"Bei der Dekarbonisierung der reichen Staaten spielen wir keine Rolle"
Industriestaaten treiben Verkehrs- und Energiewende voran. Die Ressourcen dafür stammen oft aus Ländern des Südens. Warum man den grünen Kapitalismus dort kritisch sieht. .
Grüner Kolonialismus oder Grüner Kapitalismus – für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Globalen Südens durch Industriestaaten gibt es unterschiedliche Begriffe. Gesichert werden soll durch diese Ausbeutung die Energiewende, mit der sich die Staaten des Globalen Nordens, d.h. die Länder mit der größten Umweltverschmutzung, so sehr brüsten. Denn Fakt ist: Die Energiewende erfordert Ressourcen, über die der Norden nicht verfügt, wie Lithium oder grünen Wasserstoff.
Obgleich Umweltschützer mit sozialem Bewusstsein die schwerwiegenden Folgen der Raubbau-Praktiken anprangern, schließen Regierungen und Konzerne stetig neuen Verträge ab. Selbst Länder, die in der globalen Geopolitik unüberbrückbare Differenzen aufweisen, gehen aufeinander zu und nehmen gemeinsame Geschäfte auf diesem Gebiet in Angriff.
Bei der Dekarbonisierung der wohlhabenden Staaten spielen wir keine Rolle, betonen indes diejenigen, die in den Ländern leben, in denen die Ressourcen abgebaut werden.
Lithium, auch "weißes Gold" genannt, ist eine solche wichtige Ressource für Batterien in elektronischen Geräten und für die viel diskutierte Energiewende, die durch den Krieg in der Ukraine und steigende Energiepreise beschleunigt wurde und die darauf abzielt, fossile Brennstoffe (wie Erdöl oder Erdgas) durch andere Brennstoffe zu ersetzen, die den Ausstoß von Treibhausgasen verringern.
Das Dreiländereck zwischen Bolivien, Chile und Argentinien (bekannt als Lithiumdreieck) verfügt über Salzebenen und Lagunen in den Hochanden, die wichtige Mineralienquellen bieten. Es handelt sich auch um einzigartige Ökosysteme und natürliche Umgebungen von großer Komplexität und Fragilität. Und die Gewinnung von Lithium durch Sole, die große Mengen an Wasser in Gebieten mit Wasserknappheit erfordert, erschwert die Lebensbedingungen in diesen Gebieten.
Wie aus einem Bericht der italienischen Organisation Observatori del Deute de la Globalització (ODG) hervorgeht, dessen Team im Dezember 2022 Bergbaugebiete in Chile und Argentinien besucht hat, haben die 300 Einwohner der Gemeinde Toconao im südlichen Teil des Salar de Atacama einen Wasserfluss von höchstens vier Litern pro Sekunde, während vor ihren Augen mehr als 2.000 Liter Wasser pro Sekunde für den Lithiumabbau entnommen werden.
Der Wassermangel für die Bevölkerung ist eine der unmittelbarsten Folgen, die Umweltschützer anprangern. Sie betonen, dass nicht der Lithiumabbau das zentrale Problem ist, sondern der Wasserverbrauch. Santiago Machado von der Asociación Civil Be Pe (Catamarca, Argentinien) stimmt dieser Diagnose zu:
Es ist das erste Mal, dass wir in Fiambalá gezwungen sind, Wasser zu kaufen, was früher unvorstellbar war. Wir bedienen einen Markt, der uns nichts nützt, Elektroautos werden wir hier nicht einsetzen.
Die Energiewende in Industriestaaten bedeute eine Vervielfachung der Förderung von Lithium vor Ort, was die Schäden erhöhen werde. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die Nachfrage in den nächsten zwei Jahrzehnten um das 42-fache steigen wird.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Elektroautos zwar im Betrieb keine CO2-Emissionen verursachen, wohl aber in der gesamten Kette von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Montage bis hin zum Vertrieb.
Die Abholzung des Amazonas in Brasilien, Trinkwasserknappheit in Uruguay, Waldbrände und Dürren sind einige der unmittelbarsten Folgen des unkontrollierten Extraktivismus.
Lithium und Wasserstoff: Wo bleiben eigentlich die Profite?
Neben Lithium ist der zweite wichtige Akteur der Energiewende grüner Wasserstoff, der aus Wasser und erneuerbaren Energiequellen (Windturbinen oder Sonnenkollektoren) gewonnen wird. Einer der größten Kritikpunkte an Wasserstoff ist der Verbrauch von Süßwasser und die Tatsache, dass fast die gesamte Produktion für den Export bestimmt ist.
Obwohl Umweltaktivisten all diese Praktiken seit Jahrzehnten untersuchen und anprangern, müssen sie sich heute nicht nur mit den Konzernen und den am stärksten industrialisierten Ländern auseinandersetzen, sondern auch mit progressiven politischen Akteuren, die sich den Umständen angepasst haben. Es handelt sich um einen neuen "Ökologismus", der den Extraktivismus im Namen einer Entwicklung, die angeblich uns allen zugutekommt, nicht in Frage stellt.
