Berlusconitalia - Die etwas andere Demokratie

Berlusconi wird zum Testfall für wehrhafte Demokratien

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Der texanische Heartland-Politiker George Bush II. und der italienische Medienzampono Silvio Berlusconi wurden den Demokratien vermutlich aufgegeben, damit diese lernen, ihre eigenen Regeln und Selbsterhaltungsbedingungen noch besser zu verstehen. Ist Berlusconi nun ein einmaliger Betriebsunfall der Demokratie oder ein Alarmzeichen, dass Demokratien jederzeit höchst gefährdet sind, hinter ihren rechtsstaatlichen Fassaden das alte häßliche Machtspiel umso ungenierter spielen zu können?

Silvio Berlusconi. Foto: Presidente del Consiglio

Der phallische Medienzar

Gibt es ein Geheimnis hinter der unheimlichen Machtfülle Berlusconis? Sicher nutz(t)en auch andere Medienherrscher wie Axel Cäsar Springer oder Rupert Murdoch ihre publizistische Macht über manipulationsbereite Massen, um politische Entscheidungen zu forcieren. Aber die königliche Personalunion von staatlicher und privater Macht, die Berlusconi immer weiter ausbauen konnte, blieb ihnen verwehrt.

Zumindest muss man dem italienischen Ministerpräsidenten attestieren, mehr als nur ein Medien-Tycoon zu sein. Erst Baulöwe, dann transnationaler Medienzar, beschloss Berlusconi 1992, Politiker zu werden. Hintergrund war es, sein Medienimperium vor Schwierigkeiten zu bewahren, die Linke bzw. Demokraten dem Medien-Tycoon wegen seiner dubiosen Machenschaften hätten bereiten können. Die Prozesse, in die Berlusconi verwickelt war, in denen es wieder und immer wieder um Schmiergelder, Meineid, illegale Parteifinanzierung und alle übrigen Delikte ging, die einer Demokratie sauer aufstoßen, sind zu zahlreich, um sie hier alle zu rekonstruieren.

Seine politische Macht wird maßgeblich durch die Kontrolle der drei größten, ihn permanent umschmeichelnden Privatsender verstärkt und seit 2002 versucht er auch, die staatlichen Rundfunkanstalten "RAI" in seine Hand zu kriegen (Berlusconi: Herrscher über die öffentliche Meinung sowie Berlusconi und die italienischen Medien). So sehr er alle Register einer manipulierbaren Mediendemokratie gezogen hat, um daraus eine auf ihn zugeschnittene Medienautokratie zu machen, beruht seine politische Karriere auch auf seinem persönlichen Charisma. Einem höchst gefährlichen Charisma der Macht: Ein smarter, musisch talentierter, kommunikativer und charmierender Selbstverkäufer, solange man ihn nicht reizt.

Hans Magnus Enzensberger berichtet, Italiener hätten ihn über Berlusconis Machtrezept so aufgeklärt: "È molto fallico". Er ist also phallisch, ein italienisches Alpha-Tier wie Mussolini oder Craxi. Dass die Masse immer noch dem Machteros das masochistische Votum erteilt, ist für das Selbstverständnis von Demokratien schlimm genug. Hitlers Wissen um den geschlechtsspezifischen Zustand der verführbaren Massen scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben.

Godfather of irony

Der italienische Medienpolitiker hat gegenwärtig Grund genug, sich über "die Deutschen" zu ärgern, nachdem er im martialischen Look als "Der Pate" auf dem letzten SPIEGEL-Cover öffentlich gebrandmarkt wurde. Der SPIEGEL hat's ihm gegeben, nachdem Berlusconi Interviews ablehnte. So wurde das hässliche Bild eines Medienstars, Medienzars, eines Machtunionisten gezeichnet, der mindestens im mafiosen Zwielicht steht, wenn nach den Provenienzen seiner Macht und seines Reichtums gefragt wird. Die Geldquellen des reichsten Manns Italiens sind bis heute so geheimnisumwittert, dass es kein echtes Geheimnis mehr ist. In Italien dürfte es jedenfalls schwer sein, reale politische und wirtschaftliche Macht in diesem Ausmaß zu erwerben, ohne mehr oder minder intime Berührungen mit der Mafia zu haben.

