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Ausbildungsmarkt: Wer findet nach Corona noch einen Job?

Betriebliches Angebot nimmt um 8,8 Prozent ab. Pandemie erschwert Lage. Gewerkschaften fordern staatliche Unterstützung

Der Ausbildungsmarkt befindet sich aktuell im Sinkflug, kritisiert der DGB. Die Zahlen des aktuellen Berufsbildungsberichts sorgen für Aufsehen. Dabei hat das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) bereits zu Beginn der Pandemie gewarnt: "Vergesst die Auszubildenden nicht!" [1]

Die Warnungen wurden überhört. Das Ausbildungsangebot der Betriebe ist um 8,8 Prozent auf 527.400 gesunken. Die Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen ist im Vergleich zum Vorjahr um 12,8 Prozent auf 59.900 gestiegen. Diese Zahlen liefert der Anfang des Monats veröffentlichte Berufsbildungsbericht [2]. Er beschreibt die Lage auf dem Ausbildungsmarkt und die Situation zum Beginn des Ausbildungsjahres zum Stichtag 30. September 2020, dem aktuellen Ausbildungsjahr.

Es sei Zeit zum Handeln, die Berufsbildung benötige eine "strukturelle Therapie", betonte DGB-Vorstand Elke Hannack [3]. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist zum ersten Mal seit der Deutschen Einheit unter die 500.000er-Marke gefallen.

Lage auf Ausbildungsmarkt schon vor Pandemie schwierig

Schon vor der Corona-Krise hatte sich die Zahl der jungen Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung auf 2,16 Millionen erhöht. Das sind 14,7 Prozent der 20- bis 34-Jährigen. "Seit Jahren kommen die Unternehmen ihrer Verantwortung nicht nach und bilden viel zu wenig aus", bemängelt Jacqueline Weber [4], ehrenamtliche Vertreterin der DGB-Jugend. Mehr als 80 Prozent aller Betriebe stellen keine Auszubildenden ein. Der Schwund zeigt sich nicht nur bei kleinen und mittelgroßen Firmen aus Handwerk, Gastgewerbe und Handel. Gleichzeitig beklagen Unternehmen Fachkräftemangel.

Dieser Fachkräftemangel sei eine der größten Herausforderungen für den deutschen Mittelstand, so das Ergebnis einer Betriebsbefragung des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) mit der DZ Bank [5].

Ein Instrument gegen Fachkräftemangel wäre die Ausbildung im Betrieb. "Das Ausbildungssystem in Deutschland ist ein Erfolgsmodell", jubelt das Bundeswirtschaftsministerium [6]. Es sind nur Ausbildungen zulässig, deren Ausbildungsordnung staatlich anerkannt ist, die einerseits über Berufsschulunterricht, andererseits durch Lernen im Betrieb organisiert werden. Nach Berufsbildungsgesetz hat der Ausbildungsbetrieb die Ausbildung so zu organisieren, dass die Auszubildenden eine berufliche Handlungsfähigkeit erwerben.

Eine konkrete Gliederung der Ausbildung muss sich aus dem betrieblichen Ausbildungsplan ergeben, der eine besondere Rolle für die Qualität der Ausbildung hat. Dies setzt aber voraus, dass Betriebe auch ausbilden. "Die Schrumpfung des Ausbildungsmarktes besorgt mich zutiefst", erklärt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek [7].

Gewerkschaften: Mehr Förderprogramme für Ausbildung nötig

Die Ausbildungssituation wird sich nach der Pandemie nicht automatisch bessern, glaubt Friedrich Hubert Esser, der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). "Die Rückgänge am Ausbildungsmarkt sind nicht ausschließlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen." [8] Mit Blick auf die zukünftige Fachkräftesicherung bedeuteten die starken Rückgänge eine "noch nie dagewesene Herausforderung, die wir entschlossen und gemeinsam angehen müssen". Fachkräftebedarf könne nur durch berufliche Aus- und Weiterbildung gesichert werden. "Ausbilden ist das Gebot der Stunde!", so Esser.

Ein Förderprogramm "Ausbildungsplätze sichern" hat die Bundesregierung entwickelt, dabei fließen Prämien an Unternehmen: Die "Ausbildungsprämie" richtet sich an kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die in "erheblichem Umfang von der Corona-Krise betroffen" sind, und dennoch genauso viele Ausbildungsverträge wie im Durchschnitt vorheriger Jahre vereinbaren. Gezahlt werden einmalig 2.000 Euro je Ausbildungsvertrag.

Eine "Ausbildungsprämie plus" ist möglich, wenn Unternehmen die Zahl der Ausbildungsplätze im Betrieb erhöhen. Der Zuschuss beträgt einmalig 3.000 Euro je zusätzlichen Ausbildungsvertrag [9].

Das reicht aus Sicht der Gewerkschaften nicht aus. "Notwendig ist eine Ausbildungsgarantie nach dem Vorbild Österreichs, um den Jugendlichen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, den Einstieg in das erste Ausbildungsjahr zuzusichern", formuliert Hannack klare Forderungen an die Politik. Diese Garantie müsse die Möglichkeit beinhalten, eine Ausbildung "komplett zu absolvieren und eine Abschlussprüfung zu machen".

Dabei sei eine "hohe Qualität" sicherzustellen, fügt Weber hinzu. Die DGB-Jugend will die Unternehmen mit einer Umlagefinanzierung in die Pflicht nehmen: "Als Lösung sehen wir einen bundesweiten Fonds, in den alle Betriebe einzahlen." Damit sollen auch Betriebe unterstützt werden, die eine gute Ausbildung anbieten wollen, aber aktuell zu wenige Ressourcen dafür haben. Das Thema sei "sehr ernst". "Ohne Ausbildung landen viele junge Menschen im Niedriglohnsektor mit schlechten Arbeitsbedingungen", warnt Weber.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6044198

Links in diesem Artikel:
[1] https://wzb.eu/de/forschung/corona-und-die-folgen/vergesst-die-auszubildenden-nicht
[2] http://www.bmbf.de/de/berufsbildungsbericht-2740.html
[3] https://www.dgb.de/presse/++co++12e033ba-ad7f-11eb-b28b-001a4a160123
[4] http://jugend.dgb.de/dgb_jugend/material/magazin-soli/soli-archiv-2021/soli-aktuell-5-2021/++co++1366b894-9c5a-11eb-89e7-001a4a16011a
[5] https://firmenkunden.dzbank.de/content/firmenkunden/de/homepage/research/mittelstandsstudie.html
[6] http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/ausbildung-und-beruf.html
[7] http://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/berufsbildungsbericht-2021-1910594
[8] http://www.bibb.de/de/pressemitteilung_138070.php
[9] http://www.arbeitsagentur.de/bundesprogramm-ausbildungsplaetze-sichern/ausbildungspraemie