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Baerbocks neue Kleider: Wie Mode Politik macht

Kleidung von Politikern hat unmittelbar Auswirkung auf ihre Botschaft und ihren Erfolg. Vor allem, wenn sie am Handgelenk getragen wird. Daniel Kalt hat darüber ein ganzes Buch geschrieben.

Mode ist eine Notwendigkeit, vor allem in der Politik. Nackt regieren könnte nur der Kaiser aus Gottfried Kellers Erzählung. Jedes Verhalten in der Politik und besonders die Mode wird von Presse und Öffentlichkeit genau beobachtet. Wie bewegen sich also die Politiker:innen in diesem Dickicht der Meinungen und Haltungen?

Daniel Kalt veröffentlichte 2023 die Monographie Staat tragen – Über das Verhältnis von Mode und Politik [1] (Kremayr & Scheriau). Darin geht er dieser Frage nach und präsentiert eine kritische Bestandsaufnahme geglückter und missglückter Modekommunikation.

Daniel Kalt ist zudem Moderedakteur der Tageszeitung Die Presse und Chefredakteur der Beilage "Schaufenster".

Herr Kalt, was sind Visual Politics?
Daniel Kalt: In den Kulturwissenschaften spricht man seit den Neunzigerjahren von einem "Iconic Turn", also einer verstärkten Hinwendung zu den Bildern, die dann teilweise den Worten den Rang abgelaufen haben.
Das hat auch Eingang in die Politikkommunikation gefunden. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren, mit dem Auftauchen von sozialen Medien, hat sich der Trend verstärkt. Die Politikkommunikation kann heute nicht mehr auf Bilder verzichten.
Das geht immer mal wieder schief, häufig durch Schmuckstücke, die ein negatives Echo finden.
Daniel Kalt. Bild: Elsa Okazaki
Daniel Kalt: Vieles ergibt sich aus dem Zusammenhang. Es gibt viele Wege, wie eine solche Kommunikation schiefgehen kann, und hier spielt auch die Bekleidung eine Rolle. Ich denke, dass die Beobachter des politischen Geschehens oft darauf warten, dass etwas schiefgeht. Das Prinzip der Schadenfreude ist in die Gesamtsituation eingeschrieben.
Die Kategorien, wer von den Politiker:innen gut und wer schlecht angezogen ist, sind für meine Analysen irrelevant. Es gibt natürlich Situationen, in denen die Codes missachtet oder bestimmte Aspekte nicht bedacht wurden. Ein klassisches Beispiel wäre François Hollande, der in Frankreich als schlecht gekleideter Staatschef galt.
Hollande sind mehrere Stilpannen unterlaufen, wenn ihm etwa seine Krawatte verweht wurde. Da haben die Französ:innen besonders darauf geachtet. Es gibt viele Dinge, die als Pannen oder Kommunikation-Fauxpas aufgefasst werden. Ein anderes Problem sind tatsächlich Luxusgüter an Politiker:innen in offiziellen Situationen, also Objekte, die einen konkreten Geldwert darstellen.
Und die womöglich im Gegensatz zur Parteilinie stehen, der die Politiker:innen angehören.
Daniel Kalt: Dem schwierigen Verhältnis zwischen Politik und Luxusobjekten widme ich ein ganzes Kapitel. Man muss sich vergegenwärtigen, wie Repräsentation in der Vergangenheit stattfand. Herrscher:innen aus vergangenen Jahrhunderten handelten nach dem Prinzip: Wer mächtig ist, besitzt auch etwas. Das heftete man sich an den Leib, wenn man sich in der Öffentlichkeit zeigte.
Diese Insignien stellten das Reich dar, für das man stand. In demokratiepolitischen Kontexten sieht das ganz anders aus. Von den Volksvertreter:innen wird erwartet, dass sie auf allzu teure Marken verzichten. Während einer Amtszeit ist man durch die Medienpräsenz nie richtig im Off. Solange die Politiker:innen im Amt sind, existieren sie als Privatmenschen kaum. Das sollten sie gerade in ihrem Verhältnis zu Luxusobjekten bedenken.
Man kann eine Verweigerung dieser Regeln auch als politisches Statement platzieren, wie zum Beispiel die bundesdeutschen Grünen in den 1980ern, als sie in die Landesparlamente einzogen und dabei Strickpullover und Turnschuhe trugen.
Daniel Kalt: Das ist in der Politik nicht anders als im repräsentativen Geschäftsleben. Es werden gewisse Konventionen gepflegt, an denen es sich gut orientieren lässt. Bei Frauen macht es schon einen Unterschied, ob sie ein Kostüm, einen Hosenanzug oder ein Kleid tragen. Für Frauen im 20. Jahrhundert war es eine große Errungenschaft, Hosenanzüge tragen zu können.
Heute ist keineswegs gesetzt, dass Frauen im Berufsleben Hosenanzüge tragen. Bei einer älteren Generation erinnert man sich vielleicht noch daran, dass für Frauen nur das Tragen von Röcken vorgesehen war.
Konventionen verändern sich im Laufe der Zeit, mit dem Auftauchen neuer Bewegungen. Joschka Fischer in Turnschuhen bei seiner Vereidigung als Landesumweltminister 1986 hat eine Art Präzedenzfall geschaffen.
Das war schon ein sehr bewusst gesetztes Kommunikationsereignis – durch ein Accessoire, das in dieser Situation nicht vorgesehen war. Parallel dazu kam eine neue politische Bewegung in Verantwortung. Und es wurde ein Kontinuitätsbruch vollzogen, sich bewusst davon abgehoben, was zuvor Usus war.
Gibt es das heute auch noch?
Daniel Kalt: Klar. Etwas Ähnliches, wenn auch subtiler, ist zunächst im Geschäfts-, dann im politischen Leben mit dem Auftauchen der sogenannten Slimfit-Generation passiert. In Österreich wurde dies zum Beispiel durch das Auftauchen von Sebastian Kurz und seiner Vertrauensleute geradezu sprichwörtlich.
Einerseits der Bruch mit der Partei (ÖVP), wie sie zuvor ausgeschaut hat und andererseits der genau passende Anzug. Die neue, schmälere Silhouette, wird auch zu einer Bedeutungsträgerin und verweist etwa auf Leistungsfähigkeit und Jugendlichkeit.

