Bomben und Granaten auf Buddha
Zum Bildersturm der Taliban
Autoritäre Herrschaft, die durch göttliche Gebote abgesichert ist, kann den Wertepluralismus liberaler Gesellschaften, ihre kulturelle Freizügigkeiten, Beliebigkeiten und Verfallsformen weder verstehen noch akzeptieren. Die Taliban haben jetzt begonnen, die nichtislamische Bildkultur Afghanistans, insbesondere zahlreiche buddhistische Bildwerke aus der Zeit vor der moslemischen Herrschaft radikal zu zerstören, um "Götzenverehrung" für alle Zeiten unmöglich zu machen.
In Zeiten der wunderbaren Bildvermehrung haben die Bilder im Westen Exklusivität und Wirkungsmächtigkeit längst verloren. Die "Copy and Paste"-Mentalität macht ungezählte User zu Herrschern über unendliche Bildwelten und in eben dieser freien Verfügbarkeit der Bilder werden sie auch ihrer vormaligen Macht und Magie beraubt, die in der Geschichte des westlichen Ikonoklasmus Menschen ängstigte, Hass provozierte und fremde Kulturen zerstören ließ. Lange vorbei ist die Zeit, als ein fertig gestelltes Bild Raffaels zur europäischen Sensation werden konnte. In unserer alltäglichen Bildhypertrophie wird es schwer vorstellbar, Bildern überhaupt noch eine magisch hypnotische Kraft zuzurechnen, eine Kraft, die den Betrachter in den Bann schlagen, seinen Geist umfangen könnte wie jenes schreckliche Haupt der Medusa. Heute mag der Glaube entstehen, dass sich der moderne Ikonoklasmus vornehmlich auf das Löschen digitalen Bildermülls von der Festplatte reduziert hat.
Aber in der rasenden Welt der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigkeiten ist auch der alte, religiös veranlasste Bildersturm noch nicht ad actas gelegt. Ein Aufschrei der Empörung geht durch die Welt, weil die Taliban nunmehr begonnen haben, in Afghanistan zahlreiche nichtislamische Denkmäler zu vernichten. Die Taliban sind als wenig zimperlich bekannt, wenn es um ihr Verständnis radikal-islamischer Orthodoxie geht. Schulverbot für Mädchen, Berufsverbot für Frauen und die staatlich erzwungene Sofortvollstreckung des Kurzhaarschnitts, um Satans Möglichkeiten zu vereiteln, in langen Mähnen zu hausen, gehören zum repressiven Repertoire eines Religionsverständnisses, das noch nicht vom Geist der Toleranz infiziert ist. Bürgerkrieg und Flüchtlingsströme mit vor Kälte sterbenden Kindern prägen den politischen Alltag des Landes. Aber das hindert die Taliban wenig, die Geschichtszerstörung im Lande mit Feuer und Schwert - respektive mit Panzer und Raketen - zur Chefsache zu erklären. Wenn schon nicht alle Ungläubige und Häretiker greifbar sind, sollen wenigstens ihre steinernen Repräsentanten das Zeitliche segnen
Der kulturellen Radikaldemontage fallen unter anderem zwei gewaltige, 38 und 53 Meter hohe Buddha-Statuen in Bamiyan zum Opfer, die in der Zeit entstanden, als Bamiyan noch eine buddhistische Klostersiedlung war (2. bis 7. Jahrhundert). Die Unesco hat diese Skulpturen zwar bisher noch nicht in den Bestand des Weltkulturerbes aufgenommen, weil Kabul keinen vernünftigen Konservierungsplan präsentierte, aber das ändert in der Auffassung der Unesco nichts an ihrer herausragenden Bedeutung für die Weltkultur.
Wider die Götzenverehrung
Mullah Mohammad Omar, seit April 1996 religiöses und politisches Oberhaupt der Taliban, hat indes nichts weniger als Konservierung im Sinn. Nach Mohammed Omar, der sich in Anlehnung an die Kalifen “amir al-mu’manin" ("Fürst der Gläubigen") nennt, gibt es nur einen Gott und die Anbetung von Statuen ist daher - religionslogisch - falsch. Die Zerstörung sei also unabdingbar, damit sie nicht mehr Gegenstand religiöser Verehrung sein können.
