Berichte über deutsche Waffen an Ukraine: Staatsanwaltschaft Berlin leitet offenbar Ermittlungen ein

"Packen Sie's bitte als Geschenk ein": Schützenpanzer Marder. Bild: Sonaz, CC BY 3.0

FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hatte laut Telepolis-Recherchen Maßnahmen zur Strafverfolgung eingefordert. Es geht um mutmaßlichen Geheimnisverrat und Dienstgeheimnisse

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Zusammenhang mit Medienberichten über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine um strafrechtliche Ermittlungen gebeten. Wie die Pressestelle des Bundestags auf Telepolis-Anfrage bestätigte, habe Bas wegen des Verdachts "eines Geheimnisverrats die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 353b Abs. 4 Nummer 1 StGB erteilt".

Nach diesem Passus des Strafgesetzbuches kann die Staatsanwaltschaft bei Verdacht auf Verletzung des Dienstgeheimnisses oder Geheimnisverrat im Bundestag nicht selbst tätig werden, sondern muss dazu ermächtigt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin bestätigte die Ermittlungen ihrerseits auf Anfrage nicht.

Die militärische Entwicklung im Ukraine-Krieg (19 Bilder)

Frontverlauf am 26. Februar 2022

Anlass für die nach Angaben des Bundestags laufenden Ermittlungen sind eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und ein Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel, in denen Details zu ersten deutschen Waffenlieferungen genannt worden waren. Die dpa hatte sich auf ukrainische Regierungskreise berufen und berichtet:

Die Ukraine hat seit Kriegsbeginn von Deutschland gut 2.500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen erhalten. Hinzu kommen 100.000 Handgranaten, 2.000 Minen, rund 5.300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen vom Sturmgewehr bis zum schweren Maschinengewehr.

Ermittlungen könnten sich auf Presse auswirken

Telepolis hatte in der vorletzten Aprilwoche berichtet, dass die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), von Bundestagspräsidentin Bas grünes Licht für strafrechtliche Ermittlungen gefordert hatte.

Etwaige Ermittlungen würden sich primär gegen die Verantwortlichen für die Weitergabe der Informationen richten, nicht an die Medien, die von dieser Weitergabe profitiert haben.

Die Pressestelle des Bundestags erklärte dazu, es entspräche "der langjährigen parlamentarischen Praxis, dass der Präsident bzw. die Präsidentin des Bundestags in Verdachtsfällen eines Geheimnisverrats die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteile:

In den aktuell vorliegenden Verdachtsfällen ist dies bereits geschehen und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin um Prüfung der den Berichterstattungen zugrundeliegenden Sachverhalte unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gebeten worden.

Pressestelle des Bundestags

In einem Schreiben an Bundestagspräsidentin Bas, das Telepolis in Auszügen dokumentiert hatte, argumentiert Strack-Zimmermann, die Beiträge von dpa und Spiegel bezögen sich "auf Informationen über das an die Ukraine abgegebene sensitive militärische Material (…), die in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags seit dem 21. März 2022 wöchentlich hinterlegt werden".

Zwar gab die dpa eine Quelle aus ukrainischen Regierungskreisen an. Dennoch sieht Strack-Zimmermann in Ihrem Schreiben an die Parlamentspräsidentin die Notwendigkeit strafrechtlicher Ermittlungen.

Offenbar will die FDP-Politikerin damit im Bundestag – auch präventiv – den Druck auf Gegner einer Ausweitung von Waffenlieferungen erhöhen. In der Vergangenheit waren interne und mit einer Geheimschutzstufe versehene Informationen aus dem Parlament wiederholt an die Öffentlichkeit geraten, ohne dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde.

In der aktuellen Debatte, in der weitgehend abstrakt von der Lieferung "von Waffen" an "die Ukraine" die Rede ist, könnten zu detaillierte Informationen aber die öffentliche Meinung beeinflussen; etwa über die Menge an Maschinengewehrmunition, die ja in der Regel dafür verwendet wird, den Gegner zu verwunden oder zu töten. Jede konkrete Information über solche Militärhilfe sorgt daher auch für ein klareres Verständnis der deutschen Rolle im laufenden Krieg.

Befürworter einer Geheimhaltung argumentieren, dass zu konkrete Angaben über Waffen und Rüstungsmaterial den russischen Angreifern kriegsrelevante Informationen liefern könnten. Daher werden auch Routen und Übergabepunkte geheim gehalten.

Die Bundesregierung hat mit diesem Argument und aus Gründen des Schutzes des Staatswohls auch die Beantwortung von parlamentarischen Fragen der Opposition zum Ukraine-Komplex abgelehnt.

Brisant ist das Einschalten der Staatsanwaltschaft der Bundeshauptstadt, weil dieses Vorgehen zugleich geeignet ist, die investigative Arbeit von Journalisten im Bundestag einzuschränken, weil sie ins Visier von Ermittlungsbehörden geraten könnten.

Die Ermittlungen in Berlin fallen mit einem Bericht der Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" zusammen, in dem Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit zurückgestuft wurde. Als Grund für das schlechtere Ranking führt die Organisation neben zunehmender Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten im vergangenen Jahr auch eine abnehmende Medienvielfalt und mangelnden Schutz von Medienvertretern gegenüber Sicherheitsbehörden an.

Deutschland demnach um drei Plätze zurück auf Rang 16 von insgesamt 180 Staaten.