Durfte Annalena Baerbock in China Freizeitkleidung tragen?

In Deutschland stand unlängst Außenministerin Annalena Baerbock in der Kritik, weil sie auf ihrer China-Reise Freizeitkleidung trug, ist solche Kritik berechtigt?
Daniel Kalt: Die große Aufmerksamkeit auf das modische Bildhandeln von Annalena Baerbock und ihre jeweilige Kleiderwahl zeigt zum einen die Bedeutung, die Kleidung beigemessen wird. Und zum anderen, dass Frauen noch kritischer beäugt werden.
Ich denke, die Außenministerin ist bei offiziellen Terminen nicht unpassend bekleidet gewesen. Sie steht aber als Berufspolitikerin und Repräsentantin der Bundesrepublik ständig im Licht der Öffentlichkeit. Dass sie nach einem Langstreckenflug nicht im Businessoutfit aussteigt, ist meines Erachtens verzeihlich.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj taucht bei Bundeskanzler Olaf Scholz in Cargohosen und schwarzem Sweatshirt auf.
Daniel Kalt: Selenskyj repräsentiert ein Land, das im Krieg steht, nachdem es angegriffen worden ist. Er hat früh mit seiner Kleiderwahl auf diese Situation reagiert und zeigt sich konsequent bei täglichen Videobotschaften und Auslandsauftritten in dieser neuen Aufmachung.
Bemerkenswert erscheint mir, dass er nicht tatsächlich eine Uniform trägt – und damit auf einen militärischen Zusammenhang verweist –, sondern einen Militär-Look pflegt. Politiker:innen, die sich in Uniformen an ihre Bevölkerung wenden, lassen rasch an Militärregimes und nicht unbedingt an demokratische Verhältnisse denken.
Welchen Rahmen nimmt Mode im Budget der Bundespolitik ein?
Daniel Kalt: Abgesehen von der Tatsache, dass immer wieder einmal konkrete Geldbeträge bekannt werden, die auf den Souverän astronomisch hoch wirken: Verglichen mit anderen Berater:innenhonoraren handelt es sich weiterhin um rechtfertigbare Beträge. Zumal, wenn man den Wert gelungener Stilberatung in die Währung der Aufmerksamkeitsökonomie umrechnet, zeigt diese Kurve mit Gewissheit beständig nach oben.
Interessant ist immer wieder, wie über Mode in der Politik von den Medien berichtet wird. Sie schildern in Ihrem Buch mehrere Beispiele, wie Medien eng mit Politiker:innen zusammengearbeitet haben. Sie schreiben aber auch, wie "Fashion Editorials mit gesellschaftlicher Wirkungsabsicht" häufig nicht richtig greifen. Funktioniert diese vermeintliche Symbiose also nicht?
Daniel Kalt: Als konkretes Beispiel nannte ich unter den Modezeitschriften die italienische Vogue, die immer wieder mit Modestrecken zu schockieren versuchte, damit aber viele Leser:innen auch verstörte. Umgekehrt werden Politiker:innen in vergleichbaren Modezeitschriften, häufig etwa in der US-amerikanischen Vogue, entsprechend frisiert und gestylt und in mitunter kostspieliger Markenware abgebildet. Da stellt sich wohl für viele die Frage, ob das noch mit der eigentlichen Tätigkeit in Übereinstimmung steht.
Um zur italienischen Vogue zurückzukommen: Bei gewissen Themen wie häuslicher Gewalt oder Umweltkatastrophen ist die Frage, ob diese Themen durch die Gestaltung eines hochpreisigen Luxusguts wirklich gut behandelt werden können. Möglich wäre auch ein Interview mit einer Person, die sich aktivistisch mit diesen Themen beschäftigt. Ob eine Modestrecke da das wirklich Beste ist, sei mal dahingestellt.
Sie sprechen von "geschicktem Modehandeln". Was ist geschickt?
Daniel Kalt: Das Modehandeln kann viele verschiedene Formen annehmen. Man kann damit offensiv umgehen, bewusst eine Bedeutungsebene der Bekleidung für sich nutzen. Es gibt auch die Strategie, möglichst ohne Bedeutung in der Politik aufzutauchen, also den modischen Aspekten nicht viel Wert beizumessen.
Die positiven Beispiele gebe ich im Buch an vielen Stellen wieder: Wenn ich mich in einem bewussten Sinne kleide, kommuniziere ich mit, dass ich für gewisse Werte einstehe oder für meine Wähler:innen dafür einstehe. Dann ist gutes Modehandeln gelungen, was nicht gleichbedeutend ist mit dem, das man im landläufigen Sinn als "gut angezogen" bezeichnet.
