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Bommi Baumanns finale Pointe

Poster der Haschrebellen.

Ein talentierter Geschichtenerzähler hat den Löffel abgegeben. Es gibt nichts mehr zu lachen. Nicht nur ich bedaure das. Die Leber nimmt es eben übel, wenn man sie zu sehr malträtiert

Bommi geht als Ex-Terrorist in die Geschichte ein. Vielleicht hat er das selbst so gewollt, wird ihm aber meines Erachtens nicht gerecht. Ich sehe ihn viel mehr als lustigen Narrator, dem es immer darum ging, Absurditäten aufzudecken.

Ich kenne ihn nun schon seit fast fünfzig Jahren und von diesen vielen Jahren hat er weniger als zwei davon als selbsternannter Guerillero verbracht, und das obendrein mehr aus Gefälligkeit gegenüber seinem Freund Georg als aus innerer Überzeugung. Vielleicht würde er dieser These heute sogar zustimmen. Ich weiß es nicht, was ich aber wohl weiß ist, dass er prinzipiell keiner Fliege was zu Leide tun konnte.

Als wir im März 1969 von unserer vielfach fehlinterpretierten Italienreise zurück kamen, organisierten wir ein Treffen mit unseren SDS-Freunden im Sozialistischen Anwaltsbüro (Mahler, Eschen, Ströbele), um sie vor dem von uns enttarnten Verfassungsschutzspitzel, "S-Bahn-Peter" Urbach, der vorher schon Brandbomben in diverse Kommunen eingeschmuggelt hatte, zu warnen. Weitere Aktionen hielten wir für überflüssig, von Gewalt gegen ihn war nie die Rede.

Bommi besuchte ihn sogar ein paar mal danach in dessen Wohnung und ließ sich von ihm mit Haschisch versorgen, das er nicht mal bezahlen musste. Im Zodiak, unserem Treff aller Bluesfreunde, verkündete Bommi dann, die jetzt gedrehten Joints seien ein "Geschenk des Verfassungsschutzes". Der Stoff war übrigens von exquisierter Qualität. Ein Jahr später ließ Urbach dann Mahler und Baader auffliegen, als dieser ihnen angeblich ein klandestines Waffenlager zeigen wollte. Bommis beste Haschischquelle war danach nicht mehr verfügbar. Urbach floh nach Kalifornien.

Seit zwei Jahren habe ich Bommi nicht mehr gesehen. Er hatte sich mehr und mehr zurückgezogen. Letztes Jahr ist er der Einladung unseres gemeinsamen Freundes Micha nicht gefolgt, wo wir uns hätten treffen können. (Ich bin ja nur selten in Berlin.)

Es war im heißen Sommer 1968 als ich ihn kennen lernte. Er hatte in den Büroräumen des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), in einer Ruine am Kudamm gelegen, ein Zimmer in Beschlag genommen. Ich ging da ab und zu hin, um den Kontakt mit den Genossen der Studentenrevolte zu pflegen.

An einem Tag war niemand da außer ein neuer Bewohner. Ich fragte ihn irgend etwas und wir kamen ins Gespräch. Er sagte, er sei kein Student, aber er würde sich an den Protesten beteiligen. Er lud mich ein, mit ihm seine neueste Blues-Platte anzuhören. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Von John Lee Hooker etc hatte ich bis dahin noch nie gehört. Bommi klärte mich auf. Blues sei die eigentliche Musik und er kenne Leute, die jede Blues-Scheibe kaufen würden, die auf den Markt käme. Wir hörten uns dann lange Scheiben von John Mayall And The Bluesbreakers an. Mayall sei der beste aktuelle Blues-Musiker. Ich war beeindruckt. Er meinte, es wäre doch schön, wenn er oder auch ich eine Kommune zur Verfügung hätten, in der man dem Blues frönen könnte.

Ein paar Monate später, im Januar 1969, berichtete er mir, dass er eine solche Kommune gefunden hätte, in der Charlottenburger Wielandstraße. Dort lebe Georg von Rauch mit seiner Familie und es seien Zimmer frei. Da ich keine eigene Wohnung hatte und auf Wohnungs-Sitting angewiesen war, gefiel mir die Idee. Georg, der mich von einer gemeinsamen revolutionären (Anti-Vietnamkriegs-Demo) London-Fahrt kannte, war einverstanden.

