Blockade Leningrads: "Das schaurigste Stadtdrama, das die Geschichte jemals gesehen hat"

Seite 3: Herausforderung für die Propaganda

Am 5. September machte sich Goebbels in seinem Tagebuch Gedanken über die besondere Herausforderung für die deutsche Propaganda, das Aushungern einer Metropole wie Leningrad öffentlich zu begründen:

Es macht uns einige Sorge, wie dieses Stadtdrama vor der Weltöffentlichkeit gerechtfertigt werden soll. Aber die Bolschewisten sind uns ja weitgehend entgegengekommen. Sie selbst haben es in die Welt hinausposaunt, dass sie die Absicht haben, diese Stadt bis zum letzten Mann zu verteidigen. Sie haben sich also auch die Folgen zuzuschreiben.

Wir geben noch ein Flugblatt heraus, das von unseren Fliegern über Leningrad abgeworfen werden soll und in dem der Stadt ihr grauenhaftes Schicksal vor Augen gehalten werden wird. Dies Flugblatt veröffentlichen wir auch in der Auslandspresse und in unseren Sprachdiensten im Rundfunk und verschaffen uns damit für alles, was kommen wird, ein wirksames Alibi.

Wenige Wochen später ist Goebbels erleichtert:

Es liegt also durchaus in unserem Sinne, wenn Leningrad noch einige Zeit Widerstand leistet. Wir können dann diese Millionenstadt Straße um Straße und Viertel um Viertel zerstören, und besetzen wir sie dann, so werden notwendig werdende Sprengungen die noch übrigbleibenden Mauerreste dem Erdboden gleichmachen.

Es entwickelt sich hier das schaurigste Stadtdrama, das die Geschichte jemals gesehen hat. (...) Etwas ähnliches wird unter Umständen mit Moskau der Fall sein.

Sonderfall der Geschichte

Adolf Hitler hatte kategorisch erklärt: "In die russischen Städte gehen wir nicht hinein, sie müssen vollständig ersterben."

Die Blockade Leningrads ist – wie bereits betont – ein Sonderfall der Geschichte. Der Hungertod von mehr als drei Millionen Menschen war das erklärte Ziel. Auch durch eine Kapitulation hätte die Stadt dieses Schicksal nicht abwenden können.

Die Geschichte hat bekanntermaßen einen anderen Verlauf genommen und die menschenverachtenden Zukunftsvisionen blieben unvollendete Pläne. Zum Glück von Millionen Menschen.

Am 27. Januar 1944 endete die Blockade Leningrads, "die größte, die Zivilbevölkerung betreffende Katastrophe der bekannten Geschichte" (Timo Vilhavainen). An diesem Tag schrieb die Einwohnerin Vera Inber in ihr Tagebuch:

Das größte Ereignis im Leben Leningrads: seine vollständige Befreiung von der Blockade.

Der morgen folgende Teil 2 besteht aus ausgewählten Dokumenten, die aus erster Hand das Leiden der Menschen in Leningrad zeigt. In Teil 3 wird die deutsche Gedenkgeschichte bis heute an die Blockade Leningrads untersucht.