Beim Erdöl gibt sich die Bundesregierung optimistisch
Die Bundesregierung widerspricht einer Peak-Oil-Studie der Bundeswehr
Nicht nur das Nuklearzeitalter ist für die Bundesregierung noch lange nicht zu Ende. Auch beim Erdöl sieht sie auf mittlere Sicht kaum Grund zur Besorgnis. In Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen erteilte die Bundesregierung jetzt einer Studie der Bundeswehr zu "Peak Oil" und allen düsteren Prognosen für die weltweite Ölversorgung eine Absage.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion umfasst zwölf Seiten. Oliver Krischer, Sprecher für Energie- und Ressourceneffizienz seiner Fraktion, war im Sommer durch eine inoffizielle Studie der Bundeswehr aufgeschreckt worden, in der der weltweite Höhepunkt der konventionellen Erdölförderung bereits für 2010 angenommen und daher vor einer dramatischen Ölkrise gewarnt wird.
Der grüne Abgeordnete wollte jetzt wissen, ob die Regierung sich die überall als Bestätigung der Theorie vom Erdölfördermaximum ("Peak Oil") gewerteten Erkenntnisse des Bundeswehr-"Dezernats Zukunftsanalyse" zu eigen macht und welche Vorsorgemaßnahmen man in Berlin jenseits der 90-Tage-Reserve für den Fall plötzlicher Ölverknappungs- und Preisspiralszenarien bereit hält.
Wird, so fragte Krischer unter Bezug auf die Studie, die globale Ölnachfrage das Angebot schon bald dauerhaft übersteigen und damit eine Ölpreisspirale in Gang gesetzt, die in wenigen Jahren zu einem weltwirtschaftlichen "Systemkollaps" mit unvorhersehbaren Kettenreaktionen bis hin zu Kriegen führen könne? Erdölgeologische Erwägungen und die rasante Nachfragesteigerung nach dem "schwarzen Gold" in den Schwellenländern China, Indien oder Brasilien hatten in den letzten Jahren zu diesen Ängsten beigetragen.
Noch im November war der Chefökonom der Internationalen Energie-Agentur in Paris, Fatih Birol, in Berlin mit dem neuesten Welt-Energiebericht seines Hauses, dem World Energy Outlook 2010, vor die Öffentlichkeit getreten und hatte gewarnt: "Die Zeit des billigen Erdöls ist vorüber. Wir müssen das Öl verlassen, ehe es uns verlässt!" Der Weltenergieverbrauch werde bis 2035 um 36 Prozent zunehmen – zur Erreichung ehrgeiziger CO2- Einspar- und Effizienzziele eine kaum optimistisch stimmende Vorhersage (Peak Oil liegt hinter uns). Zugleich hatte die eher konservative IEA für konventionelles Erdöl einen seit 2006 nicht mehr gesteigerten Anteil an der Gesamtförderung ausgemacht.
"Peak Oil ist jetzt!", heißt es seitdem in heftig geführten Fachdiskussionen und in der Blogosphäre. Andere dagegen sehen, beim derzeitig hohen Preisniveau, mit neuen Fördertechniken auch in schwierigen und ökologisch riskanten Fördergebieten kein Ende der Erdölzeit nahen.
Mittelfristig sieht die Bundesregierung keine Erdölknappheit
Die Regierung in Berlin hat sich nun offiziell dieser Sichtweise angeschlossen. In der Förderung umstrittener sog. "nichtkonventioneller" Öle wie kanadische Teersande oder Schieferöle erkennt sie trotz starker ökologischer und erheblicher Wirtschaftlichkeitsbedenken eine Chance, um Ölverknappungen aufzufangen und in eventuelle Deckungslücken des Verbrauchs springen: "Das globale Potenzial für nicht-konventionelles Erdöl ist nach Einschätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sehr groß und für Ölsande und Schwerstöle etwa vergleichbar mit dem Potenzial von konventionellen Erdöl." Zur Frage der Umweltverträglichkeit dieses Fördersegments macht Berlin sich keine Gedanken – sie unterliegt "den gesetzlichen Vorschriften der jeweiligen Länder".
Die Haltung der Bundesregierung erweckt den Eindruck, als sei man noch weit von Peak Oil entfernt: "Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass kurz- bis mittelfristig eine angebotsseitige Erdölverknappung eintritt". Grundsätzlich, so lässt sie in ihrer Antwort auf die Frage der Grünen verlauten, sei "eine Steigerung der Förderung... bis 2035 möglich" – bei "optimaler Entwicklung und Produktion der Vorräte unter den heutigen Rahmenbedingungen".
