Berlusconi: Herrscher über die öffentliche Meinung

Der Konzernchef baut als Regierungschef den Staat nach seinem Geschmack um und hat nun auch indirekte Kontrolle über den staatlichen Sender RAI erhalten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erst einmal durfte Silvio Berlusconi 1994 nur wenige Monate als Ministerpräsident auftreten. Damals noch musste er wegen zahlreicher Verfahren gegen ihn zurücktreten. Doch auch wenn er sich nicht verändert hat, so scheinen die Zeiten andere geworden zu sein. Seit er 2001 zusammen mit dem rechten Lega-Chef Umberto Bossi und dem rechtsextremen Chef der Alleanza Nazionale erneut das Amt antreten durfte, will er möglichst schnell Schluss mit den "Roten Roben" und das Justizsystem für ihn ungefährlich machen. Doch Berlusconi bastelt sich nicht nur seinen eigenen Staat, ohne dass große Proteste aus dem Inland oder von anderen EU-Ländern kommen, er kontrolliert auf einzigartige Weise auch weitgehend die öffentliche Meinung.

Schon kurz nach dem Wahlsieg von Berlusconi äußerte sich Freimut Duve, zuständig bei der OSZE für die Freiheit der Medien, besorgt über die "Machtkonzentration über Fernsehsender in den Händen einer demokratisch gewählten Regierung". Duve hat seiner Zeit gehofft, dass die Trennung von Regierungsamt und Medienmacht in Italien gleich zu einem wichtigen Beispiel werden könnte, wie sich in allen Staaten die Unabhängigkeit der Medien sichern ließe. Eine halbe Lösung könne hingegen Regierungen in den neuen demokratischen Staaten dazu legitimieren, nach dem Modell Italien zumindest teilweise die Medien in den Griff zu nehmen. Dann würde die Arbeit seiner Abteilung noch schwieriger, als sie bislang sei.

Geschehen ist leider nichts, die Lage hat sich nur noch verschlimmert - und alle scheinen fasziniert und gebannt, wenn nicht gleichgültig zuzusehen, wie im Herzen der EU zwei Säulen der Demokratie, das unabhängige Justizsystem und die freien Medien, Schritt für Schritt demontiert werden und damit dem Machtmissbrauch Tür und Tor öffnen. Auch wenn es keine direkte Unterstützung seitens Mitgliedern der italienischen Regierung für die Übergriffe der Polizei in Genua gegeben haben mag, so zeigen das Vorgehen und die Nachbereitung auf jeden Fall an, dass die rechten Kräfte im Aufwind liegen und es für die Demokratie nicht zum Besten steht. Gestern hatten zwar sich Zehntausende in Mailand anlässlich des 10. Jahrestags der anfänglich vielversprechenden Antikorruptionskampagne "Saubere Hände" zum Protest gegen Berlusconi versammelt, doch noch scheint der Widerstand ziemlich gering zu sein.

Den letzten Coup hatte Stoiber-Freund Silvio Berlusconi erst am Freitag geleistet, indem er den Aufsichtsrat des öffentlich-rechtlichen Senders RAI mit Kandidaten aus dem eigenen Lager besetzte. Das ist natürlich auch hierzulande nicht anders, doch da jetzt die Regierungskoalition die Mehrheit der Sitze im neuen Aufsichtsrat des Senders besitzt, hat Berlusconi, zusammen mit dem zu seinem Konzern Fininvest gehörenden Medienunternehmen Mediaset, zu dem neben drei Fernsehsendern auch Buch- und Zeitungsverlage sowie Internetfirmen gehören, direkten oder indirekten Einfluss auf 90 Prozent des Fernsehmarktes. Und das ist eine Usurpation der Öffentlichkeit (Berlusconi und die italienischen Medien).

RAI wurde von Berlusconi ebenso wie das Justizsystem als von Kommunisten unterwandert bezeichnet, die dem Ministerpräsidenten nur Böses wollen. Nach Berlusconi haben hier "politischer Killer" gewirkt, die nun abgeschafft werden dürften, so dass der Unternehmer als Regierungschef den Staat für seine Zwecke ausrichtet. Gesetze werden dann mitunter schnell geändert, damit die krummen Geschäfte plötzlich legalen Glanz erhalten, während Journalisten aus Angst um ihren Job über die "Justizreform" lieber den Mund halten.

"Wir haben in diesem Land eine moralische Revolution vollbracht. Wir haben die wahrhafte Moralität in die Politik gebracht oder sie wieder hineingebracht. ... Wir werden diesen Kampf der Moralität kämpfen, um Italien zu verändern. Wir glauben, dass eine wirklich führende Klasse sich nur durch ein hohes und ehrgeiziges Ziel wie dieses auszeichnet." - Silvio Berlusconi am Freitag bei der Eröffnung des Parteitags der Forza Italia

Die Präsidenten von Senat und Parlament nominieren, wie es ein Gesetz vorschreibt, den fünfköpfigen Verwaltungsrat der RAI. Drei der Sitze fallen der Regierung zu, zwei der Opposition. Berlusconi hat hinter den Türen hier kräftig mitgemischt und seine Kandidaten ins Spiel gebracht, auch wenn er seinen Wunschmann, Carlo Rossella, den Herausgeber eines seiner Magazine, schließlich nicht als Präsidenten durchbrachte. Wichtig war zwar die Entscheidung über den Präsidenten, doch die Umverteilungen wirken hinunter auf die Besetzung von wichtigen Posten wie Abteilungsleitern oder Chefredakteuren. Zum Präsidenten wurde schließlich der ehemalige Präsident des italienischen Verfassungsgerichts, Antonio Baldassarre, der Berlusconis Forza Italia und der Alleanza National nahe steht, auch wenn er behauptet, neutral zu sein. Dazu kommen Ettore Adalberto Albertoni, der Kulturbeauftragte der Region Lombardei und Mitglied der Lega Nord, sowie Luigi Zanda, der ehemalige Leiter der Behörde für die Millenniumsfeiern, der ebenfalls der Regierungskoalition nahe steht. Jetzt hat also Berlusconi als Chef des Medienkonzerns und als Ministerpräsident auch noch direkten Einfluss auf die RAI. Das wäre vielleicht vergleichbar damit, wenn ein finanziell mit Gewinnen dastehender Kirch auch indirekt mit über ARD und ZDF entscheiden dürfte.

Schon letztes Jahr hatte Berlusconi angekündigt, dass er das staatliche Fernsehen (RAI) privatisieren will. Zwei der drei RAI-Sender wolle er verkaufen. Baldassarre hat sich inzwischen erst einmal dagegen ausgesprochen. Berlusconi hatte vor seiner Wahl noch versprochen, den Interessenskonflikt zwischen seinem Amt als Regierungschef und seiner Medienmacht in 100 Tagen zu lösen. Die aber sind schon längst vorbei - und dummer- oder eher: symbolischerweise war das gerade im September 2001