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Bürgerwissenschaft und Wissenschaftsläden

Plädoyer für eine Annäherung von Wissenschaft und Bürgerschaft durch Initiativen in Schulen, Universitäten und der Forschung

Wie und wodurch kommen Bürgerinnen und Bürger mit Wissenschaft, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Neuigkeiten aus der Forschung in Kontakt? Hier spielt zum einen die Berichterstattung in den Medien eine zentrale Rolle. Oftmals wird aber vergessen, dass bereits im formalen naturwissenschaftlichen Unterricht an Schulen ein wichtiger Grundstein für das Verständnis der Wissenschaften und dem Bild, das man sich von ihnen macht, gelegt wird. Darauf aufbauend sollen weitere Perspektiven und Entwicklungen zum Verständnis des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit vorgestellt werden, so zum Beispiel die Konzeption einer „Bürgerwissenschaft“ (Citizen Science) oder die Initiative der „Wissenschaftsläden“ (Wetenschapswinkels) an Universitäten und Forschungseinrichtungen.

Immer wieder wird angeführt, dass sich die Wissenschaft zu sehr von der Öffentlichkeit entfernt habe oder dass das Verhältnis zwischen der Wissenschaft und den Bürgern ein gespanntes sei. So werden zum Beispiel in dem im Oktober 2005 erschienen Bericht Science and Society: Rights and Responsibilities [1] des Internationalen Konzils der Wissenschaften (ICSU) verschiedene Problembereiche angeführt, beispielsweise rapide Veränderungen in der Produktion wissenschaftlichen Wissens und der Allianz der Naturwissenschaften mit privaten Sponsoren, ethische Bedenken und neue Risken sowie unvorhersehbare Nebenfolgen durch zügige Fortschritte oder eine allgemeine Unübersichtlichkeit der technischen Innovation in einer globalen Forschungslandschaft. Zudem glauben immer weniger Bürgerinnen und Bürger, dass es den Wissenschaften alleine gelingen kann, die drängendsten Probleme der Menschheit zu lösen. In westlichen Gesellschaften deren Kultur, Ökonomie, Umwelt und Politik zu einem großen Teil durch Wissenschaft und Technik gestaltet und definiert sind wird sich ein gespanntes und problematisches Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft kaum positiv auf die Idee und Durchführung einer nachhaltigen und von allen akzeptierten Zukunftsgestaltung auswirken.

Insbesondere Kinder und Jugendliche scheinen sich zudem immer weniger für Wissenschaft und Technik zu interessieren. Laut des europäischen Berichts Strata-Etan [2] ist die Zahl der Studierenden in den „Basiswissenschaften“ (Physik, Chemie, Mathematik) in Deutschland, den Niederlanden und in Großbritannien in den letzten Jahren um ein Drittel zurückgegangen. Dazu wird in unzähligen Medienberichten lamentiert [3], dass die naturwissenschaftlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler beständig abnehmen und die Kinder und Jugendlichen die Naturwissenschaften als zu schwierig oder zu langweilig ablehnen oder als nicht relevant für ihr eigens Leben betrachten.

Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass in der Bundesrepublik – wie auch in anderen europäischen Ländern – der Unterricht naturwissenschaftlicher Fächer im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht obligatorisch ist und vermutlich zu einem großen Teil zu dem (negativen) Bild beiträgt, das Kinder und Jugendliche von Wissenschaft und Technik haben und das sie auch im weiteren Verlauf ihres Lebens nur selten wieder vollständig ablegen werden.

Grund genug einen Blick auf die aktuellen Debatten und Entwicklungen im Rahmen des (natur)wissenschaftlichen Unterrichts zu werfen und darüber nachzudenken welche Rolle der naturwissenschaftliche Unterricht an Schulen im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und damit auch hinsichtlich einer nachhaltigen und partizipativen Zukunftsgestaltung spielen könnte.

Naturwissenschaftlicher Unterricht: Science Education

In mehreren englischsprachigen Ländern gibt es seit Jahrzehnten Kontroversen darüber, wozu genau der Unterricht naturwissenschaftlicher Disziplinen an den Schulen gut sein soll. Etwas vereinfacht gibt hierzu zwei grundsätzlich unterschiedliche Argumentationsmuster: Zum einen die des naturwissenschaftlichen Unterrichts primär für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Vorbereitung für als die Beschäftigung in Forschung, Industrie und Wirtschaft, also eine vorwiegend berufs- und beschäftigungsorientierte Perspektive. Zum anderen die eines naturwissenschaftlichen Unterrichts der zukünftige Bürgerinnen und Bürger auf die persönlichen und politischen Herausforderungen, Entscheidungen und Belange in von Wissenschaft und Technik durchdrungenen Gesellschaften vorbereitet, also eine eher gesellschaftspolitisch orientierte Perspektive. Das Science Education Forschungsprogramm widmet sich jedoch nicht nur der formalen, sondern auch der informellen Wissenschaftserziehung, wie sie beispielsweise durch Wissenschafts- und Technikmuseen stattfindet.

