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Bio-Strategie 2030 trifft Glyphosat-Verlängerung

Susanne Aigner
Glyphosat-Unkrautvernichter auf dem Boden – Symbol der Kontroverse um Pflanzenschutzmittel

Glyphosathaltige Unkrautvernichter kursieren unter verschiedenen Namen. Foto: Parkywiki / CC-BY-SA-4.0

Agrarminister Özdemir hat seine Bio-Strategie vorgestellt. Gegen die Zulassung des Ackergifts Glyphosat in Deutschland will er vorgehen. Woran dies scheitern könnte.

Das Verbot war schon in greifbarer Nähe. Nun rückt es wieder in weite Ferne: Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat darf für weitere zehn Jahre in der EU angewendet werden, wenn auch mit Auflagen und Einschränkungen.

Zuvor hatten sich in einem EU-Berufungsausschuss weder hinreichend Vertreter der EU-Staaten für noch gegen einen weiteren Einsatz des Mittels ausgesprochen. Bei der Abstimmung war eine qualifizierte Mehrheit von 15 der 27 EU-Länder erforderlich, um den Vorschlag entweder zu unterstützen oder zu blockieren. Vor diesem Hintergrund konnte die EU-Kommission jetzt im Alleingang entscheiden.

Nach dem Vorschlag der Behörde wird der Einsatz von Glyphosat in der EU [1] jetzt weiter bis 2033 erlaubt. Allerdings ist die Verwendung des Unkrautvernichters an Bedingungen geknüpft: Unter anderem sollen Landwirte mindestens fünf Meter breite Pufferstreifen einhalten. Die Mitgliedsstaaten sollen zudem die Menge und die Häufigkeit für den Einsatz des Mittels beschränken.

Eine Wiederzulassung hätte auch für einen deutlich kürzeren Zeitraum gelten können, kritisiert Cem Özdemir, der die erneute Zulassung ausdrücklich bedauert. Die Entscheidung der EU-Kommission werde dem Abstimmungsverhalten im zuständigen EU-Ausschuss in keiner Weise gerecht, erklärt der Bundesagrarminister.

Deutschland hatte sich bei der Abstimmung erneut enthalten. Denn während die FDP für eine Zulassungsverlängerung stimmte, hatten sich die Grünen dagegen ausgesprochen. Sechs weitere EU-Staaten, darunter Frankreich und die Niederlande, hatten sich enthalten. Nur Österreich, Luxemburg und Kroatien lehnten eine erneute Zulassung des Unkrautvernichters ab [2].

Mit Blick auf das weitere Vorgehen verwies Özdemir auf die im Ampel-Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. Im Rahmen dessen, was Brüssel festgelegt hat, will er nun den nationalen Spielraum nutzen.

Denkbar wären strengere Regeln oder sogar ein nationales Verbot. Doch ein nationaler Alleingang dürfte schwierig werden. Zwar wollte Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner ein Verbot von Glyphosat ab 2024 sogar unabhängig von einer weiteren Zulassung auf EU-Ebene durchsetzen.

Fraglich ist jedoch, ob das vor Gericht standhält. Immerhin bestimmt eine EU-Verordnung, welche Pflanzenschutzmittel in den Mitgliedsstaaten eingesetzt werden dürfen.

Mitgliedsstaaten dürfen mit guter Begründung Zulassung verweigern

Für ein Glyphosat-Verbot im eigenen Land braucht es allerdings triftige Gründe. So müsste Deutschland zum Beispiel nachweisen, warum Glyphosat auf Feldern in Brandenburg links der Oder ein höheres Risiko für Mensch und Natur darstellt als auf polnischen Feldern. Luxemburg hatte diesen Weg probiert, war damit aber vor dem höchsten Verwaltungsgericht im Land gescheitert.

Bayer, einer der größten Produzenten von Pflanzenschutzmitteln, hatte seinerzeit gegen Glyphosat-Verbot geklagt. Im vergangenen Jahr verdiente der Konzern allein mit seinen Agrar-Produkten, zu dem primär das Geschäft mit Herbiziden gehört, mehr als 25 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr konnte Bayer den Umsatz um satte 44 Prozent steigern.

Der Grund hierfür seien "Preissteigerungen aufgrund von Versorgungsengpässen für glyphosathaltige Produkte" unter anderem im europäischen Markt, wie das Unternehmen erklärte.

Auch konventionelle Landwirte könnten klagen, sollte die Anwendung von Glyphosat hierzulande verboten werden. Ein deutscher Alleingang könnte als Nachteil im europäischen Konkurrenzkampf gesehen werden, warnt der Deutsche Bauernverband, der vor Wettbewerbsnachteilen innerhalb der EU warnt.

Umweltschützer und Verbraucherverbände sind von der Entscheidung der EU-Kommission enttäuscht. Sie fordern schon lange ein Verbot des umstrittenen Mittels. Die EU habe eine riesige Chance vertan. Dass Glyphosat für weitere zehn (!) Jahre erlaubt bleiben soll – und das ohne qualifizierte Mehrheit – sei ein Skandal, erklärt Öko-Test-Chefredakteurin Kerstin Scheidecker.

