Auswirkungen des Nahostkonflikts: Droht eine globale Wirtschaftskrise?

Ein Mann greift an einen Pfeil der nach unten zeigt

(Bild: Lerbank-bbk22/Shutterstock.com)

Der Nahostkonflikt belastet die globale Wirtschaft. Experten warnen vor steigenden Energiepreisen und Unsicherheiten. Eine Bestandsaufnahme.

Vor etwas mehr als einer Woche musste Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) in seiner Herbstprognose öffentlich machen, was sich in den Chefetagen deutscher Konzerne schon lange abzeichnete: Krise. Schrumpfung. Stagnation. Attraktivitätsverlust.

BDI sieht Deutschland auf "Verliererstraße"

Bis zu 1,5 Millionen neue Arbeitslose. Als wäre ein Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um ein Viertel gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 22.500 (Prognose 2025: 23.000) nicht schlimm genug, schlug der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Person seines Präsidenten Siegfried Russwurm auf seinem Klimakongress Anfang der Woche deutliche Töne an.

Der BDI fordert eine öffentliche Investitionsoffensive von bis zu 1,4 Billionen Euro, sieht Deutschland auf der "Verliererstraße" (Russwurm) und warnt vor allem vor steigenden Energiepreisen. Energiepreise? Dieses Wort treibt nicht nur in Berlin den politisch Mächtigen die Sorgenfalten auf die Stirn.

Anstieg an Unsicherheiten – Abstieg an Ölintensität

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wagte bereits in seinem ersten Report 2024 einen Blick in die Zukunft – neben dem Handelskrieg zwischen der Volksrepublik China und den USA und dem Krieg um die Ukraine trat mit der Explosion im Nahen und Mittleren Osten ein dritter Unsicherheitsfaktor auf den Plan.

In ihrem Gutachten weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass das Risiko eines erneuten Ölpreisschocks zwar gering ist, die Auswirkungen aber nicht unterschätzt werden sollten.

Im Negativszenario rechnen die Forscher mit einem Ölpreis von rund 150 Dollar pro Barrel und damit einem Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts um gut ein Prozent – aktuell liegen die Ölpreise zwischen 69 Dollar (WTI) und 75 Dollar (Brent), also bei weniger als der Hälfte.

Die Prognose ist auf absehbare Zeit stabil, selbst bei 85 Dollar pro Barrel wäre der BIP-Verlust mit 0,2 Prozent verkraftbar. Dies auch deshalb, weil sowohl in Deutschland als auch in den USA die Ölabhängigkeit seit den 1970er Jahren massiv abgenommen hat.

Wie das IW in seinem Bericht schreibt, ist "die Ölmenge, die erforderlich ist, um 1.000 Euro Bruttoinlandsprodukt zu erwirtschaften, ist seit 1991 in den USA um gut 40 Prozent, in Deutschland sogar um etwa 50 Prozent gesunken."

Aber: Aus Washington kam ein klares Nein zu den laut diskutierten israelischen Vorstößen, die iranischen Ölförderanlagen rund um den Hafen Bandar Abbas am Persischen Golf zu bombardieren.

Teheran ließ die für das klerikale Regime lebenswichtige Tankerflotte auslaufen und brachte sie damit vorsorglich in eine Art Scheinsicherheit. Weder Harris noch Trump können sich einen wirtschaftlichen Absturz durch eine unkalkulierbare Eskalation kurz vor den Wahlen leisten - auf eine massive Bombardierung seiner Bevölkerung müsste der Iran adäquat reagieren.

Die Sorgenfalten sind berechtigt: Angespannte Handelsketten drohen überstrapaziert zu werden, die Meerenge im Golf entwickelt sich zum Nadelöhr (Stichwort: Ansharollah), nach einer kräftigen Anhebung der Leitzinsen durch die FED (auf bis zu 5,5 Prozent) fallen diese erstmals, eine gewaltige Staatsverschuldung von 121 Prozent des aktuellen BIP (und eine Zinslast von 900 Milliarden Dollar) lasten auf Staat und Haushalt.

