Browserpatent mit Breiteneffekt

Die Ein-Mann-Firma Eolas will mit ihrem Vorgehen gegen den Internet Explorer Microsofts Monopol bekämpfen, rüttelt aber an den Gefügen des gesamten World Wide Web

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Zunächst schien es wie eine "normale" David-gegen-Goliath-Geschichte, als die Chicagoer Klitsche Eolas einen Patentstreit mit dem Softwareriesen Microsoft vom Zaun brach. Dass die Redmonder mit ihren Browser-Plug-ins für den Internet Explorer gegen eine geschützte Technologie verstoßen haben sollten, schien dem Lager der Microsoft-Gegner nur gelegen zu kommen. Schadenfreude mag beim ein oder anderen auch noch aufgekommen sein, als die verschworenen Geschworenen eines amerikanischen Bezirksgericht Bill Gates und seine Crew im August zur Zahlung von 521 Millionen US-Dollar Schadensersatz verdonnerten. Doch der Fall wirft grundsätzlichere Fragen rund um triviale Patente und die Angreifbarkeit des Webs mit rechtlichen Mitteln auf.

Microsofts Internet Explorer, mit dem gut 90 Prozent der deutschen Surfer im Web unterwegs sind, machte in den vergangenen Jahren weniger durch nutzerfreundliche Innovationen als vielmehr durch ständig neue Sicherheitslücken auf sich aufmerksam. Die Verbindung des Browsers mit Microsofts Flaggschiff Windows komme einem "internationalen Sicherheitsrisiko" gleich, urteilten jüngst gar Experten im Namen der amerikanischen Computer and Communications Industry Association.

Dass es dem Browser, dessen Entwicklung Microsoft für alternative Betriebssysteme wie Apples Mac OS bereits gänzlich eingestellt hat, nun an den Kragen gehen soll, könnte daher zunächst geradezu als angebracht erscheinen. Den "IE" nutzt man schließlich - genauso wie Windows - nicht aus Liebe zum durchdesignten Objekt, sondern eher, weil es "alle" tun. Oder weil Apples Safari noch immer kein überzeugendes Cookie-Management bietet, Netscape sowieso tot ist und Opera zu abseits liegt und gar noch Geld kostet. Und bei den ständigen Updates, Betas und "Release Candidates" des "Stiftungsprojekts" Mozilla blickt kaum noch jemand durch: Die Entwickler der freien Software sind momentan fast schon übereifrig, sodass in der produzierten Variantenvielfalt an Browsern mit oder ohne Mailclients die Übersicht flöten geht. Bleibt man also beim Altbewährten, das eh schon auf den meisten verkauften Rechnern rumlungert.

Doch das "Surferlebnis" mit dem Internet Explorer könnte sich bald als deutlich nerviger als heute erweisen. Microsofts Programmierkünstler haben sich nämlich einen Umweg ausgedacht, um die kostspielige Lizenzierung der Plug-in-Technik zu vermeiden. Die kleinen Helferlein leisten dem Nutzer bislang immer dann gute Dienste, wenn es um den Abruf (inter-) aktiver Inhalte wie ActiveX-, Sound-, Video- oder Flash-Dateien geht. Doch Michael Doyle, ein schnauzbärtiger Zellbiologe aus Chicago, der nebenbei noch die Firma Eolas betreibt, wacht über ein US-Patent unter der Nummer 5,838,906, das seiner Ansicht nach und auch nach dem Richtspruch der Chicagoer Juroren just Plug-ins und Browser-Applets und vor allem Microsofts Einbindung von ActiveX in den Explorer abdeckt.

Halbe Milliarde "Lösegeld"

Die Doyle zugesprochene halbe Milliarde will Microsoft nicht zahlen. Der Konzern, der mittlerweile auch ein weites Softwarepatent nach dem anderen einsackt, hat zum einen Berufung gegen das Urteil eingelegt. Zum anderen hat er verkündet, die Behandlung von Plug-ins durch den IE ein wenig verändern zu wollen. Und zwar so, dass er einerseits der im Raum stehenden Patentverletzung aus dem Weg gehen kann und andererseits dem User nicht allzu große Bürden aufbrummt. Wann immer ein Plug-in gestartet wird, das auf externe Inhalte zugreift, soll sich künftig auf dem Bildschirm eine Dialogbox aufbauen. Der Nutzer muss sich dann entscheiden, ob und wie die angeforderten Inhalte geladen werden sollen.

