"Bleiben Sie ARD-aktuell gewogen"

Zwei ehemalige NDR-Mitarbeiter zu ihren Programmbeschwerden bei den Öffentlich-Rechtlichen, die Partei ergreifen und Objektivität hintanstellen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Regierungsfromm, tendenziös, defizitär, agitatorisch, propagandistisch und desinformativ: Die ehemaligen NDR-Mitarbeiter Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam kommen im Telepolis-Interview zu einem vernichtenden Urteil, was die Fernsehberichterstattung angeht. Von einigen Lichtblicken einmal abgesehen, attestieren Klinkhammer und Bräutigam den Öffentlich-Rechtlichen eine schwere Schlagseite im Hinblick auf den Informationsauftrag, der den Sendern zukommt.

Zusammen haben die beiden über 100 Programmbeschwerden in den letzten 2 Jahren eingereicht. Im Interview mit Telepolis verdeutlichen sie, dass sich der Qualitätsverlust in der Berichterstattung an der in den Nachrichten verwendeten Sprache ablesen lässt: Wenn etwa von "gemäßigten Rebellen", von "regierungstreuen Kämpfern" oder von der "internationalen Gemeinschaft" die Rede ist, erkennen Klinkhammer (32 Jahre beim NDR) und Bräutigam (21 Jahre beim NDR) einen Journalismus, der Partei ergreift und Objektivität hinten anstellt.

Herr Klinkhammer, Herr Bräutigam, Sie haben zusammen rund 100 Beschwerden bei den Öffentlich-Rechtlichen eingereicht. Warum?
Friedhelm Klinkhammer: Als die Tagesschau erstmals über den Maidan berichtete, war ich schockiert über die einseitigen Darstellungen. Zunächst hatte ich versucht - zum Beispiel nach dem Pogrom in Odessa ,- der Redaktion unmittelbar darzulegen, inwiefern ihre Berichterstattung falsch und verzerrend war und welche wesentliche Punkte ausgelassen wurden. Ich habe aber an den Reaktionen gemerkt, dass meinen Adressaten die Ernsthaftigkeit fehlte, befriedigend zu antworten. Sie lieferten Textbausteine mit lauen Dankesformeln und dem Wunsch, ich möge ARD-aktuell gewogen bleiben.
Diese Ignoranz setzte sich dann fort, selbst nachdem der ARD Programmbeirat die Ukraine-Berichterstattung massiv kritisiert hatte. Ein Verzicht auf die verfälschende und betont russophobe Tendenz blieb aus. Irgendwann habe ich mich an den NDR-Staatsvertrag erinnert und meine Beschwerden formalisiert, um sozusagen öffentliche Stellungnahmen des NDR zu erhalten.
Wie war es bei Ihnen, Herr Bräutigam?
Volker Bräutigam: Bei mir war es eine Meldung aus der Ostukraine, die mein Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Welche denn?
Volker Bräutigam: Eine Gruppe von NATO-Offizieren, angeführt von einem Oberstleutnant der Bundeswehr, war von angeblich "prorussischen" Autonomisten festgenommen worden. Vollkommen unkritisch übernahm die Tagesschau die Sprachregelung aus Berlin und verkündete, die 13 Militärs seien "OSZE-Militärbeobachter" gewesen. Das waren sie nicht, wie die OSZE sogleich klarstellte. Die Männer waren nicht in Uniform, regelwidrig bewaffnet, ersichtlich auf einem Spionagetrip, ihre Tätigkeit ein Bruch zahlreicher Völkerrechts- und Vertragsnormen. Ein Skandal, der aber nicht als Schandtat der Verantwortlichen in Berlin, Washington und Brüssel vermittelt, sondern als Unrechtshandlung der Autonomisten dargestellt wurde. Es war sogar von Geiselnahme die Rede.
Und dann haben Sie sich beschwert?
Volker Bräutigam: Ich habe gegen eine über viele Tage hinweg fortgesetzte Falschberichterstattung protestiert und mich dabei auf die Bestimmungen des NDR-Staatsvertrags berufen. Diese Beschwerdeform war neu. Sie fand auch deshalb große Aufmerksamkeit, weil ich, ihr Verfasser, früher selbst einmal Redakteur in der Tagesschau war.
Ihre Beschwerde wurde aber zurückgewiesen.
