Bauernproteste gegen Dumpingpreise

Mit ihrer gigantischen Einkaufsmacht bringen große Handelsketten die kleinen Lieferanten in ihre Abhängigkeit. Lidl und Kaufland, Aldi, REWE und Edeka besitzen einen Marktanteil von mehr als 85 Prozent

Treckerblockaden vor den Zentrallagern von Aldi und Lidl, Trecker in langen Schlangen vor dem Kanzleramt - immer wieder zogen Proteste von Bauern in den letzten Wochen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Organisiert werden sie vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Meistens geht es um das Eine: höhere Preise für Milch, Geflügel, Rind- und Schweinefleisch.

So auch Ende Dezember, als Landwirte mit ihren Treckern das Aldi-Zentrallager in verschiedenen Orten Niedersachsens blockierten, um zu verhindern, dass Lastwagen mit Waren zum Aldi-Lager an- und abfahren konnten.

Preissenkungen

Protestiert wurde auch in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein: Im Landkreis Leer kamen rund 500 Traktoren zusammen. Der Grund waren geplante Preissenkungen durch Aldi Nord für Butter bis zu 60 Cent pro Kilo. Üblicherweise werden die Preise zum Jahresende um 10 bis 20 Cent gesenkt. Dank intensiver Gespräche zwischen Aldi-Vertretern und Bauern fiel die Preissenkung dann doch etwas niedriger aus als geplant. Darüber hinaus versprach der Konzern, seine Milch nur noch von deutschen Landwirten zu beziehen, denen sie außerdem mit langfristigen Verträgen mehr Planungssicherheit geben will.

Vielen kleinen Lieferbetrieben steht ein stark konzentrierter Handel gegenüber. Deshalb können Händler den Erzeugern ihre Bedingungen diktieren. Das hat zur Folge, dass die Preise immer weiter in den Keller abstürzen. Viele Bauern können das Futter für ihre Tiere nicht mehr bezahlen. Selbst Julia Klöckner fiel das massive Ungleichgewicht auf. Doch außer markigen Worten hatte die Ministerin dem bisher nichts entgegenzusetzen.

Nun aber soll ein neues Gesetz die Marktposition von Bauern und kleineren Lieferanten gegenüber den großen Konzernen stärken: Das plötzliche Stornieren von bestellten, leicht verderblichen Lebensmitteln oder einseitige Änderungen von Liefer- und Zahlungsbedingungen soll verboten werden. Weiterhin dürfen leicht verderbliche Produkte nicht später als bis 30 Tage nach der Lieferung bezahlt werden. Zudem sollen Lieferanten nicht mehr für das Einlagern ihrer Erzeugnisse bei den Händlern zahlen müssen. Bei Verstößen drohen Geldbußen - immerhin bis zu 500.000 Euro.

Während der Bauernverband die Neuregelungen begrüßt, warnt der Handelsverband Deutschland (HDE) vor einer "Überregulierung des Wettbewerbs", denn dieser könne zu höheren Verbraucherpreisen führen. Allerdings sind es in der Regel die verarbeitenden Betriebe, die den Preisdruck an die Landwirte weitergeben. Denn die Hauptabnehmer landwirtschaftlicher Produkte sind Molkereien, Schlachthöfe und Mühlen.

Nur wenige Landwirte haben ein direktes Vertragsverhältnis zu ihren Händlern. Deshalb bezweifeln viele Milchbauern, ob sie von der Gesetzesänderung überhaupt profitieren werden. Sollen die Verhandlungspositionen der Landwirte gestärkt werden, müsse Julia Klöckner die gesamte Lebensmittellieferkette in die Pflicht nehmen, nicht nur den Handel, fordert Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen.

Mit dem neuen Gesetz werde nur primär die Position der verarbeitenden Lebensmittelindustrie gegenüber dem Einzelhandel verbessert, kritisiert auch der HDE. Ob die finanziellen Vorteile bei den Erzeugern ankommen, sei zu bezweifeln.

Gemüsebauern sind für den Handel austauschbar

Direkte Geschäftsbeziehungen zwischen Erzeugern und Lebensmitteleinzelhandel gibt es hingegen beim Obst und Gemüsebau. Wegen ihrer gigantischen Einkaufsmacht bringen große Handelsketten die kleinen Lieferanten in ihre Abhängigkeit. Denn Produzenten dürfen nur zu den Bedingungen liefern, die die Händler ihnen diktieren.