Das könnte dem Surfer theoretisch noch zumutbar sein, solange sich das "Abklicken" - wie von Microsoft bislang vorgesehen - nur auf ActiveX-Elemente bezieht. Doch das Patent, das beim Europäischen Patentamt bisher nicht beantragt wurde, ist deutlich weiter gestrickt. Es geht darin um jegliche "hypermedialen" Dokumente, die mit Hilfe einer Browser-Applikation in einem Netzwerk zwischen Client und Server gestartet werden. Deutlich problematischer würde das Vorhaben der Redmonder aber, wenn der Nutzer das Laden aller erdenklichen Applets und Flash-Bildchen erst gesondert für gut heißen müsste. Dem Besuch einer einzigen hochgerüsteten Website würde dann eine ganze Klickorgie vorausgehen. Zumal müssten vermutlich Millionen von Homepages umgeschrieben werden, um das Patent wirklich zu umgehen. Dies fürchtet zumindest das Standardisierungsgremium für den multimedialen Teil des Internet, das World Wide Web Consortium (W3C).

Doyle selbst hält logischerweise nichts von der Zwischenebene, die Microsoft dem Start einer ActiveX-Komponente vorschalten will. Er strebt eine einstweilige Verfügung an, über die der IE zunächst vom Markt verschwinden soll. Und zwar solange, bis Microsoft die patentierte Technik von Eolas lizenziert. Auf die Richter und ihre Helfer kommt damit in den nächsten Monaten viel Arbeit zu. Sie müssen zum einen klären, ob Microsofts aufgezeigte Umgehungsstrategie erfolgreich ist. Zum anderen müssen sie im Berufungsverfahren der Frage nachgehen, ob das Webpatent überhaupt einer fundierten rechtlichen Überprüfung stand hält.

Dazu ist bereits ein Expertenstreit ausgebrochen. So behaupten unter anderem der Software-Veteran Ray Ozzie sowie der an der University of California in Berkeley tätige Künstler Pei-Yuan Wei die von Eolas beanspruchten Browserentwicklungen schon vor Doyle salonfähig gemacht zu haben. Der Patent-Buster Greg Aharonian geht dagegen davon aus, dass die Ansprüche der Firma berechtigt sind - nicht nur, weil er sie selbst schon vor der Gewährung des staatlichen Monopols offiziell geprüft und für gut befunden hatte.

Der gute Mensch aus Chicago

Doyle hat das auch von anderen Web-Navigatoren wie Netscape, Mozilla oder Opera benutzte Plug-in- und Applet-Verfahren seinen Angaben nach 1993 zusammen mit Kollegen an der University of California in San Francisco erfunden. Während die Universität das 1998 gewährte US-Patent hält, wacht Eolas über die Lizenzvergabe. Die Firma hat Doyle maßgeschneidert für diese Aufgabe gegründet, worauf auch ihr voll ausgeschriebener Name ("Embedded Objects Linked Across Systems") hinweist. Inzwischen hat sie unter anderem aber auch noch ein ebenfalls sehr breit angelegtes Patent auf die Public-Key-Verschlüsselung beim Europäischen Patentamt beantragt.

Der durch Doyle ausgelöste Wirbel ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker von Web- und Softwarepatenten, die momentan auch in Europa ein heißes Eisen sind. Würden durch die häufig trivialen Ansprüche doch das Internet und die Software-Entwicklung gefährdet. Die Gefahr sei groß, dass nicht einzelne Technologien, sondern übergreifende Ideen staatlich geschützt werden. Statt Innovationen zu fördern, würden Patente in diesem Bereich Innovationen verhindern.

Doyle selbst sieht sich dagegen ganz als Gutmensch, der "nur" mit Microsoft abrechnen will. Ohne ein Softwarepatent hätten kleine Spieler keine Chance im Wettbewerb gegen übermächtige Firmen mit der 95-prozentigen Marktdominanz Microsofts, sagte er jüngst in einem Interview. Die befürchteten Auswirkungen auf das gesamte Web wolle er vermeiden. Gerade die Mozilla-Stiftung und die Open-Source-Szene habe nichts von ihm zu befürchten. Lizenzen an nicht-kommerzielle Nutzer könnten generell entgeltfrei zur Verfügung gestellt werden.

Einer potenziellen Ironie der ganzen Geschichte dürfte aber auch der Forscher nur wenig entgegenhalten können: Microsoft bleibt als Ausweg aus dem Schlamassel schließlich auch noch die Möglichkeit, weitere multimediale Funktionen direkt in den Browser zu integrieren. Ganz ohne Applets und Plug-ins. Die Übermacht der Redmonder auf der Basisebene des Webs würde damit wohl weiter zementiert.

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