Australien: Polizei mit großer Härte gegen Gegner der Corona-Maßnahmen
Gummigeschosse und martialisches Auftreten bei Protesten: "Man bekommt ein Gefühl dafür, dass etwas furchtbar schiefläuft"
Australien hat sehr aufgepasst, die Corona-Pandemie so stark wie möglich einzudämmen. Seine strikte Strategie der Abriegelung wurde als vorbildhaft dargestellt. Man erinnert sich an die Jubelbilder, als es zwischendrin hieß, dass die Pandemie vorbei sei und die Bevölkerung wieder rausdurfte.
Dann kam die Delta-Variante und die strengen Maßnahmen waren zurück: "Gefängnis Australien - ein Kontinent isoliert sich" - selbst die Tageschau berichtete Mitte August von "grausamen Maßnahmen", die Trennungen von Familien auch in Sterbefällen zur Konsequenz hatten.
Selbst Geimpfte hatten mit schwierigen Quarantäne-Regeln zu tun und wurden vom frisch geborenen Nachwuchs getrennt. Solche Fälle mögen als anekdotische Einzelfälle verbucht werden, doch zeigte sich in der vergangenen Woche, dass die Regierungsmaßnahmen erhebliche Spannungen erzeugt haben.
Es kam zu heftigen Demonstrationen, bei der die Polizei übermäßig hart durchdurchgriff. Ein große Menge von Demonstranten protestierten in Melbourne am Shrine of Remembrance ("Schrein des Gedenkens"), einem Kriegerdenkmal, drei Tage in Folge, seit Montag vergangener Woche.
"Tausende von Menschen, wütend über Impfungen und Lockdowns, sperrten Teile der Stadt ab und stürmten den Schrein, bevor sie von der Riot-Police vertrieben wurden", berichtet die Zeitung The Age in einer Bilderserie. Über 200 Personen aus der Protestmenge wurden verhaftet, zitiert der britische Guardian die Polizei.
So wenig im Großen die Delta-Variante nach bewährter Methode mit strengen Maßnahmen zu kontrollieren war, so wenig gelang es der Polizei in Melbourne, den kleineren Schauplatz zu kontrollieren:
Eine der Herausforderungen besteht darin, dass diese Menschen über ihre mobilen Geräte sehr gut vernetzt sind, so dass sie nicht nur aus einer Richtung kommen, sondern aus mehreren Richtungen, so dass wir bei dem Versuch, unser Aufgebot in den verschiedenen Richtungen zu organisieren, ziemlich gefordert waren.
Ross Guenther, deputy commissioner, Victoria Police
Wie immer gibt es in der Öffentlichkeit der sozialen Medien Bilder, die das Vorgehen der Polizei in Australien in schockierender Weise zeigen, ähnlich wie bei einem Anti-Terroreinsatz oder einer Befragung von Kriminellen oder auf der Jagd oder bei der Festnahme einer Person, "die sich zu weit von ihrer Wohnung entfernt hat".
Man weiß, dass Vorsicht angebracht ist, bei Clips ohne Kontext, der Blickwinkel macht fast alles aus, dazu kommt, dass die politische Schlagseite eine erhebliche Rolle spielt. Doch spricht das martialische Auftreten der Polizei für sich, es ist nicht zu übersehen. Auch gemäßigtere Stimmen wie die des Global Health-Spezialisten (u.a. für die WHO) David Bell beobachten eine Veränderung, die sich mit den rubber-bullets-Schüssen der Polizei auf die Demonstranten zeigt :
Australien ist trotz vieler Fehler und Leiden, die im Inneren geschehen sind, insbesondere auf Kosten der indigenen Bevölkerung, eine ungewöhnlich integrative Gesellschaft. Meines Wissens hat die Polizei noch nie Gummigeschosse abgefeuert. Sie setzt keine gepanzerten Fahrzeuge ein. Erst vor kurzem haben sie begonnen, sich schwarz zu kleiden. Wenn man sieht, wie diese schwarz gekleideten, bewaffneten und gepanzerten Polizisten am Schrein des Gedenkens auf Zivilisten schießen und unter dem Vorwand der "öffentlichen Gesundheit" ein Regime erzwingen, gegen das sich der Schrein feierlich zur Wehr setzt, bekommt man ein tiefes Gefühl dafür, dass etwas furchtbar schief läuft.
David Bell
Den Polizeistaat fürchten nicht nur militante Impfgegner, sondern auch Aktivisten aus der Zivilgesellschaft wie Michael Stanton von Liberty Victoria, der vom Guardian zitiert wird und sich bemüht, beide Seiten der Auseinandersetzungen am Kriegerdenkmal ins Bild zu nehmen:
Gewiss wurde die Polizei bei den jüngsten Protesten mit einigen besorgniserregenden Verhaltensweisen konfrontiert, aber wir sind sehr besorgt, dass eine Militarisierung des polizeilichen Vorgehens bei künftigen friedlichen Protesten zur Normalität werden könnte.
Michael Stanton
Die Proteste wurden von der Gewerkschaft Construction, Forestry, Mining and Energy Union (CFMEU) initiiert, laut Berichten wurden sie dann von militanten Impfgegnern "gekapert". Die australischen Regierung setzt auf mehrstufige Erleichterungen je nach Impfquote, um eine Balance zwischen Eindämmung und sozialem Frieden zu finden. Die Härte der Polizei steht dem entgegen.
In den ärmeren Teilen Sidneys beklagten Bewohner Mitte September, dass sie traumatisiert seien von Polizei-Helikoptern und einem ständigen Polizeiaufgebot, das die Einhaltung der Maßnahmen beobachte. "Man hat uns das Gefühl gegeben, dass wir in unseren eigenen vier Wänden kriminell sind (…) So fühlt es sich an, wenn man beim Verlassen eines Ladens von der Polizei flankiert wird. So fühlt es sich an, wenn man aufwacht und Hubschrauber über sich schweben hört."
51 Prozent der australischen Bevölkerung über 16 Jahre sind derzeit doppelt geimpft, einfach geimpft sind es 75,4. Die Zahlen der Infizierten sowie die der Hospitalisierten und Corona-Toten sind im Vergleich zu europäischen Ländern sehr niedrig.