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"Bioplastik", Bedarf an fossilem Strom und Tierwohl

Drei Fragen aus dem Forum. Eine Telepolis-Kolumne.

Lässt sich mit Biokunststoffen das Plastikproblem lösen?

Auf Kritik stieß der Artikel "Wie die Plastik-Verseuchung beendet werden kann – jenseits von Recycling [1]" von Hans-Josef Fell. Fell bemängelt darin, dass bislang viel zu wenig getan wird, um die Plastikflut einzudämmen. Recyclingquoten wären zu gering, angeblich recyceltes Plastik würde illegal im globalen Süden deponiert und Plastik aus Erdöl trage zum globalen CO2-Ausstoß bei.

Eine echte Lösung würden dagegen nur Kunststoffe aus biologischen Materialien darstellen.

Nach der Nutzungsdauer können Biokunststoffe kompostiert werden und den Humus oder Algendünger bilden, aus dem neue Pflanzen und Algen für die Kunststoffproduktion wachsen. Selbst weggeworfene Biokunststoffe würden in der Landschaft oder im Meer einfach verrotten.

Hans-Josef Fell

Dieser These setzt ein User entgegen [2]:

(...) Bioplastik (BP) ist nicht umsonst unbeliebt. Es steht vielfach in seiner Herstellung direkt in Konkurrenz mit Nahrungsmitteln. Bio-PE z.B. baut genauso wenig ab wie "fossiles" PE und kostet aus Alkokol hergestellt – ein Vielfaches.

Solange auf der ganzen Welt Öl als Grundstoff so billig ist wie jetzt, wird es keine Verbreitung von BP geben.

M.E. viel sinnvoller wäre es, durch KlimaClubs und CO2-Abgaben Öl angemessen zu verteuern – und dadurch chemisches (Pyrolyse) und stoffliches Recycling wirtschaftlich zu machen. (…)

Unter dem Label "Biokunststoffe" laufen zunächst unterschiedliche Dinge:

Biokunststoffe sind entweder biobasiert oder bioabbaubar oder beides. Biobasiert bedeutet, dass das Material oder Produkt (teilweise) aus Biomasse, z.B. Mais, Zuckerrohr oder Cellulose, erzeugt worden ist. Bioabbaubar beschreibt einen biochemischen Prozess, in dem in der Umwelt vorhandene Mikroorganismen das Material in natürliche Substanzen wie z. B. Wasser, Kohlendioxid und mikrobielle Biomasse umwandeln.

Fraunhofer Umsicht [3], 2018

Was im Umkehrschluss bedeutet, dass es auch Kunststoffe aus biologischen Materialien gibt, die aber nicht vollständig abbaubar sind. Hinzu kommt, dass nach derzeitiger Definition biobasierte Kunststoffe nicht zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen müssen, sie können auch einen geringen fossilen Anteil enthalten.

Wer schon einmal versucht hat, angeblich kompostierbare Müllbeutel auf dem Komposthaufen im Garten verrotten zu lassen, weiß, dass das nicht richtig funktioniert, bzw. sehr lange dauert. Beim Umweltbundesamt ist zu lesen [4]:

Bei den Normen zur industriellen Kompostierbarkeit wird ein Abbau unter den Bedingungen einer großtechnischen Kompostierungsanlage geprüft. In solchen Kompostierungsanlagen werden beispielsweise Temperaturen von weit über 60°C erreicht, was bei Komposthaufen im Garten in der Regel nicht der Fall ist. Nur unter diesen Bedingungen erfolgt der mikrobiologische Abbau der Tüten schnell und zuverlässig.

Die Hoffnung, dass weggeworfenes Plastik in der Landschaft verrottet, ist daher bislang wohl nur ein schöner Traum. An verschiedenen Stellen ist zudem zu lesen, dass zerfallendes Bioplastik kein Pflanzendünger und nicht humusbildend ist. Bestenfalls löst sich das Ganze aber in CO2 und Wasser auf.

Bislang ist der Anteil von Bioplastik an der globalen Plastikproduktion gering, daher auch der für die Rohstoffe benötigte Flächenbedarf. Würden erdölbasierte Kunststoffe in jetzigen Größenordnungen jedoch aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, dann sähe das ganz anders aus.