Wir drei verstanden uns großartig und traten nur noch gemeinsam auf, was uns den Namen "Hoppla-Brothers" eintrug. Drogen lehnten wir strikt ab, da die uns bei der politischen Arbeit hinderlich wären. Wir betrieben "Radio-Revolution", einen mobilen Sender in einem VW-Käfer eingebaut, der uns von SDS-Funktionären gebracht wurde, reisten nach Italien, um klandestine Hilfe für unsere griechischen Genossen zu arrangieren, druckten ein Reprint von Bakunin-Texten, und ähnliche Dinge mehr.

Umherschweifende Haschrebellen

Nach vier Monaten war Schluss mit lustig. Bommi und Georg gerieten sich in die Haare. Die Auseinandersetzung schienen mir und Bommi zu gefährlich und wir zogen aus. Aber wohin? Bommi fragte einige seiner Blues-Freunde, ob die uns aufnehmen würden. Taten sie, und wir landeten in einer Fixer-Kommune in der Lietzenburger Straße. Nette Leute, die aufpassten, dass wir nicht ihren Weg in die Abhängigkeit gehen würden.

So lernte auch ich Shorty, Hajo, Hannibal und Co kennen. Hannibal war so etwas wie der Guru in diesem Milieu. Er wollte Drogenkonsum legalisiert sehen, so etwa wie heute die Libertären in den USA, deren Präsidentschaftsbewerber Gary E. Johnson zur Zeit bei etwa 10% in den Umfragen liegt, gefolgt von den Grünen mit 6%, die das ebenfalls fordern. Zu diesem Zweck bat er mich, mit ihm einen Text zu verfassen, da ich als Student doch besser schreiben könne als er. Gesagt, getan, aber wer könnte ihn veröffentlichen? Ich kannte einen SDS-Genossen, der inzwischen Redakteur bei eine linken Postille war: "883" hieß dieses Blatt und gilt derzeit in der Historikerzunft als anarchistisch, was sie aber bis dahin nicht war. Unsere Überzeugungskunst überwand die starken Bedenken und die Redaktion sagte zu. Hannibal hatte eine Plattform.

Unsere neuen Freunde und einige Ex-Schüler aus der sogenannten "Terrorgruppe Neuruppin", saßen beisammen und überlegten, ob es nicht angebracht sei, einen Namen für die Gruppe, die Drogen legalisieren wollte, zu finden. "Wir sind Haschrebellen", sagte einer. Da uns inzwischen die Eigentümer der "Lietze" rausgeschmissen hatten, waren wir überall hin zerstreut. Keiner hatte eine feste Bleibe. Wir waren Streuner. Da passte der Begriff "umherschweifen" als Zusatz.

Ob das tatsächlich in Anlehnung an den gleichen situationistischen Terminus (dériver) geschah, weiß ich nicht mehr. Dieter Kunzelmann, einer der Begründer der "Kommune 1", der sich uns zeitweilig zugesellte, legt das jedenfalls nahe. "Umherschweifende Haschrebellen"? Das reichte Bommi nicht und hier kommt eine seiner Pointen. Da in jenen Monaten ehemalige Studentenführer dabei waren, sich selbst, bzw. ihre ehemaligen antiautoritären Ideen zu verraten und stalinistische Parteien gründeten, wäre es doch angebracht, meinte Bommi; statt ein Zentralkommittee zu kreieren wie diese Möchtegernkommunisten, uns in Anlehnung an den Zentralrat der Juden in Deutschland "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen" zu bezeichnen. Das folgende Gelächter wurde als Zustimmung interpretiert. Fortan konnte jeder, der es wollte, mit diesem Label auftreten. Er war schlicht ein Ausdruck für ein unterschwelliges Gefühl von Blues-Freunden, von Ausgeflippten, und von verschiedenen Subkulturen.

Die Gruppe organisierte ein öffentliches Smoke-In im Berliner Tiergarten. Die Polizei ließ uns gewähren, griff erst ein, als Georg, der inzwischen auch zu uns gestoßen war, sich auf dem Rasen krümmte. Er hatte zu viele Haschkekse gegessen und sein Magen musste ausgepumpt werden, was prompt mit einer Lachsalve der anderen gewürdigt wurde.