Wissenschaft für Expertinnen und Experten und (natur)wissenschaftliches Wissen für wirtschaftliches Wachstum, Beruf und Ausbildung

Die Argumentationslinie, die einen „harten“ und auf wissenschaftlichen Fakten basierenden Unterricht favorisiert, ist vermutlich die älteste. Gründe warum naturwissenschaftliche Fächer an Schulen unterrichtet werden sollen finden sich hier vor allem im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Wachstum, globalen Wettbewerb und der Ausbildung technischer Fähigkeiten, die im späteren Arbeitsleben gebraucht werden.1 [4]

Aus gesellschaftspolitischer Sicht – so wird in dieser Tradition weiterhin argumentiert – sei es jedoch unabdingbar genügend wissenschaftlichen Nachwuchs zu haben. Denn der wissenschaftliche Nachwuchs sichere die Forschung und mehr Forschung im Lande führe zu Innovationen, Effizienz und somit zur Sicherung von Arbeitsplätzen und der Ankurbelung der nationalen Wirtschaft und somit dem nationalen Wohlergehen und der Sicherung des nationalen Wohlstands. Oft schließt sich an diese Argumentation der Hinweis an, dass es der Forschung bedürfe, um im weltweiten wirtschaftlichen Konkurrenzkampf Schritt halten zu können. Für den naturwissenschaftlichen Unterricht bedeutet dies, dass dieser auf die Bedürfnisse von wissenschaftlicher Aus- und Weiterbildung und die Anforderungen von Wirtschaft und Industrie zugeschnitten werden muss.

Wissenschaft für Bürger: Scientific Citizenship

Die alternative Argumentationslinie ist mehr partizipatorisch auf Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und damit inklusiv und integrativ orientiert und befürwortet daher einen breiter angelegten Wissenschaftsunterricht, der nicht nur der beruflichen Aus- und Weiterbildung und ökonomischen Verwertbarkeit einiger weniger dient, sondern stattdessen allen Schülerinnen und Schülern helfen soll, ein Gespür für wissenschaftliches Denken und Herangehensweisen zu vermitteln. In anderen Worten geht es darum, Kinder und Jugendliche zu verantwortungsbewussten Bürgern zu erziehen, die auch hinsichtlich Technik und Wissenschaft Entscheidung zu treffen in der Lage sind.

Wissenschaft und Technik und ihre Folgen umgeben sie tagtäglich in Beruf und Alltag. Politisch wie privat müssen immer wieder Entscheidungen getroffen werden, die im weitesten Sinne wissenschaftliche oder technische Elemente enthalten, angefangen von der Wahl und den daraus folgenden Konsequenzen des privaten Transportmittels oder der eigenen Ernährung über kosmetische oder medizinische Behandlungen bis zu Referenden auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, bei denen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen sind sich an Debatten mit wissenschaftlich-technischen Gehalt zu beteiligen oder darüber mit zu bestimmen, wenn etwa über genetisch veränderte Nahrungsmittel, Energiepolitik oder Stammzellengebrauch in der Forschung Entscheidungen getroffen werden müssen. Deshalb muss der Schwerpunkt des naturwissenschaftlichen Unterrichts – aus der Sicht der Befürworter dieser Argumentationslinie – von einem rein auf Fakten und Formeln basierenden Ansatz auf einen breiteren Ansatz umschwenken, der den zukünftigen Bürgern ein grundsätzlicheres Verständnis der Natur von Wissenschaft und Technik mit auf den Weg gibt.

Diese zweite Argumentationslinie zielt auf die Ausbildung einer so genannten wissenschaftlichen Bürgerschaft, im Englischen „Scientific Citizenship“, ab, also der Ausbildung einer Bürgerschaft, die auch hinsichtlich Wissenschaft und Technik befähigt ist eigene Entscheidungen für das persönliche und gesellschaftliche Wohl zu treffen und dabei nicht auf blindes Vertrauen in Expertokratien, zum Beispiel durch Spezialistenkommissionen und Expertenräte, angewiesen ist.

Naturwissenschaftliche Bildung: Scientific Literacy

Generell scheinen die Grenzziehungen zwischen Wissenschaft und Technik einerseits und Forschung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse andererseits immer wieder Schwierigkeiten zu breiten, die auch im Unterricht reflektiert werden könnten und sollten. Das Ziel naturwissenschaftlichen Unterrichts ist die Ausbildung einer generellen naturwissenschaftlichen Bildung, der so genannten „Scientific Literacy.“ Weniger einig ist man sich darin, was genau diese naturwissenschaftliche Lese- und Schreibfähigkeit letzten Endes ausmacht.

In einem ausgesprochen hilfreichen und lesenswerten Beitrag2 [5] zum Thema unterscheidet der gegenwärtige Direktor des Museums des Massachusetts Institute of Technology, John Durant, drei Aspekte dessen, was Scientific Literacy ausmache.

Zum ersten handle es sich hierbei seiner Meinung nach um Inhalte, also die so genannten wissenschaftlichen Fakten. Zum zweiten ginge es darum zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniere. Dazu empfiehlt Durant, dass Schüler die Prozesse wissenschaftlicher Arbeit dann besten verstünden, wenn sie diese selbst – beispielsweise im Schullabor und in eigenen Experimenten – anwenden würden. Zum zweiten Gesichtspunkt gehört ein grundsätzlicher Einblick in die wissenschaftlichen Methoden und das Verständnis wissenschaftlicher und technischer Ausdrücke. Unter anderem ginge es hierbei darum, dass die Schüler verstünden, dass es keine einheitliche wissenschaftliche Methode, sondern unterschiedliche Wissenschaften mit zum Teil sehr unterschiedlichen Methodologien und Herangehensweisen gibt.

