Big-Tech-Lobby: Wie Google und Co. die Politik der EU beeinflussen

Seite 2: Lobbying 101: Diese Zutaten gehören in eine gute Kampagne

Der aktuelle Fall zeigt, wie bereits oben geschildert, zahlreiche Taktiken, welche Lobbyisten in Brüssel anwenden, um Einfluss auf Gesetzgeber und Entscheidungen zu nehmen:

1. Revolving Door-Prinzip

Eine der problematischsten Formen der Einflussnahme sind personelle Wechsel von der Politik auf die Wirtschafts- oder Lobbyseite. Der Verdacht liegt nahe, dass Volksvertreter so für gefälliges Abstimmungsverhalten belohnt werden.

Außerdem setzen sie ihre Kontakte und Netzwerke nach einem Wechsel für die Wirtschaft ein – geldwerte Strukturen, die sie nur durch ihren Dienst am Bürger hatten aufbauen können. Im Fall der Chatkontrolle stellt der Vorstandsposten ein Paradebeispiel für diese Verflechtungen dar. Er ist besetzt mit der ehemaligen EU-Kommissarin Neelie Kroes.

1. Einflussnahme auf Akademia

Die EU-Gremien beziehen regelmäßig Forschung und Wissenschaft als Experten bei der Gesetzgebung ein. Dies macht Akademia zu einem lukrativen Kanal, Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zu nehmen.

Durch Unterstützung universitärer Forschungsprogramme können die Big-Tech-Unternehmen die von ihnen unterstützen Forscher zumindest in einen Interessenkonflikt bringen, wenn diese von Gesetzgebern um ihre Expertise gebeten werden – auch, weil die "Revolving Door" sich hier fleißig dreht.

Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigt auf, dass 52 Professoren zwischen 2004 und 2018 von der Forschungs- auf die Unternehmensseite gewechselt sind und Posten bei Google oder anderen Tech-Unternehmen angenommen haben.

3. Zweifelhafte NGOs als Strohmänner

Eine oft gewählte Strategie in der Lobbyarbeit ist die Unterstützung und der Einsatz von verdeckt gesteuerten Verbänden, die im Namen bestimmter positiv besetzter Gruppen zu sprechen vorgeben. Ein Beispiel hierfür ist das oben genannte Thorn, oder die Verbände SME Connect, Allied for Startups und Connected Commerce Council.

Alle drei nehmen für sich in Anspruch, für kleine Unternehmen zu sprechen, sollen aber bei den Verhandlungen zu Digital Markets Act (DMA) und Digital Services Act (DSA) im Sinne ihrer Geldgeber Google, Meta und Amazon agiert haben.

4. Think Tanks, Studien und Umfragen

"Traue keiner Studie, die du nicht selber gefälscht hast" gilt auch in Brüssel. So hatten die Tech-Giganten etwa mittels einer Untersuchung massive Arbeitsplatz-Verluste prophezeit, falls der DMA in seiner jetzigen Form verabschiedet würde.

Max Bank von Lobbycontrol nannte diese Prophezeiung auf einer Veranstaltung "absurd". Im Chatgate-Fall berief sich Johansson auf eine Eurobarometer-Umfrage, die breite Zustimmung für ihren Entwurf unter den Bürgern der EU belegen wollte. Patrick Breyer konnte ihr methodische Fehler nachweisen und nennt mehrere Umfragen, die zum gegenteiligen Ergebnis kommen.

5. Unternehmensberater und Wirtschaftsexperten

Zudem sind gut betuchte Jobs in Beratungsfirmen ein guter Weg, die "Revoling-Door"-Beschränkungen des EU-Parlaments zu umgehen, da diese Unternehmen oftmals nicht als Interessengruppen gelten. Ein deutsches Beispiel hierfür ist die Tätigkeit des in der Digitalgesetzgebung sehr aktiven EU-Abgeordneten Axel Voss (CDU), der von einer Steuerprüfungssozietät ein Gehalt bezieht, die in Verbindung mit der Lobbyorganisation B-Connect steht.

6. Anzeigenkampagnen zur Meinungsbildung

Lobbying in Brüssel verwendet gezielte Anzeigenkampagnen, um die Meinung von Gesetzgebern oder Bürgern in bestimmten Ländern zu beeinflussen, die mit ihrem Votum das Abstimmungsverhalten der Gesetzgeber festlegen könnten. So auch im Kampf gegen Einschränkungen für Tracking Ads im Rahmen des DSA.

Wie massiv dieses Mittel eingesetzt werden kann, erklärte Tanya O'Carroll, Digital- und Menschenrechtsaktivistin, auf der Veranstaltung zu Big-Tech-Lobbyismus im Europäischen Parlament der EU-Grünen:

Im Jahr 2021 gab Meta allein in Deutschland 6,8 Millionen Euro für Plakat- und Printwerbung aus, und damit mehr als im gesamten Jahr zuvor für Lobbyarbeit in Brüssel.

Die Parlamentarierin Alexandra Geese von den Bündnisgrünen in Deutschland schildert ihre eigenen Erfahrungen mit der Werbemacht der Big Tech Firmen:

Jede zweite Werbung, die ich sah, kam im Grunde von Google und Facebook. Bei der Landung auf dem Brüsseler Flughafen, beim Aussteigen aus dem Flugzeug, am Brüsseler Bahnhof: Überall erwartete mich die Werbung. Ich dachte mir: Verfolgen mich diese Typen oder was ist los?