In der FU-Mensa traf ich zufällig einen Genossen aus der GSG (Gewerkschaftliche Studentengruppe). Er fragte mich, ob ich interessiert wäre, mit seiner Gruppe nach London zu fahren. Ich sagte zu und heuerte Bommi, Shorty und Hannibal an, mitzukommen. In London könnten wir vielleicht John Mayall sehen und auch Rudi Dutschke, der sich dort bei Erich Fried noch von seiner Schussverletzung erholte.

Während der harte Kern der Haschrebellen also Swinging London genoss, fuhren Georg und Dieter Kunzelmann ins bayrische Ebrach zu dem berühmt-berüchtigten Knastcamp, um gegen die dortige Inhaftierung eines Münchener Genossen zu protestieren. Sie hatten sich den VW-Bus des Asta der TU-Berlin ausgeliehen. Ebrach war jedoch ein Reinfall. Nichts wurde erreicht. Da kam bei einigen die Idee auf, weiter nach Italien zu einer Kommune auf Sizilien zu reisen. Dort klappte auch nichts.

Es war vermutlich Dieter Kunzelmann, der dann seine Mitreisenden, Georg, Ina Siepmann und Abi Fichter, dazu überredete, in den Nahen Osten zu reisen, um PLO-Palästinenser zu besuchen. Zurück in Berlin redeten sie davon, klandestine Zellen zu gründen. Damit hatten sie erstmal wenig Erfolg. Als dann das Attentat auf das Jüdische Gemeindezentrum erfolgte, war das Entsetzen unter vielen von uns groß. Die Polizei nahm in einem Rundumschlag mehrere Haschrebellen fest, nur die wahren Täter nicht.

KOK Wolfgang Kotsch, Leiter der Abteilung für politische Delikte, vernahm mich. Die übliche Omertà nicht beachtend, also nichts auszusagen, distanzierte ich mich heftigst von dieser Irrsinnstat. Kotsch glaubte mir und sagte, Bommi hätte ihm dasselbe gesagt. Wir konnten nach Hause gehen, wo immer das gerade für uns war. Haschrebell Bodo Saggel, so kam kürzlich heraus, sagte aus, wen er für die Täter hielt: die Palästina-Fahrer. Das wurde aber merkwürdigerweise von den Ermittlungsbehörden nicht verfolgt.

Autor Günter Langer als Haschrebell.

Bewegung 2. Juni

Hier war das große Versagen nicht nur der Polizei, sondern auch von uns. Wir überließen die öffentliche Kritik daran dem 883-Redakteur und SDS-Matador Tilmann Fichter, der einen Wischi-Waschi-Text dazu veröffentlichte. Für Bommi und für mich schien das genug. Anstatt einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, ging alles so weiter wie bisher.

Kunzelmann hatte sich inzwischen Heroin besorgt und experimentierte damit herum. Georg versuchte das auch und überredete Bommi dabei mitzumachen. Mir ging das absolut gegen den Strich. Im Nachhinein denke ich, dass aus alter Anhänglichkeit Bommi sich mehr und mehr Georg anschloss, der seit der Palästina-Reise wiederum mit Kunzelmann eng liiert war. Gegen Kunzelmann lag ein alter Haftbefehl vor und er versteckte sich in konspirativen Wohnungen. Nachdem Kunzelmann aufflog, verging nicht viel Zeit, bis die zwei mit anderen die "Bewegung 2. Juni" gründeten. Ich vermute, unter Georgs Einfluss ließ sich Bommi vermutlich eher widerwillig dazu verleiten, eine Waffe für den "Kampf" zu akzeptieren.

Ich traf die beiden dann noch zwei- oder dreimal. Das letzte Mal kurz vor Georgs Tod. Wir drei umarmten uns, so als ob es das letzte Mal sein würde. Ohne Georg hielt Bommi nicht mehr lange durch. Er stieg aus und floh ins Ausland. Sein Rechenschaftsbericht "Wie alles anfing" wurde ein Bestseller und sein Spruch "Genossen schmeißt die Knarren weg", so im Spiegel spektakulär gedruckt, machte ihn berühmt.

"Die abenteuerliche Flucht eines Ex-Terroristen"

Der Text ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Dort behaptet er z.B., sein Vater sei ein Nazi gewesen. Das ist glatt gelogen. Ich kannte seine Eltern. Die Mutter hatte das Sagen, der Vater war ein ruhiger, netter Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den "Berliner Extradienst", ein linkes, DDR-nahes Blatt zu verteilen. Als junger Dachs, Anfang der 30iger Jahre, so erzählte er es, sei er kurzzeitig Mitläufer der Nazis gewesen, hätte sich aber bald wieder abgewandt. Der Vater wurde von Bommi vermutlich als Nazi verkauft, um für sich eine bessere Rechtfertigung für sein Tun geltend machen zu können. Wer gegen Nazis rebelliert, muss sich selbst nicht mehr in Frage stellen.

