Bauen in Deutschland: Ein Drama in unzähligen Akten
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Baukrise – Deutschland ein Hochhaus der Bürokratie. Warum hierzulande die Bau- und Planungsprozesse so schwierig sind und das Ganze so teuer. Was es braucht.
Im Unterschied zur Kunst ist die Architektur vom Charakter eines Kompromisses geprägt; und zwar nicht nur den zwischen Zweck und Form, sondern ebenso zwischen Individuum und Gesellschaft.
Deshalb unterliegt das Bauen auch öffentlichen Regularien. Ging es früher vor allem um den Brandschutz, so ist daraus längst eine umfassende Agenda an Sicherheitsaspekten und Schutzgütern geworden, die garantieren soll, dass auch die Allgemeinheit nicht zu kurz kommt bei dem, wovon vor allem der Bauherr profitiert.
Das ist gut so – eigentlich. Denn nun fällt einem dazu eher das Sprichwort ein, demzufolge der Weg zur Hölle gepflastert sei mit guten Vorsätzen. Die technisch konstruktiven Anforderungen sind in den letzten Jahren ebenso gestiegen wie die Komplexität von Planung und Ausführung.
Und die sich daraus ergebenden Vielzahl von Fachplanern und Spezialisten macht die Sache gewiss nicht einfacher.
Bauboom oder Bürokratiefalle? Wie Regulierung und Komplexität Bauprojekte lähmen
Das langjährige Planungschaos um den Berliner Flughafen (etwa um seine Entrauchungsanlage), die Querelen und Kostenexplosionen um die Hamburger Elbphilharmonie (die nun dem Vergessen anheimgefallen scheinen) und um den Stuttgarter Bahnhof (die immer noch akute Schmerzen verursachen), oder aktuell die Sanierung des Pergamon Museums (das für lange Zeit geschlossen wird): Bei den großen Bauprojekten jagt ein Skandal den anderen.
Die eigentliche Bauzeit macht in Deutschland nur einen kleinen Anteil der Dauer von Bauprojekten aus. Sehr viel mehr Zeit nehmen Planung sowie Genehmigung dabei in Anspruch – und nicht zuletzt: die einschlägigen Gerichtsverfahren.
Insbesondere das in hierzulande praktizierte Vergaberecht ist komplex und zieht viele Probleme und Restriktionen nach sich. Zudem führt die Möglichkeit, jederzeit gegen ein Bauvorhaben zu klagen sowie neue EU-Gesetze immer wieder zu Baustopps.
Was fehlt und was behindert
Dass die Prozesse derart zäh sind, liegt an deutlich umfangreicheren Umweltauflagen, der Bürgerbeteiligung, die es früher in diesem Umfang nicht gab, und an klagefreudigen Umweltverbänden.
Außerdem fehlen in den Behörden Mitarbeiter. Die mangelnde Digitalisierung der Verfahren stellt ein weiteres Hindernis dar: Es wäre hilfreich, wenn alle Genehmigungsbehörden auf den gleichen digitalen Stand zugreifen könnten.
Zumal in der Regel verschiedene Fachämter einbezogen sind, die umfangreiche Akten zwischen hin- und herwandern lassen, was zum einen den Prozess enorm verzögert, zum anderen der Übereinstimmung nicht förderlich ist.
Dazu könnten gerade bei Sanierungen und Ersatzneubauten viele bürokratische Maßgaben wegfallen. Etwa bei den gut 5.000 maroden Brücken in Deutschland, worauf etwa Felix Pakleppa, der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des deutschen Baugewerbes, nachdrücklich hingewiesen hat:
Dann machen wir teilweise ein Planfeststellungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung und denken viele Jahre über die Sinnhaftigkeit nach, an dieser Stelle eine Brücke zu bauen, obwohl da vielleicht schon 100 Jahre eine Brücke war.
Felix Pakleppa, MDR
Tatsächlich ist es ja eine Binsenweisheit, dass im deutschen Bauwesen eine hohe Dichte von gesetzlich festgeschriebenen Standards existiert. Hinzu kommt die Normung: Diese ist zwar keine staatlich verordnete, sondern eine privatwirtschaftlich initiierte Angelegenheit.