Volker Bräutigam: Meinen wiederholten und genau begründeten Beschwerden widersprach Chefredakteur Gniffke [Anmerkung: gemeint ist Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell] mit teils unzutreffenden, teils verschleiernden Behauptungen; es war ihm keine Erklärung haarspalterisch und verlogen genug: Die Gruppe von Offizieren sei auf Grundlage des "Wiener Dokuments der OSZE" tätig gewesen, die Wortwahl "OSZE-Militärbeobachter" sei zulässig, die sei von anderen wichtigen Medien ebenfalls so getroffen worden. Rabulistik der Sonderklasse, Gniffke leugnete einfach, dass die Tagesschau entgegen ihres Programmauftrags berichtet hatte.
Wie haben Sie reagiert?
Volker Bräutigam: Ich habe seine Erklärungen damals ziemlich fassungslos an den NDR-Rundfunkrat zurückgeschickt und um dessen Prüfung des Falles gebeten. Zu meiner Empörung dauerte es acht Monate, bis ich von dem Gremium die Antwort erhielt, meine Beschwerde sei sorgfältig geprüft worden, aber einen Verstoß gegen die Staatsvertragsregeln habe man nicht feststellen können. Die Begründung verdiente den Namen nicht.

Seit Mitte der 1980er lieferten Nachrichtensendungen zusehends mehr Infotainment

Bevor wir näher auf Ihre Kritik an den Medien eingehen, die Frage: Welche biographischen Hintergründe haben Sie?
Volker Bräutigam: Ich habe 35 Berufsjahre in Medienunternehmen verbracht, zehn davon, 1975 bis 1985, in der Tagesschau in Hamburg, insgesamt beim NDR 21 Jahre. 1996 war für mich Schluss. Ich konnte nicht mehr und wollte nicht mehr die von mir erwartete Art von Journalismus betreiben. Dann habe ich einen Lehrauftrag am Übersetzungswissenschaftlichen Institut der Fu-Jen-Universität in Taiwan angenommen und bin seit nunmehr 15 Jahren Rentner. Vor allem ein freier Schreiber. Und zwar einer, der am qualitativen Niedergang der Tagesschau leidet, für die er einst jahrelang sehr gerne gearbeitet hat.
Friedhelm Klinkhammer: Ich bin Jurist, habe 32 Jahre beim NDR gearbeitet. Ich war mit Unterbrechung fast 25 Jahre Mitglied in den Arbeitnehmergremien, Gesamtpersonalratsvorsitzender und über zehn Jahre Chef der größten Gewerkschaft im NDR, der IG Medien, später Ver.di.
Wie ist denn Ihr Eindruck von dem Sender? Oder anders gefragt: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Volker Bräutigam: Ich nenne zwei für mich wesentliche Erfahrungen. 1979 wurde die etwas "angejahrt" wirkende Tagesschau reformiert. In der runderneuerten Hauptabteilung "ARD-aktuell" erschienen die Tagesschau und neu die moderierte Nachrichtensendung Tagesthemen. Der Journalist Dieter Gütt wurde Chefredakteur, und ich erlebte ihn und meine unmittelbar vorgesetzten Dienstleiter als um seriöse Arbeit, um guten Journalismus bemühte Männer. Es herrschte ein sachliches, sehr kollegiales Klima. In den Konferenzen wurde ergiebig diskutiert.
Die glücklichste Zeit meines Berufslebens war von 1979 bis 1982. Danach, dem parteipolitischen Trend in den Bundesländern folgend, wurde Edmund Gruber Chefredakteur, ein CSU-Parteimann. Von da an folgte eine innerredaktionelle Schräglage der anderen. Ich verlor jede Hoffnung auf ein halbwegs konfliktfreies sauberes Arbeiten.
Der andere Eindruck: Bis 1984 hatte es in der BRD nur öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben. Er war fraglos staatstragend, dennoch wirkte er als Korrektiv des Politikbetriebs. Es gab kritische Sendungen, und so manche davon beendete sogar politische Karrieren. Dann kam, kurz nach Beginn der Kanzlerschaft Helmut Kohls, die völlige Veränderung der Rundfunklandschaft. Der Kommerzfunk wurde zugelassen. Von da an ging es nicht mehr um höchste Qualität nach fachlichen Maßstäben, sondern um Marktanteile, um Quoten. Statt, wie vordem, höchstens vier Spielfilmangebote pro Woche gab es plötzlich pro Tag mindestens vier oder fünf. Und die Nachrichtensendungen lieferten zusehends mehr Infotainment - also eher Show als Information.