Zur Illustration dieses Punkts der Verschiedenartigkeit der Wissenschaften sagt etwa der Physiker, Molekularbiologie und Neurowissenschaftler Francis Crick, der für seine Arbeit am Modell der DNA Doppelhelix gemeinsam mit Maurice Wilkens und James Watson 1962 den Nobelpreis für Physiologie verliehen bekommen hat, in seiner Autobiographie3 [6]:

It is the resulting complexity that makes biological organisms so hard to unscramble. The basic laws of physics can usually be expressed in simple mathematical form, and they are probably the same throughout the universe. The laws of biology, by contrast, are often only broad generalizations, since they describe rather elaborate (chemical) mechanisms that natural selection has evolved over millions of years […] I myself knew very little biology, except in a rather general way, till I was over thirty […] my first degree was in physics. It took me a little time to adjust to the rather different way of thinking necessary in biology. It was almost as if one had to be born again.

Durch einen Einblick darin was wissenschaftliches Arbeiten, Wissen und wissenschaftliche Disziplinen ausmacht, könne dann unter anderem auch erklärt werden, worin sich wissenschaftliche Erklärungen und Theorien von anderen nicht-wissenschaftlichen Wissensformen unterscheiden.

Einen dritten, wesentlichen Gesichtspunkt im Verständnis der Wissenschaften stelle die Verbindung von Wissenschaftlern, wissenschaftlichen Institutionen und wissenschaftlicher Arbeit zu den sozialen Prozessen und kulturellen Kontexten dar, in denen sie tatsächlich stattfinden. Hierbei geht es ihm darum zu zeigen, dass Wissenschaft und Technik von Menschen gemacht wird und innerhalb einer professionellen Gemeinschaft, der so genannten Scientific Community, ausgeübt wird. Die Netzwerke, die sich unter Forschern und Institutionen bilden, seien hier bei Erarbeitung neuer, wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht zu unterschätzen, vor allem wenn es um die Kommunikation zwischen der wissenschaftlichen Fachwelt und der Öffentlichkeit ginge.

Durant sieht einen naturwissenschaftlichen Unterricht, der – wie in der ersten Argumentationslinie – das Unterrichten der bloßen wissenschaftlichen Fakten und Formeln favorisiert, als unzureichende Vorbereitung dafür, die Wissenschaft, wie sie den meisten Erwachsenen später begegnen wird, zu verstehen und sinnvoll mit ihr und ihren Erkenntnissen umzugehen. Um die Spreu vom Weizen zu trennen, wäre es seiner Meinung nach hilfreich, wenn die Öffentlichkeit auch einen Einblick in die Qualitätssicherungssysteme wissenschaftlichen Arbeitens, wie etwa in das Prüfungsverfahren wissenschaftlicher Publikationen durch Forscherkollegen aus dem gleichen Bereich (dem so gennanten Peer-Review-Verfahren), gewinnen könnte.

Die Frage der Relevanz von Wissenschaft

Diese Definition von Scientific Literacy ist offensichtlich auf die Argumentationslinie des „Scientific Citizenships“ ausgerichtet. Wissenschaftliche Fakten und Formeln zu kennen reicht nicht aus, um aktuelle Debatten mit wissenschaftlichem und technischem Gehalt zu verstehen. Technisches Wissen veraltet und muss immer wieder mit aktuelleren Erkenntnissen aufgefrischt und aktualisiert werden. Die Wissenschaften selbst unterliegen einem Wandel und es ist nicht möglich vorauszusagen, welche wissenschaftliche Forschungsprogramme, Disziplinen und Teilbereiche in Jahrzehnten Früchte tragen werden und welche nicht. Die Wissenschaften selbst verändern sich; es wird transdisziplinär gearbeitet, neue Disziplinen, Forschungsprogramme und Kollaborationen entstehen, andere verlieren an Bedeutung.

Auch die Bedingungen der Wissensproduktion sind stetigen Veränderungen unterworfen. Wissenschaft und industrielle Produktion gehen Verbindungen mit dem Ziel ökonomischen Profits ein und so entstehen neue Kriterien der Qualitätssicherung und der Erzeugung neuen Wissens im Kontext ihrer Anwendung. Diese Bedingungen haben dazu beigetragen, den Kontext des wissenschaftlichen Unterrichts selbst zu verändern und konfrontieren wissenschaftliche Experten und Bürger zugleich mit den komplexen und gewichtigen Problemen, die die Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit kennzeichnen. Die Vermittlung von Wissenschaft in der Schule sollte auf diese veränderten sozialen Bedingungen reagieren und jungen Menschen helfen als Bürgerinnen und Bürger der Zukunft bei der Schaffung der Welt beizutragen, in der sie gerne leben möchten.4 [7]

Der Bildungstheoretiker Guy Claxton5 [8] schlägt deshalb zum Beispiel vor, Kinder spielerisch an wissenschaftliches Denken heranzuführen und ihre Fähigkeit zum wissenschaftlichen Problemlösen zu trainieren, anstatt sie über die gesamte Schulbildung hinweg mit zementiertem Faktenwissen zu konfrontieren, von dem sie oft nicht einmal wissen, wie es zustande gekommen ist.