Zum Beispiel müssen Gemüsebauern über jährliche Boni- und Konditionsvereinbarungen der Handelskette zusätzlich vertraglich fixierte Anteile ihres Jahresumsatzes zahlen. Weigern sie sich, drohe ihnen die Auslistung, klagt ein Gemüsebauer. Er und seine Kollegen seien zu Bittstellern am Telefon verkommen. Egal ob REWE, Edeka, Lidl oder Aldi - er spreche nur noch mit anonymen Einkäufern oder Vermittlungsgesellschaften.

Die vier größten Supermarktketten - die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, der Discounter Aldi sowie REWE und Edeka - besitzen einen Marktanteil von mehr als 85 Prozent. Da werde sich ein Lieferant gut überlegen, ob er einen wichtigen Kunden anzeige, erklärt Achim Spiller, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Landwirtschaftsministerium.

Außerdem sind die Händler sehr kreativ darin, sich immer neue Klauseln auszudenken. Mit dem neuen Gesetz werde nur primär die Position der Lebensmittelindustrie gegenüber dem Einzelhandel verbessert, kritisiert der HDE. Es sei zu bezweifeln, ob die verarbeitende Industrie finanzielle Vorteile mit den Erzeugern teilen werde.

Wegen der hohen Konzentration im Lebensmittelhandel hätten die Handelsketten eine große Verantwortung zu tragen, konstatierte die Bundeskanzlerin und forderte den Handel dazu auf, stärker auf regionale Erzeugung zu setzen. Staatliche Mindestpreise lehnte sie ab. Stattdessen verwies sie auf gesetzliche Regelungen, die das Dumping unterhalb des Produktionspreises verbieten. Nötig sei mehr Transparenz.

Lebensmittel können im Handel nicht billiger sein, als ihre Herstellung gekostet habe, kritisiert auch die ehemalige Landwirschaftsministerin Renate Künast. Sie fordert "Leitplanken" in der Preissetzung. Unterdessen kündigte Ministerin Klöckner gesetzliche Regelungen für einen fairen Handel zwischen Supermarktketten und Landwirten an. Bei Zuwiderhandlungen sollen die großen Handelsketten sogar sanktioniert werden - mit Geldstrafen oder Abmahnungen.

Billig-Preispolitik beim Schweinefleisch

Auch im Norden Bayerns und in Baden-Württemberg kam es im Dezember 2020 an diversen Orten zu Protesten, die sich vor allem gegen Aldis Billig-Preispolitik für Milch und Fleisch richteten. Hunderte Trecker verstellten die Aldi-Zentrallager an mehreren Orten im Landkreis Regensburg.

Einerseits verlange Aldi höchste Standards, andererseits werde billigstes Fleisch aus anderen Ländern importiert, lautete die Kritik. Diese Importe stünden im krassen Widerspruch zu dem Vorwurf an die Landwirtschaft, sie würde Überschüsse produzieren.

Milchbauern würden immer neue Auflagen gemacht, die sie dann zu Weltmarktpreisen erfüllen sollten. Man wolle sich an der inhaltlichen Ausgestaltung eines freiwilligen Verhaltenskodex für die gesamte Wertschöpfungskette beteiligen, gab Aldi bekannt.

Auch Lidl, Rewe und Kaufland kündigten im Dezember an, ihre Einkaufspreise für Schweinefleisch erhöhen zu wollen. Man wolle Preise zahlen, die dem Marktniveau vor Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest entsprechen und auf eine langfristige und nachhaltige Stärkung der heimischen Landwirtschaft setzen, kündigte Rewe an. Die Preiserhöhung kam, allerdings nur für wenige Wochen.

Anfang Februar machten Lidl und Kaufland die Preiserhöhungen wieder rückgängig. Der Markt sei dem Preissignal nicht gefolgt, argumentierte ein Lidl-Vertreter. Um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, müsse man sich im Schweinepreissegment wieder dem aktuellen Marktniveau anpassen, hieß es.

Nachdem der große "Schweinestau" zum Ende letzten Jahres die Bauern stark belastet hat, werden inzwischen nicht nur weniger deutsche Ferkel gezüchtet, auch die Importe von Ferkeln bzw. Schlachtschweinen aus Dänemark, Belgien und den Niederlanden haben sich reduziert: Sei September letzten Jahres kamen wöchentlich etwa 40.000 Ferkel weniger aus Dänemark und den Niederlanden nach Deutschland.