Zu diesen zählt die Regierung auch ihr neues, "epochales" Energiekonzept (FDP-Chef Guido Westerwelle), in dem sich, neben längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke, viel – wie die "Süddeutsche Zeitung" süffisant bemerkte – "sollen, müsste, könnte" versammelt: Die Windenergie soll kräftig ausgebaut werden, alle Gebäude sollen wärmegedämmt werden und weniger Energie verbrauchen, Autos sollen künftig weniger Sprit für die gleiche Strecke benötigen. Und natürlich sollen – ein "Richtwert", der "auch entsprechend höher ausfallen kann" – in 10 Jahren schon eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen fahren; 46 weitere Millionen Kfz warten danach in den kommenden Jahrzehnten noch auf ihre Umrüstung. Über allem wacht – wie auch anders bei einer Antwort aus dem Hause Brüderle – der Staat mit seiner "Aufgabe, dem marktorientierten Strukturwandel den Weg zu ebnen und die positiven Wachstumskräfte zu stärken".
Biokraftstoffe sind keine wirkliche Lösung
"Peak Oil", sagte Robert Hirsch, der Pionier der modernen Peak-Oil-Forschung in den USA einmal, "ist ein Treibstoff-, kein Energieproblem". Seine eigentliche Dramatik entfaltet es bei den Kosten der Mobilität und des Transports, den Grundpfeilern der Globalisierung und damit der Weltwirtschaft. Die Hoffnung der Bundesregierung auf die "Bereitschaft der Produzenten, in die Bereitstellung von Produktionskapazitäten zu investieren", hat gerade in der aktuellen Weltwirtschaftskrise einen besorgniserregenden Dämpfer erfahren.
In der neuerlich anziehenden Weltkonjunktur könnten die in der Rezession nicht getätigten Förderungen oder aus Umweltgründen gestoppten Förderaktivitäten nach der Ölkatastrophe im mexikanischen Golf vom Frühsommer dieses Jahres in neue Verknappungen münden und über den Preis wiederum die Konjunktur bremsen. Denn Ölförderung wird, da sind sich alle Experten einschließlich der IEA einig, in Zukunft ein immer teureres, aufwändigeres und riskanteres Geschäft, das eng mit dem Gang der Weltkonjunktur verknüpft ist.
Das eigentliche Geheimnis der Bundesregierung bei ihrer peak-oil-resistenten Treibstoffstrategie liegt denn auch im allzu hoch angesetzten Anteil der Biokraftstoffe. Biosprit schadet überdies dem Klima stärker als fossile Brennstoffe, worauf jüngst eine neue Studie des Londoner Instituts für europäische Umweltpolitik (IEEP) hingewiesen hat (E10 - Cui bono?. Biokraftstoffe führen zu Monokulturen, Regenwaldvernichtung und entziehen Getreide und Ackerland der Verbesserung der Welternährungslage.
Wenn, wie die Bundesregierung dem Abgeordneten Krischer mitteilt, eine "im nächsten Jahr zu erarbeitende neue Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung... langfristig u.a. einen stark sinkenden Bedarf an Mineralölen in der Mobilität" zugrunde legt, so hat sie das damit verbundene ethische und ökologische Problem nicht gelöst. Für den sich abzeichnenden Fall, dass die Nachfrage nach Erdöl in den kommenden Jahren schneller wächst als das Ölangebot, kurz: dass die in der Bundeswehrstudie analysierte Ölpreistendenz nach oben sich zuspitzt, kann die Bundesregierung weder technologisch auf ausgereifte alternative Mobilitäts-, noch auf Notfall-, Krisenvermeidungs- oder gar Vorsorgekonzepte zurückgreifen, wie dies inzwischen einige US-amerikanische Städte tun, die nach der Ölpreiskrise im Gefolge der Hurrikane "Rita" und "Katrina" 2005 begonnen haben.
Die Hoffnung, die die Bundesregierung stattdessen als salvatorische Generalklausel anbietet, dass "bis 2050 die erneuerbaren Energien den Hauptanteil des deutschen Energiemixes übernehmen sollen", was "die deutschen Netto-Mineralölimporte bis 2050 (gegenüber 2008) um etwa 60 % reduzieren kann", diese Hoffnung teilt der grüne Abgeordnete Krischer nicht:
Wir müssen uns auf Ölknappheiten und extreme Preissauschläge einstellen, die unser bisher extrem ölabhängiges Wirtschaftsystem erschüttern werden. Der Preisschock mit $ 148 Dollar je Barrel 2008 war ein Vorgeschmack. Dass die Bundesregierung nicht einmal mehr die warnenden Hinweise der Bundeswehr zur Kenntnis nimmt, zeigt, wie wenig Schwarz-Gelb energiepolitisch noch auf der Höhe der Zeit ist.
Oliver Krischer