Berlin: Atomwaffen-Jet im Hauruck-Verfahren vor der Bundestagswahl?

Seite 2: Atomwaffenverbotsvertrag: Grüner Unsicherheitsfaktor

Genau 90 Tage nachdem er vom insgesamt 50. Staat ratifiziert worden ist, wird der Atomwaffenverbotsvertrag also heute am 22. Januar 2021 in Kraft treten.

Gleich in Artikel 1 des Vertrages wird klar, dass eine Unterzeichnung durch Deutschland gleichbedeutend mit dem Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe wäre.

Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, unter keinen Umständen jemals a) Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper zu entwickeln, zu erproben, zu erzeugen, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern; b) Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar an irgendjemanden weiterzugeben; c) Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen; […] g) eine Stationierung, Aufstellung oder Dislozierung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern in seinem Hoheitsgebiet oder an irgendeinem Ort unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle zu gestatten.

Atomwaffenverbotsvertrag

Auch wenn laut Umfragen 92 Prozent der Bevölkerung für eine Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags sind, ist es somit nachvollziehbar, wenn CDU/CSU und Militärs zu dem Ergebnis gelangen, der Vertrag sei nicht in dem, was sie als ihr Interesse definieren. In einem aktuellen Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik heißt es dazu:

Solange die Sicherheitsprobleme mit Russland anhalten, profitiert Deutschland unterm Strich vom Erhalt der erweiterten nuklearen Abschreckung. […] Wollte man den Beitrag der US-Kernwaffen zur Nato durch konventionelle US-Beiträge ersetzen, würde das immense zusätzliche Kräfte erfordern und gigantische Kosten verursachen. […] Der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen tritt am 22. Januar in Kraft. Deutschland lehnt einen Beitritt ab. International durchsetzen wird sich die mit dem Vertrag angestrebte Ächtung von Kernwaffen in absehbarer Zukunft nicht. […] In dieser Form wird nukleare Abrüstung nicht machbar sein - es wäre auch nicht in Deutschlands Interesse.

Stiftung Wissenschaft und Politik

Vor diesem Hintergrund ist es für Befürworter der Nuklearen Teilhabe misslich, dass diese innerhalb der Grünen alles andere als beliebt ist. Allerdings haben die Grünen in den letzten Monaten mehr als deutlich signalisiert, dass sie nicht die Absicht haben, ihre Regierungsbeteiligung an ihren militärpolitischen Positionen scheitern zu lassen (siehe Grüner Programmentwurf mit Bekenntnis zu militärischen Interventionen).

Selbst gegenüber der Nuklearen Teilhabe bröckelt die Ablehnung, wie es in der taz vor wenigen Wochen zu lesen war:

Einige in der Partei klingen mittlerweile aber auch nicht mehr ganz so entschieden. Der Abgeordnete Tobias Lindner zum Beispiel, Obmann im Verteidigungsausschuss, will zwar auch aus der nuklearen Teilhabe raus, hat es aber nicht sehr eilig damit. Als er Mitte November auf dem Podium des "Nato Talk" sitzt, einer Konferenz der Bundesregierung mit Thinktanks und hochrangigen Militärs, lehnt er einen schnellen Abzug ab. Er wolle lieber dafür arbeiten, dass es "2030 oder 2035" vielleicht ein "window of opportunity" gebe, in dem man mit Russland über eine Reduzierung der Atomwaffen auf beiden Seiten reden könne. […] In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte Parteichefin Annalena Baerbock in dieser Woche, über einen Atomwaffenabzug müsse eine grüne Bundesregierung zunächst mit den deutschen Bündnispartnern sprechen: "Wir können ja nicht einfach sagen, wir schicken die US-Atomwaffen mal eben zurück in die USA."

taz

Typisch Grüne war dementsprechend auch ein von ihnen am 13. Januar 2021 in den Bundestag eingebrachter Antrag. Darin wurde die Bundesregierung zwar vehement dazu aufgefordert, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten.