Norm zum Tageslicht in Innenräumen
Aber im Ergebnis legen Normen rechtsverbindliche Herstellungs- und Ausführungsverhältnisse fest. Hierzu ein kleines Beispiel: Vor einigen Jahren ist mit der DIN EU 17037 erstmals eine "Norm zum Tageslicht in Innenräumen" erscheinen. Darin werden Tageslichtversorgung, Aussicht, Besonnungsdauer und Blendung in Räumen behandelt. So weit, so gut.
In einem Artikel im Deutschen Architektenblatt (DAB) vom Februar 2021 wurde indes wortreich darauf hingewiesen, dass diese Norm im Widerspruch stehe zur DIN 5034, die sich mit der "Sichtverbindung nach außen" als Eigenschaft eines Raumes auseinandersetzt. Viele Regelungen werden offenkundig sehr isoliert entwickelt, einzelne Details scheinen wichtiger als die Wirkung als Ganzes.
Fragmentierte Wertschöpfungskette: Jeder denkt nur an sich
Die Zergliederung geht freilich noch weiter. Bei Großprojekten der Öffentlichen Hand werden die Verantwortlichkeiten auf viele Schultern verteilt – was man einerseits nachvollziehen kann, was aber andererseits die Intransparenz der Entscheidungswege oder eine mangelnde Beteiligung der Öffentlichkeit befördert.
Der Architekt liefert die Entwurfs-, und – wenn es für ihn gut läuft – die Ausführungsplanung. Die Ausschreibung an die Firmen machen andere. Die Bauleitung übernehmen spezielle Firmen, die Kosten- und Terminkontrolle liegt wieder in anderen Händen. Projektsteuerer gibt es meist auch noch. In der Konsequenz indes haben dann meist Juristen das letzte Wort.
Man kann sagen, dass das Bauen eine fragmentierte Wertschöpfungskette darstellt, in der viele Gewerke nur für sich denken. Bei vielen Akteuren geht es nicht darum, wie sie zusammen etwas Tolles schaffen können, sondern wie sie das Projekt teilausbeuten können.
In der kleinteiligen Planungs- und Baubranche zieht man nicht an einem Strang.
Der Apparat: ein leviathanisches Monster
Diese Situation freilich wird kaum offen ausgesprochen, geschweige denn verbessert. Stattdessen weicht man aus und stimmt in das allgemeine Lamento ein.
Und tatsächlich steht ja heute dem Stadtumbau – wie allen urbanistischen Ambitionen – ein leviathanisches Monster gegenüber: Ein Apparat, der eine Überregulierung gigantischen Ausmaßes beschert und zu Lähmungserscheinungen führt. Auch Architektur, auch jedes einzelne Bauwerk verkümmert inzwischen eher zur regelkonformen Banalität statt als baukulturelle Leistung zu leuchten.
Regulierungen sind unter anderem Folgen von legislativen Entscheidungen, und wie in Deutschland Gesetze gemacht werden, kann hier nicht erörtert werden. Einflüsse aus Parteiprogrammen, Lobbyistenkreisen, zeitgeistiger Befindlichkeit und Netzwerkerei aller Art ergeben Gesetzeslagen, die kaum noch jemand durchschaut.
Der Kolumnist Axel Hacke fragte vor einiger Zeit im Kontext der Corona-Regulierungen:
Wenn wir nun aber gesagt haben, dass die Bürokratie qua definitionem jedem Problem nur mit einer Vorschrift begegnen kann, womit begegnen wir dann der Bürokratie, wenn sie selbst zum Problem wird?
Wie Regeln unsere Stadtkultur formen – und ausbremsen
Eine Gesellschaft, die mit Interessenausgleich, freiheitlichen Grundordnungen und Rechten und Pflichten ihrer Mitglieder das Zusammenleben organisiert, braucht vernünftige Regelungen. Politisch ist Regulierung ein wichtiges Instrument, um Verhaltensweisen im Sinne ausgehandelter Lebensverhältnisse zu steuern.
Und man darf sogar fehlende Regulierung beklagen, wenn beispielsweise Konzerne wie Facebook, Google & Co bei arglosen Menschen spionieren, manipulieren und einkassieren können, ohne von Gesetzgebern in ihre gesellschaftsverträglichen Schranken gewiesen werden zu können.
