"Blitzkrieg" mit elektrischen Massenbetäubungswaffen

Schon bald sollen nichttödliche Waffen zum Einsatz kommen, die auch auf große Entfernung wirken

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Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, war schon immer gefährlich. Bald jedoch könnte es noch gefährlicher werden, denn weltweit arbeiten Firmen an der Entwicklung von Elektroschock-Waffen, die nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Menschengruppen auch über große Entfernung hinweg blitzartig außer Gefecht setzen können. Schon bald sollen Polizei und Militär in den Vereinigten Staaten und Europa im großen Stil mit diesen Waffen ausgestattet werden, wie das Magazin New Scientist berichtet. Offiziell zählen sie zu den so genannten "nichttödlichen Waffen", denn ihr Ziel ist nicht die Vernichtung von Leben, sondern vielmehr die temporäre Immobilisierung von Menschen.

Die neuartigen Energie-Waffen werden den bislang verwendeten Taser ablösen, der allein in den Vereinigten Staaten von über 4000 Polizeidienststellen verwendet wird. Denn mit dem Taser kann jeweils nur eine einzige Person dingfest gemacht werden, und auch das nur im Umkreis von sieben Metern. Außerdem haben die Taser keine Wirkung auf Fahrzeuge. Die begrenzte Wirkkraft hängt direkt mit der Funktionsweise des Elektroschockers zusammen: Beim Taser werden zwei winzige Pfeile, die jeweils an Kabeln hängen, auf den mutmaßlichen Übeltäter gefeuert. Wird das Opfer getroffen, schließt sich der Stromkreislauf und 50.000 Volt jagen durch den Körper. Die Folge: Das Opfer verliert die Kontrolle über die Muskulatur und erleidet einen Elektroschock. Ein traumatisches Erlebnis, denn anders als beim Phaser aus der Science-Fiction-Serie "Star Trek" ist die Taser-Attacke durchaus nicht schmerzlos.

Mit Pfeil abschießen und dann ab auf den elektrischen Stuhl

Eingesetzt wurde der Taser in den USA bereits 30.000 Mal. Mindestens 40 Menschen, an denen das Elektroschockgerät zum Einsatz kam, sind kurze Zeit später gestorben. Als Todesursache wurden Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Kämpfe mit Polizisten angegeben, niemals jedoch der Stromschock als solcher. Auch Rick Smith, Mitbegründer und Geschäftsführer von Taser International beharrt darauf, dass das von seiner Firma hergestellte Gerät keine tödliche Wirkung hat: "In jedem einzelnen Fall hat der untersuchende Arzt als direkte Todesursache etwas anderes angegeben als den Taser." Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Daten und fordern deshalb eine unabhängige Untersuchung der Auswirkung von Elektroschockwaffen aller Art.

Vorreiter in Sachen Elektroschockgeräte sind die Vereinigten Staaten, wo die Regierung einschlägige Firmen mit Millionenbeträgen fördert. Die Firma Xtreme Alternative Defense Systems (XADS) aus Indiana zum Beispiel erhielt insgesamt 950.000 US-Dollar, um die Entwicklung der Waffe "Stun Strike" voranzutreiben. Denn bislang ist "Stun Strike" nur als Nahkampfwaffe mit 9 Fuß Reichweite (ca. 3 Meter) lieferbar. Die Wirkung von Stun Strike basiert auf einem Plasmastrahl, bestehend aus ionisiertem Gas, der direkt auf das Opfer gerichtet und dann unter Strom gesetzt wird.

Mit Plasma Elektroschock bis zu 100 Meter weit

Die Modelle mit 20 Fuß (ca. 7 Meter) und 50 Fuß (ca. 17,4 Meter) Reichweite befinden sich nach Auskunft der firmeneigenen Website noch im Entwicklungsstadium – laut New Scientist wird von XADS sogar eine Reichweite von 100 Metern anvisiert. Als Anwendungsgebiete für die 9-Fuß-Version mit dem Namen "Stun Strike CQSR (Close Quarters Shock Rifle)" nennt die Seite

"Absicherung von Festnahmen, Sicherheit im Gefängnis, Sicherung von Gängen, Sicherung von Toren, Hausdurchsuchungen (zum Beispiel im Rahmen der Drogenfahndung), Eindämmung von Aufständen (es können mehrere Ziele auf einmal außer Gefecht gesetzt werden) – Jede Situation, in der Taser oder Pfefferspray eingesetzt werden."