Was sind Ihre Erfahrungen, Herr Klinkhammer?
Friedhelm Klinkhammer: Ich habe gern im NDR gearbeitet: Es herrschte viel Kollegialität, Solidarität und Verständnis untereinander. Die sozialen Bedingungen haben sich sukzessive verschlechtert, aber das war ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der auch im NDR trotz ständiger gewerkschaftlicher Gegenwehr nicht zu stoppen war. Wenig erfreulich und hausgemacht waren die negativen Entwicklungen im Programm. So wurden z.B. weitgehende "Privatisierungen" von Programmteilen veranlasst. Irrsinnigerweise wurden die Talk-Shows sogar für Millionen-Summen an Drittfirmen ausgelagert, obwohl jeder weiß, dass das Talk-Format zu den preisgünstigsten TV-Produktionen zählt.
Der Betrieb wurde auf die "aktuelle Berichterstattung" zurechtgestutzt. Eigene Ressourcen wie unabhängige Fachredaktionen und produktionstechnisches Know-how wurden aufgegeben und außerbetriebliche Abhängigkeiten geschaffen. Parallel dazu wurden unbefristete Arbeitsverhältnisse abgebaut und zeitvertragsgebundene Arbeitnehmer eingestellt. Die Folge: Die materielle Abhängigkeit ging zu Lasten der Unabhängigkeit der Programme. Wer die Erwartungen der Auftraggeber kritiklos und ohne Murren erfüllt, hat die besseren Chancen auf Vertragsfortsetzung. Vom NDR wird das begründet mit der "Vielfalt und dem Abwechslungsbedürfnis" im Programm. Als ob das nicht in eigener Kompetenz sicherzustellen wäre.
Wie würden Sie die Berichterstattung in den vergangenen Jahren charakterisieren?
Friedhelm Klinkhammer: Es gibt nach wie vor sehr gute Beiträge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, leider nur häufig zur Nachtzeit oder in den "Neben"-Sendern Arte oder "3sat".
Das ist doch schon mal was.
Friedhelm Klinkhammer: Nein, ist es nicht. Diese Beiträge dienen den ARD-Hierarchen als Alibi für ansonsten häufig kritikwürdigen Journalismus. Die überregionale aktuelle Berichterstattung orientiert sich fast ausnahmslos am Informationsniveau der privaten meinungsführenden Medien (Zeit, Welt, Spiegel etc.) nach dem Motto: Was und wie andere berichten, ist auch für uns das Maß der Dinge (übrigens eine häufige Argumentation bei den Programmbeschwerden). Informationen werden kaum geprüft und oft nur durchgereicht, das PR-Interesse der Informanten schlicht ignoriert.
Gegenüber der Politik ist man in aller Regel handzahm und unkritisch, die außenpolitische Berichterstattung orientiert sich ausschließlich an den Bekundungen und Bedürfnissen der "westlichen Wertegemeinschaft". Events und Unglücksmeldungen bekommen unangemessen hohe Programmbedeutung, die gesellschaftliche Relevanz bleibt unbeachtet.

Die Fernseh-Berichterstattung: agitatorisch, propagandistisch und desinformativ

Wie charakterisieren Sie die Entwicklung, Herr Bräutigam?
Volker Bräutigam: Die Fernseh-Berichterstattung hat mir oft zu viel Schlagseite: Eurozentristisch mit einem starken Hang zu US-liebedienerischer Darstellung, regierungsfromm mit Blick auf Berlin, antirussisch und antichinesisch, ignorant gegenüber geopolitischen Entwicklungen, unvollständig und tendenziös in ihren Bildern aus Lateinamerika, noch defizitärer hinsichtlich aller Afrika betreffenden Nachrichten, agitatorisch, propagandistisch und desinformativ.
Das klingt nach einer Berichterstattung, bei der so ziemlich alles falsch läuft. Aber bis jetzt sind das erstmal Behauptungen. Wie begründen Sie Ihre Aussagen?
Volker Bräutigam: Beginnen wir bei der Sprache, der Wortwahl. Beispiel: Die häufig genannte "internationale Gemeinschaft", obwohl darunter außer den USA meist nur Europäer und noch ein paar wenige anglophone Vasallenstaaten zu verstehen sind. Aber dem Publikum wird der Eindruck vermittelt, fast alle Völker der Welt seien gemeint.