Andere Autoren wie beispielsweise Peter Fensham oder Edgar Jenkins6 [9] sehen die Verwertbarkeit und Relevanz des im naturwissenschaftlichen Unterricht erworbenen Wissens aus Sicht der zukünftigen Bürger als zentral an. Deshalb sollen hier auch die Kontexte naturwissenschaftlichen Wissens einbezogen werden, um Kindern und Jugendlichen ein breiteres Bild der Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis und Praxis zu vermitteln. Jenkins geht es hierbei aber auch vor allem um ein funktionales Verständnis der Wissenschaften: Der naturwissenschaftliche Unterricht in der Schule muss seiner Meinung nach dahingehend umstrukturiert werden, dass junge Menschen erkennen wie die Wissenschaft dazu beitragen kann ihre und die Lebensbedingungen aller Menschen zu verbessern.

Der naturwissenschaftliche Unterricht kann hier zum Beispiel auch eine wichtige Rolle in der Vermittlung des Verständnisses einnehmen, welche tragende Rolle die Ökologie im Wohlergehen des Menschen spielt. Die Didaktik der Naturwissenschaften kann in dieser Hinsicht einen zentralen Baustein und wichtigen Partner in der Erziehung zu Umweltbewusstsein und nachhaltiger Entwicklung bilden.7 [10] So wird hier oft davon ausgegangen dass das Wissen um Ursache und Wirkung, wissenschaftliche Hintergründe und Zusammenhänge zum Beispiel hinsichtlich eines globalen anthropogenen Klimawandels dazu führen kann persönlich Verantwortung zu übernehmen und umweltfreundliche Verhaltensänderungen zu erzielen.8 [11]

Verbindungen zum Alltag der Schülerinnen und Schüler schaffen

Problematisch für viele Schülerinnen und Schüler ist der hohe Grad an Abstraktion in den Wissenschaften. Ein mögliches Gegenmittel stellt hier der Gebrauch pragmatischer und konkreter Modelle und Beispiele dar. Fernando Cajas9 [12] gebraucht dazu etwa technische Apparate und Spielzeuge, die junge Menschen außerhalb der Schule selbst in ihrer Freizeit selbst nutzen um ihr Interesse am Thema zu wecken und erklärt an ihnen ihre wissenschaftlichen und technischen Hintergründe. In der Gemeinschaft der Science Education Praktiker herrscht derzeit zudem Begeisterung über die unzähligen Möglichkeiten, die digitale Anwendungen bieten – von digitalen Spielen in denen man wissenschaftliche Probleme lösen oder in die Rolle von Wissenschaftlern schlüpfen muss zu Simulationen and detaillierten Animationen verschiedener komplexer physikalischer, biologischer oder chemischer Prozesse.

Verbindungen zum Alltagsleben der Schülerinnen und Schüler schafft man dadurch, indem man ihnen hilft zu lernen wie wissenschaftliche Herangehensweisen für ihr eigenes konkretes Handeln relevant sein können; zum Beispiel wenn man lernt, wie der menschliche Körper funktioniert und wie man ihn vor Erkrankungen schützen kann, oder die physikalischen Prozesse kennen lernt, die im Winter helfen können, Wohnräume warm zu halten. Für Robin Millar10 [13] ist die Herstellung einer Verbindung des wissenschaftlichen Unterrichts zum Leben der Schülerinnen und Schüler ein zentrales Anliegen. Er empfiehlt zum Verständnis von Wissenschaft das Verhältnis von Daten und Erklärungen gemeinsam mit den Kindern zu untersuchen, um aufzuzeigen, dass Theorien Vermutungen sind, die auf der Basis verfügbarer Daten überprüft werden müssen.

Das bringt ein Element spekulativer Vermutungen und den Einsatz kreativer Vorstellungskraft mit sich, und ist zugleich mit dem Risiko behaftet, dass diese falsch sein können. Millar erachtet es deshalb auch als notwendig, dass Schülerinnen und Schüler Konzepte wie Reliabilität (die Verlässlichkeit von Messungen) und Validität (die Gültigkeit in der Interpretation von Daten) sowie die Praxis der Modellbildung verstehen, genauso wie die Möglichkeiten und Einschränkungen, was ein Modell und was es nicht zu leisten in der Lage ist. So lernen Kinder und Jugendliche auch, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht unbedingt endgültig sind, sondern im Lichte späterer Erkenntnisse erneut überprüft werden müssen.

Zentral ist Millars Ansicht nach des Weiteren ein generelles Verständnis von Wahrscheinlichkeiten und des wissenschaftlichen Begriffs von Risiken, sowie die Fähigkeit diese interpretieren zu können. Derartige Basiskompetenzen tragen dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler wissenschaftliche Erkenntnisse und Herangehensweisen von anderen Wissensformen unterscheiden können und lernen welchen zentralen Stellenwert der Umgang mit Daten in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien hat.