Deutlich kleinlauter folgten aber einige Zeilen später dann aber diverse Hintertürchen, nämlich dass Deutschland als "Gast" an den künftigen Treffen der Vertragsstaaten teilnehmen solle, "solange ein Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag aufgrund der Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen auf deutschen Boden noch nicht möglich ist".

Gleichzeitig wird zwar der "zügige", nicht aber der "unverzügliche" Abzug der US-Atomwaffen gefordert, was es im Prinzip ermöglicht, später in Regierungsverantwortung hier überhaupt nicht größer tätig zu werden.

Dennoch wird den Grünen in dieser Frage in den Reihen von CDU/CSU ganz offensichtlich nicht getraut. So jedenfalls lassen sich wohl die Aussagen des CDU-Verteidigungsexperten Johannes Wadepuhl vor etwa einer Woche interpretieren. Er war zwar voll des Lobes ob der meisten grünen militärpolitischen Positionierungen der jüngsten Zeit, mahnte aber gleichzeitig auch deutlich an, dass die Linientreue auch und besonders für die Nukleare Teilhabe gelten müsse. Im Tagesspiegel hieß es dazu:

Sind die Grünen in der Außen- und Sicherheitspolitik fürs Regieren gerüstet? Unionsfraktionsvize Johann Wadephul lobt ihre Entwicklung - und stellt eine Bedingung. […] Die Union hat ein Bekenntnis der Grünen zur Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland und zur Nuklearstrategie der Nato zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der Ökopartei nach der Bundestagswahl erklärt. […] Jenseits des Streits um Atomwaffen lobte CDU-Mann Wadephul die Grünen und kritisierte im gleichen Atemzug die Entwicklung des sozialdemokratischen Koalitionspartners. "Die Grünen unterscheidet von der SPD, dass sie unideologisch an Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik herangehen", sagte er.

Tagesspiegel

Tornado-Nachfolge noch vor der Bundestagswahl?

Angesichts der Aussicht auf eine doch relativ wahrscheinlich schwarz-grüne Koalition nach den Bundestagswahlen im September liegt es nahe, dass das CDU-geführte Verteidigungsministerium die Tornado-Nachfolge womöglich doch noch in dieser Legislaturperiode über die Bühne bringen möchte. Dazu schreiben die rüstungsnahen griephan Briefe (Ausgabe 2-2021):

"Wir vernehmen, die Verteidigungsministerin - ohne Zusatz Vorsitzende der 'CDU' - habe eine grundsätzliche Entscheidung zum weiteren Vorgehen im Projekt Tornado-Nachfolge getroffen. Die Vorbereitung zur parlamentarischen Beratung zur Beschaffung F/A-18F / EA-18G erfolge im Foreign Military Sales (FMS) Verfahren. Aufgrund der Komplexität und hohen politischen Bedeutung des Projekts bedürfe es einer frühzeitigen zentralen Steuerung und fachaufsichtlichen Führung 'aus einer Hand'. Für die Fachaufsicht sowie zentrale Ansprechbarkeit und Steuerung im Projekt wird eine Arbeitsgruppe (AG TOR-NF) unter Leitung der BMVg-Unterabteilung Planung II eingerichtet."

Dieses für den Laien nur schwer verständliche Militärkauderwelsch wurde im ebenfalls rüstungsnahen und gewöhnlich gut informierten Behördenspiegel folgendermaßen erklärt:

"Diese Einrichtung einer Arbeitsgruppe kann im Grunde nur bedeuten, dass versucht werden soll, die Entscheidung noch vor der Bundestagswahl im Herbst unter Dach und Fach zu bringen. Bei einem Projekt, das mehrere Milliarden Euro kosten wird, im zweiten Corona-Jahr sowie einem Bundestagswahljahr ein durchaus sportliches Anliegen. Schließlich handelt es sich bei der Notwendigkeit zur Beschaffung eines Tornado-Nachfolgers rein um die nukleare Teilhabe und damit lässt sich seit dem Ende des Kalten Krieges kein Wahlkampf mehr führen."

Augenscheinlich will man im Verteidigungsministerium in Sachen Tornado-Nachfolge nichts anbrennen lassen, man darf gespannt sein, was die SPD zu diesem Vorhaben zu sagen haben wird.