Tatsächlich wird eine Sichtweise präsentiert, die von der großen Mehrheit der Weltbevölkerung unter keinen Umständen geteilt wird: Die barbarische Rolle des Internationalen Währungsfonds wird in der asiatischen Welt nicht gewollt, die noch alles beherrschende Funktion des Petrodollars von den BRICS-Staaten angegriffen, der vorgebliche Kampf um Menschenrechte und Demokratie wird in der arabischen Welt, der afrikanischen, der lateinamerikanischen Welt als gewaltsamer Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht und als Raubzug um Ressourcen erkannt.
Friedhelm Klinkhammer: Da kann man noch mehr anführen. Denken Sie doch nur an das jahrelange Putin-Bashing, das war eine gemeinsame Veranstaltung aller deutschen Mainstream-Medien, ohne Sinn, Verstand und Niveau. Selbst nicht repräsentative und damit nichtssagende Straßeninterviews mussten dafür herhalten, Russland als menschenrechtsfeindliches Bollwerk und Putin als wilden Häuptling zu präsentieren. Oder der German-Wings-Selbstmord: Jede Einzelheit wurde in grässlichem Boulevard-Stil serviert, aber die wesentliche Frage, warum die ärztlichen Vorsorgemaßnahmen versagten, bleibt weitgehend ausgeblendet.
Womit wir dann wohl bei Ihren Programmbeschwerden wären. Immer wieder haben Sie Kritik an der Berichterstattung zur Krise in der Ukraine und dem Krieg in Syrien geäußert. Was ist Ihnen denn als besonders schlimm aufgefallen?
Volker Bräutigam: Ich beschränke mich auf den desinformatorischen und nur propagandistischen Zielen dienlichen Gebrauch von Kampfbegriffen.
Desinformatorische und propagandistische Kampfbegriffe?
Volker Bräutigam: Ja, sicher. Achten Sie doch mal auf den Begriff "Prorussische Separatisten".
Was ist damit?
Volker Bräutigam: Darin steckt doch gröbste Irreführung. Die Menschen in der Ostukraine sprechen zwar zumeist Russisch und fühlen sich den Nachbarn in Russland verbunden. Sie verstehen sich aber als Ukrainer. Eine Abtrennung ihrer Regionen und Anschluss an Russland haben sie weder propagiert noch wurde das von Russland gefördert. "Prorussisch" ist also irreführend, "Separatisten" genauso. Sie wollten, und zwar abgestoßen von der korrupten Putschregierung in Kiew, mehr Selbstverwaltung, mehr Autonomie. Die einzig korrekte Bezeichnung für sie war und ist: "Ostukrainer", gegebenenfalls "ostukrainische Autonomisten". Statt Autonomieangeboten verpasste Kiew ihnen Bomben und Granaten.
Führende Redakteure in den großen Medien sehen die Dinge anders als Sie.
Friedhelm Klinkhammer: Die sehen so manches anders. Ich erinnere an die Unterscheidung zwischen den Radikalen vom Rechten Sektor und den regierungskritischen Demonstranten. In der Berichterstattung wurde diese Unterscheidung verwischt. Im ARD-Sprachgebrauch hießen die Faschisten: Milizen, Kämpfer oder Aktivisten.
Würden Sie eine Ihrer Beschwerden mal für uns skizzieren?
Friedhelm Klinkhammer: Ein Beispiel: Das "Handelsblatt" berichtete am 14.8.2014 : "Neonazis bei Kämpfen in der Ostukraine getötet." Beim NDR hieß es dagegen: "12 regierungstreue Kämpfer" seien in einen Hinterhalt geraten und von Separatisten getötet worden. Ich schrieb an die Rundfunkratsvorsitzende und kritisierte, dass mit dieser Sprachregelung die Verharmlosung der Rechtsradikalen in der Ukraine dokumentarisch werde: "Diese unterschiedliche Sprachregelung (im Vergleich zum 'Handelsblatt') legt die Vermutung nahe, dass der 'öffentlich-rechtliche Rundfunk' vertuschen möchte, dass der West-Vorzeige -Demokrat Poroschenko mit schweigender Billigung durch die Bundesregierung Nazi-Truppen an der 'Befreiung der Ostukraine' teilnehmen lässt... Ist das vereinbar mit den offiziellen deutschen Bekundungen (...), man stünde entschlossen gegen alles Rechtsradikale?"
Wie war denn die Reaktion?