Aber nicht nur die dunklen Quellen seiner Macht sprechen gegen ihn. Das besorgt Berlusconi inzwischen auch schon selbst. Mit der Attacke auf den stellvertretenden Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, über dessen Schauspieler-Tauglichkeit als KZ-Scherge (Kaput Lager) hat er einen neuen rhetorischen Diskursstil vorgestellt, der bisher im Europa der Nachkriegszeit zumindest auf der politischen Chefebene etwas in Vergessenheit geraten war. Nun handelte es sich bei dem Besetzungsvorschlag nach des Potentaten eigener Auslegung nur um eine Ironie, eine "scherzhafte", fehlinterpretierte Bemerkung. Selten so geschmunzelt! An den Maßstäben gewisser Boulevard-Blätter diesseits und jenseits der Alpen gemessen mag die Suada geradezu feinsinnig gewesen sein, wenn man großzügig über den Inhalt der Bemerkung hinwegsieht. Nur, warum sollte man? Liegt es nicht im Sinngehalt der Ironie, das Gegenteil von dem zu meinen, was man sagt. Doch meinte der Repräsentant italienischer Kraft und Herrlichkeit es je anders, als er es sagte? Folgt man weniger den artistischen Wegerklärungen des italienischen Ministerpräsidenten griff er einfach nach jenem altbewährten, antiteutonischen Schlagwerkzeug, das unterhalb der Gürtellinie des jeweiligen Gegners landen soll.

Das alles hat er nun Kanzler Schröder, der auf eine Entschuldigung drängte, "erklärt", um die Nazi-Verbalkeule nachträglich noch abzupolstern - ausdrücklich aber nicht zu "entschuldigen". Doch nun fliegt dem schon mal als Solopianisten improvisierenden Patriarchen sein eigenes Instrument wie ein Bumerang um die Ohren, weil außerhalb Italiens "mussolinieske" Gesten weniger populär sind. Schulz hält Berlusconi ohnehin nicht für satisfaktionsfähig und so hat auch diese Verbalinjurie vor allem den Beleidiger selbst getroffen.

Ausrutscher hin oder her - dafür kann sich Europa in einer Phase, die politisch genügend Probleme birgt, nichts kaufen. Dem demokratischen Paten ist die ungeteilte demo-autokratische Macht offensichtlich längst ins Herrscherhirn gestiegen, obwohl er doch selbst Grund genug hätte, darüber nachzudenken, ob er für seinen eigenen Politikstil nicht auch auf historische Referenzen verweisen könnte.

Alteuropäische Sumpflandschaften der Demokratie

Nicht nur Silvio Berlusconis macht-narzisstischer Sex-Appeal und seine Overkill-Rhetorik, sondern mindestens ebenso die öffentliche Auseinandersetzung mit ihm ist inzwischen zum Medienphänomen der Extraklasse avanciert. Dieses Interesse liegt keineswegs allein in der illustren Person und ihren Machenschaften selbst, als vielmehr in der Provokation der Demokratie durch ein verkörpertes Machtkartell, das sich in der nicht gerade skandalarmen Geschichte der Liasion von Medien und Politik einzigartig darstellt.

Silvio Berlusconi bei seiner Antrittsrede vor dem Europäischen Parlament

Längst ist man sich jenseits der Berlusconi-Bastionen in Italien darüber im Klaren, dass diese Machtkumulation aus Politik und Medien mit einer Demokratie unvereinbar ist. Die "girotondisti" protestierten vor allem vehement gegen Berlusconis Gesetzesinitiativen, deren letzte ihn mal wieder vor einem Korruptionsverfahren wegen Richterbestechung geschützt hat. Mit dem nicht gerade als Europafreund bekannten Absolutisten sollte aber allen Europäern klar werden, dass die Idee der Demokratie auch im abgeklärten Alteuropa noch erheblich entwicklungsfähig ist.

Warum gibt es Kartellverbote in der Wirtschaft, wenn die Kartellisierung, ja übergreifende Monopolisierung von Politik und Wirtschaft durch ein mehr als törichtes Votum des Wählers legitimiert werden kann? Medienmacht in diesem Ausmaß und politische Macht sind ausnahmslos inkompatibel. Dieses Wissen kann nicht nur als entschuldbarer Irrtum des Wählers klein geredet werden: Es ist in jede demokratische Verfassung einzumeißeln. Ob nun Forza Italia oder Forza Americana - Demokratie muss Machtteilung und Interessenausgleich bleiben, aber kein Medien-Monopoly, wo einer solange private Sender kaufen oder staatliche unterwandern kann, bis er auch die vierte oder fünfte Gewalt im Staat noch kontrolliert, die doch gerade ihn kontrollieren soll.

Mindestens ebenso schwer wiegt der Vorwurf, dass allgemeine Gesetze auf die legislativen Initiativen des Regierungschefs hin zu schlecht kaschierten Einzelfallregelungen mutieren. Damit wird das, was früher als Korruption und Nepotismus angeprangert wurde, nun als demokratisch integerer Gesetzgebungsvorgang geadelt.

