Autismus-Debatte: US-Gesundheitsminister Kennedy Jr. löst Proteststurm aus
Robert F. Kennedy Jr., US-Gesundheitsminister, steht wegen seiner kontroversen Aussagen zur Autismus-Epidemie in der Kritik.
(Bild: lev radin / Shutterstock.com)
Kennedys Äußerungen über eine "Autismus-Epidemie" empören viele Eltern und Experten. Sie werfen ihm Stigmatisierung und Panikmache vor.
Laut der jüngsten Erhebung des Autism and Developmental Disabilities Monitoring (ADDM) Network der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC ist die Prävalenz von Autismus in den USA von 1 von 36 auf 1 von 31 Kindern gestiegen. Dies geht aus dem Morbidity and Mortality Weekly Report der CDC vom 15. April 2025 hervor.
"Die Autismus-Epidemie grassiert", kommentierte US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. die neuen Zahlen.
Eines von 31 amerikanischen Kindern, die 2014 geboren wurden, ist durch Autismus behindert. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber zwei Jahren zuvor und fast fünfmal so hoch wie zu Beginn der CDC-Erhebungen bei Kindern, die 1992 geboren wurden. Die Prävalenz bei Jungen liegt bei erstaunlichen 1 zu 20 und in Kalifornien sogar bei 1 zu 12,5.
Eltern und Experten kritisieren "stigmatisierende" Aussagen
Kennedys Äußerungen stießen bei vielen Eltern autistischer Kinder und Fachleuten auf scharfe Kritik. Sie werfen dem Minister vor, durch seine Wortwahl Ängste zu schüren und Vorurteile zu verstärken. "Er verbreitet Angst und Fehlinformationen", sagte Beth Hoffman, Mutter eines zehnjährigen Jungen mit Autismus, gegenüber ABC News.
Sie sei empört und verstört, so Hoffman weiter. Seine Äußerungen über "Autismus als Epidemie und chronische Krankheit" erzeugten ein negatives Stigma."
Bestürzt war Hoffman wie viele andere auch nach Kennedys Aussagen, die als pauschale Abwertung aufgefasst wurden. Kennedy hatte gesagt:
Sie werden niemals Steuern zahlen, sie werden niemals einen Job haben, sie werden niemals Baseball spielen, sie werden niemals ein Gedicht schreiben, sie werden niemals ausgehen. Viele von ihnen werden niemals ohne Hilfe auf die Toilette gehen können.
Auch Samantha Taylor, deren 20-jähriger Sohn autistisch ist, zeigte sich laut ABC News frustriert: "Zu sagen, dass es sich um eine Epidemie handelt, die Familien zerstört, ist eine Beleidigung für alle in der Autismus-Gemeinschaft."
Alexis Brown, Mutter von 15-jährigen Zwillingsjungen mit Autismus, entgegnete demnach Kennedy:
Unsere Kinder treiben Sport, sind Mitglieder der National Junior Honor Society und arbeiten als Junior-Trainer. Lassen Sie uns also mit dem Vorurteil aufräumen, dass alle Kinder mit Autismus niemals Erfolg im Leben haben werden.
Faktencheck: Zuverlässige Daten, aber umstrittene Interpretation
Die von Kennedy zitierten Prävalenzdaten stammen direkt aus dem aktuellen CDC-Bericht und werden von Experten als zuverlässig eingestuft. Demnach ist die Zahl der Autismus-Diagnosen seit dem Jahr 2000 (1 von 150) tatsächlich um rund das Fünffache gestiegen. Auch die höhere Betroffenheit von Jungen und Minderheiten ist durch die Daten belegt.
Allerdings führen CDC und Fachleute den Anstieg primär auf eine verbesserte Diagnostik, breitere Kriterien und ein gestiegenes Bewusstsein zurück – nicht auf eine tatsächliche Zunahme von Autismus durch Umweltfaktoren, wie Kennedy suggeriert.
Auch seine Behauptung einer zunehmenden Schwere der Fälle wird von den Daten nicht gestützt: Der Anteil der Kinder mit einer zusätzlichen geistigen Behinderung liegt seit Jahren konstant bei 36–40 Prozent.
Ursachenforschung: Kennedys Pläne "unrealistisch und schädlich"
Kennedy hatte angekündigt, bis September die Ursachen der "Autismus-Epidemie" durch eine großangelegte Forschungsoffensive zu finden. Dies halten Experten laut BBC für unrealistisch und wissenschaftlich nicht haltbar.
Die Ursachen von Autismus sind komplex und multifaktoriell. Der aktuelle Forschungsstand sieht hauptsächlich genetische Faktoren als Hauptursache, während ein Zusammenhang mit Impfungen oder einzelnen Umweltgiften als widerlegt gilt.
"Behauptungen, dass Autismus ‚vermeidbar' oder eindeutig durch ‚Umweltgifte' verursacht sei, werden durch aktuelle Forschungsergebnisse nicht gestützt", erklärte Christopher Banks, Präsident der Autism Society of America, gegenüber BBC. Er warnte davor, "Autismus durch eine tragische oder angstbesetzte Brille zu betrachten" und betonte die Bedeutung einer "inklusiven Versorgung" für Betroffene.
Fachleute fordern Fokus auf Unterstützung statt Stigmatisierung
Banks und andere Experten appellierten an Kennedy, den Fokus auf die Bedürfnisse autistischer Menschen und ihrer Familien zu richten, statt mit Übertreibungen Ängste zu schüren. "Wir brauchen mehr Unterstützung, mehr Akzeptanz und die richtige Art von Forschung", sagte Tom Frazier, Vorstandsvorsitzender von Autism Speaks. Dazu gehörten etwa der Ausbau von Therapieangeboten, Fördermaßnahmen in Schulen und Ausbildung sowie Hilfen zur sozialen und beruflichen Teilhabe.
"Autismus ist im Vergleich zu weniger verbreiteten Erkrankungen unterfinanziert", so Frazier. "Da 3,2 Prozent der Kinder diagnostiziert werden, müssen wir dringend handeln – aber mit Augenmaß und auf Basis gesicherter Erkenntnisse."
Eine Dämonisierung von Autismus als "Epidemie", die es zu bekämpfen gelte, sei dagegen kontraproduktiv und schädlich für die Betroffenen. "Wir müssen autistische Menschen so akzeptieren, wie sie sind, ihre Stärken fördern und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen."