Bidens Unterstützung für Israels Krieg: In Washington rumort es
Beamte in Washington protestieren gegen die US-Unterstützung für Israels Krieg. Bislang hat kein Protest gefruchtet. Dafür gibt es einfache Gründe. Ein Gastbeitrag.
Unlängst kündigte US-Präsident Joe Biden an, er werde die Lieferung von Angriffswaffen an Israel einstellen, "wenn sie (die israelische Armee) nach Rafah gehen". Dies ist das bisher bemerkenswerteste Zeichen für einen Wandel in der Unterstützung des israelischen Krieges durch die US-Regierung. Aber es bleiben Fragen offen: Wie und wann der US-Präsident seinen Worten Taten folgen lassen?
Die Behauptung des Präsidenten, dass "sie bisher nicht in Rafah sind", obwohl Israel die Stadt im Süden des Gaza-Streifens weiterhin angreift, Panzer am Stadtrand stationiert und die Kontrolle über den Grenzübergang Rafah übernommen hat, deutet darauf hin, dass die Unterstützung der Vereinigten Staaten fortgesetzt werden könnte – solange der Angriff nur relativ begrenzt bleibt.
Doch hinter den Kulissen der US-Regierung gab es einige Unruhen.
Zunehmender Widerspruch im US-Apparat
Mindestens vier Bundesbeamte, darunter drei aus dem Außenministerium, haben aus Protest gegen die Reaktion der Regierung auf den Krieg öffentlich ihren Rücktritt erklärt. Diese Entwicklung vollzieht sich inmitten einer Reihe von Berichten über interne Spannungen in der Biden-Regierung, die sich auf die weitgehend unerschütterliche politische und materielle Unterstützung der Regierung von Benjamin Netanjahu für einen Krieg beziehen. Dieser Krieg hat inzwischen fast 35.000 Palästinenser das Leben gekostet.
Weiterhin haben hunderte Beamte verschiedener Regierungsbehörden eine Reihe offener Briefe unterzeichnet, in denen sie Biden aufforderten, sich für einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen und eine Deeskalation in der gesamten Region einzusetzen.
Leider, so ein Bundesbeamter mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in zwei Regierungsbehörden, "wiederholt die interne Kommunikation an die Mitarbeiter nur die öffentlichen Erklärungen, und das ist eine Quelle von Enttäuschung und tiefer Frustration".
Informeller Protest ohne Wirkung
Mit anderen Worten: Der informelle Weg, den Dissens mit der Nahostpolitik zu formulieren, scheint sieben Monate nach Beginn des Krieges keine Wirkung zu zeigen.
Die Kritiker innerhalb der Verwaltung sind nicht nur durch ihre moralischen Bedenken motiviert. Einer anderen Quelle zufolge wächst unter den Mitarbeitern das Gefühl, dass die langfristige Allianz mit Israel nicht den Interessen der USA dient.
Insbesondere befürchten sie, dass Washington selbst in einen regionalen Krieg hineingezogen wird. Und dass das Handeln die Instabilität in der Region erhöht. Ebenso besteht die Sorge, die "eiserne" Unterstützung für Israels Verhalten in Gaza könne jeden Anspruch der USA als Verfechter von Menschenrechten und Demokratie in der Welt untergraben.
Nicht nur Nahost-Experten protestieren
Der Dissens geht auch über die Abteilungen hinaus, die normalerweise für die Umsetzung der Gaza-Politik verantwortlich sind, wie das Außenministerium oder die Hilfsorganisation USAID. Es gibt Beamte in anderen Behörden, deren Arbeit nur am Rande mit dem Krieg zu tun hat, und wieder andere, die einfach nur empört sind über die US-amerikanische Mitschuld an der steigenden Zahl der Toten und der humanitären Krise.
"Als ich während des Rückzugs aus Afghanistan und der russischen Invasion in der Ukraine in der Verwaltung tätig war, wurden so viele Bemühungen unternommen, und die normalen Verfahren wurden angesichts der Dringlichkeit der humanitären Situation umgangen.
Aber nun haben wir eine ganz andere Lage. Es gibt systembedingte Probleme bei der Bearbeitung palästinensischer Fälle", sagt ein Beamter des Heimatschutzes. "Jede Initiative zur Beschleunigung der Hilfe für die Palästinenser wurde blockiert, unterdrückt oder dramatisch verlangsamt, wie ich es noch nie erlebt habe."
Frühe Entscheidung von ganz oben
Die Anzeichen dafür seien bereits in den ersten Tagen des Krieges erkennbar gewesen, so die Quellen. "Die Entscheidung wurde sehr früh von ganz oben getroffen", sagt ein Beamter mit 25 Jahren Erfahrung im Bereich der nationalen Sicherheit. "Experten wurden vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen, was es sehr schwierig macht, diese Politik zu ändern."
Annelle Sheline, eine ehemalige Mitarbeiterin des Büros für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit des Außenministeriums, die im März aus Protest gegen die Gaza-Politik der Regierung zurücktrat, sagt, sie habe ähnliche Erfahrungen gemacht.
US-Israel-Politik: Eine Dissidentin berichtet
"Es gibt so viele Leute im Außenministerium, die die Region hervorragend kennen und Bedenken aus allen möglichen Blickwinkeln geäußert haben: aus der Sicht des nationalen Interesses der USA, aus juristischer Sicht oder aus der Sicht der Menschenrechte", sagt Sheline zu unserem Partnermedium Responsible Statecraft, einem Medium des Quincy Institutes, die das sie früher Forschungsstipendiatin war:
"Leute, die ihre ganze Karriere damit verbracht haben, an diesen Dingen zu arbeiten, Aber niemand hat ihnen zugehört. Sogar relativ hochrangige Beamte des Außenministeriums, die sehr besorgt und sehr dagegen sind, wurden übergangen."