"Würde der gesamte globale Kunststoffbedarf durch Bioplastik ersetzt, ginge das mit einem Flächenbedarf von knapp 5 Prozent der weltweiten Anbaufläche einher. Dies entspräche 75 Millionen Hektar Land, also mehr als der doppelten Fläche Deutschlands", schreibt die Deutsche Umwelthilfe 2021 [5].

Brauchen wir so viel fossile Energie?

Die in der Unterüberschrift des Artikels "Energieverbrauch: Mehr Wind, Sonne, aber auch Kohle [6]" von Wolfgang Pomrehn gestellte Frage: "Warum ist der deutsche Energieverbrauch trotzdem weiter viel zu stark fossil geprägt?", beantwortet ein User mit einem einfachen: "Weil es sonst nicht reicht (…)."

Hier könnte die Henne-oder-Ei-Frage gestellt werden: Gibt es zu wenig Stromerzeugungsanlagen mit erneuerbarer Energie, weil es noch zu viele fossile Kapazitäten gibt, oder bleiben die fossilen Kraftwerke am Netz, weil es zu wenig erneuerbare Kapazitäten gibt?

Der aktuelle Strommix ist jedenfalls das Resultat politischer Entscheidungen, etwa, wie schnell aus der Kohle ausgestiegen werden soll, oder ob der Ausbau erneuerbarer Energien eher gefördert oder mit "Deckeln" gebremst wird.

Unbestritten ist, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt werden muss, um fossile Energieträger zu ersetzen, so wie es die deutschen Klimaziele vorsehen. Dies bekräftigte Simon Müller, Direktor Deutschland bei Agora Energiewende, in einer Pressemitteilung zum CO2-Ausstoß [7] 2022:

Wir brauchen mehr Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau, um Emissionen zu senken und wir müssen den Kohleausstieg 2030 absichern.

Trotz fehlender Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren darf aber nicht vergessen werden, dass Deutschland seit langen Jahren ein Nettoexporteur von Strom ist. Seit Anfang der 2000er Jahre wird mehr Strom exportiert als importiert.

Der Exportsaldo [8] ist dabei bis 2017 stark gestiegen und ging in den letzten Jahren wieder etwas zurück. 2022 stieg er gegenüber 2021 wieder deutlich an. 2021 exportierte Deutschland 20,8 Terawattstunden mehr, als es importierte. 2022 waren es 27,5 Terawattstunden.

Im vergangenen Jahr und auch weiterhin anhaltend gab und gibt es große Engpässe bei der Stromversorgung in Frankreich, weil die dortigen Atomkraftwerke in großer Zahl stillstehen. Deutschland muss also bei der Stromversorgung des Nachbarn einspringen, wie der Deutschlandfunk berichtet [9].

Exportiert wurde nicht nur Kohlestrom und Strom aus erneuerbaren Quellen, sondern auch aus Gaskraftwerken, die laut dem Bericht verstärkt gelaufen seien, um dem westlichen Nachbarn auszuhelfen.

Zudem können große Mengen erneuerbarer Energie nicht genutzt werden, weil die Anlagen zeitweise im Rahmen des Einspeisemanagements abgeregelt werden müssen.

Der größte Anteil der abgeregelten Strommenge entfällt auf die Windenergie. Im Jahr 2021 gingen auf diese Weise 5,8 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Erneuerbaren Energien verloren, etwa ein Prozent der gesamten Stromerzeugung in Deutschland. Statt Anlagen abzuregeln, wäre es sinnvoller, den Strom zu speichern und später zu nutzen oder ihn in anderen Anwendungen, zum Beispiel zum Heizen einzusetzen.

Agentur für Erneuerbare Energien [10]

Für 2022 wurden noch keine Zahlen veröffentlicht, es lässt sich aber vermuten, dass sich die Strommenge in ähnlicher Größenordnung bewegt.

Natürlich sind weitere technische Verbesserungen notwendig, um den heute noch abgeregelten erneuerbaren Strom in vollem Umfang nutzbar zu machen. Dazu zählt die Ertüchtigung von Stromnetzen, der Ausbau von Speichern und ein besseres Lastmanagement.

Wie ist es um das Tierwohl in anderen europäischen Ländern bestellt?

Auf den Artikel "Zeitenwende im Kuhstall [11]" von Susanne Aigner fragt ein User [12]:

Wie sieht dann die Rinderhaltung in anderen EU Staaten aus? Das in BRD hier nicht alles heile Welt ist, ist bekannt. Aber wie sieht es in zum Beispiel den ost- oder südeuropäischen Ländern mit der Rinderhaltung aus?

