"Auschwitz" in Mexiko: Brutalster Drogenring unterhielt Vernichtungslager – und kommt nun nach Europa
Nur die Schuhe sind geblieben. Mahnwache für die Opfer der Drogenbande. Bild: Salvador alc, CC BY 4.0
Auf einer Ranch bietet sich ein Bild des Grauens. Menschliche Überreste und getarnte Öfen deuten auf Massenmorde hin. Haben staatliche Ermittler weggesehen?
Das mexikanische Auschwitz – so wird die Izaguirre-Ranch im Westen Mexikos in einigen Medien und in sozialen Netzwerken genannt. Auf dem unscheinbaren Gelände fanden Aktivisten Spuren unfassbarer Gräueltaten: menschliche Gebeine, versteckte Krematorien und Hinweise auf militärisches Training.
Der Ort des Terrors wurde betrieben von dem international agierenden "Cartel Jalisco Nueva Generación" (CJNG), einer der mächtigsten kriminellen Organisationen im weltweiten Drogenhandel.
125.000 Verschwundene zählt Mexiko nach jüngsten Zahlen. Das sind die Begleiterscheinungen der mexikanischen Menschenrechtskrise, für die nun auch die Izaguirre-Ranch steht. Neben den menschlichen Überresten und Krematorien fanden sich unzählige Schuhe, Rucksäcke und andere Hinterlassenschaften von Menschen, die auf dem Gelände offenbar einen gewaltsamen Tod fanden.
Ein Anwesen wie viele andere?
Dabei ist die Izaguirre-Ranch eigentlich ein unscheinbares Anwesen, knapp 10.000 Quadratmeter groß, etwas Ackerland, von Mauern eingehegt, davor ein schwarzes Holztor, auf das zwei Pferde gemalt wurden.
Kein ungewöhnlicher Anblick in der Region mit ihrer "von Zuckerrohrfeldern gesäumten Savanne im mexikanischen Bundesstaat Jalisco", wie die spanischsprachige BBC schreibt.
Mit dem Fund bricht sich ein kollektives Trauma Mexikos wieder Bahn. Mahnwachen im ganzen Land werden organisiert, auch in der Hauptstadt Mexiko-Stadt. Eine Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte fordert Untersuchungen. Auch die interamerikanische Menschenrechtskommission drängt auf Ermittlungsergebnisse, sie nennt die bisherigen Funde "alarmierend".
Sind staatliche Akteure involviert?
Seit Anfang März erfährt die Öffentlichkeit immer mehr von dem Grauen. Berichtet wird über die menschlichen Überreste, verbrannt bis auf – wenn überhaupt – Knochenfragmente. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer schockierenden Spurensuche.
Anwesenheit der Kriminellen bekannt
Im September vergangenen Jahres hatten bereits die Polizei die Anwesenheit Krimineller auf dem Anwesen bestätigt. Bei einem Einsatz der Nationalgarde, die im Drogenkrieg gegen die kriminellen Gruppen kämpft, kam es zu einem Schusswechsel.
Zehn Personen wurden von den Sicherheitskräften festgenommen, andere konnten fliehen. Zwei Vermisste konnten später befreit werden, eine Leiche wurde gefunden.
Ermittlungsbehörden wollen nichts gefunden haben
Vor einigen Wochen dann erklärte der zuständige Staatsanwalt Salvador Gonzalez, man habe das Gebiet vor sieben Monaten über mehrere Wochen hinweg mit "mehr als zehn Personen, einem Bagger und Hundestaffeln" durchkämmt. Mehrere Behörden seien involviert gewesen.
Offenbar wurde bei der umfangreichen Suche aber nichts gefunden. Das ist mehr als verwunderlich, denn rund ein halbes Jahr später finden Aktivistinnen und Aktivisten noch Unmengen an Beweismaterial für die illegalen Aktivitäten der organisierten Kriminalität. Sie benötigten dafür weder eine Hundestaffel noch einen Bagger.
Die Bürger suchen selbst
Mit einem Anruf bei Bürgervereinigung "Guerreros Buscadores" (Suchende Krieger) Anfang dieses Monats änderte sich alles. Auf dem Gelände der Ranch sollen sich menschliche Überreste befinden, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
Sogenannte Suchkollektive wie die "Guerreros Buscadores" existieren seit Jahren in vielen Teilen Mexikos. Sie übernehmen angesichts der Untätigkeit und Verstrickung von Teilen der Verwaltung und Regierung in die organisierte Kriminalität die Arbeit, die eigentlich dem mexikanischen Staat obläge.