Bundesbedienstete, die enttäuscht über das Vorgehen in Gaza sind, sagen, dass sie verschiedene Möglichkeiten eruiert haben, um ihrer Position Ausdruck zu verleihen.
Zunehmende Hilflosigkeit in Washington
Ein Bundesbediensteter erzählte RS, als sie zu Beginn des Krieges ihre Besorgnis über die bedingungslose Unterstützung Israels zum Ausdruck brachten, hätten sie festgestellt, dass dies auf offiziellem Wege nicht möglich sei.
"Während Monate vergingen, wurde offensichtlich, dass die Debattenkanäle, für die sich das Außenministerium so oft lobt, eher dazu dienten, die Mitarbeiter zu beschwichtigen, als wirklich denjenigen zuzuhören, die über fundiertes regionales und politisches Wissen verfügten, und Veränderungen herbeizuführen", sagte der Bundesangestellte mit 15 Jahren Erfahrung.
Die Dissidenten sagen, dass nur eine Handvoll Leute in den oberen Rängen des Außenministeriums, im Nationalen Sicherheitsrat und schließlich Biden selbst die Entscheidungsgewalt haben und dass kein noch so großer Dissens einen Unterschied gemacht hat.
Bidens Haltung hat sich gefestigt
Einem Bericht zufolge hat sich Bidens eigene entschieden proisraelische Haltung in fünf Jahrzehnten in Washington gefestigt, und sein Engagement für den jüdischen Staat ist nicht leicht zu erschüttern.
In den Monaten seit dem 7. Oktober haben einige Mitarbeiter auf leisere und informellere Formen des Protests zurückgegriffen - sie haben unautorisierte Gespräche mit Journalisten geführt, ihre Avatare in den sozialen Medien geändert, um ihre Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen, oder während Arbeitssitzungen Keffiyehs getragen, um ihre Unzufriedenheit oder ihren Ärger über die Regierung auszudrücken.
US-Bundesbeamte weisen auch auf die Bedeutung des 8. Mais hin, an dem die Biden-Regierung dem Kongress einen Bericht über die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Israel vorlegen sollte. Dies wäre ein klares Zeichen dafür gewesen, wie weit Biden und andere hochrangige Beamte bereit sind, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Die Frist verstrich, ohne dass ein Bericht vorgelegt wurde. Es gibt widersprüchliche Berichte darüber, ob der Bericht "auf unbestimmte Zeit" verschoben wurde oder ob er bald vorgelegt wird.
Wie die Mitarbeiter feststellten, war die israelische Blockade der Hilfe – zumindest – so eklatant, dass es schwer vorstellbar ist, dass ein Beamter, der in gutem Glauben handelt, einen Bericht unterschreiben würde, der das Gegenteil behauptet. Dies ist ein Argument, das von vielen anderen namhaften Persönlichkeiten öffentlich vorgebracht wurde.
"Die Entscheidung über die Einhaltung des Völkerrechts ist eine Frage der Fakten und des Rechts. Fakten und Recht dürfen nicht ignoriert werden, um ein bestimmtes politisches Ergebnis zu erzielen. Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel", sagte vor Kurzem Senator Chris Van Hollen (D-Md), der Abgeordnete, der die Bemühungen um einen Bericht an den Kongress anführt.
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Ende April unterzeichneten mehr als 90 Anwälte einen Brief an die Biden-Regierung, in dem sie diese aufforderten, die Militärhilfe für Israel auszusetzen. "Das Gesetz ist eindeutig und steht im Einklang mit der Mehrheit der US-Amerikaner, die glauben, dass die USA die Waffenlieferungen an Israel stoppen sollten, bis es seine Militäroperation in Gaza beendet", heißt es in dem Brief. Nach Angaben des US-Nachrichtenmagazins Politico arbeiten mindestens 20 der Unterzeichner für die Regierung.
Politico berichtete auch, dass die Zahl der nicht-öffentlichen Rücktritte von Beamten zugenommen habe und weitere öffentliche und nicht-öffentliche Rücktritte folgen würden.
Folgen weitere Rücktritte?
Interne Kreise berichten, dass es Diskussionen über Rücktritte in größerem Umfang gegeben hat, obwohl es letztlich unklar bleibt, ob solche dramatischen Schritte viel bewirken würden, wenn man bedenkt, wie wenig Einfluss der öffentliche Widerspruch bisher gehabt hat. Viele Mitarbeiter zögern aus familiären oder finanziellen Gründen, ihren Job aufzugeben.
Sheline, war die dritte Person in Staastdiensten, die wegen der Gaza-Politik öffentlich zurückgetreten ist. Sie sagt, es habe Versuche gegeben, ihren Rücktritt und die vorherigen zu delegitimieren: "Ich denke, wenn es noch mehr öffentliche Rücktritte gäbe, wäre es für die Regierung sehr schwierig, so zu tun, als sei dies ein Einzelfall. Deshalb hoffe ich, dass es noch mehr Rücktritte geben wird."
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch bei unserer Partnerseite Responsible Statecraft. Übersetzung und Bearbeitung: Harald Neuber