Das ist zwar prinzipiell eine interessante Frage, allerdings ist Deutschland nach Frankreich das Land mit dem zweitgrößten Rinderbestand in der EU. 2021 wurden in Deutschland über 11 Millionen, in Frankreich fast 18 Millionen Rinder registriert.

Bei den Milchkühen steht Deutschland europaweit an der Spitze. In beiden Ländern ist der Rinderbestand um etwa zwei Prozent rückläufig. Immerhin an fünfter Stelle beim Rinderbestand steht unser östlicher Nachbar Polen mit 6,4 Millionen Tieren. Einen erwähnenswerten Bestand hat von den osteuropäischen Ländern außerdem Rumänien mit knapp 1,9 Millionen Rindern, auch dort mit rückläufiger Tendenz.

Die EU legt in der Direktive 98/58/EC vom 20. Juli 1998 Mindestschutzstandards für landwirtschaftliche Nutztiere fest. Die Einhaltung soll von den zuständigen Behörden kontrolliert werden und Viehhalter:innen müssen über medizinische Behandlungen und Todesfälle ihrer Tiere Buch führen.

Eine weitere Direktive aus dem Jahr 2008 definiert Mindeststandards für die Kälberhaltung (2008/119/EC). Darüber hinaus gelten jeweils nationale Bestimmungen. Doch die eigentliche Frage dürfte ja sein, inwieweit Tierschutzbestimmungen auch eingehalten, bzw. deren Einhaltung kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden.

Ein allgemeiner Mangel an Durchsetzung (oft in Kombination mit zu wenigen Kontrollen) wurde von nationalen Interessenvertretern (NGO, akademische Experten, manchmal nationale Wettbewerbsbehörden) für die in Irland, Polen, Rumänien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden sektorübergreifend festgestellten Verstöße verantwortlich gemacht.

Studie des Europaparlaments von 2021 [13]

Diese Studie stellt aber auch fest, dass es verschiedene Treiber für die Verbesserung des Tierwohls gibt. Eine aktive Zivilgesellschaft hätte in Spanien, Frankreich, Deutschland, Polen, Irland, Italien, Dänemark und den Niederlanden die Situation verbessern können. Aber auch offizielle Kontrollen und die Bedingungen für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU wurden als Faktor für Verbesserungen für das Tierwohl in Italien, Spanien, Dänemark, Irland und Rumänien genannt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7462428

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Wie-die-Plastik-Verseuchung-beendet-werden-kann-jenseits-von-Recycling-7398332.html
[2] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Wie-die-Plastik-Verseuchung-beendet-werden-kann-jenseits-von-Recycling/Herr-Fell-das-war-richtig-schwach/posting-42074228/show/
[3] https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/positionen-diskurs/recycling-biokunststoffe.html
[4] https://www.umweltbundesamt.de/biobasierte-biologisch-abbaubare-kunststoffe#35-welche-nachteile-haben-bioabfallsammelbeutel-aus-biologisch-abbaubaren-kunststoffen
[5] https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Kreislaufwirtschaft/Bioplastik/211202_DUH_Faktencheck_Bioplastik_2021.pdf
[6] https://www.telepolis.de/features/Energieverbrauch-Mehr-Wind-Sonne-aber-auch-Kohle-7448806.html
[7] https://www.agora-energiewende.de/presse/pressemitteilungen/rueckkehr-der-kohle-macht-energiespareffekte-zunichte-und-gefaehrdet-klimaziele-1/
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153533/umfrage/stromimportsaldo-von-deutschland-seit-1990/
[9] https://www.deutschlandfunk.de/frankreich-deutschland-energieversorgung-100.html
[10] https://www.unendlich-viel-energie.de/mediathek/grafiken/durch-einspeisemanagement-verlorene-stromerzeugung-aus-erneuerbaren-energien
[11] https://www.telepolis.de/features/Zeitenwende-im-Kuhstall-7451945.html
[12] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Zeitenwende-im-Kuhstall/Wie-sieht-dann-die-Rinderhaltung-in-anderen-EU-Staaten-aus/posting-42114912/show/
[13] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2021/662643/EPRS_STU(2021)662643_EN.pdf