Börse bejubelt Putschversuch in Venezuela
Seite 2: Schuldenkrise befeuert Putschambitionen
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Weil die verschiedenen Gläubigergruppen vermuten, dass eine volle Rückzahlung, nach Ost und West, auch auf längere Sicht ausgeschlossen ist, ist der Kampf um die Regierungsmacht auch zu einem Kampf um die Gläubigerpriorität bei der laufenden Restrukturierung der gigantischen venezolanischen Auslandsschulden geworden.
Putschpräsident Guaidó ist Mitglied der US-finanzierten Partei "Volkswille", der auch der bekannte venezolanische Oppositionsführer Leopoldo López angehört, und wurde Anfang Januar 2019 zunächst zum Parlamentssprecher gewählt.
Begleitet von der unmittelbaren Anerkennung als "Interimspräsident" durch die US-Regierung, der bald Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) in neukolonialer Manier folgte, rief er sich auf einer Oppositionskundgebung schließlich am 23. Januar selbst zum Präsidenten aus, ohne jedoch bisher tatsächlich das Amt ausüben zu können oder dazu nach der Verfassung des Landes berechtigt zu sein.
Während internationale Organisationen wie die UNO und das Rote Kreuz Kolumbien und dutzende Regierungen um Venezuelas östliche Handelspartner China, Russland und Indien weiterhin Maduro als Präsidenten anerkennen bzw. die Zusammenarbeit mit Guaidós Parallelregierung verweigern, unterstützen neben den USA und Deutschland auch zahlreiche rechtsregierte Länder wie z.B. Brasilien und Israel den westlichen Gegenpräsidenten.
Hintergrund US-Kontrollverlust
Dieser historisch einmaligen politischen Zweiteilung liegt eine längere Entwicklung zu Grunde: Erst linke Reformen, dann wachsender Einfluss des neuimperialistischen Kapitals aus China und Russland waren in den letzten 20 Jahren Symptome eines rasenden Kontrollverlustes der USA in ihrem einstigen "Hinterhof" gewesen - in Lateinamerika und der Karibik. Venezuelas fortschrittliche Massenbewegung und die Regierungen von Präsident Hugo Chávez, und, ab 2014, von seinem Nachfolger Nicolas Maduro, waren dabei ein wichtiger Motor, weit über die Landesgrenzen hinaus.
Nach den US-gestützten Putschen und Regime-Changes gegen die gewählten Regierungen von Paraguay, Honduras und zuletzt von Brasilien, die die Ausbreitung des Einflusses der Rivalen aus dem Osten geopolitisch eingedämmt haben und mit einer Welle von faschistischen Morden, sozialem Kahlschlag und Grundrechteabbau einhergingen, ist nun nach dem Willen des Weißen Hauses ein "Rollback" in Venezuela an der Reihe: Der Druck auf die obersten Militärs, die derzeit ganze Wirtschaftszweige und Ministerien kontrollieren, soll so lange erhöht werden, bis sie sich auf die Seite von Guaidó schlagen und die lukrative Symbiose mit der Maduro-Regierung aufgeben.
Das ist allerdings nicht der erste Versuch: Die Regierung von US-Präsident George Bush war bereits 2002/2003 mit einem Putschversuch gegen Chávez‘ Regierung gescheitert, eine breite Volksbewegung hatte die neokoloniale Diktaturregierung binnen 48 Stunden wieder aus dem Amt gejagt: Ein bis dahin einmaliges historisches Ereignis in einem Erdteil, in dem US-gestützte Staatsstreiche zuvor jahrzehntelang dutzende willfährige Diktatoren und "Demokraten" an die Macht gebracht hatten.
Dieser antiimperialistischen Rebellion, der Chávez 15 Jahre lang seine Wahlerfolge und seine Macht zu verdanken hatte, gilt auch die Sympathie der Millionen, die in den letzten Wochen auf den Straßen Venezuelas die ausländische Einmischung verurteilt und die Präsidentschaft Maduros verteidigt haben. Große Teile der Volksbewegung gehen dabei auf Abstand zu Maduro und entwickeln eine zunehmend scharfe Kritik an seinem kapitalistischen Krisenmanagement, das die massiven Reallohnsenkungen ermöglichte und chinesischen und russischen Großkonzernen immer mehr wirtschaftliche und politische Kontrolle übertragen hat.