Friedhelm Klinkhammer: Mit sehr freundlichen Worten schrieb mir die Vorsitzende des Rundfunkrates, dass sie Herrn Gniffke um Stellungnahme gebeten habe. Seine Antwort: "In der Sache hat die Redaktion eine von Ihrer Wahrnehmung abweichende Einschätzung. Sie kann aus der Formulierung kein Anzeichen für Verharmlosung oder Geschichtsvergessenheit erkennen. Dass das 'Handelsblatt' das Ereignis mit anderer Pointierung beschreibt, spricht nicht zwingend für ein Versäumnis der ARD-Kolleginnen und -Kollegen. ARD-aktuell hat schon mehrfach über die Rolle der Azow-Brigaden im Ukraine-Konflikt berichtet, auch darüber, dass sich dort viele Rechtsradikale finden."
Mit der Antwort haben Sie sich aber nicht zufriedengegeben?
Friedhelm Klinkhammer: Natürlich nicht. Ich startete einen zweiten Versuch: "Das Bataillon 'Asow' z.B." - schrieb ich - "gilt eindeutig faschistisch ausgerichtet. Es verwendet nationalsozialistische Symbole. Der Führer der Einheit, Andrij Bilezki, sagte unter anderem: 'Der historische Auftrag unserer Nation in diesem kritischen Augenblick ist es, die weißen Rassen der Welt anzuführen in einem finalen Kreuzzug für das Überleben ... ein Kreuzzug gegen die von Semiten angeführten Untermenschen.'"
Auch dieser Versuch, die Verantwortlichen bei der ARD von meiner Position zu überzeugen, war erfolglos.
Wie erklären Sie sich das?
Friedhelm Klinkhammer: Zum einen wird deutlich, dass der Rundfunkrat sich von Dr. Gniffke vorschreiben lässt, wie Stellungnahmen aussehen müssen, salopp gesagt: Es wird der Bock zum Gärtner gemacht. Sicherlich zeigt das keinen bösen Willen des Rundfunkrates, sondern eher fachliche Unsicherheit und fehlende Bereitschaft, sich offensiv mit Fehlern des NDR auseinanderzusetzen.
Eine kritische Position gegenüber den NDR-Programmverantwortlichen würde mit Sicherheit intern Spannungen erzeugen, was der Harmonie untereinander auf Dauer kaum zuträglich wäre. Da die Ablehnung einer Programmbeschwerde andererseits für alle folgenlos ist, auch für den Rundfunkrat, wählt man den bequemen Weg und vermeidet Kritik.
Nicht auszuschließen ist aber auch, dass die Rundfunkräte tatsächlich von dem überzeugt sind, was Gniffke ihnen darlegt. Vergleicht man die breite öffentliche Aufregung um die rechtsorientierte AfD mit der geradezu pfleglichen Einschätzung der ukrainischen Faschisten, ist man nur noch angewidert über die Heuchelei von Politikern und Medien.

"Die Redaktion hat ihre Richtlinien in Bezug auf die Verwendung des Ausdrucks 'gemäßigte Rebellen' nicht geändert"

In Ihren Beschwerden haben Sie auch die Bezeichnung "moderate Rebellen" im Zusammenhang mit der Syrienberichterstattung kritisiert. Was stört Sie an dieser Formulierung?
Volker Bräutigam: Das Wort "Rebell" ist Schönfärberei, der Begriff "moderate Rebellen" eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich. "Rebell" ist nicht neutral konnotiert, sondern positiv. Man denke an Robin Hood, an Karl Moor, an Wilhelm Tell, vielleicht auch Michael Kohlhaas; in neuerer Zeit an Figuren wie den "Rebell vom Remstal", an Menschen also, die sich gegen eine gewaltsame oder als ungerecht verstandene Herrschaft auflehnen. "Moderat" heißt: allem Extremen abgeneigt, um Verständigung bemüht.
Mittlerweile wird jeder halbwegs Kundige bestätigen: Bei den Terroristen sind keine Freiheitskämpfer zu finden, Moderate erst recht nicht, sondern nur Verfechter übelster islamistischer Gewaltherrschaft und eine vollkommen ideologiefreie mörderische Soldateska. Ob IS, al-Qaida, deren Ableger al-Nusra, die Ahram-al-Scham oder wie sie sonst noch heißen mögen: Alle haben Blut an den Händen.