Juristischen Ärger gibt es in Italien für den großherrlichen Ministerpräsidenten seit Anbeginn seines Marsches auf das römische Parlament. Die "linke" italienische Justiz - in Berlusconis Augen ohnehin "golpisti" (Umstürzler) - flickt ihm am Leder, zumindest versucht sie es, wenn auch ohne nennenswerten Erfolg. Mit juristischen "Spitzfindigkeiten" kann man diesen mächtigen Mann mächtig provozieren, der bei Gericht Dauerkunde ist, da seine unternehmerischen Umtriebe sich seit je der härtesten Bandagen bedienten und seine zahlreichen Helfer und Helfershelfer diversen Zeugenaussagen nach intime Kontakte zur Unterwelt pflegten. Seit Juni 2003 sind nun die regierenden Funktionäre gegen staatliche Strafverfolgung, gegen die Justiz, das "Krebsgeschwür" (O-Ton Berlusconi) durch die "Lex Berlusconi" immunisiert. Das heißt im Klartext, dass der Regierungschef bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2006 praktisch nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden kann und danach ereilt ihn im Zweifel die Gnade der Verfolgungsverjährung.

Es ist ein weiterer Beleg des ironischen Feinsinns Berlusconis, ausgerechnet die Vertreter des Rechtsstaates als Umstürzler zu etikettieren. Berlusconi wurde der Mitgliedschaft in der Propaganda 2 (P 2), einem reaktionären, gewaltbereiten Geheimbund gegen "linke Bazillen" verdächtigt. Diese Dunkelmännervereinigung soll nun gerade mit der putschistischen "Strategie der Spannung", mit Bombenanschlägen, mit öffentlichkeitswirksamen "shock-and-awe"-Aktionen, einschließlich diverser Terrormaßnahmen anlässlich des G 8-Gipfels in Genua - versucht haben, Italien wieder auf den rechten Weg der Tugend zu zwingen.

Und was hat Berlusconi, der Gegner der juristischen Umstürzler, damit zu tun? Gar nichts! Der will seine verräterische Mitgliedskarte in diesem Geheimbund selbst ernannter Staatsschützer gleich nach Erhalt in den Papierkorb geworfen haben. Doch vom Geist dieser faschistoiden Geheimzirkler ist das offizielle Nichtmitglied etwa anlässlich seiner imperialen Rede nach dem 11.September keinen Steinwurf weit entfernt. "Der Westen wird weiterhin Völker erobern, so wie es ihm gelungen ist, die kommunistische Welt und einen Teil der islamischen Welt zu erobern, aber ein anderer Teil davon ist um 1400 Jahre zurückgeblieben." (Banken., Börsen, Berlusconi)

Wehrhafte Demokratie ist gefordert

Berlusconi darf nun als EU-Ratspräsident einige Monate lang europäischer Chefpolitiker spielen. Bekanntlich erwirbt nach Nicolo Machiavelli ein Fürst durch nichts so viel Achtung wie durch "große Unternehmungen und aufsehenerregende Taten". Und das ist für den Patriarchen auch inzwischen wichtiger denn je, wenn er seinen in Italien untergehenden Stern vielleicht doch wieder auf den Erfolgskurs alter Macht und Anerkennung bringen will.

Doch sein Entree als europäischer Ratsvorsitzender entspricht just den schlimmen Befürchtungen, die bereits im Vorfeld seiner Präsidentschaft laut wurden. Europa sollte jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, den Zampano zu bändigen und nicht das umgekehrte Spiel dulden. Denn hier geht es weniger um die Einsichtsfähigkeit des Egokraten Berlusconi, sondern um eine politische Kultur, die sich nicht nur wehrhaft gegen Terroristen zeigen sollte, sondern mindestens ebenso die eigenen schweren Betriebssystemfehler zur Agenda machen muss.

Berlusconis Dauerkrieg mit der italienischen Justiz mag ihn letztlich vor Strafen schützen, aber die politische Quittung für seine Spiele mit der blinden Justitia sollte er irgendwann erhalten. Und der erste Teil dieser Quittung wurde ihm bereits bei den Kommunal- und Regionalwahlen ausgestellt, die den Regierungsparteien deutliche Verluste bescherten.

Der große Ökonom in eigenen Angelegenheiten hat keine nennenswerten Verdienste für die Wirtschaft Italiens zu verbuchen, sondern lediglich riesige Schuldenberge. Auch im italienischen Renten-, Gesundheits-, und Arbeitsmarktwesen sieht es marode aus. Die "bella figura", die Berlusconi schon mit einer einzigen Bemerkung als EU-Ratschef ramponiert hat, ist auch in Italien längst dahin. Das Macht-Medien-Modell Berlusconi könnte also schließlich doch mit der "remote control" des Wählers weggezappt werden, weil schließlich nur der Programmwechsel den Standards einer echten Fernsehdemokratie entspricht.

So verläuft das Ende vielleicht doch etwas anders, als es den Belehrungen des Fürstenberaters Machiavelli entspricht: "Denn der Pöbel lässt sich durch den Augenschein und den Erfolg bestechen, und in der Welt gibt es nur Pöbel..."