7. Endlose Ressourcen

Nicht zuletzt können vor allem große Branchen wie die IT ihre wirtschaftliche Macht ausnutzen, um dem schieren Volumen von Gremien und Beratungen Herr zu werden, die typischerweise zur Entscheidungsfindung in Brüssel führen. Claire Fernandez, Executive Director des Netzwerkes für digitale Rechte EDRi, erklärt es folgendermaßen:

Wir sehen eine Vervielfachung von Foren [...], die vor und nach der Gesetzgebung stattfinden. Je mehr Ressourcen man hat, desto einfacher ist es natürlich, sie alle zu beeinflussen.

In Zahlen: Lobbying in Brüssel

Insgesamt bringen Unternehmen in Brüssel jedes Jahr über 100 Millionen Euro für ihre Lobbyarbeit auf – 2022 waren es 113 Millionen. Die Big-Tech-Branche ist dabei führend: unter den sechs größten Budgets liegen die von Meta, Apple, Google und Microsoft, die zusammen über 40 Millionen Euro ausgeben. Dazu kommen noch Ausgaben auf Ebene der Mitgliedsstaaten, um deren Abstimmungsverhalten zu beeinflussen.

Änderungen bei Transparenz-Regeln des EU-Parlaments nach Quatargate

Das EU-Parlament ist sich des Problems des Lobbyings bewusst. Es hat sich nach dem "Quatargate"-Skandal neue Regeln zur Transparenz verordnet, die im November 2023 in Kraft treten. Dazu zählen die folgenden Neuerungen:

- Die Änderungen unterbinden Kontakt zwischen amtierenden Parlamentsmitgliedern und ehemaligen, die weniger als sechs Monaten nicht mehr im Amt sind – ein Versuch, die "Revolving Door"-Problematik zu entschärfen.

- Abgeordneten ist untersagt, Geschenke im Wert von mehr als 150 Euro anzunehmen. Nebeneinkünfte sind ab 5.000 Euro jährlich offenzulegen. Die Teilnahme an Events, für die die Kosten von Dritten getragen werden, sind ebenfalls meldepflichtig.

Ein Vorschlag, der im neuen Regelwerk nicht durchgesetzt werden konnte, hätte es EU-Parlamentsmitgliedern untersagt, Posten in Interessenvertretungen anzunehmen. Auch ein generelles Verbot von Nebeneinkünften konnte nicht durchgesetzt werden. Zudem fehlt es noch an Mitteln, um die Regeln auch effektiv durchzusetzen.

Wie kann das Lobbying besser kontrolliert werden?

Auf der Veranstaltung "Tomorrow: Reclaiming our digital future" wurden verschiedene Maßnahmen diskutiert, um die Transparenz-Regeln weiter zu verbessern.

So schlug Max Bank von Lobbycontrol vor, das Budget für die Kontrollen der Angaben zu erhöhen, Beratungsunternehmen im Lobbyregister zu führen und den Trilog transparenter zu gestalten. Wichtig sei aber auch, den Stimmen derer, die sonst nicht gehört werden, stärkeres Gewicht zu verleihen – ein Problem, für das er aber keinen konkreten Ansatz vorschlagen konnte.

Alexandra Geese regt zudem an, in der Forschung Bewusstsein für die Probleme der Förderung durch Unternehmen zu erzeugen, die dadurch Einfluss auf die politische Beratung suchen:

Eine Kampagne, die sagt, dass es für Akademiker [...] nicht in Ordnung ist, Geld von Google, Meta oder Amazon anzunehmen – das wäre eine tolle Sache.

Weitere Vorschläge umfassen verbesserte Transparenz auf Ebene der Mitgliedstaaten, welche über die EU-Kommission einen starken Einfluss haben, größere Skepsis der EU-Parlamentarier bezüglich der Motive ihrer Gesprächspartner, und generell eine Beschränkung der Marktmacht der größten Unternehmen durch Wettbewerbskontrolle.

Fazit

Lobbying ist ein legitimer Baustein in der politischen Entscheidungsfindung. Es integriert die Perspektive eines wichtigen Elements der Gesellschaft – der Wirtschaft –, die nicht auf anderem Weg gehört wird. Aber die Bürger haben ein Recht darauf, dass diese Perspektive transparent und offen eingebracht wird.

Die gängige Praxis des EU-Lobbying ist jedoch an vielen Stellen darauf angelegt, die Urheberschaft von Botschaften zu verschleiern. Noch gravierender aber ist die Tendenz, einzelnen politischen Entscheidungsträgern und ihren Teammitgliedern finanzielle Anreize zu geben, im Sinne der Unternehmen zu entscheiden.

Die Grenze zur Korruption ist hier fließend, und es sollte im Interesse der Beteiligten auf beiden Seiten sein, durch ihr Verhalten jeden Verdacht der Vorteilsnahme auszuschließen. Da das oftmals nicht der Fall zu sein scheint, sind Transparenzregelungen wie die jüngst beschlossenen entscheidend wichtig für das politische Ansehen der EU und ihrer Gremien.