Bürgerkrieg in Äthiopien: Anfang vom Ende?

Seite 2: Akteure und Interessen im Krieg um Tigray: eine Übersicht

Andererseits versucht die TPLF die Belagerung Richtung Sudan zu durchbrechen, um eine Belieferung mit notwendigen Gütern - insbesondere auch humanitären Hilfsgütern - möglich zu machen. Die Interessen aller am Konflikt beteiligten Parteien stehen einem baldigen Frieden fundamental im Weg:

  • Regierung Tigrays,TPLF

Für die TPLF geht es darum, ganz Tigray von Invasionstruppen zu befreien. Von diesem Ziel ist man weit entfernt. Die äthiopische Zentralarmee, die durch die jüngste Offensive der TDF an den Rand des Zusammenbruchs gebracht wurde, ist in diesem Krieg eher der schwächste Akteur. Deutlich schwerer dürften die Streitkräfte des eritreischen Diktators zu besiegen sein, denn die eritreische Gesellschaft ist militarisiert, und alle Kraft geht in den Aufbau eines starken Militärs.

Auch amharische Milizen sind in der Lage, ihre Kräfte durch schier unendlichen Nachschub an Menschen immer wieder aufzufrischen. Amharen sind - nach den Oromo - die zahlenmäßig zweitstärkste Bevölkerungsgruppe in Äthiopien.

Die Regierung Tigrays ist zu einem Waffenstillstand und Friedensgesprächen bereit. Als Bedingung wird vor allem der vollständige Abzug aller fremden Truppen aus Tigray, eine unabhängige Untersuchung der Kriegsverbrechen sowie eine Wiederherstellung der Basis-Infrastruktur genannt.

Hinzu kommt, dass es für die Regierung Tigrays unabdingbar ist, dass die Region nicht für Hilfslieferungen, Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung durch Äthiopien und Eritrea blockiert wird. Nach jüngsten Meldungen werden etwa Lkw-Kolonnen mit Hilfslieferungen im Amharagebiet blockiert und mussten umkehren.

  • Äthiopische Regierung, Abiy Ahmed Ali

Abiy Ahmed Ali scheint im Moment in einer eher schwachen Position. Er hat einen Großteil seiner Truppen verloren und ist mehr denn je auf die Unterstützung und das Wohlwollen von Isaias Aferwerki und der amharischen Nationalisten angewiesen.

Daran ändern auch die jüngst stattgefundenen Wahlen nichts. Zwar hat Abiy Ahmed Alis Prosperity Party (PP) erwartungsgemäß die Wahlen mit ca. 96 Prozent der Stimmen gewonnen, jedoch taugen diese Wahlen kaum dazu, dem Regime einen demokratischen Anstrich zu verleihen.

In rund 20 Prozent der Wahlbezirke wurde überhaupt nicht gewählt, wichtige Oppositionsgruppen aus dem bevölkerungsreichen Bundesland Oromia boykottieren die Wahl, internationale Wahlbeobachter haben ihre Beteiligung zurückgezogen und die Repression durch Abiy Ahmed Ali gegenüber jeglicher Opposition sowie den Medien ist nicht geeignet, ein Klima für auch nur annährend demokratische Wahlen zu schaffen. Im Bundesland Tigray hat überhaupt keine Wahl stattgefunden. Über die Wahlbeteiligung gibt es bisher keine Angaben.

Es ist zu befürchten, dass Abiy Ahmed Ali den Waffenstillstand nur dazu nutzen will, stärker zu werden, sich neu mit den Verbündeten abzustimmen, um dann erneut gegen Tigray vorzugehen. Der einseitig erklärte Waffenstillstand ist ausdrücklich nur bis September - also dem Ende der Regenzeit - befristet.

Die verstärkte Blockade von Tigray, die Zerstörung von Infrastruktur, Stromversorgung und Telekommunikation sowie die martialischen Drohungen durch Abiy Ahmed Ali lassen kein Interesse an Frieden oder auch nur an einem verhandelten echten Waffenstillstand erkennen.

Hinzu kommen Berichte, dass außerhalb Tigrays - vor allem in Addis Abeba - Massenverhaftungen von Tigrayern stattfinden. Ohne Anklage werden Menschen in Lagern konzentriert, weil sie aus Tigray stammen. Gerüchten zufolge gibt es Deportationen nach Eritrea.

  • Eritrea, Isaias Aferwerki

Eritreas Machthaber macht seit Jahrzehnten vor allem Tigray und die TPLF für alle Probleme Eritreas verantwortlich. Um seine Machtposition und seine Glaubwürdigkeit im eigenen Land auch für die Zukunft zu festigen, ist ein militärischer Erfolg wichtig, zumal er auch Gebietsansprüche gegenüber Tigray geltend macht.

Darüber hinaus wäre ein Wiedererstarken Tigrays unter Führung der TPLF eine ständige Bedrohung Isaias Aferwerkis. Ein Rückzug zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnte die Machtposition Isaias Aferwerkis im eigenen Land ernsthaft erschüttern.

Deshalb ist nicht zu erwarten, dass Isaias Aferwerki Tigray freiwillig verlässt, und Abiy Ahmed Ali ist schon lange nicht mehr in der Lage, gegenüber seinem eritreischen Bundesgenossen etwas durchzusetzen.

  • Amharische Nationalisten

Amharische Nationalisten haben weite Teile Tigrays besetzt und zu eigenem Territorium erklärt. Sie werden diese Gebiete nicht so einfach wieder hergeben. Ähnlich wie die Eritreer müssen sie ein starkes Tigray unter TPLF Führung fürchten, allein weil sie damit rechnen müssten, dass die TPLF sie für die unzähligen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung Tigrays zur Rechenschaft ziehen könnte.

Insbesondere in den eroberten Gebieten im Westen und Süden Tigrays wird die Militärpräsenz zurzeit massiv erhöht, um Tigray einerseits von einer möglichen Versorgung über den Sudan abzuschneiden und andererseits einen Vormarsch der TDF und eine mögliche Rückeroberung zu verhindern.