BKA-Kriminalstatistik: Anstieg der Tatverdächtigen bei nicht anerkannten Flüchtlingen
Vorab veröffentlichte Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik weisen auf einen über 52-prozentigen Anstieg hin
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird am morgigen Montag die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vorstellen. Nach Informationen der Welt am Sonntag, der der Bericht vorliegt, enthält er eine politisch brisante Aussage. Sie steht bereits im Titel des WamS-Artikels: "Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer steigt um 52,7 Prozent".
Die Aussage bestätigt zunächst einmal, was viele befürchten oder befürchtet hatten. Laut einer Allensbach-Umfrage von Anfang 2016, als vor dem Hintergrund der "Flüchtlingskrise" nach Hoffnungen und Befürchtung gefragt wurde, äußerten 82 Prozent der Befragten als Furcht Nummer 1, dass Gewalt und Kriminalität zunehmen.
Ob der Prozentsatz heute noch so hoch ausfallen würde, ist nicht bekannt, aber es muss nicht weiter erörtert werden, dass der Zusammenhang zwischen Kriminalität und Zuwanderung nach wie vor ein heikles Politikum ist. Die Frage, ob Flüchtlinge und Migranten in der Kriminalstatistik besonders auffallen, liefert Zündstoff für Auseinandersetzungen schon in der kleinsten Tischrunde.
Auffallend war bislang jedenfalls, dass noch jede Statistik "gerupft" wurde, wegen der Dunkelziffern, wegen unzureichender oder irreführender Kategorien oder weil der Gesamtzusammenhang nicht richtig beachtet wurde (vgl. dazu etwa Asylsuchende: Bleibeperspektive und Kriminalstatistiken).
Ist die neue Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) da eine Ausnahme? Vorweg sei gesagt, dass es auch hier wieder ein Begriffsdurcheinander gibt. Aber dazu später, zunächst die Zahlen, welche die Sonntagszeitung vermittelt.
Die Zahlen
Aus der noch unveröffentlichten PKS zitiert die Zeitung, dass es im vergangenen Jahr insgesamt 616.230 ausländische Tatverdächtige gab. Die Zeitung erklärt den Begriff nicht, gemeint sind damit aller Vernunft, Wahrscheinlichkeit und dem BKA nach "ermittelte Tatverdächtige". Die Zuwanderer hätten unter den ausländischen Tatverdächtigen "einen überdurchschnittlich großen Anteil", nämlich mit 174.438 mehr als ein Viertel. Im Vergleich zum Vorjahr bedeute die Zahl 174.438 einen Anstieg um 52,7 Prozent.
Als Kontext bietet die Sonntagszeitung aus ihrem vorliegenden Zahlenmaterial den Anteil der über 174.000 tatverdächtigen Zuwanderer an der tatverdächtigen Gesamtbevölkerung (was für ein schöner Amtsschimmel) an: "Er beträgt 8,6 Prozent." Das man nach wenig klingen, erläutern die Autoren Lutz und Leubecher, allerdings würden Zuwanderer höchstens zwei Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland ausmachen. Das ist also doch proportional auffallend viel, deutet der Leser.
Welche Zuwanderer sind gemeint?
Wer ist mit "Zuwanderer" genau gemeint? Eine spezielle Gruppe der Schutzsuchenden, erläutert der Zeitungsbericht. Das BKA habe in seinem aktuellen Bericht nun ein Kapitel "Sonderauswertung der Kriminalität der Zuwanderer". In diesem würde nicht schon länger hier lebende Ausländer erfasst, also nicht "der polnische Installateur oder die türkische Lehrerin", sondern jüngst angekommene Schutzsuchende, die folgendermaßen spezifiziert werden:
Laut BKA zählen dazu diejenigen, die mit dem Aufenthaltsstatus Asylbewerber, Duldung, Kontingent-/Bürgerkriegsflüchtling oder unerlaubter Aufenthalt registriert sind.
Welt am Sonntag
Ergänzt wird dies mit der Information, dass anerkannte Flüchtlinge, die entweder Asyl oder Flüchtlingsschutz erhalten haben, bisher nicht unter den Zuwanderern rubrifiziert werden. Erst in der nächsten PKS für das Jahr 2017 soll auch die "große Gruppe der nach dem Grundgesetz und der Genfer Konvention anerkannten Flüchtlinge" in der PKS eigens ausgewiesen werden, teilte das Bundeskriminalamt der Zeitung auf Nachfrage mit.