Die Soziologin Maristella Svampa argumentiert, dass diese Art von Umweltschutzpolitik mehr oder weniger kritisch auftritt, je nachdem, ob die eigenen Leute an der Regierung sind oder nicht:
Mit ehrenwerten Ausnahmen tendiert die antiextraktivistische Kritik der real existierenden Progressiven dazu, sich unterschiedlich zu positionieren Ihre Position hängst davon ab, wer an der Spitze der nationalen und/oder regionalen Regierung steht.
Wenn es sich um eine gleichgesinnte Regierung handelt, so Svampa, wird derselbe räuberische Extraktivismus, der in jüngster Vergangenheit noch angeprangert wurde, zu einem tugendhaften Extraktivismus, trotz der Empörung der Umweltschützer.
Gerade dort, wo sich die größten Lithiumvorkommen der Welt befinden, koexistieren die sogenannten progressiven Regierungen von Luis Arce in Bolivien, Alberto Fernández in Argentinien und Gabriel Boric in Chile, die unterschiedliche Strategien in Bezug auf diese Ressource verfolgen.
Im ODG-Bericht heißt es: "Im Gegensatz zu Argentinien und Chile, große transnationale Unternehmen die Gewinne abgreifen, bleibt der gesamte in Bolivien erwirtschaftete Überschuss, auch wenn er hauptsächlich aus der Exploration und dem Abbau stammt, im Land."
Im Jahr 2017 gründete Bolivien die Empresa Pública Nacional Estratégica de Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) und erklärte die Salinen zu Sonderwirtschaftsgebieten, so dass sie nicht von privaten Unternehmen ausgebeutet werden können.
In Argentinien gibt es keinen nationalen Rechtsrahmen. Im Jahr 2011 erklärte lediglich die Provinz Jujuy Lithium offiziell zu einer strategischen Ressource. Vor einigen Wochen dann löste die Ankündigung einer umfassenden Reform der Provinzverfassung von Jujuy, die darauf abzielt, soziale Proteste zu kriminalisieren und den Weg für große Bergbauprojekte zu ebnen, einen regelrechten Volksaufstand aus, der mit Hunderten von Verletzten und Verhafteten endete.
Für viele ist Jujuy nur ein Laboratorium für das, was später auf nationaler Ebene umgesetzt werden soll. Die argentinische Verfassung (Art. 124) legt fest, dass "die Provinzen die ursprüngliche Souveränität über die natürlichen Ressourcen ihres Territoriums haben", was eine einheitliche Politik für jede Ressource erschwert.
Chinas Rolle ist nicht das eigentliche Problem
In Chile stellte Präsident Boric am 20. April die Nationale Lithiumstrategie vor und kündigte die Gründung der Nationalen Lithiumgesellschaft an, die zu 100 Prozent in Staatsbesitz sein wird.
Umwelt- und Sozialorganisationen begrüßten zwar die Möglichkeit einer stärkeren staatlichen Präsenz im Produktions- und Vertriebsprozess, kritisierten jedoch, dass die Strategie hinter dem Rücken der Zivilgesellschaft und als Ergebnis von mehr als hundert Treffen mit Geschäftsleuten aus dem Lithium- und Elektromobilitätssektor ausgearbeitet wurde.
In den letzten Jahren hat Lateinamerika seine Handelsbeziehungen mit China im Bereich der Offshore-Aktivitäten verstärkt, wobei große Investitionen in die Energie- und Verkehrsinfrastruktur getätigt wurden.
China hat eine dominierende Position auf dem Markt für Energieumwandlungstechnologien und eine hegemoniale Präsenz in den verschiedenen Phasen der Lieferkette.
Nach China folgen laut ODG-Studie die USA, die eine Sonderposition einnehmen, da sie den Großteil der Aktivitäten der Versorgungskette innerhalb ihrer Grenzen abwickeln können, gefolgt von der EU, und schließlich die Länder des Globalen Südens, die aufgrund der Ausbeutung und des Exports ihrer natürlichen Ressourcen eine untergeordnete Position einnehmen. Beobachtet werde ein "zaghafter Industrialisierungswille in Ländern wie Chile, Argentinien, Bolivien oder Brasilien".
Es sind jedoch die großen Konzerne, die das globale Geschäft dominieren und die kritischen Abbauprojekte betreiben (Glencore, BHP, China Molybdenum, Tianqi Lithium, Jinchuan Group, Galaxy Resources, SQM, Zijin und Albemarle).
Für den Soziologen und Aktivisten Manuel Fontenla sind die Kämpfe um geopolitischen Einfluss der Staaten, die in der politischen Arena so viel Raum einnehmen, den Konzernen praktisch fremd.
Fontenla ist der Meinung, dass große Medienkonzerne diese Debatte befördern und damit von eigentlichen Gegebenheiten ablenken. Er schreibt: "Während sich die politische Debatte darum dreht, ob wir uns mit China, den USA oder der EU verbünden sollen, fusionieren die transnationalen Lithiumkonzerne unabhängig von Nationalitäten."
Wenn man aber genauer betrachte, wer ihre Akteure sind, stelle man fest, "dass es Länder gibt, die auf rein politischer Ebene vielleicht nicht dieselben Interessen vertreten, das bei den Rohstoffgeschäften aber keine Rolle mehr spielt".
Cecilia Valdez ist argentinische Journalistin. Der Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei unserem Partnerportal globalter.com
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