Wenn ich aus der Tagesschau in einer Syrien-Nachricht "gemäßigte Rebellen" hörte, hätte ich jedes Mal am liebsten nach Hamburg gebrüllt, die Redaktion solle doch mal ein Interview mit einer vergewaltigten, verstümmelten Frau und mit gefolterten Kindern machen oder gleich ein paar abgeschnittene Köpfe fragen, ob ihnen der moderate Rebellenstil nicht auch aufgefallen sei. Was für einen schändlichen Kurs hier das "Flaggschiff der ARD" fährt, die Redaktion von Tagesschau, Tagesthemen &Co!
Sie haben den Verantwortlichen also mitgeteilt, dass die Bezeichnung nicht in Ordnung geht?
Volker Bräutigam: Ja, sofort, als der Begriff unmittelbar nach Beginn der russischen Intervention in der ARD-aktuell-Berichterstattung auftauchte. US-Außenminister Kerry sprach Anfang Oktober vorigen Jahres von "moderate insurgents", ein Begriff, den alle westlichen Medien sofort wie ein Göttergeschenk übernahmen, um in der Folge das russische Eingreifen zu diskreditieren.
Wie war die Redaktion diese Mal?
Volker Bräutigam: Gniffke deutete ein wenig Nachdenklichkeit an: Man müsse und wolle über die Sprachregelung intern beraten.
Immerhin. Die Reaktion ist doch nicht schlecht.
Volker Bräutigam: Bitte? Was gibt es da noch lange "intern zu beraten"? Ich vergleiche die Reaktion von Gniffke mal mit der vom Radio-Programm NDR-Info. Dort haben die Verantwortlichen nämlich gleich professionell reagiert. Ich zitiere: "Die Verwendung dieses von westlichen Staaten geprägten Begriffs ("moderate Rebellen") erfolgte im Kontext des erhobenen Vorwurfs. Die Redaktion hätte dies noch deutlicher herausarbeiten können, beispielsweise durch den Zusatz "Rebellen, die von den USA/dem Westen als gemäßigt bezeichnet/eingestuft werden."
Das Problem wurde also erkannt.
Friedhelm Klinkhammer: Aber Auswirkungen hatte dieses Eingeständnis nicht. Es blieb bei der transatlantischen Kerry-Version der "moderaten Rebellen". Die jüngste Antwort Gniffke zu der Sache bestätigt den Verdacht einer abgesprochenen ARD-internen Sprachregelung. Ich zitiere:
"Die Redaktion hat ihre Richtlinien in Bezug auf die Verwendung des Ausdrucks "gemäßigte Rebellen" nicht geändert. In Meldungen und Berichten zum Syrien-Konflikt werden wir die Bezeichnung auch weiterhin verwenden und zwar in dem bereits in anderen Programmbeschwerden angeführten Zusammenhang: Die gemäßigten Rebellen kämpfen unter anderem gegen die Terrororganisation IS, lehnen eine Präsidentschaft von Baschar al-Assad ab und wollen demokratische Strukturen in Syrien schaffen. Sie agieren dabei in begrenzten Territorien und versuchen die Zivilbevölkerung weitestgehend von Gewalt auszunehmen. Der Begriff bezieht sich also auch auf die politische Komponente des Krieges und nicht auf die rein militärische. In diesem Zusammenhang weisen wir erneut darauf hin, dass die Lage im Bürgerkriegsland Syrien mehr als unübersichtlich ist. Es gibt eine Vielzahl von oppositionellen Gruppen, einige gelten als moderate Gegner des Assad-Regimes, andere sind radikal-islamistisch und werden von den UN ebenso wie der IS als Terroristen eingestuft. Wir werden auch weiterhin keine Unterscheidung zwischen "guten" und "bösen" Rebellen machen. Den Vorwurf der "Verharmlosung" weisen wir zurück."
Damit wird faktisch konzediert, dass man die Reihen mit allen transatlantischen Medien und dem US-Minister Kerry schließt, um die Propagandaformel nicht infrage zu stellen, selbst wenn die militärische Kollaboration mit der Terrormiliz Al-Nusra-Front besteht.
Wenn man sich Ihre Programmbeschwerden anschaut, kann festgestellt werden, dass Ihre Kritik sich immer wieder auch an der in den Nachrichtensendungen verwendeten Sprache festmacht. Gibt es da ein grundsätzliches "Sprachproblem"?