Ich bezweifle auch, dass es jemals ein Attentat auf Nixon gegeben hat, das er sich auf die Brust heftet. Wie, wo und womit das geschehen sein soll, ist völlig rätselhaft. Sein Hinweis auf die Pattex-Zucker-Unkraut-Ex-Brandsätze, die der Verfassungsschutzagent Peter Urbach in die Szene gescmuggelt hatte, passt allerdings als Bommis gewollte Pointe gut ins Bild. Nie wurde auch nur irgendetwas gefunden, das diese Geschichte bestätigen könnte. Ich vermute, dass die Idee dafür vielleicht beim nächtlichen Joint aufgekommen ist, und von ihm im Nachhinein wegen der Pointe als real beschrieben wurde.

Egal, nachdem er seinen mehrjährigen Knast abgesessen hatte, konnte er in einer von Autonomen in der Kreuzberger Wrangelstraße betriebenen Kneipe anheuern, dem Kuckucksei. Ich besuchte ihn dort häufiger. Es gab dort einen guten (polnischen) Koch. Bommi schien mit sich selbst zufrieden und erzählte lustige Geschichten aus seinen Fluchtjahren in fernen Ländern, die er redigiert unter dem Titel "HiHo - Wer nicht weggeht, kommt nicht wieder", später als "Die abenteuerliche Flucht eines Ex-Terroristen" veröffentlichen ließ.

Die nächste Krise kam, als bekannt wurde, dass er auf der Flucht von der Stasi festgenommen und bei ihr intensiv gesungen hatte: 500 Seiten Protokolle über alle Personen, die er gekannt hatte. Wieviel davon wahr ist oder schlicht wiederum seiner Phantasie entsprang, vermag ich nicht zu beurteilen. Von Stund an war er in der linken Szene persona non grata. Er hatte verschissen. Ich war darüber naturgemäß auch enttäuscht, glaubte ihm aber, dass er das schwer bereute. So blieben wir in Kontakt.

Ich lud ihn dann auch zu Revival-Treffs der SDSler Ende der neunziger Jahre ein. Wir beide diskutierten unter anderem auch mit Horst Mahler, der gerade dabei war, sich als Konservativer zu verorten. Wir beide waren überzeugt, dass das nicht die letzte Station dieses ehemaligen RAF-Gründers sein würde. "Du wirst sehen, Mahler hört nicht auf, bis er wieder im Knast sitzt, diesmal als Nazi", meinte Bommi, und behielt schneller Recht, als ich es für möglich gehalten hatte.

Auch in anderen Bereichen entwickelte Bommi ein exquisites Urteil, ob es die internationale Drogenproblematik oder Machenschaften der Imperialisten betraf. Er tat sich mit Till Meyer, seinem Kumpel aus 2. Juni-Tagen zusammen, um weiter öffentlich wirksam zu sein. Mit Dieter Kunzelmann verbindet ihn gegenseitiger Hass. Ich glaube, Bommi war von seinem ehemaligen Idol aus Kommune 1-Tagen bitter enttäuscht. Dieters Experimente brachten ihn auf die schiefe Drogenbahn, von der er nur zeitweilig loskam. Er ließ auch nicht locker, Kunzelmann Antisemitismus vorzuwerfen, worauf dieser nur zu antworten wusste, Bommi müsse exkommuniziert werden und niemand dürfe mit ihm jemals wieder reden.

Mit Bommi wird eine weitere Ikone des subversiven Teils der antiautoritären 68iger-Bewegung zu Grabe getragen. Er war ein toller Geschichtenerzähler, bei dem die Pointe häufig wichtiger war, als der Wahrheitsgehalt. Er hat uns immer zum Lachen gebracht, eine Art Frohnatur. Seine Pointen werden uns fehlen. Am 19. August beschreibt er seinen letzten Weg, diesmal in die ewigen Jagdgründe, ohne Pointe und ohne Blues, den er schon vor Jahren aufgegeben hatte.

Günter Langer war Mitglied des SDS und Redakteur des anarchoiden Wochenblatts Agit-883.


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