Ausstieg Jetzt: Wie Stadtwerke gegen die mächtige Gas-Lobby rebellieren

Seite 2: Schmutzig und auch ökonomisch ohne Zukunft

In Kampagnen täuscht die Gas-Lobby die Öffentlichkeit über die Auswirkungen des fossilen Energieträgers. So werden die Klimaschäden durch Methanlecks entlang der Lieferkette verschwiegen und Gas als saubere Alternative gepriesen.

Der gemeinnützige Verein Lobbycontrol hat in einer Studie die Lobbymacht der Erdgaswirtschaft in Deutschland aufgedeckt:

Die Gasindustrie gab 2021 laut Lobbyregister rund 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus und beschäftigte 426 Lobbyist:innen. Hinzu kommen weitere Millionensummen aus der gasverbrauchenden Industrie, so hatte allein BASF Lobbyausgaben in Höhe von 3,8 Millionen. Die drei größten Umweltverbände hingegen, die sich dem Ausstieg aus dem fossilen Energieträger Gas widmen, geben zusammen nur 1,5 Millionen Euro für ihre Lobbyarbeit aus.

Zudem zeigt das Gutachten von Lobbycontrol auf, wie die Konzerne politische Landschaftspflege betreiben:

Mit hohen Gehältern lockt die Gasindustrie ehemalige Spitzenpolitiker:innen in ihre Lobbyabteilungen. Bei unseren Recherchen haben wir über 30 ehemalige Politiker:innen zusammengetragen, die als Schlüsselfiguren für die Gaslobby dienten und dienen – und das ist sicherlich keine abschließende Liste. Bekannte Namen neben Gerhard Schröder sind z.B. Kerstin Andreae, die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen. Sie führt nun den BDEW an und hat einen guten Draht ins grün geführte Wirtschaftsministerium. … Während die Russland-Netzwerke derzeit weitgehend stillgelegt sind, wirken andere auch in der Ampelregierung fort. Unsere Recherchen zeigen: Von Dezember 2021 bis September 2022 trafen sich Vertreter:innen der großen Gaskonzerne im Durchschnitt einmal täglich mit Spitzenpolitiker:innen der Bundesregierung.

Auch ökonomisch gesehen gehört Erdgas nicht die Zukunft. So hat eine Studie von Rystad Energy – einer unabhängigen Energie-Beratungsorganisation, führend im Öl- und Gassektor – Ende letzten Jahres herausgefunden, dass es bei den momentanen Gaspreisen langfristig zehnmal teurer wäre, Gaskraftwerke zu betreiben, als neue Solaranlagen in Europa zu bauen. Selbst bei sinkenden Preisen ist Gas als Energieform in der Zukunft kaum mehr wettbewerbsfähig.

Trotzdem boomt vor allem LNG made in USA, das per Schiff nach Europa transportiert wird. Dieses verflüssigte Gas verschwendet viel Energie (die Verflüssigung setzt die Abkühlung auf minus 162 Grad Celsius voraus), es ist schmutzig, weil oftmals über toxische Fracking-Methoden gewonnen, und mit Menschenrechtsverstößen verbunden, während die großen fossilen Konzerne enorme Gewinne mit dem Verkauf machen.

Vor allem die Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt sich international für die Gas-Lobby ein. Auf dem G7-Treffen im japanischen Hiroshima im Mai dieses Jahres war es Deutschland, das den Club der reichen Industrienationen auf LNG-Kurs brachte.

Petter Lydén, Leiter der internationalen Klimapolitik bei Germanwatch, stellt dabei fest:

Bundeskanzler Olaf Scholz war sehr wahrscheinlich die treibende Kraft hinter der schwachen Formulierung bezüglich Gas. Das ist ein schwerer Schlag für die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands in Sachen Klima.

Die abtrünnigen Stadtwerke könnten der Gas-Lobby in Deutschland durchaus ein Image-Problem einbringen. Denn bisher schmücken sich die großen Konzerne wie Wintershall Dea, Shell und Wingas – die oft auch Geschäfte mit Erdöl machen oder Kohlekraftwerke betreiben, während sie klimaschädliche Chemieprodukte (Düngemittel, Plastik) herstellen – mit dem guten Ruf kommunaler Energieerzeuger.

Klimaexperten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Klimawisssenschaftler:innen fordern schon seit Langem, neben dem Kohle- und Öl-Ausstieg den schnellen "Gas-Exit" für Europa. Nur so könne das Pariser Klimaziel noch eingehalten werden, das die Staaten verpflichtet, ihre Treibhausgase umgehend zu reduzieren, um die gefährliche Schwelle von maximal 1,5 bis zwei Grad Celsius Erderhitzung nicht zu überschreiten.