Der Gebrauch des Großbegriffes "Zuwanderer" in Statistik stiftet damit semantische Verwirrung. Unter der Aussage: "Die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer steigt um 52,7 Prozent" versteht der mit der BKA-Statistik-Sprechregelung nicht vertraute nämlich etwas anderes: üblicherweise eine Gruppe, die Flüchtlinge mit Asylerlaubnis einschließt.
Anerkannte Flüchtlinge sind nicht in der Rubrik "Zuwanderer"
Anerkannte Flüchtlinge, also Ausländer, die in Deutschland schon Asyl (nach dem Grundgesetz) oder Flüchtlingsschutz (nach der Genfer Konvention) erhalten haben, führt die Kriminalstatistik also bisher nicht unter der Rubrik Zuwanderer. Auf Nachfrage der "Welt am Sonntag" teilte das Bundeskriminalamt (BKA) mit, dass man im Begriff sei, dies zu ändern, "sodass zukünftig - für die PKS 2017 - auch die große Gruppe der nach dem Grundgesetz und der Genfer Konvention anerkannten Flüchtlinge in der PKS ausgewiesen werden kann".
Soweit es also die Vorabveröffentlichung der Welt betrifft - aber wieso sollte sie sich in dieser grundlegenden Rubrikeinteilung täuschen? -, müsste die Aussage "Die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer steigt um 52,7 Prozent" präzisiert werden in "Die Zahl der Tatverdächtigen der nicht anerkannten Flüchtlinge steigt um 52,7 Prozent" - unter der Annahme, dass die Bezugsgröße aus dem Vorjahr dazu stimmt.
Das wäre dann politisch eine etwas andere Aussage, weil damit ein Zusammenhang zwischen Anerkennung des Asylgesuchs und Kriminalität zum Thema würde. Hier müsste man noch auf die Statistik zu den anerkannten Flüchtlingen warten, um auf einigermaßen soliden Boden argumentieren zu können. Die aktuelle Aussage, die den Schluss nahelegt, dass Zuwanderer allgemein zu mehr Kriminalität beitragen, wird aber jetzt schon eingeschränkt, weil sie nicht präzise genug ist.
Im zitierten Bericht der Welt bleibt dessenungeachtet man bei der Sprachregelung "Zuwanderer", obwohl das Problem der Redaktion aufgefallen ist. Das zeigt ein beistehender Kommentar in der Printausgabe von Thorsten Krauel, der auf die Problematik der Begriffsverwendung in der PKS aufmerksam macht:
Es wäre verheerend, wenn die höchste deutsche Polizeiinstanz den Eindruck erweckte, als hätten wir ein kriminelles Sonderproblem mit "Zuwanderern". Keine Behörde sollte offiziell nahelegen, der Anstieg der Kriminalität sei ein typisches Ausländerphänomen. Damit fördern Thomas de Maizière und die Länderinnenminister allein das Missverständnis, Kritiker wie die AfD hätten mit ihrer maßlosen Wortwahl freie Fahrt.
Thorsten Krauel in: BKA und AfD müssen auf die Wortwahl achten
Krauel schlägt übrigens anstatt "Zuwanderer" die Begriffe "Zugereiste" oder "Durchreisende" vor.
Der Leser erfährt im hier zitierten Bericht über die neue BKA-Statistik, die dem Begriff Zuwanderer treu bleibt, dass sich BKA-Präsident Holger Münch über Zuwanderer aus dem Balkan Sorgen macht, in erster Linie über die Zuwanderer aus Nordafrika. Vor allem Algerier, Marokkaner und Tunesier würden besonders durch Straftaten auffallen.
In den absoluten Zahlen der Kriminalstatistik sind die Syrer mit 30.699 Tatverdächtigen im Jahr 2016 die stärkste Gruppe, danach folgen 17.466 Afghanen, 12.202 Iraker, 9.882 Albaner, 8332 Algerier und 8226 Marokkaner. Syrer stellen allerdings auch die größte Gruppe der Migranten, die nach Deutschland gekommen sind. Weswegen der Zeitungsbericht notiert, dass Zuwanderer aus Syrien oder dem Irak proportional gesehen viel weniger auffallen.
Ergänzender Nachtrag:
Laut Bericht der WamS fielen die "Zuwanderer" in folgenden Kriminalitätsfeldern auf: Beim Taschendiebstahl mit einem Anteil von 35,1 Prozent aller Tatverdächtigen. "Bei den Delikten gefährliche und schwere Körperverletzung sowie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung sind es jeweils 14,9 Prozent. Und bei Wohnungseinbrüchen 11,3 Prozent."