In Großbritannien wurden bereits verschiedene Pilotprojekte mit einigem Erfolg an Schulen getestet, die derartige Fragestellungen und Herausforderungen hinsichtlich eines „Scientific Citizenships“ in ihrem Lehrplan aufgenommen haben.11 [14] Die Ergebnisse sind soweit viel versprechend und zeigen, dass auch die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen dem besuchten Unterricht besser folgen können und ihn interessant finden, da dieser großen Wert darauf legt, sie in den Unterricht einzubeziehen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.12 [15] Denn in erster Linie geht es in diesem Ansatz darum, das Interesse der Jugendlichen an Wissenschaft und Technik zu wecken und ihre Relevanz zu erkennen.

Im September 2006 sind in England und Wales Lehrplanänderungen in Kraft getreten, die auf den positiven Erfahrungen der Pilotprojekte aufbauen und der „Scientific Citizenship“-Komponente weiteren Spielraum im naturwissenschaftlichen Unterricht gewähren. An dieser Stelle muss aber erwähnt werden, dass diese neuen Ansätze in der Wissenschaftsdidaktik die bisherigen nicht verdrängen, sondern eher ergänzen. In England und Wales haben Schüler die Wahl allgemeinere Kurse in den Naturwissenschaften zu belegen, ebenso wie weitere spezialisierte Kurse in Physik, Chemie und Biologie, die ein Studium naturwissenschaftlicher Fächer vorbereiten. Dadurch wird der naturwissenschaftliche Unterricht in England und Wales den zukünftigen Bürgern ebenso gerecht wie den zukünftigen Naturwissenschaftlern.

Nur nebenbei sei bemerkt, dass es sich auch bei den zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Bürgerinnen und Bürger handelt. Deshalb kann es auch für die werdenden wissenschaftlichen und technischen Expertinnen und Experten hilfreich sein, wenn sie in der Schule für die komplexen Wechselwirkungen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sensibilisiert werden. Diese doppelte Strategie, die versucht den zukünftigen Bürgerinnen und Bürgern ein für sie relevantes Verständnis der Naturwissenschaften nahe zu bringen und zugleich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von morgen mit dem nötigen Fachwissen und einem realistischen Bild von Möglichkeiten und Beschränkungen der Forschung ausstattet, mag eine hilfreiche Vorarbeit leisten das oft als problematisch beschriebene Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu entspannen und zu verbessern.

Wissenschaft in und durch die Medien

Neben der Begegnung mit den Naturwissenschaften in der Schule in Form der formalen Wissensvermittlung, dienen den meisten Bürgern vorwiegend die Massenmedien als informelle Quelle der Vermittlung, aus der sie über aktuelle naturwissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse informiert werden. Die Repräsentation von Wissenschaft und Wissenschaftlern in den Medien gehorcht eigenen Regeln, die oftmals zu einem einseitigen oder verzerrten Bild von wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlichen Praktikern führen, beispielsweise wenn in unzähligen Spielfilmen und anderen Kulturerzeugnissen Wissenschaftler oftmals entweder als größenwahnsinnige und teuflisch-geniale Forscher oder übermenschliche Superhelden dargestellt werden.13 [16]

Naturwissenschaft wie sie einem in den Nachrichten oder in der Zeitung begegnet, wird aufgrund bestimmter Kriterien ausgewählt. Hier mögen Gesichtspunkte etwa der Unterhaltung oder Sensationalität eine Rolle spielen14 [17] Oftmals jedoch stehen Kontroversen und Streitigkeiten im Vordergrund.15 [18] Nur selten wird der alltägliche wissenschaftliche Forschungsbetrieb zum Thema der Medienberichterstattung. Die Naturwissenschaften und ihre Forscher werden deshalb oftmals nur in außergewöhnlichen Situation für eine breite Medienberichterstattung relevant, wie etwa zuletzt durch die gefälschten Ergebnisse des südkoreanischen Klonforschers Hwang Woo-suk oder in Deutschland durch die geschönten und frisierten Ergebnisse des Physikers Jan Hendrik Schön, dem die Universität Konstanz letzten Endes den Doktorgrad wegen „unwürdigen Verhaltens“ entzogen hat.

Der Soziologe Peter Conrad16 [19] untersuchte, wie Journalisten wissenschaftliche Expertinnen und Experten hinsichtlich Fragenstellungen aus dem Bereich der Genetik konsultieren und stellte fest, dass die Kriterien, die eine gute wissenschaftliche Quelle oder ein gutes Zitat für die Medien ausmachen keineswegs allein die technische Expertise des jeweiligen Gegenstands darstellt, sondern dass gute Quellen für die Journalisten unter anderem vor allem verfügbar oder in der Lage sein müssen, rhetorisch schlagkräftige Aussagen zu treffen. Und nicht zuletzt spielt die Reputation der Institution an der die Wissenschaftler arbeiten, sowie ihr akademischer Titel, eine nicht unerhebliche Rolle:

It is commonly believed that a quote from a dean of a prestigious medical school will be more persuasive than a quote from post-doc or bench scientists in the lab, who may be far superior technically. But not all sources can be quoted.

Aus eigener Erfahrung berichtet [20] dazu beispielsweise Jacques Testart, viel zitierter Genetiker und Forschungsdirektor des INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) in Frankreich und „Schöpfer“ des Mädchens Amadine, dem ersten in Frankreich geborenen „Retortenbaby“, das am 24. Februar 1982 das Licht der Welt erblickte:

Die Medien haben aus mir eine Art Helden gemacht, obwohl ich vorher und nachher wissenschaftlich bedeutsame Forschungsarbeit geleistet habe, um die es viel weniger Aufhebens gab. Die Journalisten entscheiden, für welche Themen sich die Leute zu interessieren haben, und es ergab sich, dass ich in der richtigen Nische saß.