Das modische Bildhandeln von Donald Trump etwa hat gut funktioniert. Mit seinem hochgeschnittenen Businessanzug und der Baseballkappe, die er mit dem Slogan "Make America Great Again" sogar zu einem Politik-Gadget gemacht hat. Er hat politischen Erfolg gehabt, obwohl er nicht im herkömmlichen Sinne gut angezogen war, aber Kleidungs-Codes so einsetzte, dass sein Publikum sie gut deuten konnte.
Die Baseballkappe wurde aus einer Subkultur, einer Sportkultur übernommen, um Signale an seine Anhängerschaft zu senden?
Daniel Kalt: Ja, die MAGA-Kappe von Donald Trump ist besonders in den USA ein Beispiel von vielen. Auch hier ließe sich an Joschka Fischers Turnschuhe denken.
Die Baseballkappe gehört in den USA bereits zur Alltagskultur, wie sie auch zu einem klassischen Vorstadt-Kontext passt. Trump setzt sich dann auch in Beziehung zum Sport, wie er Golf spielt. Damit signalisiert er eine gewisse Nahbarkeit.
Ist die Mode also doch nur triviales Beiwerk?
Daniel Kalt: Nein, denn auch Menschen, die von sich behaupten, sie interessierten sich überhaupt nicht für modische Bekleidungen, sind von angezogenen Menschen umgeben und müssen für sich Kleidung auswählen, die mehr oder weniger dem eigenen Geschmack entspricht – oder im Fall von Politiker:innen, dem Amt, das sie ausüben. Selbst wenn jemandem diese Überlegungen bezüglich der Mode völlig egal sind, wird er oder sie eine Botschaft aussenden.
Wenn ich mir sage: Ich lasse mich vom Äußeren des Gegenübers überhaupt nicht lenken, dann ist das ein Irrglaube, denn wir deuten alle stets das immer unbewusst mit, wie man uns gegenübertritt.
Der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde fehlendes Modebewusstsein nachgesagt.
Daniel Kalt: Merkel ist ein anschauliches Beispiel für einen uniformen Kleidungsstil. Sie fand für sich eine Art Personaluniform, die in jeder Situation funktionierte. Sie hatte diese Grundkomponenten, die immer da waren: das Jackett in unterschiedlichen Farben. Da wurde viel herumgedeutet, ob diese oder jene Farbe eine Botschaft in konkreten Situationen vermitteln sollte.
Ein modischer Felsen in der Brandung.
Daniel Kalt: Würde ein:e Politiker:in jeder Mode, jeder Trenderscheinung hinterherlaufen, dann würde viel vom Eigentlichen abgelenkt. Das sah man auch gut zur Corona-Zeit, als Masken noch nicht offiziell getragen wurden oder nicht mehr. Trägt man sie bereits oder weiterhin? Manche haben diese Masken dann auch modischer getragen; die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hat sie etwa auf ihre Outfits abgestimmt.
Es gab verschiedene Reaktionen darauf: Positive, im Sinne einer wirklichen staatstragenden Mode, also als Vorbild voranzugehen. Aber kritische Stimmen lehnten es ab, etwas zur Mode machen, das auf eine Gesundheitskrise verweist. Es gibt nicht die eine richtige Entscheidung, sondern verschiedene Interpretationen.
Ein anderes politisches Mittel der Mode wäre die sogenannte Sloganmode, dass auf den Kleidungsstücken politische Slogans erscheinen. Wie ist das einzuschätzen?
Daniel Kalt: Wenn ich mich politisch engagiere, auf Demos etwa, dann ergeben diese Slogans durchaus Sinn. Für eine vorpolitische Mobilisierung funktioniert diese Mode hervorragend. Aber ab dem Zeitpunkt, zu dem ich zur Amtsträgerin oder zum Amtsträger werde oder mich um ein Amt bewerbe, habe ich andere Mittel, um das Wort zu ergreifen.
Es gibt vielleicht einzelne Aktionen, bei denen damit gebrochen wird, aber grundsätzlich hat die Sloganmode im Alltag von Berufspolitiker:innen wenig verloren. Übrigens spiegeln das auch die Kleiderordnungen von Parlamenten wider. Das Slogan-T-Shirt ist besser auf den Zuschauerrängen aufgehoben als im Plenum selbst.

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