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Boycott, Divestment and Sanctions bald völkerrechtlich verbindlich?

In Deutschland tritt in wenigen Tagen ein Gesetz zu Lieferketten in Kraft. Auch international laufen entsprechende Debatten. Warum das den Donbass, Westsahara und Gaza betrifft.

In Deutschland gibt es bereits ein Lieferkettengesetz [1], das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt [2]. In der EU wird eine vergleichbare Vorlage noch durch die Mühlen des Aushandlungsprozesses geschleust. Und da sieht es gar nicht gut aus: Anfang Dezember 2022 hat der Ministerrat der Union einen Beschluss gefasst [3], der prompt auf heftige Kritik der Zivilgesellschaft stieß.

Das Cora-Netzwerk, ein Bündnis von rund 60 Menschenrechtsorganisationen, machte unter anderem darauf aufmerksam, dass in dieser Vorlage Waffenexporte gar nicht erfasst sind [4].

Weit weniger Menschen wissen jedoch, dass auch auf UN-Ebene [5] ein Prozess läuft, bei dem es um die Versöhnung von wirtschaftlichen Aktivitäten und Menschenrechten geht. Denn dass vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern tätige transnationale Unternehmen grundlegende Menschenrechte verletzen, ist leider immer noch viel eher die Regel als die Ausnahme.

Doch das Ringen um Wirtschaft und Menschenrechte bei den Vereinten Nationen dauert mittlerweile auch schon über 17 Jahre [6]. Leitlinien der Vereinten Nationen [7] (und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [8], OECD) zu dem Thema existieren schon eine ganze Weile, sind aber, wie der Name bereits verrät, nicht verbindlich.

Verbindlicher Rahmen

Jetzt geht es darum, einen völkerrechtlich verbindlichen Rahmen zu schaffen, mit dem (vor allem große, international agierende) Unternehmen verpflichtet werden können, bei ihren geschäftlichen Aktivitäten weltweit und in ihrer gesamten Wertschöpfungskette auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten, und darüber regelmäßig Rechenschaft abzulegen.

Seit 2014 arbeitet eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe [9] an diesem völkerrechtlichen Abkommen. Mittlerweile hat der Vorsitzende der Arbeitsgruppe einen dritten, überarbeiteten Entwurf [10] für ein Verbindliches Internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte (legally binding instrument to regulate, in international human rights law, the activities of transnational corporations and other business enterprises) vorgelegt.

Am schwierigsten in der Umsetzung und politisch sehr heikel dürfte – neben den allfälligen Fragen nach der Haftung für Menschenrechtsverletzungen – die Frage werden, ob und wie weit Unternehmen künftig darauf achten müssen, dass ihre Aktivitäten Konflikte weder befeuern noch Menschenrechtsverletzungen in Konflikten begünstigen.

Das Sanktionsregime westlicher Regierungen gegen Russland belegt, dass hier Nachholbedarf [11] zu bestehen scheint. Und es wäre wünschenswert, wenn es dafür eine völkerrechtliche Grundlage gäbe. Im deutschen Lieferkettengesetz wird zwischen Unternehmensverantwortung und Konflikten übrigens lediglich ein Zusammenhang in Bezug auf Kindersoldaten hergestellt (Art 2 (2) a).

Da in bewaffneten Konflikten und in ihrem wirtschaftsgeografischen Umfeld ständig Menschenrechte verschiedenster Gruppen verletzt werden – weit häufiger als im Frieden –, müssen Unternehmen, die in Konfliktgebieten tätig sind oder Vorprodukte von dort beziehen, besondere Vorsicht walten lassen.

Unternehmen verletzen Menschenrechte auch ganz direkt

Doch wenn es ihren Interessen nutzt, verletzen Unternehmen Menschenrechte auch ganz direkt. Das europapolitische Onlineportal Euraktiv listet drei solche Fälle aus dem Südsudan, aus der Zentralafrikanischen Republik und aus Syrien [12] auf. Ermittlungen bzw. Klagen laufen, weil Unternehmen nachweislich an Menschenrechtsverletzungen und sogar Kriegsverbrechen beteiligt waren.

