Beschleunigter Ausbau der Windenergie: Bleibt der Naturschutz auf der Strecke?
Energie und Klima – kompakt: Beschleunigungsgesetz im Bundestag beschlossen. Werden Umweltschutz und Bürgerbeteiligung geschleift?
Geht nun alles schneller? Kommt der Ausbau der Windenergie jetzt wieder voran? Mit diesem Versprechen hat die Ampelkoalition eine Änderung des Raumordnungsgesetzes vorgelegt, die am vergangenen Freitag im Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschlossen wurde.
Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt, Planungsverfahren flexibilisiert, Vorgänge bei den Behörden modernisiert und digitalisiert werden. Für Windenergiegebiete soll es zudem spezielle Verfahrenserleichterungen geben. Insbesondere werden Umweltverträglichkeitsprüfungen und artenschutzrechtliche Prüfung für Vögel entfallen, wenn die Anlagen nicht in einem Naturschutz- oder Natura-2000-Gebiet errichtet werden sollen.
Lob dafür gab es für die Initiative erwartungsgemäß vom Bundesverband Windenergie (BWE), der hauptsächlich die Betreiber von Windenergieanlagen vertritt und seit vielen Jahren für einen rascheren Ausbau der Windenergiekapazitäten wirbt. BWE-Präsident Hermann Albers in einer Pressemitteilung seines Verbandes:
Der heutige Beschluss des Bundestags schafft die Voraussetzungen für eine deutliche Beschleunigung bei den Genehmigungen in allen Bundesländern. Nach wie vor liegt hier die Achillesferse für den Hochlauf der Windenergie. Die Verfahren dauern mit durchschnittlich zwei Jahren deutlich zu lange. Vom Antrag bis zur tatsächlichen Netzeinspeisung einer neuen Anlage vergehen im Schnitt fünf bis sieben Jahre. Diese Zeit haben wir nicht, wenn die Ziele der Bundesregierung erreicht werden sollen.
Albers bezieht sich auf die im Juni 2022 vom Bundestag beschlossenen Ausbauziele, wonach in den nächsten Jahren an Land jeweils zehn Gigawatt neue Windkraftleistung hinzukommen soll. Telepolis hatte seinerzeit berichtet. Geplant ist auch ein jährlicher Zubau von 22 GW Solarleistung, was einer Verdreifachung des bisherigen Tempos entspricht. Bei der Windkraft müsste sich das Tempo nach diesen Plänen gegenüber dem bereits seit Längerem nicht mehr erreichten Höchstwert in etwa verdoppeln.
Der BWE weist allerdings darauf hin, dass aus seiner Sicht die Kuh noch nicht vom Eis ist. Wichtig sei, dass die neuen Bestimmungen auch von den Behörden vor Ort umgesetzt werden. Das falle in die Zuständigkeit der Länder. Der Verband plädiert daher dafür, dass er Bund den Ländern einen verbindlichen Anwendungsleitfaden gibt, damit die neuen Regelungen bundesweit einheitlich angewendet werden.
Andere sind weniger positiv und haben erheblich Zweifel, ob das Gesetz die versprochene Wirkung erzielen wird. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) sieht zum Beispiel eher einen Abbau rechtlicher Standards als eine Beschleunigung. Der BUND-Vorsitzende Olaf Brand warnt:
'Augen zu und durch' darf nicht das Motto für den Ausbau der Erneuerbaren sein. Die schnelle Umsetzung der Energiewende ist genauso wichtig wie deren naturverträglicher Ausbau. Beides gelingt nur, wenn hingeschaut wird, was beim Ausbau zu schützen ist und wo unvermeidbare Schäden an Biotopen und Arten konkret geheilt werden. Die jetzt für viele Energiewende-Projekte ausfallenden Artenschutz-Untersuchung und Umweltverträglichkeitsprüfungen sind zwei zentrale Elemente für den Naturschutz, die auch weiterhin angewandt werden müssen. Ohne diese drohen zukünftig unkalkulierbare Risiken für Natur und Energiewende an Land und im Meer.
Der BUND weist auf das derzeit sich abspielende "immense Artensterben". Dem müsse mit einem Verbund der Biotope und die entsprechende Ausweisung und den entsprechenden Schutz von Flächen begegnet werden. Lebensräume müssten dauerhaft vor Zerschneidung, Versiegelung und falscher Nutzung bewahrt werden.
Die Regierung müsse "nacharbeiten und entweder der Bundesrat die nötigen Änderungen (an der am Freitag verabschiedeten Novelle) durchsetzen oder ein neues Gesetz für Grüne Infrastruktur auf den Weg bringen, das auf Augenhöhe mit Energie und Verkehrsinfrastruktur positive Veränderungen für die Natur bringt", so Brand.
Bei der Linksfraktion im Bundestag gab man zu Protokoll, dass man in der großen Eile, mit der der Entwurf durch den Bundestag gebracht wurde, eine Missachtung der Minderheitenrechte und der parlamentarischen Debatte sieht. Man stimme zwar im Grundsatz zu, dass die Verfahren beschleunigt werden müssen, sieht das aber mit der Novelle nicht unbedingt erreicht. Außerdem befürchtet die Linkspartei einen Abbau der Bürgerrechte. Ihre Abgeordnete Susanne Hennig-Wellsow dazu am Freitag vor dem Parlament:
Bereits bestehende Regelungen dürfen dabei nicht nur als bürokratische Hürden angesehen werden. So ist die Digitalisierung der Verfahren zwar sinnvoll, etablierte analoge Beteiligungsformen dürfen deshalb aber nicht automatisch abgeschnitten werden; denn sonst weiß die berühmte 82-Jährige aus Rügen nicht mehr, wie sie sich beteiligen soll.
Zudem, so Hennig-Wellsow sei mit den neuen Regeln damit zu rechnen, dass die Zahl der Klagen zunehme. Ihre Partei sei "klar dagegen", mit Vereinfachungen in Genehmigungsverfahren die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verringern.
Wie Erfahrungen aus Ostdeutschland oder auch Ländern wie Mexiko oder Griechenland zeigen, ist diese immer besonders gering, wenn die Anwohner nicht oder kaum gefragt werden und Großprojekte von ortsfremden Kapitalfonds oder großen Gesellschaften durchgezogen werden.
Ein bemerkenswertes Beispiel für die Ausgrenzung der ansässigen Bevölkerung ist derzeit in Norwegen zu beobachten. Dort haben letzte Woche Mitglieder des Sami-Jugendverbandes das Ölministerium in Oslo sowie andere Regierungsgebäude blockiert. Unterstützung gab es auch von der bekannten schwedischen Aktivistin Greta Thunberg.
Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein Windpark mit 151 Anlagen, der auf einem Gelände errichtet wurde, das traditionell von samischen Rentierhaltern genutzt wird. Schon 2021 hatte Norwegens höchstes Gericht entschieden, dass damit die Rechte der nationalen Minderheit verletzt wurden.
Doch geschehen ist seitdem nichts. Nach den Protesten hat sich nun der Öl- und Energieminister Terje Aasland bei den Sami entschuldigt und eingestanden, dass der Bau eine Menschenrechtsverletzung darstelle. Zugleich rief er dazu auf, nach einer Lösung zu suchen, die die Stromversorgung in der Region nicht gefährde.
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