Bargeld ade? Mehr Freiheit statt Überwachung!

Marcel Kunzmann
Ein bargeldloser Zahlvorgang

Weniger Bargeld, mehr Wahlfreiheit: Andere Länder machen es vor

(Bild: Jacob Lund/Shutterstock.com)

Deutschland liebt Bargeld, doch elektronische Zahlungen bringen für uns alle Vorteile. Warum Bargeld-Fetischisten im Irrtum sind. Ein Kommentar.

Wer kennt das nicht? Man ist unterwegs, wollte vielleicht nur kurz aus dem Haus, und schnell etwas kaufen oder konsumieren. Aber im Geschäft heißt es "Nur Bargeld", oder (manchmal als Dauerzustand) "Kartenterminal defekt". Wer nicht mit ordentlich bestücktem Portemonnaie versehen ist, hat allzu oft schlechte Karten.

Denn Deutschland ist Bargeldland. Im europäischen Vergleich nutzen die Deutschen beim Einkaufen deutlich lieber Scheine und Münzen als die meisten ihrer Nachbarn.

Mit 304 elektronischen Bezahlvorgängen pro Einwohner im Jahr lagen die Deutschen laut einer Erfassung von Boston Consulting 2023 knapp vor Österreich und Spanien am unteren Ende der Tabelle. Spitzenreiter sind Norwegen und Luxemburg mit durchschnittlich 815 bzw. 753 Vorgängen.

Boomer und Bargeld

Jetzt sollen laut jüngsten Gerüchten aus den laufenden Koalitionsverhandlungen Geschäfte verpflichtet werden, mindestens eine Form bargeldloser Bezahlmöglichkeiten anzubieten.

Der Aufschrei in Teilen der Bevölkerung ist groß. "Nur Bares ist wahres", so das Mantra ungezählter Boomer-Gruppen auf Facebook, die schon die staatliche Totalüberwachung aller Zahlungsströme und das Verbot physischen Geldes kommen sehen.

Herbert und Sabine geben zwar alles über sich auf Social Media Preis und bekommen schon längst passgenaue Werbung für ihr Konsumverhalten ausgespielt, aber beim Zahlen, da sind sie eigen – wegen der Überwachung: Geht ja ihren Sparkassen-Berater nichts an, dass sie schon wieder bei Edeka waren.

Dabei wird nur zu gern am eigentlichen Thema vorbei argumentiert. Denn die Abschaffung von Bargeld plant niemand. Selbst im weitgehend bargeldlosen Schweden darf jeder Bürger so viel Bargeld horten, wie er möchte. Und auch in China, wo fast nur noch per App und QR-Code bezahlt wird, nehmen Geschäfte zähneknirschend Cash an.

Praktische Erwägungen

Zähneknirschend, weil sich in der Praxis die Nutzung von Scheinen und Münzen als deutlich weniger komfortabel erwiesen hat als die App-Zahlung. Die Verbraucher haben entschieden, nicht (nur) die Partei. Allzu gern wird nämlich in der hiesigen Debatte vergessen, welche Nachteile das Hantieren mit bedrucktem Papier und Metallstücken im Vergleich zu moderneren Bezahlformen hat.

Angefangen von der Geschwindigkeit: Eine Bargeldzahlung dauert im Schnitt 22 Sekunden. Kontaktlos per NFC, wie mittlerweile fast überall möglich, wo Kartenterminals vorhanden sind, dauert der Zahlvorgang hingegen im Schnitt 15 Sekunden – und ist damit knapp ein Drittel schneller.

Hinzu kommen die wirtschaftlichen wie ökologischen Kosten für den Betrieb dutzender verschiedener Geldautomatennetze, bei denen Nutzer klassischer Filialbanken mit saftigen Gebühren rechnen müssen, sollte "ihr Automat" mal wieder nicht in der Nähe sein.

Auch Geschäfte müssen für die Einzahlung von Scheinen und Münzen Geld an die Banken zahlen, hinzu kommt die dafür nötige Arbeitszeit. Ein Berliner Bäcker berichtete dem Autor, bevorzugt nur noch Kartenzahlungen anzunehmen, da das für ihn "billiger und weniger arbeitsintensiv" sei. Der Mythos vom "freien Bargeld", bei dem im Unterschied zu Apps und Karte kein Dritter profitiert, ist eben genau das: ein Mythos.

Mit der App von Beijing nach Bern

Erfrischend befreiend kann es hingegen sein, wenn man sich als Tourist in China langsam daran gewöhnt, die Geldbörse im Hotelzimmer lassen zu können. Ein Gegenstand weniger, der die Hosentaschen beschwert und den man potentiell verlieren kann (dass er geklaut wird, ist in China eher unwahrscheinlich – in den USA jedoch durchaus Thema in Bezug auf die Wahl der Zahlungsmittel).