Volker Bräutigam: Mehrere grundsätzliche Probleme. Eines liegt darin, dass ARD-aktuell seine Informationen hauptsächlich aus drei Quellen bezieht: den Nachrichtenagenturen dpa/AP, Reuters und AFP: Eine deutsche, eine US-amerikanische, eine britische und eine französische. Sie konkurrieren miteinander um Geschwindigkeit bei der Nachrichtenübermittlung, aber nicht unbedingt um höhere Qualität, häufig bilden sie Pools oder schreiben voneinander ab.
Das Textmaterial ist von mäßigem, oft sogar außerordentlich fehlerhaftem Deutsch. Wer möglichst schnell "auf dem Markt" sein will, kann keinen Zeitaufwand für geschliffene saubere Sprache treiben. ARD-aktuell verwendet rechnergesteuerte Textverarbeitungssysteme. Der ein Nachrichtenthema bearbeitende Redakteur kann gerade noch einige wenige für wesentlich erachtete Textpassagen auf dem Schirm auswählen, sie neu zusammenstellen und mit ein paar Schnörkeln zusammenkleben.
Also der Faktor Zeit macht sich deutlich bemerkbar.
Volker Bräutigam: Die fehlende Zeit ist eines der großen Problem. Ruhe, sich gründlich Gedanken über das Nachrichtenangebot zu machen, ins Archiv zu steigen, in die Bibliothek, nachzulesen, Telefonanrufe zu machen und Fachleute zu befragen, ordentlich zu recherchieren, die hat der Redakteur nicht. Zu meiner Zeit hat die Redaktion pro Tag maximal sieben Sendungen gebracht, drei Schichten haben daran gearbeitet. Heute gibt es die "Nachrichten in hundert Sekunden" und "Nachrichten im Viertelstundentakt", im Ersten Deutschen Fernsehen fast stündlich eine Tagesschau-Ausgabe.
Ein Kollege hat mal folgenden Vergleich bemüht: Die Tagesschau war mal eine Konditorei. Jetzt ist sie eine Semmelfabrik.
Wie erklären Sie sich, dass umstrittene Begrifflichkeiten in den Nachrichten zu finden sind?
Volker Bräutigam: Die Tagesschau ist eher selten Schöpfer bzw. Erstanwender der fragwürdigen Begriffe. Die entstammen zumeist den Agenturtexten. Wenn Chefredakteur Gniffke behauptet, er und seine Redaktion bekämen keine Ausdrucksweise vorgeschrieben, dann lügt er damit nicht unbedingt. Er tut nur nichts Merkliches gegen den inflationären Sprachmissbrauch in seinen Sendungen. Aber, wenn wir uns hier schon mit der Sprache auseinandersetzen, möchte ich auch noch etwas zur "Annexion" der Krim sagen.
Es gab eine Annexion. Darüber herrscht weitestgehend Einigkeit in den Medien.
Volker Bräutigam: Langsam bitte. Der Begriff wird verwendet, obwohl erhebliche Zweifel daran bestehen, dass eine gewaltsame Besetzung und zwangsweises Einverleiben stattfanden. Es gibt keine weltweit einheitliche Rechtsmeinung zum Fall der Krim.
Erst nach dem Putsch in Kiew und dem Beschluss des neuen, von Faschisten beeinflussten Regimes, die russische Sprache zu verbieten, veranstaltete die zu 90 Prozent russische Bevölkerung der Krim ihre Abstimmungen und entschied sich mit überwältigender Mehrheit für eine Lösung von der Ukraine sowie in einer zweiten geheimen Wahl für den Aufnahmeantrag an die Russische Föderation. Man kann keinesfalls einfach behaupten, Russland habe die Krim annektiert. Die Tagesschau hat nicht unter Berücksichtigung all dieser Aspekte neutral berichtet. Sie hat die Berliner Diktion übernommen und Putin zum Dämon stilisiert.
Haben Sie einen Ratschlag für die Zuschauer? Wie können dieses sensibilisieren, um mit den an sie herangetragenen Worten und dem "wording" kritisch umzugehen?
Volker Bräutigam: Ich meine nicht, dass die Zuschauer Ratschläge benötigen. Sie sollen und könnten selbst entscheiden, wann es ihnen zu viel ist, wann sie ihren Anspruch auf seriöse Information missachtet sehen. Dann sollten sie sich förmlich beschweren, soweit es ARD-aktuell betrifft, Tagesschau und Tagesthemen, beim Rundfunkrat des NDR in Hamburg. Sendedatum und Uhrzeit angeben, das Thema des Beitrags und eine kurze Begründung, inwiefern ein Verstoß gegen die Staatsvertragsregeln vorliegen könnte.
