Börsenkurs eines "symbolischen Kapitals"
Zur neuerlichen Konjunktur von Hochhäusern
In Frankfurt ist wieder der Internationale Hochhauspreis vergeben worden. Der Preis ging diesmal nach Bangkok: The Met ist ein 231 Meter hohes Wohnhaus, ein luftiges Gebilde aus sechs Turmbauten in zwei versetzt zueinander liegenden Reihen. Doch jenseits solcher Auszeichnungen spielt das Thema auch strukturell eine Rolle für die Stadtentwicklung. Ob London, Paris oder Wien: Viele europäische Hauptstädte scheinen erneut infiziert – vom Hochhausfieber. Man muss sich gar nicht auf das medialisierte Planungsspektakel um Ground Zero in New York beziehen, um festzustellen, dass der 11. September 2001 allenfalls eine Art Atempause beim Hochhausbau markiert hat, keinesfalls aber eine grundsätzliche Abkehr.
Hierzulande ist Frankfurt am Main natürlich das Aushängeschild, was die Stadt in jüngerer Zeit mit der Neubebauung am Westhafen oder dem Wettbewerb für die Europäische Zentralbank erneut unter Beweis gestellt hat. Mainhatten war aber bislang auch die große Ausnahme in Deutschland, das präzedenzlose Beispiel. Gleichwohl gibt es, immer wieder neu, auch in anderen Städten Anlass für Kontroversen: ob nun in Köln oder München, in Berlin oder Dortmund.
Ein Punkt dabei ist selbst bei oberflächlicher Betrachtung recht auffällig: Obwohl im Vergleich zu den Wolkenkratzern in den USA oder in Ost- und Südostasien die Hochhäuser hierzulande im Bonsai-Format daherkommen, ist die Debatte um so lauter. Das hat augenscheinlich mit einem spezifischen deutschen, vielleicht auch spezifisch europäischen Stadtverständnis zu tun.
Die unmittelbare Verwurzelung des Wolkenkratzers in der amerikanischen Ideologie von Fortschritt und Erfolg dürfte wohl mit ein Grund dafür sein, weshalb man ihm in Europa noch immer vergleichsweise distanziert gegenübersteht. Ist er dort, wie auch in vielen Städten Ost- und Südostasiens, fast die Regel, bildet er hier nach wie vor die Ausnahme. Unsere Vorstellung von historisch gewachsenen Zentren kollidiert augenscheinlich mit dieser hochformatigen Modernisierung, mit der Rigorosität eines ständigen Abriss' und Neubaus.
Wenn man heute über Hochhäuser redet, dann muss man konsequenterweise auch die Bedingungen ansprechen, unter denen maßgebliche Investitionsentscheidungen, ja Stadtentwicklung schlechthin sich vollziehen. Um auf Ulrich Becks Diktum zur Globalisierung zu verweisen: "Es gibt nur eines, das schlimmer ist, als von Multis überrollt zu werden: nicht von Multis überrollt zu werden." Entsprechend gut sind die Karten von Konzernen gemischt, wenn sie sich beispielsweise mit einem Turm majestätisch an einem Standort verankern wollen. Die Drohkulisse, etwas nicht zu tun, nämlich in dieser Stadt nicht zu investieren, scheint übermächtig - und beeinflusst entsprechend die Haltung vieler Kommunen.
Und so ist das Wechselspiel des Hochhauses mit seinem räumlichen und sozialen Umfeld nach wie vor ein ungelöstes Problem. Wie sollen Turmhäuser in das Stadtbild eingegliedert werden? Welche Kriterien spielten dabei eine Rolle? Gelten für Bürotürme andere Regeln als für Wohnhochhäuser? Dass Hochhäuser nach dem Zufallsprinzip an großen Ausfallsachsen und/oder auf gerade zur Verfügung stehenden Grundstücken entstehen, kann wohl kaum eine hinreichende Verständigungsgrundlage abgeben. Denn wie eindrucksvoll oder gelungen die Türme im einzelnen auch sein mögen – wirklichen "Erfolg" können sie nur entfalten als Teil einer städtebaulichen und entwicklungsplanerischen Strategie.