Rund 40 Mitglieder der von Bürgern organisierten Ermittlungsgruppe begaben sich in Begleitung eines AFP-Fotografen auf das Gelände. Ihnen bot sich ein Bild des Grauens. Drei Tage später macht die Tageszeitung La Jornada das Thema zur Titelstory, dann macht der Fund international Schlagzeilen.
Junge Menschen wurden angelockt
Nach Angaben der mexikanischen Sicherheitsbehörden betrieb das äußerst brutal agierende CJNG auf dem Gelände eine Art Trainings- und Rekrutierungslager für ihre Söldnerarmee. Viele dieser Milizionäre sollen zwangsrekrutiert worden sein, angelockt mit gefälschten Jobangeboten in sozialen Netzwerken. Schnell wurde das Anwesen als "Ausbildungs- und Vernichtungslager" bekannt; als "mexikanisches Auschwitz" gar.
Die Anlehnung an das deutsche Vernichtungslager im heutigen Polen erklärt sich durch die Funde der Öfen – offenbar zur Verbrennung von Leichen. Die Krematorien waren unter Betonplatten und Steinen verborgen und wurden inzwischen freigelegt. Diese Öfen, die besitzerlosen Schuhe – all das erinnert ungeachtet der offensichtlichen Unterschiede zwischen den Akteuren an die Unmenschlichkeit, mit der damals die Nazis in Europa gewütet haben.
Beendet die Präsidentin die Tatenlosigkeit?
Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum stellte unter anderem die Einrichtung eines zentralen forensischen Registers in Aussicht. Für viele Expertinnen und Experten, Familien von Verschwundenen, Eltern auf der Suche nach ihren Kindern sowie Aktivistinnen und Aktivisten dürfte das wie Hohn klingen: Ein solches Register fordern sie seit vielen Jahren. Doch der politische Wille des mexikanischen Staates fehlte.
Zudem hat die Sheinbaum den Generalstaatsanwalt Alejandro Gertz Manero mit den Ermittlungen beauftragt. Damit wechseln die Verantwortung für die Aufklärung des Falles und die Chance auf Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen der schätzungsweise 200 Mordopfer von der Landes- auf die Bundesebene.
Gertz Manero hat dieses Amt seit 2019 inne – und ist nicht gerade dafür bekannt, die massive Kriminalität und Straflosigkeit zu bekämpfen. Der 85-Jährige macht eher durch Korruptionsvorwürfe und Ermittlungen gegen ihn reden. Oder für den Besitz von Luxusautos und teuren Immobilien in verschiedenen Metropolen der Welt, darunter ein Anwesen im Herzen New Yorks – mit Blick auf den Central Park.
Problem Personalmangel
Der "Krieg gegen die Drogen" hatte in Mexiko im Dezember 2006 seinen Anfang genommen, als der damalige Präsident Felipe Calderón zu Beginn seiner Amtszeit gezielte Militäroperationen gegen die Kriminellenorganisationen anordnete, die sich schnell auf die gesamte Republik ausweiteten. Die großen Allianzen zerfielen und bekriegten sich zunehmend gegenseitig. Das Land versank im Chaos. Das staatliche Gewaltmonopol erodierte in einigen Landesteilen völlig.
"Drogenkartelle", dieser gängige Begriff beschreibt die Strukturen inzwischen nur noch schlecht; sie sind weit mehr als das. Sind inzwischen transnationale kriminelle Netzwerke, die Warenströme professionell organisieren, globale Strukturen aufbauen, Geld waschen und zu einer Gefahr auch außerhalb Mexikos werden.
Der Journalist Tom Wainwright hat sich für das Wirtschaftsmagazin The Economist eingehend mit den unternehmerischen Aspekten der organisierten Kriminalität in Lateinamerika beschäftigt. In seinem Buch Narconomics schreibt er: "Das Ungleichgewicht zwischen den hohen Gewinnen aus dem Drogengeschäft und der geringen Kompetenz der Mitarbeiter weist auf das vielleicht größte Problem hin, mit dem jedes Drogenkartell zu kämpfen hat: personelle Ressourcen."
Die mexikanischen kriminellen Netzwerke rekrutieren ihr Personal häufig in sozial schwachen Vierteln. Doch längst nicht alle, die über ein geringes Einkommen oder wenig Bildung verfügen, schließen sich den "Narcos" freiwillig an. Der Bedarf an Fußsoldaten ist hoch, der Wert ihres Lebens für die Kriminellen gering. Deshalb setzen die Gruppen seit einigen Jahren verstärkt auf Zwangsrekrutierung mit militärischem Drill. Wer für die "Schule des Terrors" nicht hart genug ist, wird beseitigt.
Lichtblicke und rhetorische Tricks
Mexiko erlebt seit Jahren ein Phänomen, dass Experten eine "forensische Krise" nennen. Konkret heißt das: Es gibt laut der Nationalen Suchkommission 52.000 unidentifizierte Leichen. Einige Lichtblicke sind die Einrichtung regionaler Schwerpunktzentren, die stetige Erhöhung des Budgets der Suchkommission in den vergangenen Jahren sowie die vielfältige Hilfe aus dem Ausland, auch aus Deutschland.
Präsidentin Sheinbaum sagte Ende März, dass "Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Staat begangen wurden", aber "das gibt es in Mexiko nicht mehr. Was wir haben, ist das organisierte Verbrechen". Sie verschwieg, dass der mexikanische Staat seit vielen Jahren von kriminellen Organisationen wie dem mächtigen Sinaloa-Kartell unterwandert ist, das einst von dem berüchtigten Drogenboss Joaquín "El Chapo" Guzmán angeführt wurde. Parteizugehörigkeit oder politische Ausrichtung spielen dabei keine Rolle.
Der Arm der Netzwerke reicht bis nach Deutschland
Das Geschehen in Mexiko hat auch direkte Auswirkungen auf Deutschland und die EU. Organisierte kriminelle Netzwerke wie das CJNG expandieren zunehmend international und bedienen den europäischen Drogenmarkt. Deutschland spielt dabei eine doppelte Rolle: einerseits als Zielmarkt, andererseits als Lieferant notwendiger Chemikalien.
Untersuchungen haben gezeigt, dass das CJNG Natriumcarbonat aus Deutschland und Essigsäure aus der Türkei bezieht – beides zentrale Bestandteile für die Herstellung von Heroin und anderen Drogen wie Fentanyl. Dessen Produktion und Straßenverkauf in den USA haben zuletzt zu erheblichen Spannungen mit der Regierung von Präsident Donald Trump geführt.
In Mexiko sind die genannten Chemikalien aufgrund strenger Regulierungen kaum verfügbar, während ihr Erwerb in Europa vergleichsweise einfach ist. Dies macht Länder wie Deutschland zu einem wichtigen Glied in der globalen Lieferkette der Kriminellen.
Allein im Jahr 2023 konnten Rauschgifttransporte im Wert von 5,5 Milliarden US-Dollar durch internationale Sicherheitsbehörden, darunter auch US-Behörden, unterbunden werden. Häfen wie Hamburg, Rotterdam und Antwerpen sind dabei zentrale Umschlagplätze.
Mexikanische Kartelle weiten ihre Aktivitäten nach Europa aus, insbesondere in der Produktion synthetischer Drogen. In den vergangenen zwei Jahren wurden 45 Drogenküchen in Belgien und den Niederlanden entdeckt, wobei 19 Mexikaner mit Kartellverbindungen festgenommen wurden. Die Infrastruktur und niedrigen Strafen machen die Niederlande und Belgien – mit Deutschland die Benelux-Region – zu attraktiven Produktionsstandorten.
Deutschland hat inzwischen reagiert: Seit April 2024 ist es Mitglied des Maritime Analysis and Operations Centre (Narcotics), das internationale Operationen zur Bekämpfung des Drogenschmuggels koordiniert. Dennoch bleibt die Herausforderung groß, da mexikanische Kartelle weiterhin innovative Wege finden, ihre Netzwerke zu erweitern – sei es durch Kooperationen mit europäischen Syndikaten oder durch den direkten Aufbau eigener Strukturen.
Die Folgen des Drogenkriegs und der Gewalt durch kriminelle Gruppen sind für die Menschen in Mexiko verheerend. Laut Schätzungen sind seit Beginn des Drogenkriegs 2006 über 350.000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Der Hintergrund ist ein lukratives Geschäft: Der weltweite Drogenhandel generiert jährlich Gewinne in Milliardenhöhe. Allein in den Vereinigten Staaten werden laut Schätzungen jährlich Drogen im Wert von 150 Milliarden US-Dollar konsumiert.
Der amtierende US-Präsident Donald Trump hat die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels zu einer Priorität erklärt aufgrund des Einflusses krimineller Netzwerke und der damit verbundenen Gewalt, oft unterstützt durch komplexe transnationale Strukturen. Die kriminellen Organisationen nutzen moderne Kommunikationsmittel und internationale Beziehungen, um ihre Geschäfte effizient und weitreichend zu organisieren.