Ein Urteil wurde bereits verhängt, weil der französische multinationale Baukonzern Lafarge Zahlungen an bewaffnete Gruppen geleistet hat, darunter den Islamischen Staat. Frankreichs höchstes Gericht bestätigte die Mitschuld des Unternehmens an Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Hinzu kommt, dass:

  1. die Nachfrage nach bestimmten Produkten bewaffnete Konflikte erst ermöglicht oder sie zumindest anheizt und perpetuiert.
  2. Aufträge von Konfliktparteien für international agierende Unternehmen, die im Kontext des Konfliktgeschehens stehen, menschenrechtlich kaum als unbedenklich gelten können.

Das wohl bekannteste Beispiel für die [13]Schwierigkeiten, die eine menschenrechtskonforme Beschaffung aus Krisengebieten bereitet, ist das Beispiel Coltan/Tantal [14], das aus der DR Kongo zu uns gelangt (Stichwort: "Bluthandys [15]").

Die EU-Konfliktmineralienverordnung [16] sieht hier sogar eine Beendigung der Beziehungen zu Lieferanten vor (Art.5 (1) b) ii), wenn das menschenrechtliche Risikomanagement der Einkaufsabteilung nicht fruchtet. Die Verordnung gilt übrigens für Zinn, Tantal, Wolfram sowie deren Erze und Gold.

Wenn Unternehmen in völkerrechtswidrig besetzten Gebieten arbeiten

Was aber passiert, wenn Unternehmen in völkerrechtswidrig besetzten Gebieten tätig werden? Dürften deutsche Unternehmen in einer völkerrechtswidrig dauerhaft russisch besetzten Provinz – zum Beispiel im Donbass – aktiv werden?

Wer diese Frage rundweg verneint, sollte zumindest berücksichtigen, dass es auch außerhalb der Ukraine völkerrechtswidrig besetzte Gebiete gibt.

Dazu gehört etwa die Westsahara, wo bedeutende Phosphatvorkommen abgebaut werden.

Dazu gehören auch weite Gebiete Syriens mit erheblichen Ölvorkommen, die gegen den Willen von Damaskus von Kurden, Türken oder von den USA kontrolliert werden.

Und dazu gehören Gaza, Ostjerusalem sowie vor allem die Westbank und die Golanhöhen, die von Israel besetzt sind oder kontrolliert werden.

Karolin Seitz, Programmleiterin beim Global Policy Forum hat die Verhandlungen über das internationale Abkommen bei den Vereinten Nationen genauestens verfolgt. Sie berichtet [17], dass die palästinensische Vertreterin das Thema immer wieder in die Verhandlungen eingebracht hat.

"Praktisch sieht das dann so aus, dass sie immer wieder darauf hinweist, dass sich Unternehmen gerade auch in 'occupied or conflict affected areas', also besetzten und von Konflikten betroffenen Gebieten, an Menschenrechte und die Bestimmungen aus dem Abkommen halten müssen", sagt Seitz und fährt fort: "Für die Menschen in diesen Gebieten ist es natürlich essenziell, dass im Abschlussdokument möglichst starke Regelungen zum Thema Wirtschaft und Menschenrechten in Konfliktgebieten enthalten sind."

Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al Haq arbeitet sehr intensiv zu diesem Thema [18] und hat kürzlich zusammen mit dem irisch-britischen Global Legal Action Network (Glan) einen Bericht [19] herausgegeben, der die Situation auf der Krim, in der Westsahara und in den palästinensischen Gebieten analysiert.

"Wichtig zu wissen, ist", betont Seitz, "dass bei der Debatte um Wirtschaftsaktivitäten in den von Israel besetzten Gebieten auch ein deutsches Unternehmen im Fokus steht. Menschenrechtsorganisationen werfen HeidelbergCement vor [20], am israelischen Siedlungsbau in der Westbank und damit (über ein Tochterunternehmen) an der Verletzung geltenden Völkerrechts beteiligt zu sein".