Zunächst eine Außensicht, die bemerkenswert erscheint: Wolf Singer, Professor am Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung, hat vor einiger Zeit in sehr dezidierter Weise zum Hochhausbau Stellung genommen. Er wertet (1.) die Türme als Komponenten eines sich selbst organisierenden Prozesses, der sie als notwendige Folge eines stetig komplexer werdenden Geflechts urbaner Interaktionen erscheinen lässt. Er glaubt (2.), dass Hochhäuser ein konstitutives Merkmal hoch organisierter urbaner Strukturen darstellen. Und er sieht (3.) Analogien zwischen den funktionellen Architekturen von Städten und denen gewachsener biologischer Systeme, und hier vor allem der Hirnrinde, dem perfektesten informationsverarbeitenden System, das wir kennen. Aus der Sicht des Hirnforschers haben Hochhäuser ihren Sinn:
So vermute ich, dass sich Hochhäuser als Individuen zu profilieren suchen, gerade weil die Funktionen, die sie beherbergen, in hohem Maße austauschbar und ortsungebunden geworden sind. Für den, der das, was er tun muss, irgendwo tun könnte, wird mit einmal wichtig, sich wieder mit einem Ort identifizieren zu können, einem Ort, der anderen ein Begriff ist, den man kennt, der einen Namen hat, der beeindruckt.
Wolf Singer
Nach den Terroranschlägen in New York ist weithin die Frage aufgeworfen worden, ob angesichts ihrer "Verletzbarkeit" Hochhäuser überhaupt noch zu verantworten seien. Diese Frage legt eine falsche Fährte. Auch andere Großinfrastrukturen – Flughäfen, Fußballstadien, Bahnhöfe etc. – sind nicht gänzlich zu schützen, werden aber weiterhin genutzt und gebaut. Nein, im Grunde ist das Feindbild Hochhaus so alt wie der Bautypus selbst. Doch wenn man eine unverkrampfte, über bloße Ressentiments hinausgehende Position einnehmen will, dann muss man sich mit dem auseinandersetzen, was ohnehin gegen den Bau von Hochhäusern ins Feld geführt wurde: Dass sie unökologisch, anti-urban und symbolisch fehlbesetzt seien.
Hochhäuser sind unökologisch
Norman Fosters Commerzbank in Frankfurt hat sich mit Skygärten und energetischen Erneuerungen recht geschickt ein "grünes" Mäntelchen umgelegt, und ist deswegen als "ökologischer Wolkenkratzer" bezeichnet worden. M.E. aber verbietet sich eine solche Zuschreibung. Weiß man doch längst, dass bei über 50 Stockwerken das Verhältnis zwischen (Büro)Nutzfläche und Aufzügen völlig unwirtschaftlich wird, dass Häuser mit mehr als 20 Geschossen nicht wirklich umweltfreundlich sind und zudem für viele Benutzer zur psychischen Belastung werden können.
Gleichwohl gibt es andere, übergeordnete Betrachtungen, die ihren Bau durchaus sinnvoll erscheinen lassen können. Auch das Eigenheim – mag es noch so ökologisch ausgerichtet und energetisch optimiert sein - ist ja per se nicht umweltgerecht. Selbst Umweltgruppen drängen mittlerweile in New York auf den Bau neuer skyscraper im Zentrum, weil sie zusätzliche Luftverschmutzung und unnötigen Berufsverkehr befürchten durch den Wegzug der Firmen ins Umland. Das ist nicht ohne Ironie – hatten doch die Ölkrise und die vom Club of Rome prognostizierten "Grenzen des Wachstums" das Hochhaus Mitte der siebziger Jahre in Verruf gebracht.
Im Übrigen lassen sich Ökologie und Urbanität nicht klar trennen, wie gerade der Blick auf Manhattan zeigt. Weil diese Skyline mit öffentlichen Verkehrsmitteln besser erschlossen ist als jede andere, ließ sich hier die Verdichtung letztlich als Antwort auf den suburban sprawl der endlosen Vorstadtteppiche rechtfertigen: Während nämlich in den meisten US-Städten die ökologisch und wirtschaftlich fragwürdigen Wolkenkratzer von riesigen Parkplätzen umgeben sind, erhielt hier das World Trade Center sogar einen eigenen Subway-Anschluss.
Eine simple Antwort auf die Frage, wie "nachhaltig" ein Hochhaus ist, gibt es also nicht. Sie hängt von der Abstraktionsebene und den konkreten Rahmenbedingungen ab.
Hochhäuser sind anti-städtisch
Hochhäuser gelten als ein anti-urbaner Auswuchs, als ein Bautyp, der nicht mit der Umgebung korrespondiert, ein Typus, der sich der Stadt gegenüber verschließt.