Und woran können die Zuschauer das bemessen?
Volker Bräutigam: Ganz einfach: Schauen Sie mal nach, was unsere Nachrichten darstellen müssten, wenn sie die Programmrichtlinien im Staatsvertrag einhalten würden: Einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale Geschehen geben. Die internationale Verständigung fördern. Für die Friedenssicherung und den Minderheitenschutz eintreten. Zur Wahrheit verpflichtet sein. Nicht einseitig einer Partei oder Gruppe oder einer Weltanschauung dienen. Dem Gebot journalistischer Fairness entsprechen. Sachlich und umfassend unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung beitragen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Schön, nicht?

"Saubere Information ist konstitutiv für unsere demokratische Verfassung"

Wagen Sie doch bitte mal einen Ausblick: Wird sich an der Berichterstattung etwas ändern?
Friedhelm Klinkhammer: Änderungen sind erfahrungsgemäß immer dann möglich, wenn sich der gesellschaftliche Druck gegen Missstände erhöht, in diesem Fall mit inhaltlicher Kritik und organisiertem Unmut gegen missbräuchlichen Journalismus. Inwieweit das möglich ist und ob sich Entsprechendes entwickeln wird, weiß ich nicht. Für Einzelkämpfer wie uns gibt es enge Grenzen.
Was als erster Schritt notwendig wäre: Herstellung von Öffentlichkeit bei den Beratungen des Rundfunkrates mit Fragemöglichkeit des Publikums (z.B. im Format "Jung und naiv"). Ideal wäre eine externe Konfliktregulierung, obwohl damit die Gefahr der sachwidrigen Einflussnahme auf dieses Institut noch nicht gebannt wäre; die Zweifel an der Objektivität von Entscheidungen über Programmbeschwerden ließen sich aber vielleicht relativieren. Gleichviel, jeder Versuch, Bewegung in die Angelegenheit zu bringen, wäre der Mühe wert und ist ein Gewinn.
Wie sieht Ihr Ausblick aus, Herr Bräutigam?
Volker Bräutigam: Ich will keinen Ausblick, sondern etwas zu wünschen wagen.
Nämlich?
Volker Bräutigam: Dass Einsicht einkehrt in Politik und Gesellschaft, dass sich unser Informationswesen auf grundfalschem Pfaden befindet. Damit Konsequenzen daraus gezogen werden, dass saubere Information konstitutiv ist für unsere demokratische Verfassung. Niemand kann eine vernünftige Meinung, ein stimmiges Weltbild, ein brauchbares Urteil entwickeln, wenn er nicht über seriöse und zutreffende Informationen verfügt. Viele aktuelle Fehlentwicklungen in unserer Politik und Gesellschaft sind auf unzulängliche und falsche Information zurückzuführen. Unser Informationswesen müsste von allen Einflüssen befreit werden, die sich negativ auf die Qualität der Nachrichten auswirken.
Wie soll das aussehen?
Volker Bräutigam: Hilfreiche Veränderungen wären, den Rundfunkanstalten eine externe, unabhängige Programmaufsicht beigeben. Transparenz bei deren Kontrollarbeit. Über Publikumsbeschwerden nicht den Intendanten und erst recht nicht den quasi beklagten Chefredakteur mitreden lassen. Nicht die vom betroffenen Sender pauschal bezahlten Rundfunkrats-Honoratioren hinter verschlossenen Türen, erst nach monatelangem Zeitverzug, auf Basis der hausinternen Darstellungen entscheiden lassen. Wenn unabhängige Mediengerichte die Beschwerden öffentlich beraten und unmittelbar und aus eigener Anschauung und Überlegung beurteilen könnten, dann wären wir einen riesigen Schritt weiter.
Und da wir schon kommerzielle Rundfunkanbieter zugelassen haben, sollte einmal kritisch darüber diskutiert werden, ob sie aufgrund ihrer Profitorientierung überhaupt die Kompetenz für objektive Informationssendungen erbringen können. Es wäre darüber zu nachzudenken, welchen politischen Folgen es hat und welche Weltbilder sich das deutsche Publikum macht, wenn Multimilliardäre wie Friede Springer oder Liz Mohn TV-Nachrichtenkanäle in ihrem Privatbesitz halten. Medienmogule, die mit ihrer "Freundin", der Bundeskanzlerin, in engem Kontakt stehen.