Der seit längerem von den Taliban praktizierte Ikonoklasmus wird nun seiner kulturellen "Endlösung" zugeführt, vermutlich als Antwort auf eine westliche Delegation, die Kabul besuchte, nachdem es zu Berichten gekommen war, dass alte Statuen im Museum der Hauptstadt bereits liquidiert worden seien. Auch die Buddhakolosse waren schon zuvor Zielobjekte des Militärs. Nun haben solche Gewaltakte eine lange Tradition, der etwa im 11. Jahrhundert der Sonnen-Tempel Shivas in Somnath genauso zum Opfer fiel wie im 16.Jahrhundert das Pilgerzentrum “Puri" der Hindus. Die bedeutende buddhistische Tempelpyramide des Borobudur in Java aus dem 9. Jahrhundert blieb nur deshalb verschont, weil die Mohammedaner, die im 14.Jahrhundert der Insel den Segen des Korans brachten, den Tempelbau nicht sehen konnten, da ein vulkanischer Aschenregen ihn bedeckte.
Abbildungen von Gott, Engeln und Propheten sind im Islam nach dem Hadit, der neben den Aussagen des Propheten Mohammed vor allem die den Islam betreffenden religiösen Vorschriften enthält, verboten, weil sie nicht auf eine menschlich unzulängliche Darstellung reduziert werden dürfen. Daneben enthält der Koran zahlreiche Ausführungen über das Verbot der Anbetung von Götzen, das auch im alttestamentarischen Auftrag Gottes an Moses begründet wird (Exodus 20, 4-5). Die religiöse Dogmatik zu den Bildverboten wird im Übrigen aber selbst im Islam kontrovers diskutiert. Neben dem radikal ausschließlichen Bildverbot gibt es auch gemäßigtere Auffassungen, Bilder, die nicht der Anbetung dienen oder die Schöpfung Allahs nicht mit "besseren" alternativen Schöpfungsentwürfen konfrontieren, für zulässig zu erachten. Danach begründet das islamische Bilderverbot - wie ein Blick in die Geschichte belegt - keine absolute Regel. So gibt es etwa die illuminierten Handschriften mit ihren kleinformatige Abbildungen, die seit dem 13.Jahrhundert hergestellt worden.
Dass sich indes der islamische Widerstand gegen Abbildungen nicht auf nationale Grenzen bescheidet und der Sakralvandalismus der Taliban nicht so völlig einzigartig ist, wie er jetzt von der internationalen Presse markiert wird, musste der Spiegel zum Jahresbeginn 2000 erfahren, als das Magazin die 1847 von dem deutschen Maler Theodor Hosemann gefertigte Darstellung Mohammeds "Die Berufung Mohammeds durch den Engel Gabriel" publizierte. Das Magazin wurde mit massenhaften Protesten aufgebrachter Muslime bis hin zu Morddrohungen konfrontiert. Selbst der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, der für Toleranz und multikulturelles Nebeneinander plädierte, antwortete auf die damalige Frage des SPIEGEL, was denn geschähe, wenn das umstrittene Bild des Propheten noch einmal abgedruckt würde: "Sie sollten das nicht tun, wenn Sie die Muslime nicht absichtlich verletzen wollen. Sie können notfalls das Bild drucken, aber das Gesicht weißen." Vielleicht würde ja auch in Afghanistan Koran und Hadit Genüge getan, wenn die gefährlichen Statuen - etwa im Rahmen einer Verpackungsaktion Christos - verhüllt würden. Aber es setzt nicht viel psychologische Einfühlung voraus, in der Zerschlagungsaktion der Taliban einen Akt des Vandalismus zu erkennen, der hinter der Gewalt gegen Kultur die Gewalt gegen Menschen meint und die unbedingte Bereitschaft zur Zerstörung erscheinen lässt.
Sturm der Entrüstung
Der Generaldirektor der Unesco Koïchiro Matsuura protestierte vehement gegen die Exekution des Bildverbots und die EU-Mitgliedsstaaten haben eine gemeinsame Erklärung zur Erhaltung der bedrohten Kulturgüter angekündigt. Die Durchsetzung der "Fatwa" des Taliban-Chefs Mullah Mohammad Omar wäre eine Katastrophe, erklärte Matsuura in Paris, nachdem er den Mullahs ein Telegramm geschickt hatte, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Selbst das moslemische Pakistan, der engste Verbündete der Taliban, rief die afghanische Regierung an, das reiche historische Erbe des Landes zu schützen.