Damit bezieht Seitz sich auf mehrere, völkerrechtlich verbindliche Normen, die auch die schleichende Annexion von besetzten Gebieten [21] untersagen.

Erhöhter Standard menschenrechtlicher und konfliktsensitiver Sorgfaltspflicht nötig

In Konfliktgebieten besteht ein erhöhtes Risiko von schweren Menschenrechtsverletzungen im Wirtschaftskontext. "Für Unternehmen, die in diesen Gebieten tätig sind, sollte daher ein erhöhter Standard menschenrechtlicher und konflikt-sensitiver Sorgfaltspflicht gelten.

Das sollte in dem internationalen Abkommen festgelegt werden. Zudem sollten Unternehmen zur Achtung des humanitären Völkerrechts verpflichtet werden", fordert Seitz. Sowohl das deutsche Lieferkettengesetz als auch der Richtlinienentwurf des EU-Rats versäumen das bislang.

Es ist wohl kaum zu erwarten, dass die UN-Regelungen irgendwann einmal einen Freibrief für die Boycott, Divest and Sanctions-Aktivist:innen hergeben werden. Aber das Abkommen könnte einen wichtigen Hebel bieten, die menschen- und völkerrechtswidrigen Aktivitäten großer Unternehmen zumindest einzuhegen. Und wer einmal einen Einblick in das aktuelle UN-Verhandlungsdokument zu diesem Thema gewinnen möchte, kann das hier [22] tun.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7435009

Links in diesem Artikel:
[1] https://wirtschaft-entwicklung.de/fileadmin/user_upload/5_Wirtschaft_und_Menschenrechte/Downloads/Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.pdf
[2] https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetz-unternehmerische-sorgfaltspflichten-lieferketten.html
[3] https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/12/01/council-adopts-position-on-due-diligence-rules-for-large-companies/
[4] https://www.cora-netz.de/beschluss-des-eu-ministerrats-zum-eu-lieferkettengesetz/
[5] https://www.ohchr.org/en/business-and-human-rights
[6] https://www.ohchr.org/en/special-procedures/wg-business/special-representative-secretary-general-human-rights-and-transnational-corporations-and-other
[7] https://www.ohchr.org/en/publications/reference-publications/guiding-principles-business-and-human-rights
[8] https://www.oecd-ilibrary.org/governance/oecd-leitsatze-fur-multinationale-unternehmen_9789264122352-de
[9] https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/wg-trans-corp/igwg-on-tnc
[10] https://www.ohchr.org/sites/default/files/LBI3rdDRAFT.pdf
[11] https://corporatejustice.org/wp-content/uploads/2022/09/ECCJ_Due-Diligence_in_Armed_Conflict_v03.pdf
[12] https://www.euractiv.de/section/handel-und-industrie/opinion/unternehmen-in-konfliktzonen-muessen-verantwortung-fuer-handeln-uebernehmen/
[13] https://www.handelsblatt.com/technik/gadgets/chip-rohstoff-keine-chance-fuer-blut-handys/3439904-all.html
[14] https://www.ci-romero.de/rohstoffsteckbrief-tantal/
[15] https://taz.de/Coltanabbau-im-Kongo/!5547168/
[16] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R0821&from=DE
[17] https://www.globalpolicy.org/sites/default/files/download/Briefing_8.%20Tagung_UN-Treaty_0.pdf
[18] https://www.alhaq.org/advocacy/business-human-rights
[19] https://www.glanlaw.org/single-post/new-report-business-and-human-rights-in-occupied-territory
[20] https://www.somo.nl/somo-and-al-haq-submit-report-to-un-on-german-multinational-heidelbergcement/
[21] https://www.nzz.ch/article7IL5X-ld.177987
[22] https://docs.google.com/document/d/1tUGw5IEB-dbj7V4_RpoH46RKK6Y-MdhMMgC2MhQ_C00/edit