Bayern: Die Leichenkeller des Wunderlandes

Markus Söder auf dem CDU Parteitag 2019 in Leipzig. Bild: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu) / CC BY-SA-3.0

Bayern-Saga: Wie man am eigenen Erfolg scheitert - Teil 12

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Söder: Vollstrecker Stoibers?

Beim Zurückblicken auf die Erfolgsgeschichte Bayerns könnte es zu deren Scheitern in der unerbittlichen Sackgasse jedes kapitalistischen Wachstums einmal heißen: "Immer wenn etwas kaputt ging, kam der Söder und hat es dann ganz kaputt gemacht".

Im Verlauf der "Corona"-Pandemie hat S. ohne Zweifel durch sein autoritäres Gehabe mit Nichtwissen, Versagen, Drohungen und Verboten dafür gesorgt, dass manche immer lauter darüber diskutieren und immer mehr Fachleute darüber schreiben, dass das "Virus" für manche ein hoch willkommener Vorwand und Anlass war und ist, ihre Interessen durchzusetzen.

Waren doch die Faktoren für das Zerreißen der globalen Wertschöpfungs- und Verwertungsketten, für Arbeitslosigkeit und Lohnsenkung, für Steuer- und Sozialbeitragsdruck, für Mietenexplosion, für die Zerstörung der Urlaubserholung, der Gesundheitsversorgung, des Bildungswesens, des Familienlebens und des Alltags schon erkennbar gewesen, als es die irritierenden Bilder von Bergamo noch nicht gegeben hat.

Die Kollateralschäden des herrschenden Wachstumsmodells, das der langzeitige Ministerpräsident Stoiber ja zu einer regelrechten "Religion" erklärt hatte, wären auch bei einem anderen als dem derzeitigen Bayernpräsidenten Söder und seinem Kabinett entstanden. Aber nur er, M. Söder, der laut Wikipedia außer einem Jurastudium nichts vorzuweisen hat als 3 Jahre Volontariat und Redakteurslehre beim Bayerischen Rundfunk, hat es mit seinem vor allem durch Körpergröße geprägten Politikstil besonders gut verstanden, die auch durch Zuwanderung aus anderen Bundesländern klüger gewordenen "Bayern" gegen das Münchner "Ancien Regime" aufzubringen.

Leichenkeller an der Südostgrenze: Altötting

Stoibers in der Fachwelt belächeltem, seinem Jurastudium geschuldetem und seinem bestenfalls naivem Verständnis der politisch-ökonomischen Eigenheiten von kapitalistischem "Wachstum" muss das so genannte bayerische Chemiedreieck im Raum Inn-Salzach an der Grenze zu Österreich als eine Art industrielles Naturwunder erschienen sein - wenn er es überhaupt jemals wahrgenommen hat.

Schon drei Jahrzehnte vor der Rüstungsindustrialisierung Bayerns durch das Dritte Reich war im Inn-Salzach-Raum, angetrieben durch den Chemie-Konzern Wacker, ein Petrochemie-Cluster mit heute 18 Unternehmen, 20.000 Beschäftigten und 10 Mrd. Euro Umsatz jährlich entstanden.

AlzChem in Hart an der Alz. Bild: TP

Dass solches "Wachstum" aber auch ökologische und soziale Kollateralschäden mit sich bringt, haben erst Ende 2006 Umweltaktivisten und Umweltaktivistinnen dort aufgedeckt.

Die sich daraus entwickelnde heftige öffentliche Auseinandersetzung über die verheimlichten Gefahren der Chemieindustrialisierung Bayerns fiel exakt in die Amtszeit von Markus Söder als "Staatsminister für Umwelt und Gesundheit" unter Horst Seehofer.2 Zu einer soliden Lösung des Problems der Wasservergiftung im Chemiedreieck, das bis heute weiterbesteht und gegen das die Regionalbevölkerung weiter protestiert, hat M.S. freilich nichts beigetragen. Statt dessen gibt es , jeweils mit einigen Jahren Abstand, weiterhin Schreckensmeldungen über die Wasser- und Blutschäden in der Inn-Salzach Region.3