Es reicht völlig, die Bezahlapps WeChat oder Alipay auf dem Handy dabei zu haben, um vom Taxi bis zum Bauernmarkt in entlegenen Bergdörfern überall zahlen zu können.

Auch das Argument, dass soziale Randgruppen ausgeschlossen würden, wenn niemand mehr Metall mit sich herumträgt, wird in China widerlegt: Selbst die wenigen Bettler auf den Straßen nutzen dort QR-Codes und lassen sich Geld per App transferieren (dennoch muss die Eröffnung eines Kontos hierzulande niedrigschwelliger werden und jedem gesetzlich zustehen!).

Und sollte der Handy-Akku schlapp machen, gibt es überall Powerbanks für kleines Geld zu mieten – ein Konzept, das auch in europäischen Städten Schule machen sollte.

Die in China verbreiteten App-Zahlungen haben gegenüber Kartenterminals einen entscheidenden Vorteil: Sie benötigen auf der Verkäuferseite grundsätzlich kein zusätzliches Endgerät, sind also mit deutlich weniger Infrastruktur kostengünstig realisierbar.

Um moderne App-Zahlungen im Einsatz zu sehen, muss man übrigens nicht bis nach Asien reisen. Es reicht bereits ein Besuch in der Schweiz, wo die Bezahlapp Twint mittlerweile von mehr als der Hälfte der Bevölkerung genutzt und von über 80 Prozent der Geschäfte als Zahlungsweise akzeptiert wird.

Lokale technische Lösungen, fernab von US-Anbietern wie PayPal und deren Gebührenregime, sind also möglich – wenn man denn will.

Bargeldlose Totalüberwachung?

Bleibt aber noch die entscheidende Frage vieler Bargeld-Fetischisten nach dem Datenschutz. Droht mit der bargeldlosen Zahlung nicht die Totalüberwachung, das Ende jeder noch so kleinen Trickserei?

Kurze Antwort: Nein. Selbst in dem für seine angeblich lückenlose Überwachung bekannten China werden bargeldlos Steuern hinterzogen. Kleine Kioske nehmen Zahlungen als "Privat" entgegen, statt ihr Geschäftskonto zu nutzen – und schon weiß niemand mehr so genau, was jetzt wirklich Umsatz war und was nicht.

Auch für die chinesischen Behörden sind die Abermilliarden Zahlungsströme, die jeden Tag generiert werden, nicht kontrollierbar – und Schwarzarbeit ist im Reich der Mitte weder in den Städten noch auf dem Land völlig ausgestorben.

Natürlich hat das Grenzen. Riesige Millionenbeträge wird man wohl kaum auf diese Weise verschieben. Das Risiko, bei gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung erwischt zu werden, ist sicherlich höher als mit Cash. Und das ist auch gut so.

Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kostet Steuerhinterziehung die Bürger jedes Jahr 100 Milliarden Euro. Also in fünf Jahren bereits die Summe des jüngst beschlossenen "Sondervermögens".

Begünstigt wird das durch – erraten – die hiesige Bargeldkultur, die sich kaum kontrollieren lässt. Aus genau diesem Grund ist Deutschland auch einer der beliebtesten Standorte für Geldwäsche in Mitteleuropa, von dessen Möglichkeiten Mafia und Superreiche (Hallo Kunstmarkt!) nur allzu gern Gebrauch machen.

Umdenken gefordert

Die Liebe zum Bargeld mag in Deutschland so etwas wie ein Kulturgut sein, ähnlich wie Sprudelwasser oder Sandalen mit Socken. Ausgelöst durch die Hyperinflation der 1920er Jahre und dem Vertrauensverlust in die Zahlungsinfrastruktur, weitergetragen durch die Datenschutzbedenken der Volkszählungsdebatte der frühen 1980er Jahre.

Doch die Welt hat sich weitergedreht, und wir sollten der Wahrheit ins Gesicht sehen: Bargeld als Standard-Zahlungsmittel ist aus der Zeit gefallen.

Die Vorteile bargeldloser Bezahlmethoden überwiegen bei Weitem – sowohl für das Individuum als auch die Gesellschaft. Mit einer Pflicht, mindestens eine bargeldlose Bezahlmethode anzubieten, würde Deutschland dem Vorbild vieler Länder folgen: Italien (2014), Griechenland (2017), Argentinien (2018) und andere machten es vor.

Auch dort sind bekanntlich weder das Bargeld noch sämtliche Formen fiskalischer Trickserei verschwunden. Aber Konsumenten haben eine neue Freiheit erhalten: Die Freiheit der Wahl, welches Zahlungsmittel sie nutzen und mit sich herumtragen möchten.