Ob Müsli, Spaghetti, Hummus, schwarzer Tee oder Bier – in hauseigenen Tests findet Öko-Test immer wieder Glyphosat. Daran ist zu erkennen, wie großflächig das Herbizid gesprüht wird [3]. Auch Honig [4] ist immer öfter mit Glyphosat belastet.

Biostrategie 2030 - mehr als nur ein Papiertiger?

Die Glyphosat-Entscheidung kam am 16. November 2023, am selben Tag, an dem Cem Özdemir seine neue Bio-Strategie vorstellte. Mit 30 ambitionierten Maßnahmen will der Bund gemeinsam mit den Unternehmen der Wertschöpfungskette, Ländern, Wissenschaft und Beratung die Produktion, Verarbeitung und Konsum von Lebensmitteln aus ökologischem Anbau voranbringen.

Diese sollen den Öko-Sektor stärken und die Land- und Lebensmittelwirtschaft krisenfester machen. Die wichtigsten Punkte sind [5]:

Die Strategie sei in einem breiten Beteiligungsprozess mit Landwirten, Wirtschaft, Wissenschaft und den Ländern erarbeitet worden. Sie soll praxisnah und am Bedarf aller orientiert sein, vom Landwirt bis zum Bürger, betont Özdemir [6]. Viele Länder haben bereits eigene Bio-Programme. Die nationale Biostrategie werde diesen Programmen einen Schub verleihen, versichert der Grünen-Politiker.

Kritik von Konservativen und aus der Öko-Szene

Leider hat das FDP geführte Bundesforschungsministerium seine Zustimmung verweigert, weil es darauf bestanden habe, die neuen genomischen Züchtungstechniken im Text zu erwähnen. Der Landwirtschaftsminister habe es somit nicht geschafft, das Ziel des Koalitionsvertrages zu erfüllen und die Öko-Strategie für die Bundesregierung zu aktualisieren, schreibt Simon Michel-Berger in Agrar heute [7].

Wer meint, Lebensmittel noch besser machen zu müssen, sollte nicht ein bestimmtes Label fördern, sondern auf Innovationen wie neue Züchtungsmethoden setzen, fordert Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BOELW) [8] hingegen kritisiert, dass immer noch zu wenig in die Bio-Forschung investiert werde. Beim Thema EU-Gentechnikregulierung müsse sich die Bundesregierung für Wahlfreiheit und gentechnikfreie Lebensmittel einsetzen, so wie für eine konsequente Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie. Auch sei die EU-Agrarpolitik bisher nicht konsequent auf das Bio-Ziel ausgerichtet.

Ohne Konsens über die Öko-Strategie wird es wohl schwierig werden, finanzielle Mittel für die darin vorgeschlagenen Maßnahmen zu erhalten. Erst recht, nachdem das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine klaffende Haushaltslücke von 60 Milliarden Euro hinterlassen hat.

Mit diesem Urteil werden dringend benötigte Gelder für Klimaschutzmaßnahmen in Land- und Forstwirtschaft blockiert [9], wie Maßnahmen zur Wiedervernässung von Mooren bzw. zum Schutz von Moorböden, zur energetischen Nutzung von Wirtschaftsdünger, zur Emissionsminderung und vieles mehr. All das macht es bestimmt nicht einfacher, die Biostrategie wie geplant umzusetzen.

Doch da sind noch die 100 Milliarden, die eigentlich für die Bundeswehr vorgesehen waren, und die nun zur Finanzierung für Wichtigeres dienen könnten. Denn militärische Aufrüstung hin oder her: In Zeiten von Krisen, Inflation und Klimawandel sollten Nahrungssicherheit und Klimaschutzmaßnahmen an erster Stelle stehen – schon deshalb, um soziale Unruhen zu vermeiden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9535632

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/article/Bayer-in-der-Krise-Flop-bei-Medikamenten-und-Glyphosat-Klagen-9535479.html
[2] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/glyphosat-eukommission-100.html
[3] https://www.oekotest.de/essen-trinken/EU-Entscheidung-zu-Glyphosat-Umstrittener-Unkrautvernichter-bleibt-weitere-zehn-Jahre-zugelassen-_14247_1.html
[4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-bayer-pflanzenschutz-pestizide-imker-bienen-landwirtschaft-1.5605859
[5] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/131-bio-strategie-2030.html
[6] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/oezdemir-stellt-bio-strategie-2030-vor-und-haelt-am-30-ziel-fest-13530522.html
[7] https://www.agrarheute.com/politik/oeko-landwirtschaft-streit-bundesregierung-um-cem-oezdemirs-plan-613296
[8] https://www.boelw.de/presse/meldungen/artikel/boelw-begruesst-bio-strategie-2030/
[9] https://www.agrarheute.com/politik/landwirte-koennten-milliarde-euro-wegen-klimafonds-urteil-verlieren-613230