Das Modell mit 20 Fuß Reichweite ist zwar mobil, muss jedoch mit einem Fahrzeug transportiert werden, die Waffe mit 50 Fuß Reichweite ist laut Homepage am besten stationär einsetzbar, etwa auf Botschaftsgebäuden. Im Gegensatz zum Taser kann Stun Strike auch Fahrzeuge lahmlegen, denn der Plasmastrahl bringt nicht nur die menschliche Muskulatur, sondern auch die elektronische Zündung von Fahrzeugen durcheinander. Die Idee, auf der diese Plasmawaffen beruhen, ist zwar schon mehrere Jahrzehnte alt, doch erst mit neuen, hochleistungsfähigen Lasern schrumpfte die Maschinerie auf ein praktikables Maß. Was früher so groß war wie zwei Lastwagen, passt heute auf einen Küchentisch.

UV-Strahler aus der Halbleiterherstellung als Waffe umfunktioniert

Um die Reduzierung der Größe geht es auch bei der kalifornischen Firma HSV Technologies. Noch ist ihr Prototyp in etwa so groß wie ein Reisekoffer, soll jedoch auf die Größe einer Taschenlampe schrumpfen. Laut HSV verursacht die Lähmung der Muskeln keine Schmerzen, allerdings kann die Dosis über die Schmerzgrenze hinaus erhöht werden. Das patentierte Verfahren zur Immobilisierung von Personen verwendet ultraviolette Strahlen mit einer Wellenlänge von 193 Nanometern und ist auf etwa 100 Meter wirksam. Gesundheitliche Schäden sind angeblich nicht zu erwarten; nicht einmal die Augen werden der Firma zufolge dauerhaft geschädigt. Auch Fahrzeuge lassen sich mit den Geräten von HSV stoppen, allerdings kommen dann stärkere UV-Strahlen mit einer Wellenlänge von 248 Nanometern zum Einsatz. Die Reichweite dieser Waffe liegt bei rund zwei Kilometern.

Eine weitere Firma, die sich auf Hochenergie-Waffen spezialisiert hat, ist Ionatron aus Arizona. Bis Jahresende erwartet das US Verteidigungsministerium einen kabellosen Prototypen, der per Fahrzeug transportiert wird. Was die Grundlagenforschung angeht, so arbeitet die Firma direkt mit der Luftwaffe zusammen.

Auch die deutsche Firma Rheinmetall entwickelt seit geraumer Zeit so genannte "nicht-tödlichen Waffen", wobei die deutsche Variante des Elektroschockers (Schockierende Geschäftsideen) keinen Plasmastrahl aussendet. Vielmehr verschießt die Waffe zunächst ein feines Pulver aus leitenden Fasern in Richtung Opfer – und sendet dann den Strom in den zuvor geschaffenen Kanal.

Elektroschocks sind nicht tödlich – naja, nicht jedes Mal…

Menschenrechtsorganisationen verfolgen diese Entwicklungen mit Sorge, denn anders als ihr Name suggeriert, können nichttödliche Waffen durchaus tödlich sein (Tod durch die Hintertür). So gilt eine Waffe als nichttödlich, wenn weniger als 25 Prozent einer Menschengruppe an ihrer Wirkung sterben. Umstritten sind die "weichen Waffen" außerdem, weil sie sich in erster Linie gegen Zivilisten richten. Darüber hinaus erweckt die Bezeichnung "nichttödliche Waffen" den Eindruck, man könne einen unblutigen Krieg führen – ein Trugschluss, vor dem der Rüstungsexperte Steve Wright bereits 1999 warnte.