Bürgergeld: Nur das Existenzminimum bleibt

Benjamin Roth
Der Schriftzug Bürgergeld und Euro-Banknoten

Wie weit trägt das Bürgergeld?

(Bild: Dueringerto/Shutterstock.com)

Eine neue Studie zeigt: Das Bürgergeld sichert nur das nackte Überleben. Die Inflation frisst die Anpassungen auf. Über die Hälfte der Bezieher ist von Entbehrungen betroffen.

Es reicht nicht für ein würdevolles Leben. Eine neue Expertise des Paritätischen Gesamtverbands zeigt auf: Anpassungen des Bürgergelds haben nur teilweise die Inflation kompensiert. 86,6 Prozent der Bezieher können keine unerwarteten Ausgaben bezahlen.

Aktuelle Bürgergelddebatten verfehlen die Realität

Es "deckt zwar das nackte Überleben, sichert aber weder soziale Teilhabe noch ein würdevolles Leben." Zu dieser Feststellung über das Bürgergeld kommt eine neue Expertise des Paritätischen Gesamtverbands von Andreas Aust.

Grafik
Elemente materieller Entbehrungen
(Bild: Studie Paritätischer)

Hierin wurden die Anpassungen der Regelbedarfe der realen Preisentwicklung der letzten 30 Jahre gegenübergestellt und Befragungen von Leistungsbeziehern ausgewertet.

Die Expertise kritisiert aktuelle sozialpolitische Debatten, welche eine zu große Freigiebigkeit des Bürgergeldsystems und fehlende Erwerbsanreize unterstellen. Im Bundestagswahlkampf hatte die CDU noch für die Abschaffung des Bürgergelds gesprochen, Bundeskanzler Friedrich Merz stellte Kürzungen in Höhe von 5 Milliarden Euro – 10 Prozent der Gesamtausgaben – in Aussicht.

Aust betont, dass die Anhebungen der Regelbedarfe 2023 und 2024 nur eine teilweise Kompensation der erheblichen Inflation der Jahre 2022 und 2023 darstellen. Für die Jahre 2025 und 2026 sei mit einer weiteren Verschlechterung der sozialen Lage zu rechnen.

Der Paritätische Gesamtverband spricht sich folglich für eine "strukturelle und dauerhafte Anhebung der Regelbedarfe" aus, "um Armut systematisch zu vermeiden und die wachsende soziale Ungleichheit zu bekämpfen."

Kaputte Schuhe, kaputte Möbel – und keine Rücklagen

Die genauere Darstellung der Einkommensentwicklung seit 1995 bis heute in der Studie zeigt auf: Während die Einkommen der obersten zehn Prozent der Bevölkerung um 51 Prozent stiegen und das Durchschnittseinkommen um 33 Prozent, wuchsen die Einkommen der untersten zehn Prozent nur um 4 Prozent, die Einkommen der Grundsicherungsbezieher insgesamt nur um 1 Prozent.

Statistik
Entwicklung der verfügbaren Einkommen und des Regelbedarfs
(Bild: Studie Paritätischer)

Die Armutslücke stellt den Abstand zwischen der Armutsschwelle und dem durchschnittlichen Bedarf von Bürgergeldbeziehern dar. Sie hat sich der Studie zufolge zwischen 2010 und 2025 von 308 Euro auf 474 Euro vergrößert.

50 Prozent der Bürgergeldbezieher sind von materiellen Entbehrungen (Deprivationen) betroffen, 30,5 Prozent sogar erheblich. Dem gegenüber sind ebenfalls 8,9 Prozent der Bevölkerung, die kein Bürgergeld bezieht, betroffen und 4,6 Prozent erheblich.

Die Studie konkretisiert, was mit materiellen Entbehrungen unter anderem gemeint ist: 10,4 Prozent der Beziehenden können sich keine eigene Internetverbindung leisten. 32,1 Prozent können nicht auswärts mit Freunden und Familie essen gehen. 48,5 Prozent können keinen Freizeitaktivitäten nachgehen, die Geld kosten.

17,2 Prozent verfügen nicht über zwei Paar Schuhe in gutem Zustand. 31,7 Prozent können kaputte Kleidung nicht ersetzen. 55,4 Prozent können kaputte Möbel nicht ersetzen. 30,8 Prozent können keine proteinhaltige Mahlzeit (Fleisch, Fisch oder vergleichbares) alle zwei Tage bezahlen.

16,7 Prozent können ihre Wohnung nicht warm halten. 19,3 Prozent können keine Zahlungsrückstände begleichen. Vor allem jedoch können 86,6 Prozent der Beziehenden keine unerwarteten Ausgaben begleichen.

Armutsentwicklung: Deutschland ein internationales Sorgenkind

Die sozialpolitische Realität des Bürgergelds widerspricht dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes und verletzt die Menschenwürde, wie der Paritätische Gesamtverband betont.

Auch dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2010, dem zufolge die Grundsicherung an "dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten" sei, läuft die reale Entwicklung zuwider.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein internationales Sorgenkind, was Armut und soziale Ungleichheit angeht. Neben der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Wohnungsnot wird auch die statistische Verharmlosung des Problems kritisiert.

Die Vereinten Nationalen haben in den Social Development Goals als erstes Ziel die Bekämpfung von Armut ausgegeben. Dem sollte – und könnte – die Bundesrepublik Deutschland als Teil der internationalen Staatengemeinde Rechnung tragen.