Hierbei müssen zwei Facetten unterschieden werden. Zum einen ist das dezidiert "nicht-öffentliche" der allermeisten Türme angesprochen. Mögen in neueren Wolkenkratzern die Foyers und Erdgeschoßzonen noch so einladend gestaltet sein, mögen die Erbauer mit dem stolz propagierten "öffentlichen Raum" einer Piazza ihr soziales Gewissen unter Beweis stellen, so haben sie zumeist doch nur eine von unzähligen betonierten oder verglasten Windfallen geschaffen. Diese kaschieren mehr oder minder geschickt, wie verschlossen der Turm tatsächlich ist.
Doch schon ein vergleichsweise banaler Aspekt wie die Einrichtung von Restaurants und Aussichtsterrassen ganz oben kann eine völlig andere Rezeption bewirken. Und in Hongkong sind die Hochhäuser mit ihren belebten Sockelgeschossen auf höchst urbane Weise in die Stadtstruktur eingebunden.
Zum anderen wird mit dem Vorwurf die städtebauliche und stadträumliche Situation angesprochen. Es wird die eher anarchische Art und Weise kritisiert, wie der Turmbau historisch sich vollzog. Scheinbar uneingeschränkt privaten Verwertungsinteressen gehorchend schießen an bestimmten locations die Bauten der global player in die Höhe.
Von einer zugrundeliegenden Konzeption kann in vielen Städten keine Rede sein. Dabei hatte Louis Sullivan bereits 1891 auf die Notwendigkeit einer sinnvollen Gestaltung der Beziehungen zwischen Hochhaus und Stadt hingewiesen. Ihm ging es darum, Hochhaus und Stadt so in Übereinstimmung zu bringen, dass individuellen und gesellschaftlichen Interessen Gerechtigkeit widerfährt. Und diese Forderung gilt nach wie vor: Hochhäuser sind nur dann stadtverträglich, wenn Politik und Stadtplanung dafür sorgen, dass sie funktionierende Stadtquartiere nicht beeinträchtigen. Gefragt sind Innovationen und gesellschaftlich abgesicherte Verfahren, Lösungen, die die humane Gestaltung von Arbeitsplätzen ebenso wie die Qualität von Stadtraum und Stadtklima berücksichtigen.
Fazit: Die Anti-Urbanität ist ein Stigma, das in der Art und Weise, wie und wo Hochhäuser geplant und gebaut werden, relativiert werden kann.
Hochhäuser setzen eine falsche Symbolik
Der ästhetische (Mehr)Wert und die symbolische Aufladung von Turmbauten sind sicherlich Brennpunkte jeder Diskussion. Aber sie sind selten frei von weltanschaulichen Affekten. Auch hier muss man hinter die Kulissen schauen. Natürlich war das Hochhaus in seiner bisherigen Karriere ein rein kommerzieller Bau, vor allem ein nutzungshomogenes Geschäftshaus und als solches untrennbar mit den wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen der Marktwirtschaft verbunden. Bigness spielt da eine große Rolle. Und alles Große neigt dazu, ein starkes Eigenleben zu haben oder zu entwickeln.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Lewis Mumford zitieren: "Ein Bauwerk steht und fällt, selbst vom Standpunkte des reinen Kunstwerks betrachtet, je nach der Richtigkeit seiner Proportionen im Verhältnis zu seiner Umgebung. Ohne den Sinn für Proportion – und der Wolkenkratzer hat diesen Sinn in uns ertötet – ist die Wirkung jedes einzelnen Gebäudes vernichtet." Der bekennende Hochhaus-Gegner Mumford hat vor achtzig Jahren einen zentralen Vorbehalt ausgesprochen, der noch immer wirksam ist.
Er umfasst allerdings zwei sehr unterschiedliche Aspekte: Mit dem einen ist eine Art wunder Punkt markiert. Denn gerade am Boden, auf der Straße, wo sich Außen- und Innenraum verzahnen, zeigt sich – gleichsam im doppelten Sinne - die Tragfähigkeit der Hochhausidee. Dort muss der Übergang zum Anreiz werden, muss die innere Vielfalt, so sie denn vorhanden ist, auf engstem Raum beispielhaft inszeniert werden.