OMV-Rafinerie in Burghausen. Bild: TP

Die in dieser Serie schon mehrfach zitierte Studiengruppe für Sozialforschung e.V. war es, die bereits ab dem Jahre 2006 über die auffällig niedrigere Lebenserwartung, über erhöhte Krebssterblichkeiten und über erhöhte Erkrankungshäufigkeiten im Chemiedreieck informieren konnte - dank des Beratungsauftrages eines Krankenhauskonzerns, der sich für die Kommunalkrankenhäuser in Altötting und Burghausen interessierte.4 Söders Mann vor Ort war damals der Altöttinger Landrat Erwin Schneider, der aber nicht mit sachlichen, sondern mit persönlichen Argumenten die Epidemiologen des zitierten Institutes mundtot machen wollte. Inzwischen musste dieser Herr "Landrat" eine saftige Geldstrafe für die ordinäre Beleidigung von anderen Umweltaktiven bezahlen.

Und Söder, genau zum Aufflammen des Chemieskandals im Großraum Altötting "Staatsminister" für Umwelt und Gesundheit ? Unsichtbar, trotz 1,94 m Körpergröße.

Leichenkeller an der Isar: München

Als phänotypischen "Kollateralschaden" der vom seinerzeitigen Ministerpräsidenten Bayerns Edmund Stoiber dogmatisierten Exportmeisterschaft hat der renommierte Politikökonom Martin Höpner die in Stoibers Residenzstadt München spätestens seit der weltweiten Immobilien-, Banken- und Finanzkrise ziemlich unerträglich gewordene Immobilien- und Mietenpreisexplosion diagnostiziert.5 Selbst wenn Stoiber Höpners vorzügliche Analyse je gelesen hätte: Verstanden hätte er sie vermutlich nicht. Dass Exportextremismus und Wohnungsversorgung sich finanzpolitisch, wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch gerade in Stoibers bevorzugten Metropolen nicht vertragen, hätte in seinem Akten- und Kästchendenken nicht untergebracht werden können.

In einer Stadt wie München, die jahrzehntelang, sozialdemokratisch regiert, auf Exportökonomie und Finanzökonomie fixiert war, mussten die Immobilien- und Mietenpreisausschläge und die damit verbundene Vertreibung der arbeitenden und der versorgenden Bevölkerung aus der Stadt die Wand zeigen, vor der das Münchner "Wachstum" gelandet war. Zwar lag auf dem Höhepunkt der Immobilien-, Banken- und Finanzkrise des vergangenen Jahrzehnts der Anteil der Sozialleistungsempfänger an der Münchner Bevölkerung niedriger als in vergleichbaren Städten - wegen der hohen Lebenshaltungskosten, insbesondere der hohen Mietkosten musste die Landeshauptstadt wegen der dort gleichzeitig niedrigen Renten besonders hohe Zuzahlungen für die wachsende Zahl Älterer in Armut aufbringen.6

Ministerpräsident Horst Seehofer und Staatsminister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat Markus Söder. Bild: Freud /CC-BY-SA-3.0

Am späteren "Staatsminister" u.a. für "Heimat" Söder gingen diese Zustände und Entwicklungen im Kellerabteil der bayerischen Metropole vorbei. Er exekutierte Stoibers Erbe durch ein Ignorieren von Stoibers Erben. Und der so genannte "Heimatminister" ging noch weiter: Anstatt die halböffentliche Wohnungsfirma GBW, die wegen des Landesbankdebakels verkauft werden musste, für die öffentliche Hand zurück zu kaufen, überließ Staatsminister M. S. diesen mietgünstigen Wohnungsbestand einer privaten "Patrizia AG". Diese wandelte dann die ehemaligen Miet- in Eigentumswohnungen um, erhöhte die Mieten drastisch etc. und löste damit einen bayernweiten Proteststurm aus.7

Statt in München in Nürnberg geboren und auf die Schule gegangen zu sein genügt, wie der Fall Söder zeigt, wahrlich nicht, für die ökonomischen und sozialen Probleme des Wachstums-Hotspot Bayern als "Heimat" kompetent zu sein. Was Stoiber hier kaputt gemacht hat, hat Söder wirklich ganz kaputt gemacht.

Von Söders Agitation gegen einen gesetzlichen Mindestlohn, gegen den Flächentarifvertrag und gegen feste Arbeitsverträge und von Söders Hetze gegen Hartz VI-Bezieher abgesehen8 - der Herr Fachminister hat den ganz großen Leichenkeller des wirtschaftlichen Wunderlandes Bayern, nämlich München, total verpeilt.