Bedeutsam ist hierbei dass für einen Großteil der Bürger Massenmedien wie Zeitungen und das Fernsehen die Hauptinformationsquelle hinsichtlich wissenschaftlicher Entwicklungen, Kontroversen und Neuerungen sind und bleiben werden. Und nebenbei sei bemerkt, dass auch professionelle Wissenschaftler kaum konstant über das Geschehen in allen anderen wissenschaftlichen Disziplinen durch ihre Kollegen informiert sein können und auch ihr Wissen über andere wissenschaftliche Disziplinen und Errungenschaften wenigstens zu einem Teil aus Medienberichten beziehen dürften. Zudem scheinen auch immer mehr Institutionen und Stiftungen, die Geld in wissenschaftliche Forschung investieren, Wert auf die mediale Aufbereitung und Präsentation der von ihnen geförderten Arbeiten zu legen, und in manchen Fällen diese gar zur Bedingung für die Vergabe von Forschungsgeldern zu machen.

Aus der „Scientific Citizenship“ Perspektive also gute Gründe auch im naturwissenschaftlichen Unterricht einen Blick auf die Berichterstattung in den Medien über naturwissenschaftliche Themen und Neuerungen zu werfen.17 [21] So schreiben etwa Peter Nicolson und John Holman18 [22], ein Ziel des naturwissenschaftlichen Lehrplans in England und Wales sei es deshalb, Kinder und Jugendliche darin zu befähigen Medienberichte über wissenschaftliche Themen zu verstehen und diese aufgrund der angeführten Beweise zu beurteilen, im Zusammenhang stehende Risiken und potenziellen Nutzen in Betracht zu ziehen und sich Gedanken darüber zu machen, wie man in einer demokratischen Gesellschaft Entscheidungen über Akzeptanz von neuen Entdeckungen oder Entwicklungen mit eventuellen Risiken und Nebenfolgen fällt!

Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Nutzung der Medien, vor allem der so genannten neuen interaktiven Medien wie dem Internet und anderen Informations- und Kommunikationstechnologien auch im wissenschaftlichen Unterricht Anwendungskontexte mit veränderten pädagogischen und didaktischen und Recherche- und Präsentationsmöglichkeiten schafft, die dazu beitragen können, den Unterricht interessanter und lehrreicher zu gestalten. Gleichzeitig werden die Kinder und Jugendlichen aber von dem Gebrauch dieser neuen technischen Möglichkeiten allein nur schwer zu beeindrucken sein, denn privat und in ihrem Alltag zu Hause benutzen sie oft dieselben Medien. Es ist deshalb auch naheliegend, dass sie im technischen Umgang mit neuen Medien geschickter sind als das (oftmals betagte) Lehrpersonal.

Die Konzeption einer Bürgerwissenschaft: Alan Irwin und Citizen Science

Der britische Soziologe Alan Irwin19 [23] beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft. Dabei legt er großen Wert darauf, dass es sich bei Wissenschaft und Technik nicht um die Invasion von etwas völlig Fremden in unser Leben handelt, sondern dass Wissenschaft und Technik Ergebnisse menschlichen Handelns und keineswegs naturgegeben sind. Die wissenschaftlich-technische Entwicklung beeinflusst die Kultur und die gegenwärtige Gesellschaft, und Wissenschaft und Technik sind wesentliche Bestandteile davon, schon dadurch, dass sie viele der materiellen Möglichkeiten unserer gegenwärtigen Existenz erst bereitstellen, sei es Architektur, individuelle Mobilität, medizinische Versorgung oder Kommunikationstechnologien wie das Internet zum privaten und beruflichen Gebrauch. Darin liegt die Ambiguität verborgen, dass Wissenschaft und Technik uns zum einen eine Vielzahl neuer Möglichkeiten bieten, viele Menschen sich aber zum anderen zugleich durch unkontrollierten rasanten Fortschritt verunsichert oder bedroht fühlen.

Aus der Sicht mancher Wissenschaftler verhält sich die Öffentlichkeit oft irrational oder sogar ignorant gegenüber wissenschaftlichem Wissen, Erkenntnissen und technologischen Neuerungen. In dieser Sichtweise wird der Öffentlichkeit folglich ein Defizit an nötigem Wissen und Verstehen zugerechnet. Daraus folgern kann man, dass die an relevantem Wissen arme Öffentlichkeit durch die wissenden, wissenschaftlichen und technischen Experten aufgeklärt und belehrt werden muss. Denn mehr Wissen über Wissenschaft und Technik – so wird hier etwas leichtfertig angenommen – führe automatisch zur größeren Akzeptanz und Wertschätzung von Wissenschaft und Technik. Dieser Ansatz firmiert in der Literatur mittlerweile unter dem Begriff des „Defizit Modells“20 [24].