Hierzulande standen im Januar immer noch eine Million Schweine zu viel in den Mastställen. Zwar laufen die Schlachtbetriebe wieder auf vollen Touren, doch wegen der hohen Schlachtgewichte der Tiere werden die Schlachtlinien nicht nur stärker belastet als sonst, sie sind auch störungsanfälliger.

Eingeschränkte Absatzmöglichkeiten

Der Überhang werde allmählich abgebaut, erklärte die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). Für bessere Preise fehlen allerdings die Exportmöglichkeiten. Wegen der Afrikanischen Schweinepest (ASP) und Corona gilt in China zwar immer noch ein Importstopp für Schweinefleisch. Dafür gelten Südkorea, Japan und Vietnam nun als vielversprechende Kandidaten für Absatzmärkte.

Unterdessen bauen die Chinesen mit Hilfe staatlicher Unterstützung ihre Schweinebestände schneller auf als erwartet. Neuerdings bauen chinesischen Mäster in der Nähe von Metropolen mehrstöckige Hochhäuser, in denen sie bis zu 150.000 Schweine unterbringen. Falls der Weltmarkt mit chinesischem Schweinefleisch überschwemmt werden sollte, wird sich dies entsprechend negativ auf die Preise auswirken.

In Deutschland haben sich die Preise für ein Kilogramm Schweinefleisch innerhalb eines Jahres auf 1,19 Euro pro Kilogramm halbiert. Je länger die Schweine in den Ställen stehen, desto weniger Geld bringen sie ihren Besitzern. Denn für Schweine, die zu schwer oder zu alt sind, gibt es dem Verband zu Folge zum Teil nur 80 Cent pro Kilogramm.

In Sachsen werde die Mehrheit der Schweinehalter in Existenznot geraten, befürchtet der Präsident des Landesbauernverbandes im Januar. Als Grund dafür nennt er den Mangel an Schlachtbetrieben. Um unabhängiger von Konzernen wie Tönnies zu werden, strebt der Verband den Aufbau eines eigenen Schlachthofs im Freistaat sowie mehrere mobile Schlachtstätten an. Es soll eine "enge Verzahnung zwischen den Landwirten als Erzeuger sowie Schlachtung und Weiterverarbeitung" geben.

Ziel sei der Aufbau einer sächsischen Wertschöpfungskette, neben mehr Tierwohl, weniger CO2-Ausstoß beim Transport und möglichst kurzen Wegen. So weit, so gut. Allerdings will der Landesbauernverband auch juristische Schritte gegen die sächsische Düngeverordnung prüfen - vermutlich, um den Weg für große Schweinemastanlagen frei zu machen.

Im vergangenen Jahr hatte der Bundesrat beschlossen, die Düngeregeln für deutsche Bauern zum Schutz des Grundwassers vor Nitratbelastung weiter zu verschärfen.

Weniger Tiere bei höheren Preisen

Ihre Probleme haben sich die Bauern zu einem großen Teil selber zuzuschreiben, kritisiert Foodwatch Deutschland. Ihre eigene einflussreiche Lobby habe sie in den ruinösen Preiswettbewerb getrieben, den sie jetzt beklagen.

Da ist was Wahres dran. Zum einen können Schweinemäster mit den geringen Erlösen ihre Kosten nicht annähernd decken. Zum anderen: Sind die Bestände zu groß, produzieren sie zu viel Gülle. Damit stehen die Mäster wieder vor der Frage: Wohin mit den nitrathaltigen Güllemengen? So lange Tierhaltung nicht mit dem Schutz der Umwelt vereinbart werden kann, sind Konflikte vorprogrammiert. Ein Lösungsansatz wäre, die Tierzahl zu verringern, weniger Gülle zu verursachen und gleichzeitig die Schlachtpreise je Kilo zu erhöhen.

Auf massives Betreiben der Agrarlobby werde die verfehlte Agrarpolitik der EU auch in den nächsten Jahren so weitergehen, befürchtet Andreas Winkler, Pressesprecher von Foodwatch. Mit Hilfe von Steuergeldern wird billig für den Weltmarkt produziert - ungeachtet dessen, wie groß die Umweltschäden sind, wie sehr Tiere leiden und wie viele bäuerliche Existenzen zerstört werden.

Mit Billig-Agrarexporten aber wird es niemals eine nachhaltige Landwirtschaft mit fairen Preisen geben. Höchste Zeit, dass die Bauern sich gegen die fehlgesteuerte Agrarpolitik effizient zur Wehr setzen.