ohne dies zu wollen – eingeschüchtert habe, dann tue ihm dies leid. Damit impliziert Raab das bekannte "Schneeflocken-Argument", das von Donald Trump oder dem ehemaligen "Brexit-Minister" Jacob Rees-Mogg gerne angeführt wird: Die Menschen sind heute einfach verweichlicht.

Dominic Raabs berüchtigte Kontrollsucht würde ihm nie erlauben, in dieser offenen Weise auszurasten. Dass das meiste Mobbing stattfindet ohne eklatantes Fehlverhalten wie Beschimpfungen, müsste einem Minister aber eigentlich klar sein. Ein "sinnlos aggressives Verhalten", wie es Raab vorgeworfen wird, braucht keine Schimpfworte. Die sind trivial, der Druck wird anders aufgebaut.

Dominic Raab und die faulen Frauen

Wie viel vom Fromm’schen Todestrieb in Raab steckt, muss Spekulation bleiben und können wohl nur seine Mitarbeiter bewerten. Nur passen die Mobbing-Vorwürfe hervorragend zur Weltsicht, die Raab gerne kundgetan hat.

Gemeinsam mit Liz Truss und Kwasi Kwarteng gab Raab 2012 das Buch "Britannia Unchained" heraus. Ein etwas krudes, neoliberales Manifest, dass die wirtschaftlichen Probleme des Landes unter anderem in Arbeitsscheu und Faulheit verortet.

Aus dem Vereinigten Königreich könne einfach nichts mehr werden, wenn alle so spät aufstehen, heißt es darin. Die Autoren übersehen dabei ein nicht unwichtiges Detail. Sie führen ihr Leben nahezu ausnahmslos in leitender Position. Sie sind es, die anderen Menschen Arbeit anschaffen und vielleicht auch aufhalsen.

Raab und Co. können sich nicht erklären, woher die Motivationsprobleme ihrer Mitarbeiter kommen könnten, wenn denen vielleicht Aufgaben aufgezwungen werden, die sie als unsinnig erachten.

Sagen kann man das einem Chef wie Raab nicht, denn der verbittet sich Widerspruch. In der Heilssuche durch Disziplin und Ordnung liegt meist auch ein patriarchales Rollenverständnis verborgen, das auch von erfolgreichen Frauen in der Konservativen Partei geteilt wird.

Bei Raab hat dies den Beigeschmack echten Frauenhasses. Feministinnen seien laut ihm "widerwärtige Fanatikerinnen". In einem Artikel im Jahre 2011 machte er seinem Unmut Luft, dass es Männer in unsere Gesellschaft immer schwerer hätten. Die diskriminierten Männer müssten viel mehr und länger arbeiten, während Frauen sich ganz viel Freizeit mit dem Vorwand der Kinderbetreuung erschlichen.

Das Familienleben der Raabs lässt sich aus Überlegungen wie diesen hervorragend ablesen. Bei Dominic Raab fehlt auch der hinlänglich bekannte Aufschrei nicht, dass seine Einschätzungen unterdrückt würden. Die Paradoxie, dass er das, was man heute "nicht mehr sagen dürfe", dauernd sagt, fällt ihm nicht auf.

Der Irrtum rührt vermutlich daher, dass Menschen wie Dominic Raab sich zensiert fühlen, wenn man ihnen widerspricht. Ihre Meinungen werden ja de facto nicht unterdrückt, sie bleiben aber nicht unkommentiert – und allein das hält Raab nicht gut aus.

Jetzt haben den Mann, der in Großbritannien neue Saiten aufziehen wollte und mit einer gewissen Härte das Land zum Erfolg zurückzuführen gedachte, seine ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Fall gebracht.

Für Premierminister Rishi Sunak eine heikle Situation, weil er offenkundig nicht mehr den Kurs von Boris Johnson fahren will, der alle Vorwürfe unter den Teppich kehrte, er zugleich sich in der Affäre aber auch offenkundig zurückhielt. Führungsstärke zeigte er damit nicht. Ein Plan zu einem besseren Arbeitsklima in der Regierung und im Land ist auch nicht erkennbar.

Vielleicht ist auch alles viel simpler. Umfragen zeigten, dass Raab seinen Wahlkreis Esher und Walton bei den nächsten Unterhauswahlen wohl nicht mehr gegen seinen liberalen Konkurrenten verteidigen könnte. Raab ist einfach allgemein sehr – unbeliebt und das müsste er sich selbst zuschreiben.