Es waren u. a. wieder die Forschungsstelle des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und wieder die Studiengruppe für Sozialforschung e.V., die aufgezeigt haben, wie die "positiven" ökonomischen Wachstumsfaktoren der Metropole München gleichzeitig deren "negative" soziale Krisenfaktoren verstärkt haben.9

Übersicht: Die Struktur der Sozialtransfers in der Landeshauptstadt München im Jahr 1986
Institutuon (*) Anteile an allen Sozialtransfers in Prozent
Rentenversicherung 30,6
Kankenversicherung 26,4
Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung 11,0
Beamtenvorsorge 5,4
Arbeitgeber-Entgeltfortzahlung 4,8
Sozialhilfe 2,6
Allgemeine Dienste und Leistungen für soziale Zwecke (1) 2,4
Unfallversicherung 2,4
Soziale Entschädigung 2,2
Zusatzversorgung 1,9
Beamten-Familienzuschläge (4) 1,6
Kindergeld 1,5
Beamten-Beihilfen (4) 1,3
Ausbildungsförderung 1,0
Sonstige Arbeitgeberleistungen 1,0
Betriebliche Altersvorsorge 0,9
Zuschüsse für soziale Zwecke (2) 0,7
Jugendhilfe 0,5
Wohngeld 0,5
Versorgungswerke 0,5
Erziehungsgeld 0,2
Lastenausgleich 0,2
Vermögensbildung 0,2
Sonstige Soziale Leistungen (3) 0,08
Wiedergutmachung 0,08
Sonstige Beihilfen und Unterstützungen (5) 0,008
Sonstige Entschädigungen 0,007
Altershilfe für Landwirte 0,001
*) Ohne Sozialtransfers der freien Wohlfahrtspflege
1) Nur Landeshauptstadt München. Personal- und Sachaufwendungen für soziale Maßnahmen, Einrichtungen und Verwaltungsdienste einschließlich öffentlicher Gesundheitsdienst sowie Personal- und Sachaufwandserstattungen an Träger sozialer Maßnahmen und Einrichtungen. Es wird angenommen, dass die Maßnahmen, Einrichtungen und Verwaltungsdienste ausschließlich von Einwohnern der Landeshauptstadt München beansprucht werden.
2) Nur Landeshauptstadt München. Es wird angenommen, dass die Zuschüsse für soziale Zwecke Maßnahmen, Einrichtungen und Verwaltungsdiensten zugute kommen, die ausschließlich von Einwohnern der Landeshauptstadt München beansprucht werden.
3) Nur Landeshauptstadt München. Es wird angenommen, dass die Leistungen von Einwohnern und Besuchern der Landeshauptstadt München beansprucht werden.
4) Enthalten sind auch Aufwendungen der Landeshauptstadt München. Bei den Beamten-Familienzuschlägen bestehen leichte Doppelzählungen im Bereich der Personalaufwendungen für soziale Maßnahmen, Einrichtungen und Verwaltungsdienste, d.h. im Bereich Allgemeine Dienste und Leistungen für soziale Dienste. Bei Beamten-Beihilfen bestehen leichte Doppelzählungen im Bereich der Sonstigen Beihilfen und Unterstützungen.
5) Nur Landeshauptstadt München.

In diesem Zusammen wurde für eine der westdeutschen Metropolen, eben die Landeshauptstadt München, ein regionales Sozialbudget errechnet. Aus diesem konnte erstmals ersehen werden, welche Rolle die auch aus Rest-Bayern nach München fließenden "Sozialtransfers" für das Wachstum dieser Stadt gespielt haben und spielen, aber auch die dort Armen zu noch Ärmeren machen.10

Leichenkeller in der Stadtmitte: Staatskanzlei

Der Wikipedia-Text zur Persönlichkeit und zum Politikstil von Markus Söder lässt ihn allein schon bei Betrachtung der Vielzahl und Beliebigkeit rasch gewechselter Ministerämter bei gleichzeitig dürftigsten Fachvoraussetzungen in erster Linie als Opportunisten, weniger als Populisten, wie seine parteiinternen, kirchlichen und eher konservativ-bürgerlichen Kritiker behaupten, erscheinen.