Insgesamt ist insbesondere die US-Wirtschaft – aber mit anderen Parametern auch die deutsche oder die iranische Wirtschaft – volatil.

Geopolitische Krisen führen zu einem Rückgang der Investitionen (wegen des erhöhten Risikos), der Beschäftigung und der Aktienkurse. Wenn man das Szenario eines iranischen Produktionsausfalls oder gar einer Blockade der Straße von Hormus (was für die iranische Marine ein Leichtes wäre) durchspielt, ergibt sich ein erschreckendes Bild: In diesem Fall würden mehr als 25 Prozent der weltweiten Rohöllieferungen ausfallen, Preissteigerungen und eine globale Versorgungslücke wären die Folge. Eine Wirtschaft im globalen Taumel.

Andauernder Abnutzungskrieg

Vom Großen ins Kleine. Israel belegt beim Ranking des weltweiten Bruttoinlandsprodukts pro Kopf den 14. Platz. Nach Jahren des wirtschaftlichen Aufschwunges – eine Verdopplung des BIP seit 2012 – ächzt die Gesellschaft unter den Folgen eines erbarmungslosen Krieges, die Grundfesten von Wohlstand und Prosperität werden geradezu abgenutzt.

Die Konjunkturprognose musste deutlich nach unten korrigiert werden. Der Krieg spricht ökonomisch eine deutliche Sprache: 46.000 bankrotte israelische Unternehmen, der israelische Binnen- wie Auslandstourismus existiert nicht mehr, der einzige israelische Hafen am Roten Meer ist insolvent.

Die Ratingagentur Moodys stufte kürzlich die israelischen Anleihen erneut herab – neues Niveau: "erhöhtes Ausfallrisiko", eine Kategorisierung wie sie – allen politischen Willensbekundungen zum Trotz – auf die gesamte, israelische Volkswirtschaft zeitnah zutreffen könnte.

Die Lage im Norden Israels

Nord-Israel kommt nicht zur Ruhe, Bombenalarm ist Alltag und an eine Rückkehr zur Normalität, Schulunterricht und Arbeit ist an der Grenze zum Libanon noch immer nicht zu denken.

Nach Berichten des Online-Magazin mit Spezialisierung für Westasien The Cradle wollen 80 Prozent der im Ausland lebenden Israelis nicht mehr zurückkehren. Obendrauf kommt eine große Evakuierungszone in Nord-Israel und die Binnenflucht von 250.000 Menschen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Ein großer Krieg, insbesondere mit dem Iran, könnte für das Land zwischen Libanon und Jordanien wirtschaftlich fatal sein. Die Regierung Netanjahu wäre – moralisch wie wirtschaftlich – gut beraten, auf Frieden und Diplomatie statt auf Waffengewalt und Zermürbung zu setzen.

Doch die Zeichen stehen weiter auf Sturm. Die USA spielen auf Zeit und mit doppeltem Boden. Sie liefern Raketenabwehrsysteme und Angriffswaffen, versuchen aber aus innenpolitischem und wirtschaftlichem Kalkül verbal zu deeskalieren.

Kein Kranich über dem Golf

Während die deutsche Rüstungsindustrie nach dem 24. Februar mit dem 7. Oktober wohl den zweiten Feiertag in den Jahreskalender eintragen konnte, lässt sich an der Luftfahrtbranche exemplarisch aufzeigen, dass Krieg immer auch (wirtschaftliche) Verlierer kennt.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden halbierte sich die Zahl der Flugpassagiere in die Mena-Region. Lufthansa, Air France-KLM und British Airways haben im Oktober und November alle Verbindungen gestrichen.

Das Branchenportal Airliners zitiert Scott Kirby, CEO von United, mit der Ankündigung, er rechne mit deutlichen Einbußen. Sein Kollege Ed Bastian, CEO von Delta, wird mit der vielsagenden Aussage zitiert: "Wir wissen nicht, wie es weitergeht". Frieden wäre ein Anfang.