Bayern: Computational thinking im weltweiten Leuchtturm

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Nur ein kleiner Schritt vom Totalausfall bis zum Größenwahn: Kommentar zu den bayerischen Plänen zur Digitalisierung der Schulen. Deutschlandweit ist neben der Verlängerung des Lockdowns offenbar vor allem Distanzunterricht geplant

"Laptop und Lederhose" waren die Schlagworte, mit denen Bayern in die digitale Zukunft aufbrach, damals, als man noch von "digitalen Superhighways" redete. Die Zeiten für solche Metaphern sind vorbei, der grundlegende Anspruch blieb: Den Traditionen treu bleiben, die identitätsstiftende "Lederhose" nicht ausziehen, mit modernen Geräten Erfolg haben und damit Weltoffenheit zeigen.

So ist es kein Zufall, dass der neue Vorstoß aus Bayern für die digitale Bildungspolitik federführend von Alexander Dobrindt lanciert wird, der Anhänger einer "konservativen Revolution" ist. Jetzt will Dobrindt eine Bildungsrevolution. Der PR-Spagat zwischen konservativen Werten und Aufbruch in die Smart-Phone-Tablett-Welt ist jedoch nicht mit einem netten Instagramm-Bild von Jungbayern in Biergarten- oder Oktoberfesttracht und iPhone erledigt - besonders, wenn es um die Schule geht und so vieles schief läuft.

Große Ambitionen

"Corona war die Betriebsprüfung für unser Bildungssystem und hat die Stärken, aber auch die Schwächen offen gezeigt. Wir wollen 2021 zum Jahr der Bildung machen und unser Bildungssystem ambitioniert weiterentwickeln - nach der klaren Maßgabe: moderner, flexibler, digitaler", zitiert die Welt am Sonntag aus einem Papier zur Bildungspolitik der CSU-Landesgruppe im Bundestag, die Alexander Dobrindt leitet. Das Papier liegt der WamS nach deren Angaben exklusiv vor.

Die Veröffentlichung der Auszüge kommt zeitgerecht, denn am heutigen Montag treffen sich die Kultusminister zur Beratung über das weitere Vorgehen und die konservative bayerische Regierung, die ebenso wie der FC Bayern bei der Welt viel Sympathie hat, will da den Ton angeben, hält man sich doch für den deutschen Meister der Bildungspolitik.

Dass man in Bayern sehr viel auf Ambitionen gibt, ist unübersehbar; weniger deutlich ist, wie man die Ambitionen umsetzt. Böse Zungen behaupten, dass sie im Grunde vor allem auf möglichst strenge Benotung, viel Hausaufgabenfleiß und die Wertschätzung traditioneller Fächer hinauslaufen. Was ist demgegenüber mit Dobrindts klarer Maßgabe "moderner, flexibler, digitaler" gemeint?

Hier wartet das Papier der CSU-Landesgruppe mit tatsächlich neuen Vorschlägen auf. Es soll ein "neuer Fächerkanon" eingeführt werden: Für ganz Deutschland soll es "flächendeckend die Fächer Programmieren und digitale Wirtschaft geben".

Robotik, Grundzüge des Programmierens und das Erlernen von "Computational Thinking"

Dazu sollen neue Lehr- und Lernmethoden als fester Bestandteil des Unterrichts implementiert werden. Hatte Ministerpräsident Söder vor einigen Wochen schon seine Begeisterung für YouTube-Tutorials als praktische Orientierung für einen digitalen Unterricht durchscheinen lassen, so sollen nun auch Computerspiele ins Lehr-Repertoire aufgenommen werden.

Serious Games sollen genauso selbstverständlicher Unterrichtsinhalt werden, "wie Robotik, Grundzüge des Programmierens und das Erlernen von 'Computational Thinking', zu deutsch etwa 'informatisches Denken'", zitiert die Sonntagszeitung aus dem CSU-Paper.

Untermauert wird die digitale Bildungsoffensive mit dem Versprechen einer besseren Ausstattung. Jede Schule soll eine eigene IT-Fachkraft zur Systemintegration haben, "damit Smartboard, Tablets und Robotik-Unterricht immer funktionieren". Ob eine IT-Fachkraft genügt, damit der ganz große ambitionierte, deutschlandweite Plan reibungsfrei umgesetzt werden kann?

Die bundesweite Bildungscloud - auf dem Weg zur Exzellenz

Das große CSU-Projekt ist eine bundesweite Bildungscloud sowie eine digitale Plattform mit Videokonferenz-, Lernmanagement- und geeigneten Serversystemen für das digitale Lernen. Und das soll ambitioniert schnell vorangehen - "mit klaren Zeitvorgaben". Getragen wird das Ganze von einer Idee der Exzellenz, wie am CSU-Wunsch einer Universitätsklinik des Bundes deutlich wird, die ebenfalls in dem Bildungspapier der Landesgruppe als Ziel auftaucht:

Medizinische Exzellenz ist keine Frage des Prestiges, sondern der Daseinsvorsorge. Deshalb wollen wir eine Bundesuniversitätsklinik gründen, die ein weltweiter Leuchtturm für medizinische Forschung, Lehre und Behandlung wird.

