Ausweitung der Todeszonen: Wenn die Meere kochen
Energie und Klima – kompakt: Um Großbritannien ist das Meer im Moment vier Grad wärmer als üblich. Weltweit herrscht eine Hitzewelle in den Ozeanen. Wenn Fische ersticken.
Hitzewellen wie jene, über die wir gestern schrieben, betreffen nicht nur die Luft und damit die Menschen und ihre Landwirtschaft, sondern auch die Meere. Ozeanografen und andere Geowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sind seit Wochen über eine ungewöhnliche Entwicklung der Wassertemperaturen im Nordatlantik beunruhigt. Seit März ist die Oberflächentemperatur der Weltmeere so hoch wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen.
Die Karten des Climate Reanalyzers der Universität von Maine in den USA, die eine Aufarbeitung der täglichen Wetterdaten darstellen, zeigen für weite Teile der Weltmeere Temperaturen, die zum Teil erheblich über dem Durchschnitt der Jahre 1971 bis 2000 liegen. Namentlich der tropische Pazifik, weite Teile des Nordatlantiks einschließlich Nord- und Ostsee, das westliche Mittelmeer und das Japanische Meer sind viel zu warm.
Rund um Irland und Großbritannien ist das Wasser rund vier Grad Celsius wärmer, als dort zu dieser Jahreszeit üblich, schreibt der New Scientist und spricht von einer der schwersten Hitzewellen, die im dortigen Meer je registriert worden sei. An einigen Küsten betrage dort die Wassertemperatur 23 Grad Celsius, was für die Jahreszeit ein neuer Rekord sei. Vor den britischen Küsten reichen die Aufzeichnungen bis 1850 zurück.
Die britische Zeitung Guardian zitiert besorgte Stimmen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Daniela Schmidt, die an der Universität von Bristol Geowissenschaften unterrichtet, weist auf frühere Hitzewellen in den Meeren hin, die "hunderte Millionen Pfund an wirtschaftlichen und kulturellen Verlusten" verursacht hätten.
"So lange wir nicht die (Treibhausgas-)Emissionen dramatisch kürzen, werden diese Hitzewellen weiter unsere Ökosysteme zerstören", so Schmidt. Dan Smale, der an der Universität von Southampton arbeitet und in der britischen Marine Biological Association aktiv ist, beschäftigt sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit ozeanischen Hitzewellen und war dennoch nach Angaben der Zeitung von den Temperaturen überrascht. Er habe sich bisher nicht vorstellen, dass diese in den für gewöhnlich kühlen Gewässern starke Auswirkungen haben könnte.
Aber dies hat es noch nicht gegeben und möglicherweise verheerend. Die derzeitigen Temperaturen sind viel zu hoch, aber für die Mehrzahl der Arten noch nicht tödlich, wenn auch sie für viele viel Stress bedeuten (…) Wenn das den ganzen Sommer anhält, werden wir erleben, dass Tang, Seegras, Fisch und Austern großflächig sterben.
Und was sind die Ursachen? Stefan Rahmstorf, der am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam den Forschungsbereich Erdsystemanalyse leitet und als Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam lehrt, meint dazu:
Aus meiner Sicht handelt es sich bei den extremen Meerestemperaturen höchstwahrscheinlich um ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren. Den Hintergrund bildet natürlich der hauptsächlich durch die fossile Energienutzung verursachte globale Erwärmungstrend – dadurch geraten die Meerestemperaturen immer weiter aus dem natürlichen Schwankungsbereich hinaus. Hinzu kommt das kürzlich auch offiziell verkündete El-Niño-Ereignis, das die Temperaturen im tropischen Pazifik nach oben treibt. Wegen der großen Fläche des tropischen Pazifik schlägt dies besonders auf die globale Mitteltemperatur durch.
Rahmstorf weist allerdings wie auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf hin, dass insbesondere für die Hitzewelle im Nordatlantik noch andere Erklärungen gesucht werden müssen. Als Kandidaten nennt er einen Mangel an Aerosolen, das heißt, kleine Schwebeteilchen in der Luft, die aufgrund sauberer Schiffsabgase und schwacher Winde aus der Sahara fehlten.
