Bewaffnete Hilfe: Sind die USA auf dem Weg, eine Militärpräsenz in Gaza aufzubauen?
Militärexperten befürchten, die USA werden in den Krieg hineingezogen. Die Hilfsoperation vor der Küste sei absurd. Was passiere bei Angriffen auf US-Soldaten?
Militärexperten in den USA sind sehr besorgt. Der Grund dafür ist eine US-Hilfsmission für den Gazastreifen, die große Risiken berge.
Gestern liefen vier Schiffe der US-Armee, beladen mit tonnenschweren Ausrüstungsgegenständen und Stahlpfeilersegmenten, vor der US-Küste im Bundesstaat Virginia in Richtung Gaza aus. Dahinter steckt ein Plan des Pentagon.
1.000 US-Soldaten, aber kaum Informationen über Einsatz
Danach soll das US-Militär eine große schwimmende Plattform vor der Küste Gazas bauen, an der Frachtschiffe Hilfscontainer entladen können. Von dort sollen dann Marineschiffe die Güter zu einem schwimmenden Damm bringen, der etwa 550 Meter lang ist, zwei Fahrspuren hat und am Strand von Gaza verankert wird.
Offen ist allerdings, wie von dort die Güter an den Strand und zu den bedürftigen Menschen gelangen sollen. 1.000 US-Soldaten werden an dem Einsatz beteiligt seien, sowohl von der Armee als auch der Marine.
Insgesamt wirft die Mission viele Fragen auf. Bei der Vorstellung des Plans durch Pentagon-Sprecher Generalmajor Pat Ryder wurden nur wenige Informationen und keine Details bekannt. Man könne z.B. aus operativen Sicherheitsgründen nicht mitteilen, wo der Bau stattfinden werde, so Ryder.
Kopfzerbrechen bereitet Analysten aber genau das: der Mangel an Informationen darüber, wie die Sicherheit der US-Truppen gewährleistet und eine schleichende, durch Vorfälle erzwungene Ausweitung des Einsatzes im Kriegsgebiet verhindert werden kann.
Militäroperation soll "nicht-militärisches Gesicht" erhalten
Eine drängende Frage ist z.B., von wem die Hilfsgüter an Land gebracht werden. Das Pentagon hat betont, dass das US-Militär dafür nicht eingesetzt werden soll. Wer aber ist dann dafür zuständig?
Das Wall Street Journal berichtete am Sonntag, dass die Regierung in Gesprächen mit privaten Unternehmen sei. Ein Auftragnehmer, der dabei genannt wird, ist Fog Bow, eine Firma, die ausschließlich von ehemaligen US-Militärs und Geheimdienstlern geführt wird.
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Fog Bow ist wiederum verbunden mit Militärberatungsfirmen, die "Geheimdienst- und Spezialeinheiten auf aktuelle und künftige irreguläre Kriegseinsätze" vorbereitet. Die US-Hilfslieferung vom Meer aus könnte also ein verdeckter Einstieg sein für US-Spezialkräfte, die bei dem Einsatz Geld verdienen wollen, während mit Fog Bow der Militäroperation ein "nicht-militärisches Gesicht" gegeben werde, wie Oberst a.D. Doug Macgregor gegenüber Responsible Statecraft erklärte.
Was passiert bei Hamas-Angriff auf US-Streitkräfte?
Vor allem ist völlig unklar, wie man die 1.000 US-Streitkräfte vor Ort schützen will. Michael DiMino, ein ehemaliger CIA-Militäranalytiker und Antiterroroffizier, der jetzt Programmmanager bei Defense Priorities ist, sagte:
Es ist eine nicht unerhebliche Sorge, dass die Truppen von militanten Kräften, insbesondere der Hamas, angegriffen werden könnten. Dabei ist es schockierend für mich, dass es keine wirkliche Erklärung zu Notfallplänen gibt. Wie werden wir reagieren, wenn unsere Truppen oder US-Personal, befehligt von Washington, angegriffen werden?