Diese Netzwerke verfügen über das Know-how, um nicht nur illegale Aktivitäten wie Drogenhandel zu betreiben, sondern auch gewinnbringende Geschäftsmodelle, die im selben Maße Professionalität verlangen wie legale Unternehmen – von der Produktion bis zu Distribution und Geldwäsche.
Dabei sind sie oft in der Lage, bestehende Schwachstellen sowohl in der internationalen Gesetzgebung als auch in der Strafverfolgung auszunutzen. Ein besorgniserregendes Beispiel hierfür ist die Art und Weise, wie diese Kartelle Chemikalien für die Drogenherstellung beschaffen. Insbesondere in Europa gibt es trotz strengerer Kontrollen immer noch Lücken, die es ihnen erlauben, essenzielle Grundstoffe wie Acetanhydrid oder Pseudoephedrin zu erlangen.
Gerade solche internationalen Mechanismen verdeutlichen die Notwendigkeit verstärkter Koordination und Kooperation zwischen den betroffenen Ländern, um gemeinsam effektive Strategien gegen derartige kriminelle Machenschaften zu entwickeln.
Das Ausmaß der illegalen Aktivitäten erstreckt sich dabei nicht nur auf den Drogensektor, sondern betrifft auch Bereiche wie Menschenhandel und Waffenschmuggel, die globale Sicherheitsrisiken darstellen und entsprechende internationale Reaktionen erfordern.
Die Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Staat wurde zwar verstärkt. Doch solange die Nachfrage nach Drogen in den USA und Europa ungebrochen bleibt, werden die kriminellen Organisationen weiterhin Wege finden, ihre illegalen Aktivitäten fortzusetzen – mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung in Mexiko und darüber hinaus.
Deutschland und Mexiko haben in den vergangenen Jahren erheblich an ihrer wirtschaftlichen und rohstoffbezogenen Zusammenarbeit gearbeitet, was sich in einem signifikanten Anstieg des Handelsvolumens widerspiegelt. Mit über 29 Milliarden Euro im Jahr 2023 ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Mexikos innerhalb der Europäischen Union.
Freihandelsabkommen mit EU: Rohstofflieferant Mexiko
Gleichzeitig tragen etwa 2.200 deutsche Unternehmen zur Schaffung von rund 300.000 Arbeitsplätzen in Mexiko bei, was die enge wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder unterstreicht. Anfang 2025 wurde ein modernisiertes Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko verabschiedet, das nicht nur Zölle reduziert, sondern auch Umweltstandards verbessert, was die nachhaltige Entwicklung fördert.
Ein bedeutender Teil dieser Partnerschaft ist der Rohstoffhandel, besonders im Bereich der erneuerbaren Energien, wobei Deutschland besonders auf den Bezug von Rohstoffen wie Kupfer, Grafit und Mangan fokussiert ist. Dieses Abkommen spiegelt eine strategische Ausrichtung wider, die sowohl die wirtschaftlichen als auch die ökologischen Interessen beider Nationen berücksichtigt und fördert.
Mexiko spielt eine zentrale Rolle als wichtiger Rohstofflieferant, insbesondere für strategische Materialien wie Kupfer, Grafit und Mangan, die wichtig für die Industrie sowie für die Herstellung von Batterien sind. Diese Partnerschaft spiegelt das wachsende Bestreben wider, nachhaltige und erneuerbare Energiequellen zu fördern.
Die Zusammenarbeit umfasst bedeutende Initiativen im Bereich der Windkraft und der Produktion von grünem Wasserstoff, einem vielversprechenden Energieträger für die Zukunft. Deutschland engagiert sich aktiv in der finanziellen Unterstützung von Mexikos Klimaschutzprogrammen, um den Umwelt- und Klimaschutzzielen beider Nationen gerecht zu werden.
Diese Partnerschaften und Investitionen fördern nicht nur den Technologietransfer und die wirtschaftliche Entwicklung, sondern tragen auch zur Reduzierung der globalen Kohlenstoffemissionen bei. Die gemeinsame Arbeit in diesem Bereich unterstreicht das Engagement beider Länder für eine nachhaltige und umweltfreundliche Zukunft, welches durch bilaterale Vereinbarungen und Projekte weiter gestärkt wird.
Man kann wohl davon ausgehen, dass die Menschen in Mexiko – vor allem nach den Nachrichten der letzten Wochen und Monate – andere Prioritäten setzen als das Auswärtige Amt in Berlin.