Insoweit muss man – paradoxerweise – anerkennen, dass unsere heutige Stadtkultur ihren Gehalt und ihre Leistung im Einbezug ständig neuer Vorgaben beweist, z.B. des Umweltschutzes, der Energieeffizienz, des Lärmschutzes, der Luftbeschaffenheit, der Mindestanforderungen an die Wohnungen, der Barrierefreiheit, des Erschließungskonzepts usw.
In der Konsequenz verlangen all diese Erfordernisse dann halt ausgewiesene Fachkenntnisse und einen gewaltigen Apparat zu deren Verwaltung und Kontrolle. Zugleich steht man freilich heute vor dem Problem, dass die Mechanismen und Zielsetzungen der Planung sich gegenseitig mehr und mehr widersprechen.
Das macht es in der Konsequenz ausgesprochen teurer, und die Vorhaben ziehen sich ewig hin. Es will nicht (mehr) gelingen, alles unter einen Hut zu bringen.
Planen im Ausnahmezustand: Warum Großereignisse Bauvorhaben beschleunigen
Gewiss sind Gesetze, Normen, Verordnungen etc. in unserem Bau- und Planungswesen im Lauf der Zeit so komplex geworden, dass sie kaum mehr handhabbar sind. Selbst staatliche Auftraggeber, die ja entscheidend an ihrer Genese beteiligt waren, klagen dann darüber oder versuchen, sie zu umgehen. Nicht umsonst wurden ja bereits eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung vorgelegt. Aber ein schneller Ausweg zeichnet sich nicht ab.
Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Lösung immer wieder in der Schaffung von Ausnahmesituationen gesucht wird. Man fokussiert die Anstrengungen auf singuläre Großereignisse und bündelt Manpower, Fach- und Entscheidungskompetenz sowie finanzielle Ressourcen entsprechend.
(Was natürlich nur zu Lasten "normaler" Aufgaben geht, sei es den Erhalt einer Brücke, die Sanierung einer Schule oder den Neubau einer Kita.) Dafür aber braucht man einen geeigneten Aufhänger – und ein Label. Beliebt ist das Instrument einer Internationalen Bauausstellung (IBA), um ambitionierte Planungswünsche zu kanalisieren und politisch operabel zu machen.
Auch sportliche Großevents, insbesondere Olympische Spiele, geben ein schönes Vehikel ab, um den Wohnungsbau anzukurbeln oder den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu forcieren.
Der Wille zum Konsens fehlt: Es braucht neue Ansätze
Angesichts dessen lenkt die Klage, die Planungsinstrumente seien überbürokratisiert, vom Problem ab. Die gewünschten oder notwendigen Dinge in der Entwicklung der Städte geschehen nicht deshalb nicht, weil die Instrumente fehlen, sondern weil der Wille oder der Konsens fehlt. Hier braucht es neue Ansätze – und eine andere Mentalität.
Denn bei solchen urbanistischen Vorhaben geht es immer auch darum, unerwartete Situationen zu bewältigen und den Mut zu besitzen, ohne hundertprozentige Erfolgsgarantie zu agieren. Doch die Bereitschaft, Fehler zu machen und offen damit umzugehen, ist unterentwickelt. Auch institutionell.
Lieber sich hinter Paragrafen verschanzen und rechtskonforme Bescheide verschicken, statt in einen Aushandlungsprozess auf Augenhöhe zu treten. Ähnlich bei den Kosten: Da wird nicht gemeinsam nach preisgünstigeren Alternativen gesucht, sondern stur die bisherige Planung verfolgt und der schwarze Peter hin- und hergeschoben. Dass es dann dauert, bis man zu Potte kommt, kann da nicht überraschen.
Freilich gibt es hier auch keine einfachen Antworten. Eine offene, konsensorientierte Planung stößt auf unüberwindliche Grenzen, wenn machtvolle Interessen im Spiel sind. Und ein "aufgeklärter Absolutismus", den so mancher Entwerfer insgeheim herbeibetet, ist weder realistisch noch wünschenswert.
Zwar mag es in Nordkorea, in China oder in Russland besser gelingen, Bau- und Planungsprojekte im Zeit- und Kostenrahmen zu halten. Aber kann ein auktoriales Durchpeitschen von Vorhaben ein Maßstab für unsere Gesellschaft sein?
Weil unsere Probleme aber nicht bloß eingebildet sind, muss man indes das hierzulande herrschende Prinzip über Bord werfen: Wer nichts macht, macht auch nichts falsch.