Der andere Aspekt, nämlich dass das Hochhaus den Sinn für Proportionen abtötet, stellt ein Ressentiment dar. Übrigens gibt es dazu auch ein spiegelverkehrtes, und das kommt ebenfalls aus den USA. Es spricht dem Wolkenkratzer "demokratische" Qualitäten zu, weil er Willen und Durchsetzungsvermögen verkörpere. In dieser Pauschalität sind beides bloße Vorurteile. Aber es bleibt festzuhalten: In ihrem Nebeneinander von mythischer Präsenz und ökonomischen Kalkül, von atavistischer Drohgebärde und unangreifbar glattem Hightech rufen Hochhäuser seit jeher widerstreitende Gefühle hervor, die oft dicht beieinander liegen.
An dieser Stelle darf man vielleicht auf einen erhellenden Satz von Franz Kafka verweisen:
Das Wesentliche des ganzen Unternehmens ist der Gedanke, einen bis in den Himmel reichenden Turm zu bauen. Neben diesem Gedanken ist alles andere nebensächlich. Der Gedanke, einmal in seiner Größe gefaßt, kann nicht mehr verschwinden; solange es Menschen gibt, wird auch der starke Wunsch dasein, den Turm zu Ende zu bauen.
Franz Kafka
Kafka gab also bereits 1920 einen entscheidenden Hinweis: Einmal "entdeckt", lässt eine Erfindung oder Entwicklung sich nicht mehr ungeschehen machen. Und das hat weniger mit Technikeuphorie oder Innovationswahn zu tun, als vielmehr mit lebensweltlichen Grundgesetzen.
Ob also mit dem Hochhaus eine symbolische Fehlbesetzung vorliegt, dürfte immer eine Frage des Einzelfalls sein.
An welchem Standort, in welcher Form und, ganz entscheidend, vermittels welchen Prozesses ein Wolkenkratzer entsteht, ist für Akzeptanz und Güte dieser Architektur von entscheidender Bedeutung. Denn, um mit Marianne Rodenstein zu sprechen, wenn ein Hochhaus endlich baulich in Erscheinung tritt, dann ist es bereits vorher im lokalen Kräftefeld gesellschaftlich konstruiert worden.
Auf Hochhäuser wird man auch in Zukunft nicht verzichten können
"Wer hohe Türme bauen will", so hat es der Komponist Anton Bruckner (1824-1896) einmal formuliert, "der muss lange beim Fundament verweilen." In diesem Sinne sei auf einige notwendige Basis-Arbeiten hingewiesen:
Weil Urbanität kein statischer Zustand, vielmehr dem ständigen Wandel unterzogen ist, weil sie das Ergebnis einer kulturellen Praxis der Aneignung städtischen Raumes darstellt, sind auch die Muster der Aneignung von Hochhäusern nicht festgeschrieben. Sie unterliegen dann einem positiven Wandel, sofern sich die öffentliche Nutzung, mithin der soziale Gebrauchswert des Typus erhöht.
Was auch immer man davon halten mag: Der künftige Urbanismus wird ohne Hochhäuser nicht auskommen. Also geht es darum, in jeder betroffenen Stadt einen grundsätzlichen Zusammenhang zu definieren. Und das meint nicht nur städtebauliche Einbindung, sondern auch die sozialen Folgen, die etwa über Bodenwertsteigerungen vermittelt sind.
Denn die Gründe, die gegen das Hochhaus geltend gemacht werden, sind nie falsch, aber immer relativ. Durch die zunehmende Sensibilisierung der Menschen gegenüber Umwelt und Ort wird die öffentliche Akzeptanz neuer Hochhausprojekte in Zukunft in hohem Maße davon abhängen, ob die vorgeschlagenen städtebaulichen und architektonischen Lösungen sozial- und umweltverträglich sind. Zu den psychologischen Problemen kommen die enormen Energiekosten, die ein Hochhaus verschlingt.
Diesen komplexen Anforderungen ist allerdings mit Ressentiments bezüglich der Sicherheit oder dem Verweis auf die momentan laue Büroflächennachfrage nicht beizukommen. Dass das Hochhaus kaum als die Patentlösung für alle urbanen Probleme des "neuen Jahrtausends" angeboten werden kann, dürfte klar sein. Dass es, global gesehen, einen wichtigen, vielleicht unverzichtbaren Teil des Systems Stadt darstellt, der neben seiner evidenten ökonomischen Kraft durchaus auch kulturelle und gesellschaftliche Argumente auf seiner Seite hat, wäre wohl auch zu akzeptieren.