Auch eine Ausweitung und Eskalation der Mission sei nicht auszuschließen, angesichts der Dynamik des Kriegsschauplatzes und der extrem hohen Risikolage in der Enklave. Es gäbe auch keine Garantie, dass die Operation von "einer Anlegestelle zu zwei Landungsbrücken, zu einem Brückenkopf am Strand und zu einer vorgeschobenen Operationsbasis wird – wer A sagt, muss dann auch B sagen", so DiMino.
Es bestehe jetzt eine "feste US-Präsenz in der Kriegszone, an einem Ort, der im Moment wahrscheinlich der instabilste der Welt ist".
Hunderte Millionen Dollar von US-Steuerzahlern – warum?
Israel hat bisher offiziell nicht bestätigt, ob es die Lieferungen über die Küste zulassen werde. Auch wich der Pentagon-Sprecher auf der Pressekonferenz der Frage aus, ob man von israelischer Seite Zusicherungen erhalten habe, dass nicht auf Palästinenser geschossen werde, die die Hilfsgüter abholten, wie in der Vergangenheit geschehen.
Vor allem wird an der Mission kritisiert, dass es Alternativen gibt, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu transportieren, die deutlich besser, sicherer und günstiger sind sowie keine Belastung für die US-Steuerzahler darstellen. Experten schätzen, dass die US-Operation des Pentagon angesichts des Aufwands Hunderte Millionen Dollar oder sogar mehr kosten werde.
Oberstleutnant a.D. Daniel Davis, Senior Fellow bei Defense Priorities, zeigt sich verärgert über diese unnötige Belastung und die potenziellen Risiken.
Anstatt das mächtige Druckmittel zu nutzen, das wir haben – tägliche Flugzeugladungen mit militärischer Ausrüstung und Munition für Israel und diplomatische Ressourcen im UN-Sicherheitsrat – lässt Biden alle Instrumente ungenutzt und erlaubt stattdessen (dem israelischen Premierminister Benjamin) Netanjahu, die Show komplett zu bestimmen. Biden gibt Millionen von US-Dollar aus und leitet US-Militärmittel um, um das zu tun, was Netanjahu umsonst tun könnte.
Kritik von allen Seiten: Warum nicht die einfache Lösung?
Auch von Hilfsorganisationen wird die US-Aktion kritisiert und zurückgewiesen. Vor allem dauere es mindestens 60 Tage, bis die Infrastruktur aufgebaut und betriebsbereit sei. Es herrsche aber jetzt bereits ein humanitärer Notstand in Gaza, jetzt verhungerten Menschen dort.
Es ist zudem problematisch, dass durch die vom Pentagon durchgeführte Mission mit tausend Soldaten humanitäre Hilfe und militärische Operation nicht mehr unterscheidbar seien.
Michael Fakhri, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, bezeichnet die Abwürfe von Nahrungsmitteln aus der Luft und die Pläne zum Bau eines schwimmenden Hafens als "absurd" und "zynisch". Er sagte, sie würden "sehr wenig zur Linderung von Hunger und Unterernährung beitragen und nichts unternehmen, um die Hungersnot zu verlangsamen".
Das International Rescue Committee (IRC) erklärte gegenüber Al Jazeera: "Ein provisorischer Damm, dessen Bau Wochen dauern kann, oder Abwürfe aus der Luft sind keine Lösung".
Israel habe "hungerähnliche Bedingungen" geschaffen
Stattdessen fordert man Israel auf, "die Belagerung des Gazastreifens aufzuheben, seine Grenzübergänge, einschließlich der Grenzübergänge Karni (Al-Muntar) und Erez (Beit Hanoon) im Norden, wieder zu öffnen und den sicheren und ungehinderten Transport von humanitären Helfern und Hilfsgütern – einschließlich Treibstoff, Lebensmitteln und medizinischen Gütern – zu ermöglichen."
Laut einem neuen Bericht der humanitären Organisation Refugees International hat Israel im Gazastreifen "hungerähnliche Bedingungen" geschaffen, "während es die humanitäre Hilfe behindert und untergräbt".
Die Recherchen ergaben, dass Tel Aviv "konsequent und grundlos Hilfsmaßnahmen innerhalb des Gazastreifens behindert, legitime Hilfsaktionen blockiert und sich der Umsetzung von Maßnahmen widersetzt, die den Ablauf der humanitären Hilfe in den Gazastreifen wirklich verbessern würden".