Papier der CSU-Landesgruppe, WamS

Die CSU prescht also fleißig mit ehrgeizigen Vorschlägen voran. "Wer ko, der ko?", auf Deutsch: "Wer kann der kann?"

So einfach ist das nicht. Das digitale Lernsystem Mebis ist abgestürzt. Wer das Chaos auf den Schulen in Bayern vor Weihnachten mitbekommen hat, die ungelöste Frage, wie es nun weitergehen soll, wer mitbekommen hat, wie schwer sich Lehrer und Schüler damit getan haben, den ausgefallenen Lehrstoff nach dem ersten Lockdown im Frühjahr wieder nachzuholen und gesehen hat, wie die situativ unangemessen hohen Standards bei der Bewertung von Klausuren und anderen Prüfungen trotz der Lernlücken und der Versprechungen vonseiten der Regierung starr beibehalten wurden, der muss Zweifel daran haben, wieviel reale Substanz hinter den Ankündigungen steckt.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass es in anderen Bundesländern ebenfalls massive Probleme mit Schulplattformen gab.

Mebis: Der Digital-Turbo schwächelt

Die Lernplattform des Schulnetzwerks Mebis ("Medien-Bildung-Service") gilt eigentlich als sehr gute Moodle-Plattform und ist mit über einer Million Nutzerinnen und Nutzern auch ein sehr großes Netzwerk. Seit 2012 in einer Pilotphase im Einsatz und ab 2014 auf interessierte staatliche Schulen ausgedehnt, bietet sie zusätzlich zum Lernangebot eine umfassende Mediathek mit geklärten Urheberrechten, ein Prüfungsarchiv und Kurse für Lehrkräfte.

Als Mebis vor den Weihnachtsferien wegen Überlastung immer wieder abstürzte, war das Entsetzen groß. Der von Ministerpräsident Söder (CSU) angekündigte Digital-Turbo schwächelte sichtbar. Matthias Fischbach, bildungspolitischer Sprecher der FDP im bayerischen Landtag, der bereits Anfang Oktober Kritik an der Durchführung der Digitalisierung geübt hatte, sagte: "Lehrermangel, Digitalisierungsdefizite, Kommunikationschaos: Bayerns Bildungspolitik krankt am Missmanagement des bayerischen Kultusministeriums."

Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) versprach Besserung, verwies in einem Interview mit dem BR aber auch auf Anbieter wie Microsoft als Alternative:

Wir haben ja die letzten Wochen und Monate die Variationsbreite betont. Dass man nicht auf ein einziges Tool setzt. Mit Technik kann es auch mal Probleme geben. Man muss sich breit aufstellen, natürlich mit Mebis, aber auch MS Teams und Andere. Das machen auch schon die meisten Schulen.

Michael Piazolo

Markus Söder setzte Piazolo den 11. Januar als Deadline: Bis dahin müsse es klappen mit dem Distanzunterricht per Mebis. Der Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl, wiederum konterte, dass die CSU durchaus mitverantwortlich gemacht werden könne für Pannen bei der Digitalisierung der Schule: Die Partei hat immerhin mehr als 60 Jahre das Bildungsministerium gestellt.

Dazu kommt, dass der Anspruch Bayerns mit den Kompetenzen der anderen Länder im Konflikt liegt. Es wäre ein Wunder, wenn der Führungsanspruch der Bayern in Sachen Bildungspolitik einfach so akzeptiert wird.

Vorläufige Ergebnisse der Kultusministerkonferenz

Bei der heutigen Kultusministerkonferenz (KMK) sprachen Bildungs- und Kultusminister der Länder in einer Videoschalte über die Corona-Schulstrategie in den nächsten Wochen. Ob Präsenz-Fern-Wechsel-Hybridunterricht oder Verlängerung der Ferien. Und wie geht man bei Grundschulen und Abschlussklassen vor? Für all dies galt es eine gemeinsame Empfehlung zu finden.

Über die genaue Umsetzung werden morgen die Kanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten entscheiden. Medienberichten zufolge sollen die Corona-Maßnahmen für den Einzelhandel, für Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie die derzeit geltenden strengen Kontaktbeschränkungen bis 31. Januar verlängert werden.

Laut Tagesschau-Live-Blog haben sich die 16 Kultusministerinnen und -minister für einen Stufenplan für die Öffnung der Schulen ausgesprochen.

In der ersten Stufe die Schüler der Klassen eins bis sechs wieder in die Schulen gehen, soweit es die Situationen in den einzelnen Ländern zulassen. Die anderen haben Distanzunterricht. In Stufe zwei soll es dann ergänzenden Wechselunterricht für Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden und beruflichen weiterführenden Schulen ab Jahrgangsstufe 7 geben. Erst eine dritte Stufe sieht die vollständige Rückkehr eines Präsenzunterrichts für alle Schüler vor.