El Niño könnte 2023 zum Rekordjahr machen
Aber zurück zu El Niño. Während eines solchen viele Monate anhaltenden Ereignisses ist der tropische Pazifik besonders in seiner östlichen Hälfte überdurchschnittlich warm. Das führt an den Küsten Perus und Ecuadors regelmäßig zu extremen Niederschlägen.
Über weiträumige Auswirkungen auf die atmosphärische Zirkulation bedeutet ein El Niño zugleich für das Amazonasbecken, die südliche Karibik, den Süden der USA, für Indonesien, die Philippinen und weite Teile Australiens trockene und oft viel zu trockene Bedingungen.
Bei dem Phänomen mit dem spanischen Namen handelt es sich um eine natürliche Schwankung im Klimasystem, die allerdings in den letzten Jahrzehnten immer heftiger ausfällt. Der letzte trat 2015 /2016 auf und war einer der bisher stärksten, wie seinerzeit mehrfach berichtet. Unter anderem führte er in Südostasien zu einer besonders schlechten Reisernte, was die Reispreise in die Höhe trieb und für viele Bauern zu dramatischen Verlusten führte.
Außerdem war 2016 aufgrund des El Ninõs im globalen Maßstab das bisher wärmste Jahr, so wie zuvor 1998 aufgrund eines ebenfalls sehr starken El Niños für lange Zeit als wärmstes Jahr aus den Aufzeichnungen herausstach. 2023 könnte allerdings bereits einen neuen Rekord aufstellen. Wir hatten schon vor einem guten Monat darauf hingewiesen, dass aufgrund des sich seinerzeit abzeichnenden El Niños 2023 voraussichtlich ein besonders heißes Jahr werden wird.
Aber was bedeuten die aktuellen Hitzewellen nun für die Meere? Die Erwärmung findet nicht nur bereits seit vielen Jahrzehnten statt, sondern sie beschleunigt sich auch noch.
Zwischen den 1960er- und den 2000er-Jahren hat sie sich in den obersten 2000 Meter zum Beispiel verdoppelt, wie eine Ende letzten Jahres im Fachblatt Nature veröffentlichte Studie feststellte.
Die Erwärmung des Meerwassers ist für die Lebewesen in mehrfacher Hinsicht ein Problem. Zum einen kommen ihre Organismen mit den höheren Temperaturen nicht zu recht. Einige Arten, vor allem Fische, können polwärts migrieren, haben aber auch dort Probleme mit den Nahrungsketten, die aufgrund der Erwärmung durcheinander geraten. Andere Arten, wie Korallen, sterben ab. Jenseits von 1,5 Grad Celsius globaler Erwärmung werden voraussichtlich die Riffe der Warmwasser-Korallen verschwinden.
Zum anderen nimmt der Sauerstoffgehalt der Ozeane ab, da wärmeres Wasser weniger Sauerstoff bindet. Außerdem verstärkt die Erwärmung des Oberflächenwassers die Schichtung in den Ozeanen und vermindert damit den Austausch zwischen der Oberfläche und dem tieferen Wasser. Dadurch gelangt weniger Sauerstoff in die tieferen Schichten der Meere.
Ozeanmodelle prognostizieren, dass in einem wärmeren globalen Klima der Sauerstoffgehalt der Meere bis zum Ende des Jahrhunderts um durchschnittlich 20 Prozent abnehmen könnte. Schon jetzt breiten sich sogenannte Todeszonen in einigen Küstenmeeren und zum Teil auch im offenen tropischen Ozean aus, in denen Seesterne und andere am Meeresboden lebenden Tiere sowie manchmal gar Fische ersticken, wenn sie nicht schnell genug die Region verlassen konnten.
Ursache ist allerdings bisher meist Überdüngung durch den Nährstoff-Eintrag aus den Flüssen, der überwiegend aus der Landwirtschaft stammt.
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