Politische Mega-Pannen wie die missglückte Kruzifix-Kampagne oder der verfahrene Virustest-Aktionismus strahlen nicht gerade die Authentizität aus, die der von Söder hochbewunderte Franz-Josef Strauß auch bei volksnahen Bierzelttiraden nicht vermissen ließ. Dies könnte jedoch, ebenso wie die verräterische Vorliebe des Mauerersohnes Markus Söder für eine Faschingsverkleidung als "König" Ludwig oder das Treffen mit der Nochkanzlerin Merkel in Schloss Herrenchiemsee in den Papierkorb - wenn da nicht die, allerdings schrumpfende, Zustimmung zu Söders Feldwebelpolitik in Sachen "Corona" wäre.

Zu den Charakteristika des wirtschaftlichen Wachstumserfolges Bayerns gehören eine kaum zu bremsende Spreizung zwischen den Wachstumsräumen München-Oberbayern und Nürnberg-Fürth-Erlangen einerseits und der Problemzone Nord- und Ostbayern andererseits. Die Studiengruppe für Sozialforschung e.V. hat bereits in ihrem 2008 veröffentlichten Männergesundheitsbericht für Bayern vor dem Hintergrund der damals auf dem Höhepunkt befindlichen Immobilien-, Banken- und Finanzkrise diagnostiziert: "Bayern: Ein männergeprägtes Wachstumsmodell läuft aus" und dabei auch die psychischen und physischen Belastungen dieser Krise gerade für die Männerbevölkerung erörtert.11

Die in den Fachmedien schon seit bald zwei Jahren diskutierte nächste Großkrise versetzt Männer wie Frauen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in verdrängte Angstzustände. Die damit verbundene Suche nach Schutz, verbunden mit Bereitschaft zur Unterwerfung, ist für Opportunisten wie den gegenwärtigen Ministerpräsidenten Söder eine regelrechte "Nährlösung".

Die damit verbundene zumindest zeitweilige Stärkung gerade einer sich selbst kaum wieder erkennenden Christlich-Sozialen Union ( z.B. "Dr." Scheuer !) kostet allerdings einen enormen Preis: Bereits im Jahr 2007 hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Indikatoren entwickelt, erhoben und ausgewertet. Aus der gebietlichen Streuung dieser Indikatoren leitet das Institut die Zukunftsfähigkeit der Regionen in Deutschland ab. Das Institut geht davon aus, dass in den sich entwickelnden Wissensgesellschaften Wohlstand zunehmend aus Know-how und Intelligenz, abnehmend aus Rohstoffen und Massenprodukten gewonnen wird. Gleichzeitig mache die globale Vernetzung Offenheit gegenüber Neuem und Fremdem unerlässlich. Für seine Studie zur Zukunftsfähigkeit auch der deutschen Bundesländer benutzt das Berlin-Institut drei Oberkriterien: Talente, Technologie und Toleranz.12

An eben diesem Punkt wird deutlich, dass sich ein Ministerpräsident Söder mit seinem Kabinett für Bayern nicht rechnet. Der vom Vor-Vorgänger Stoiber schon ins Lächerliche getriebene und dann abgestrafte Techno-Dogmatismus ist gleichwohl ein Teil des Zukunftskapitals Bayerns. Die Gefahr ist real, dass Söders wissensarme Feldwebelpolitik in Sachen "Virus" Bayern gerade auf den Gebieten noch weiter schwächt, auf denen es schon jetzt aus Sicht des Berlin-Institut schlechte Karten hat - bei Bildung und Offenheit.

Das Berlin-Institut lässt keinen Zweifel daran, dass Bayern nur dann sein Potential an Technologie ausschöpfen kann, wenn es nicht nur nach München oder Nürnberg, sondern in die Fläche Talente und Kreative holen kann. Genau das wird aber durch Söder verhindert. Der Mann schadet dem Land und seinen Bürgern.

Nach der von Söder zu verantwortenden Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) Bayern mit seinen Bürgerrechtseinschränken scheint es so, als ob für den vormaligen Fachminister und jetzigen Ministerpräsidenten "Heimat" gleichgesetzt wird mit "Polizeirevier".

Albrecht Goeschel, Jahrgang 1945, lehrte an Hochschulen und Universitäten im In- und Ausland Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften. Lange Jahre Wissenschaftlicher Direktor der Studiengruppe für Sozialforschung e.V. Mitglied des Präsidiums der Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale. Berater von Ministerien, Organisationen und Unternehmen in Deutschland, Italien, Russland und Angola