Alan Irwin dreht hier jedoch die Argumentationslinie um und setzt diesem defizitären Ansatz aus dem Blickwinkel der Wissenschaft eine Sicht entgegen, die Wissenschaft und Technik mit den Augen der so genannten Laienbürgerschaft sieht. Wie bereits angesprochen wurde, greift es zu kurz, Wissenschaft als homogenen, monolithischen Block zu begreifen. Die Wissenschaft hat unterschiedliche Disziplinen und verschiedene Arbeitsweisen zu bieten. Oftmals gibt es nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der unterschiedlichen Disziplinen eine Vielzahl an unterschiedlichen Meinungen, was hinsichtlich eines bestimmten Gegenstands der Fall ist und wie dieser erklärt werden kann. Akzeptiert man, dass Wissenschaft heterogen und vielstimmig ist, wird es nicht schwer fallen, die Unterschiede im zweiten Teil der Gleichung – der so genannten Öffentlichkeit – auszumachen. Diese unterteilt sich zum Beispiel hinsichtlich Bildungsverlauf, Altersstruktur, Konfession, Einkommen, Freizeit- und Konsumverhalten usw.

Versuche, die Öffentlichkeit in gezielten Kampagnen und Aktionen zu erreichen, erweisen sich vor diesem Hintergrund als problematisch, denn berichtet beispielsweise eine Tageszeitung über eine bestimmte technische oder wissenschaftliche Neuerung oder Erkenntnis, so hat diese keineswegs die Öffentlichkeit, sondern lediglich die Leser dieser Tageszeitung mit dieser Neuigkeit konfrontiert. Auch wenn dieselbe Nachricht in einer Fernsehsendung zum Thema Wissenschaft und Technik oder in einer Nachrichtensendung gesendet wird, so wird lediglich eine Teilöffentlichkeit angesprochen, die zum Zeitpunkt der Ausstrahlung den entsprechenden Sender eingestellt hatte. Und selbst dann ist fraglich, ob die Zuschauer die Information über Wissenschaft und Technik tatsächlich – so wie von den Wissenschaftsvermittlern gewünscht oder beabsichtigt – aufnehmen und verarbeiten.21 [25]

In einer pluralistischen und ethnisch heterogenen Gesellschaft wie Großbritannien wurde in der Wissenschaftsvermittlung bereits auf einige der Unterschiede innerhalb der Bevölkerung reagiert. Hier gilt es, nicht die Öffentlichkeit sondern unterschiedliche Teilöffentlichkeiten gezielt anzusprechen. So hat beispielsweise Michael J. Reiss22 [26], Professor for Science Education am Institute of Education der Universität London, sein integratives Programm des naturwissenschaftlichen Unterrichts entwickelt, das insbesondere Unterschiede in der Schülerschaft hinsichtlich ethnischem Hintergrund, Religion und Geschlecht berücksichtigt und im naturwissenschaftlichen Unterricht darauf eingeht. Hinsichtlich der mehr informellen Wissenschaftskommunikation hat die British Association for the Advancement of Science (BA) vor kurzem gemeinsam mit dem African-Carribean Network for Science and Technology (ACNST) das DISC (Delivering Inclusion in Science Communication [27]) Projekt ins Leben gerufen, das ethnischen Minderheiten bessere Möglichkeiten der Beteiligung an und durch die Wissenschaften zu bieten beabsichtigt.

Dies ist ein weiterer Grund, warum in diesem Beitrag unterstrichen werden soll, dass insbesondere der naturwissenschaftliche Unterricht im Rahmen der Schulpflicht eine bedeutsame Chance darstellt, die Beziehungen zwischen Wissenschaften und Öffentlichkeiten zu beeinflussen und helfen kann den Bürgerinnen und Bürgern von morgen ein realistischeres und zugänglicheres Bild von den Wissenschaften zu vermitteln und zugleich zukünftige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu sensibilisieren, da alle Kinder und Jugendlichen diesen Unterricht besuchen.

Alan Irwin weist nun darauf hin, dass es hier also nicht nur um ein ‚Public Understanding of Science’, sondern in einer symmetrischen Herangehensweise auch um eine Rekonstruktion von Wissenschaft und Technik aus der Perspektive der unterschiedlichen Bürger gehen muss – also unter anderem auch um ein "Scientists’ Understanding of the Public"23 [28]. Für diese Sichtweise auf Wissenschaft prägte er den Begriff Citizen Science, einer Bürgerwissenschaft. Wissenschaft soll nicht mit den Augen wissenschaftlicher oder akademischer Institutionen, sondern durch die Augen des „gemeinen Bürgers“ betrachtet werden.

Für Irwin kann das oftmals angespannt scheinende Verhältnis zwischen den Wissenschaften und ihren Öffentlichkeiten nur dann wesentlich verbessert werden, wenn nicht nur die Bürgerschaft bereit ist, sich für wissenschaftliches und technisches Wissen zu öffnen und zu interessieren, sondern zugleich wissenschaftliche Institutionen Anstrengungen unternehmen, die Sichtweisen und Belange der Bürgerinnen und Bürger erstens aufzunehmen und zweitens als relevant für ihre eigene Arbeit zu akzeptieren. Dies gilt für Irwin vor allem dann, wenn die Produkte und Auswirkungen wissenschaftlichen und technischen Handelns und Forschens, etwa die Umwelt und durch Konsum, auch Bürger betreffen. Nachhaltige und für alle Beteiligte befriedigende Entwicklungen auf diesem Gebiet können nach Irwin aus diesem Grund nur dann entstehen, wenn die Wissenschaften und die Bürger kooperieren.