Warten auf Guaidó
Mark Mobius, Mitgründer und Partner bei Mobius Capital Partners und ehemaliger Chef des Kapitalfonds Franklin Templeton, beschrieb die Interessenlage der US-Kapitalisten am 25. Januar, kurz nach Guaidós Selbsternennung, im Börsensender Bloomberg TV mit guter Laune:
Als Chávez rankam, waren wir raus. Gott sei Dank… wir wurden verschont… Jetzt sind wir wieder interessiert, wenn es eine Veränderung, eine echte Veränderung an der Regierung gibt, dann wäre Venezuela wieder sehr, sehr interessant [zur Kapitalanlage]. Aber Sie müssen daran denken, dass das alles hier um Öl geht. Die USA wollen dieses Öl in den Griff kriegen, am Ende des Tages, weil Venezuela lange eine wichtige Zufuhr war, und Trump will etwa gerade [im US-Inland] die Benzinpreise drücken. Wenn wir es vom Standpunkt des Erdöls aus betrachten, können wir verstehen, was da mit Venezuela passiert gerade …
Mark Mobius
Dieses Vertrauen der oberen Kreise des US-Finanzkapitals konnte Guaidó nicht allein durch seine Selbstproklamation erreichen, sondern weil er mit der Gruppe der rechten venezolanischen Oppositionsparteien um ihn in den letzten Wochen entsprechende Weichenstellungen vorgenommen hat. Gemeinsam mit Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wie Ricardo Hausmann arbeitet Guaidós Putschistengruppe an einem gigantischen wirtschaftlichen Umstrukturierungsprojekt, bei dem die Auslandsschulden und die für Russland und China immer günstigeren Erdölverträge des ganzen Landes umgekrempelt werden sollen.
Zuletzt wurde am 14. Februar bekannt, dass Guaidós Regime-Change Finanzanwalt Lee Buchheit die prowestliche Restrukturierung der venezolanischen Auslandsschulden beaufsichten solle. Buchheit hatte u.a. im Zuge der griechischen Wirtschaftskrise das Kabinett von Loukas Papadimos beraten, Griechenland akzeptierte damals einen schmerzhaften Restrukturierungsvertrag.
"Humanitärer" Raubzug
Zudem ernannte Guaidó Anfang vergangener Woche einen aus dem Exil fungierenden Parallelvorstand für den gigantischen staatlichen Erdölkonzern PDVSA und dessen US-Filialen, allen voran CITGO. Der Gegenregierung sollen mithilfe der westlichen Justiz- und Repressionsapparate nun venezolanische Raffinerien, Tanker, Tankstellenketten und andere Teile der lukrativen Export-Infrastruktur in den USA und in der Karibik überschrieben werden.
Die Einnahmen aus diesen Konfiskationen sollen Venezuelas Regierung entzogen und Guaidós Umstrukturierungsplan gewidmet werden, also Eingang in die prowestliche Restrukturierung der Auslandsschulden finden. Sie sind mithin Faustpfand im eskalierenden globalen Wirtschaftskrieg zwischen Ost und West, Hilfsmittel im Kampf um die Gläubigerpriorität in Venezuelas Schuldenkrise.
Dieselben milliardenschweren Industrieanlagen (z.B. CITGO) waren schon in den letzten Monaten zum Ziel von Beschlagnahmungen und Erpressungen durch internationale Öl- und Goldkonzerne und durch westliche Schiedsgerichte geworden.
Vor unseren Augen läuft ein brutaler, gut koordinierter Raubzug der mächtigsten Länder und Konzerne der Welt gegen ein 30-Millionen-Einwohner-Land, und gewiss keine "humanitäre Mission". Jeder Tag, den der Putschversuch andauert, verschlimmert derweil die Devisenkrise und die Versorgungskrise der Bevölkerung (Konzerne erpressen Venezuela ).