Bleib wach Soldat, mach', was wirklich zählt!
Über eine Plakatkampagne des Militärministeriums zu den Ostermärschen. Ein pazifistischer Zwischenruf
Wie seit nunmehr über 60 Jahren wird auch in diesem Jahr in zahlreichen Städten zu den Ostermärschen für den Frieden eingeladen. Das Netzwerk Friedenskooperative informiert in einem Terminkalender über alle leibhaftigen Zusammenkünfte - selbstredend unter rationalen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz - sowie über Möglichkeiten, sich am virtuellen Ostermarsch zu beteiligen.
Die CDU/SPD-Regierung ist verantwortlich dafür, dass die Atombombe leider noch immer auch als explizit "deutsches Thema" bei den Ostermärschen zur Sprache kommen muss. Unser Land, das in der Geschichte so viel Tod auf dem Globus verbreitet hat, fehlt beim bahnbrechenden Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen.
Die gegenwärtige Pandemie sollte eigentlich allen vor Augen führen, wie irrsinnig Technologien zur Zerstörung des ohnehin so verwundbaren Lebens sind. Die staatstragenden Parteien halten jedoch unverdrossen fest an einem explosiven Aufrüstungskurs und stützen die profitablen Mordwaffenexporte in alle Welt, die sich wohl kaum mit der Präambel des Grundgesetzes zusammenreimen lassen.
Das Militärministerium und Sinn des Lebens
Die alte Leier von den ewig sterbenden und kleiner werdenden Osterfriedensmärschen wird man in diesem "Corona-Jahr" dem Publikum vielleicht seltener als sonst darbieten. Das Militärministerium nimmt den Ostertermin sehr ernst und lässt mit Steuergeldern die kommerziellen Plakatwände bekleben.
Das oben abgebildete Exemplar der Werbekampagne ist dieser Tage unweit meiner Wohnung aufgestellt. Das Ministerium möchte jungen Bürgerinnen und Bürgern weismachen, man könne einen hohen Sinn des Lebens - "Mach, was wirklich zählt" - erringen, wenn man als "Protokollsoldatin/Protokollsoldat (M/W/D)" etwa im Wachbataillon Berlin Dienst tut.
Der Protokollsoldat, der übrigens bisweilen ein Stück Stoff wie ein sakrales Heiligtum hoch- und runterziehen muss, versieht Ehrenaufgaben. Doch wie geschmacklos bleibt es, Staatsgäste nach zwei Weltkriegen noch immer mit Reihen von aufgestellten Männern in Kriegskleidung (!) und mit Tötungsinstrumenten (!) in den Händen zu empfangen! Ernst muss jeder Beteiligte dreinschauen, so als sei etwas Hochbedeutsames im Schwange. Aber was sollen die weißen Handschuhe bei derlei Zeremonien bedeuten? Sind sie als Versprechen zu deuten, dass sich keiner die Hände schmutzig machen muss?
Der Wachsoldat auf der Plakatwand trägt nun freilich eine gefleckte Uniform. Es sollte sich niemand täuschen lassen: Tarnanzüge sind keine Mode-Kreation. Sie kommen aus dem Kriegswesen und dienen dazu, in blutigen Gefechten unter freiem Himmel die eigenen Überlebenschancen zu erhöhen.
Die schlaflosen Nächte der Soldaten
In Wirklichkeit stehen natürlich nur relativ wenige Soldaten unter friedlichen Umständen als Wachposten in der Landschaft herum. Ehrlicherweise sollte das Militär auf den Plakatwänden vermerken, dass Bewerber die Bereitschaft mitbringen müssen, zu töten.
Eine Frau teilte mir im letzten Jahrzehnt mit, ihr Sohn habe nach seiner Rückkehr aus Afghanistan erzählt: "Mama, wir schießen da auf solche, die fast noch Kinder sind. Aber das muss so sein, das sind deren Kämpfer."
Ein anderer Afghanistanveteran, der in meinen Armen geweint hat, konnte seine Erfahrungen bei der bewaffneten Stürmung eines Wohnhauses nicht so unbekümmert wegstecken. Er musste drei Monate in der Psychiatrie verbringen und wird in seinem ganzen Leben keine Uniform mehr anziehen.
Schon im Jahr 2013 kam eine Studie der der TU Dresden zu dem Ergebnis:
"Rund ein Viertel aller deutschen Soldaten, die in Afghanistan eingesetzt waren, kehren mit traumatischen Erlebnissen zurück."
Seitdem haben aber wohl mehr Unterhaltungsformate (Tatort & Co) als realistische Dokumentarfilme das Publikum aufgeklärt.
Wann werden sich die weiblichen und männlichen Parlamentarier, die die Entsendungen in diesen sinnlosen Krieg zu verantworten haben, bei jenen entschuldigen, deren Leben durch die Folgen ihres wagemutigen Abstimmungsverhaltens zerstört worden sind?
Es bleiben, wie es immer war, als einziges Ergebnis der Verführungen zum Heldentum nur Traurigkeit, Wunden und Tränen. Schon 1919 schrieb ein Arzt mit Blick auf das kurz zuvor beendete Massenmorden:
Oft genug haben die Erlebnisse des Feldzuges zum Wahnsinn geführt, und wo es nicht so weit kam, da waren die Soldaten doch krank; schlaflos wälzten sie sich im Bette, und wenn sie einschliefen, so wurden sie von schweren Träumen geplagt, immer wieder durchlebten sie die Schlacht und schrien laut auf, in Angst oder Zorn oder auch im Kommandoton. Ruhige Männer waren von einer unglaublichen Reizbarkeit, sodass ihre Frauen zu ihnen das frühere glückliche Verhältnis nicht mehr finden konnten. Starke Männer weinten bei der geringsten Kleinigkeit, sie fühlten selbst, dass sie unbeherrscht waren, und allen steckte tief im Herzen die Angst vor den Schrecken …
Georg Friedrich Nicolai: Biologie des Krieges (Zürich 1919)
Lust zum Leben - Entscheidung wider das Tötungshandwerk
Schön ist es, wenn Menschen wie ehedem ein Albert Schweitzer zur "Ehrfurcht vor dem Leben" erwachen und deshalb jegliches Militär meiden. Wer aus historischen Studien und politischer Analyse zum gleichen Ergebnis kommt, erweist der menschlichen Familie nicht minder große Dienste.
Doch es müssen nicht immer hehre ethische Überlegungen sein, die zum Guten hinführen. Völlig hinreichend ist die Lust zum Leben als Motiv für viele junge Menschen, die trotz teurer Militärwerbung und Rekrutierungspropaganda des Staates nie auf die Idee kämen, Teil einer Armee zu werden.
Bedenkenswert bleibt ein "jungpazifistisches Bekenntnis", das Kurt Hiller (1885-1972) in der frühen Weimarer Republik zu Papier gebracht hat:
Wir Jungen stabilisieren als vornehmstes aller subjektiven Rechte im Staate das Recht jedes Einzelnen, frei über sein Leben zu verfügen: das Recht auf Leben. Dieses rätselhafte Sein auf dem Wundersterne ist zu kurz und zu schön, als dass wir irgendeiner irdischen Macht die Befugnis einräumen könnten, […] es uns zu nehmen. Die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens - nicht als Realität und Faktum leider, doch als Idee, als Forderung - ist uns die Grundlage unseres kritisch-politischen Denkens überhaupt, also auch unseres Pazifismus. Wir wollen nicht sterben, folglich nicht töten. Wir verwerfen daher […] den Zwang zu töten und sich töten zu lassen.
Kurt Hiller (Die Friedenswarte, Heft 1-2/1923)