Behinderte Menschen bei KI-Einführung im Betrieb oft vergessen
KI hält in deutschen Firmen Einzug – jedes fünfte Unternehmen nutzt sie bereits. Die Technik verändert Arbeitsabläufe grundlegend. Doch was bedeutet das für Menschen mit Behinderung?
Künstliche Intelligenz (KI) prägt den Firmenalltag immer stärker. Jedes fünfte Unternehmen nutzt KI-Technologien – ein Anstieg um acht Prozent innerhalb eines Jahres, meldet das Statistische Bundesamt Ende 2024.
Die Bereitschaft, KI im Unternehmen einzuführen, unterscheidet sich stark nach Unternehmensgröße. Während knapp die Hälfte der Großunternehmen (48 Prozent) bereits auf KI-Systeme setzt, sind es bei mittleren Unternehmen 28 Prozent und bei kleinen Unternehmen 17 Prozent.
Wie KI im Betrieb eingesetzt wird, zeigt die Haufe Akademie anhand von Beispielen. Mit Machine Learning (ML) analysieren Unternehmen große Datenmengen und entscheiden anhand dieser Daten:
- Dies kann die automatische Erkennung auffälliger Muster in Finanztransaktionen sein.
- Nachfrageprognosen für die Lagerhaltung können per KI in der Logistik erstellt werden.
- Generative KI führt zu Veränderungen im Marketing.
- Typische Einsatzgebiete sind die Erstellung von Produktbeschreibungen oder
- die automatisierte Erstellung von Schulungsmaterialien.
Die Neuerungen sind für die Belegschaften eine große Herausforderung. Besonders Schwerbehinderte werden bei der Planung der Technik oft vergessen. Ihre Teilhabe ist häufig gefährdet.
Herausforderungen und Teilhabe von Schwerbehinderten
Teilhabe bedeutet das Einbezogensein in eine Lebenssituation und spielt eine große Rolle im Behinderungskonzept der Weltgesundheitsorganisation WHO. Nach SGB IX werden Leistungen zur Teilhabe im Betrieb erbracht, um Beeinträchtigungen auszugleichen oder die gleichberechtigte Teilhabe zu fördern.
An Verantwortliche im Betrieb appelliert Arne Wettig, Geschäftsführer der "Pfennigparade – Business.inklusiv":
Führungskräfte fördern Transparenz zum Beispiel, indem sie den aktiven Dialog mit Mitarbeitenden suchen. Mitarbeitende wiederum können für mehr Transparenz sorgen, wenn sie ihre Bedürfnisse offen kommunizieren. Denn bei Menschen ohne und mit Behinderung gilt gleichermaßen: nur ein kommuniziertes Bedürfnis kann auch berücksichtigt werden.
Pflicht zur KI-Kompetenzqualifizierung
Am 2. Februar ist Artikel 4 der EU-Verordnung zur künstlichen Intelligenz (EU-KI-VO) in Kraft getreten. Unternehmen haben seitdem die Pflicht, Beschäftigte zur KI-Kompetenz zu qualifizieren.
Dies gilt im Übrigen unabhängig von der Unternehmensgröße – ob Start-up oder internationaler Konzern:
Arbeitgeber, die KI-Systeme einsetzen, sind verpflichtet, entsprechend ihrer verfügbaren Ressourcen und technologischen Möglichkeiten angemessene Maßnahmen zu ergreifen.
Dr. Manuela Rauch, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Nach Art. 3 Nr. 56 EU-KI-VO bezeichnet KI-Kompetenz "die Fähigkeiten, die Kenntnisse und das Verständnis, die es Anbietern, Betreibern und Betroffenen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Rechte und Pflichten im Rahmen dieser Verordnung ermöglichen, KI-Systeme sachkundig einzusetzen sowie sich der Chancen und Risiken von KI und möglicher Schäden, die sie verursachen kann, bewusst zu werden". Auch behinderte Menschen müssen diese Kenntnisse vermittelt werden.
Um ein Grundverständnis zu schaffen, aktuelle Entwicklungen und ethische Herausforderungen zu adressieren, sind kontinuierliche Qualifizierungsmaßnahmen notwendig. Insoweit sollten technische Inhalte ebenso vermittelt werden wie ethische Fragestellungen, die ein kritisches Denken der Mitarbeiter fördern".
Dr. Patrick Mückl, Raphael Hillus, Noerr Partnerschaftsgesellschaft
"Je früher Barrierefreiheit in der Entwicklung mitgedacht wird, desto leichter ist sie am Ende umzusetzen", fordert Rehadat, ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und gefördert vom Bundesministerium für Arbeit.
Arbeitsschutzgesetz und seine Vorgaben
Ergänzt wird dies um Vorgaben im Arbeitsschutzgesetz. Ziel des Arbeitsschutzes soll es sein, die Arbeitsbedingungen so auf die Arbeitsaufgabe bezogen zu planen und umzusetzen, dass der arbeitende Mensch die Tätigkeit ohne Schädigungen über ein Arbeitsleben hinweg ausüben kann.
Es ist notwendig, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Das bedeutet auch, Geduld und die Motivation zu haben, Mitarbeitende als Individuen kennenzulernen. Erst wenn mir die Stärken und Schwächen bekannt sind, kann ich als Führungskraft den optimalen Einsatz finden und Menschen weiterentwickeln.
Arne Wettig
Da rechtliche Vorgaben häufig umgangen werden, setzen Gewerkschaften auf Tarifverhandlungen. Einen Tarifvertrag zum Einsatz von generativer KI in Filmproduktionen haben Ver.di und die Schauspielgewerkschaft Bundesverband Schauspiel e. V. (BFFS) durchgesetzt.
Auch wenn nicht alle Folgen des KI-Einsatzes gelöst werden konnten: Einen maßgeblichen Schutz, mehr Mitbestimmung, die Pflicht zur Transparenz und auch finanzielle Kompensationen haben wir als Tarifansprüche gegen negative Folgen der Transformation in Filmproduktionen erreicht.
ver.di-Bundesvorstand Christoph Schmitz-Dethlefsen
Die Tarifregelung betrifft den Einsatz generativer KI-Modelle, die aus Trainingsdaten Muster erlernen und unter Einsatz von Algorithmen neue Inhalte erzeugen. "Diese Vereinbarung zu KI ist in Deutschland wohl die erste auf tariflicher Ebene überhaupt", ergänzt Heinrich Schafmeister vom BFFS.