Der für die Außenpolitik zuständige Vertreter der Taliban, Wakil Ahmed Mutawakel, ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken: Die Entscheidung sei unumkehrbar, da kurz zuvor islamische Geistliche erklärt hatten, die Statuen verhöhnten Gott. "Alle Statuen werden zerstört", bestätigte auch Mullah Kudratullah Jamal, der Kulturminister mit dem nach westlichen Maßstäben höchst befremdlichen Amtsverständnis.
Westlicher Ikonoklasmus
Nun hat der Westen, wenn er sich zum Kulturschützer wider islamische Regeln aufwirft, zumindest in historischer Betrachtung eine fragile Position. Von Platon, Aristoteles, über Augustinus bis Calvin wurden Bilder aus verschiedenen Gründen verdächtigt, Moral, Sitte, Anstand und Glauben zu gefährden. Im Zeichen des Kreuzes wurden fremde Götzenbilder über Jahrhundert Opfer von Autodafés bis hin zu den Exzessen der reformatorische Bilderstürmer.
Auch Bernhard von Clairvaux (1091-1153) bewegt sich in seinen Ausführungen an den Abt Wilhelm zu den symbolischen Natur- und Dämonendarstellungen an den Kirchenportalen und Kapitellen romanischer Kirchen nicht sehr entfernt von den Taliban, wenn er schreibt: “Die Vielfalt der verschiedenen Formen ist so reich und so seltsam, dass es angenehmer dünkt, in den Marmorsteinen als in den Büchern zu lesen und man den Tag lieber damit verbringt, alle diese Einzelheiten zu bewundern, als über Gottes Gebot nachzudenken."
Aber auch aufgeklärtere Zeiten scheinen noch von Relikten magischer Bildangst und Austreibung des Bösen durchzogen zu sein. Anlässlich der Frage, wie mit den vielen Bildwerken der Nazis zu verfahren sei, wurde die Gefahr einer durch faschistische Ikonen verführbaren Öffentlichkeit beschworen. Selbst die Demontage sozialistischer Großplastiken der "siegreichen" Führer der Revolution war neben dem mit der Abrissbirne exekutierten Geschmacksurteil zugleich eine Lidquidierung der verhassten Gegner "in effigie".
Die Spur der Steine
Indem die Taliban fremde Religionstraditionen im eigenen Land entsorgen, beschädigen sie aber letztlich auch das kulturelle Fundament, auf dem die Menschen Afghanistans jenseits ihrer Religionszugehörigkeit stehen. Mullah Mohammed Omar hatte schon früher der westlichen Kritik eine Absage erteilt und die typische Selbstrechtfertigung der Vandalen aller Zeiten gegeben: "Wir machen nichts anderes, als Steine zu zerstören. Mich bekümmert nichts anderes als der Islam". Diese Aussage ist allerdings selbst im religiösen Wertsystem der Taliban paradox, denn wenn es nur Steine wären, dürften sie den "Fürsten der Gläubigen" auch nicht weiter bekümmern. Die Fundamentalisten glauben fest an die Gefahren religiöser Idolatrie und nehmen die Kraft der Statuen daher so ernst, wie sie schließlich auch von Ihren Erbauen intendiert war.
Es führt zur kulturellen Selbstentwurzelung, wenn ein Teil der Geschichte des Landes, das die Taliban-Milizen beherrschen, ausgelöscht wird. Auch wenn diese Schäden zunächst weniger greifbar sein mögen als die sichtbaren Akte des Sakralvandalismus, werden hier zugleich Seelenlandschaften eingeäschert. Selbst in offziellen Kreisen der Taliban, die sich indes nicht namentlich zu outen wagen, wird die Abbruchaktion kritisiert. "Es ist ein großer Schaden für die Geschichte unseres Landes" sagte ein Angehöriger der Taliban, "der Krieg hat uns alles genommen außer diesen Monumenten, die nun auch noch verschwinden".
Koïchiro Matsuura und Außenminister Joschka Fischer sprechen von Schock und Entsetzen aller Beobachter, die noch den Glauben an die Würde des Menschen und die Toleranz gegenüber anderen Religionen besitzen. Freilich ist das kein Argument für die religiösen Eiferer, da sie die gefährlichen Plastiken noch nicht wie der Westen als kulturhistorische und ästhetische Objekte entschärft haben. Die historische Verspätung hat indes einen hohen politischen Preis: Die Taliban haben damit den sichersten Weg gefunden, sich noch weiter aus der Staatengemeinschaft zu entfernen und ihren Wunsch nach internationaler Anerkennung auf absehbare Zeit erfolgreich zu vereiteln.