Hier geht es insbesondere darum – wie schon im ersten Teil erwähnt –, die tatsächliche Relevanz für den Alltag des jeweiligen Bürgers und ihre Abweichung von der klassischen Vorstellung von Wissenschaft anzuerkennen und diese in den Wissenschaftsbetrieb zu inkorporieren. In anderen Worten: Der Expertise der wissenschaftlichen und technischen Praktiker müssen die jeweiligen Belange und die Alltagsrelevanzen der Bürger vor Ort gegenübergestellt und aufgenommen werden, so dass die Wissenschaften in der Lage sind, sozial relevantes Wissen für die spezifischen Anwendungskontexte der Bürger zu produzieren. Dazu müssen die wissenschaftlichen und technischen Praktiker die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf den Alltag und die jeweiligen Belange der Bürger vor Ort in ihrer Arbeit berücksichtigen, was ihnen jedoch vermutlich nicht immer leicht fallen dürfte und im derzeitigen Wissenschaftsbetrieb bisher nur selten berücksichtigt wird.

Denn mitunter sind es für Alan Irwin die oft als wertneutral präsentierten und wahrgenommenen Expertisen der wissenschaftlichen und technischen Praktiker, die einen Vertrauensverlust der Bürgerschaft in wissenschaftliche und technische Institutionen vor allem bei kontrovers diskutierten Themen erst hervorrufen:

External criticism of key institutions are likely to be met by those within them with incomprehension, and anger and (very often) allegations of public hysteria and media irresponsibility. The powerful image of science as ‘value-free’ serves, of course, to reinforce these notions. Such a process can, in turn, exacerbate the problems of communication between scientists and the wider public – encouraging further the idea that the public are irrational but also fostering public doubts about the value of scientific assessments and damaging the credibility of scientific institutions. When scientists then find themselves in public disagreement (as appears such a regular feature of policy debates), the science-centred model struggles to maintain its credibility whilst more critical voices seize upon the apparent confusion in order to stress the limitations and uncertainties of scientific analysis. In such situations (…) scientific institutions tend to become victims of their own over-inflated promises. Equally, important policy decisions must be made on a poorly understood foundation.

In ihren ausführlichen Analysen verschiedener Fallstudien von Kontroversen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft, die sie vor dem Hintergrund von gegenwärtigen Entwicklungen in der soziologischen Theoriebildung untersuchten, stellen Irwin und Michael24 [29] zudem fest, es entspreche nicht mehr der Realität, dass wissenschaftliche und technische Experten in politischen Konflikten auf eine Laienbürgerschaft treffen. Vielmehr bilden sich hier völlig neuartige und hochkomplexe Allianzen und Koalitionen, die Irwin und Michael mit dem gewollt unhandlichen Begriff der "Ethno-epistemic Assemblages" zu greifen und zu begreifen versuchen. In diesen neuen Allianzen verwischen sich die Grenzen wissenschaftlicher, technischer und lokaler Expertisen mit Laienwissen und Laien verbünden sich mit Praktikern und Experten, um in Debatten auf andere Gruppierungen zu treffen, die ihrerseits wiederum Wissen, Praktiker und Experten aus verschiedensten Bereichen mobilisieren, um in Streitfragen mit wissenschaftlichen oder technischem Gehalt Vorteile zu gewinnen.25 [30]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technik und Öffentlichkeit verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, Techniken und unterschiedliche Teilöffentlichkeiten in einem unübersichtlichen Bild gegenüberstehen. Und die Lage gewinnt zusätzlich an Komplexität, da die Vertreter dieser heterogenen Bereiche Koalitionen und Allianzen mit Akteuren aus weiteren Bereichen, wie etwa der Industrie, Wirtschaft, Politik oder religiösen Weltsichten und Autoritäten, eingehen, die wiederum ihren Einfluss in den Debatten geltend zu machen suchen.

Wissenschaft im Angebot: Die Initiative der Wissenschaftsläden

In den Analysen Alan Irwins ist der versuchte Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zutiefst problematisch und selten frei von Spannungen. Hier scheint eine beständige Kluft zwischen den Wissenschaftlern und den Bürgern zu bestehen und nach Ansicht Irwins scheint diese eher strukturell bedingt als eine Folge mangelnder Aktivitäten und Anstrengungen auf diesem Gebiet. Und dennoch gibt es Hoffnung. Alan Irwin zieht hierbei die Initiative der Wissenschaftsläden als ein „Idealtyp“ der Interaktion zwischen Bürgerschaft und Wissenschaft in Erwägung.26 [31]

Das Konzept dieser wissenschaftlichen Vermittlungsstellen für Bürgerinnen und Bürger geht auf die französische Initiative der Rechtsläden Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Hier boten Juristen ehrenamtlich soziale und rechtliche Information und Beratung vor allen in Arbeitervierteln an. Im Jahre 1908 tauchte eine Version für den Wissenschaftsbereich dieses Modells an der Universität Delft in den Niederlanden auf. Dieses Konzept nahm in den 1970er Jahren, wiederum in den Niederlanden, dieses Mal als Initiative der so genannten Wetenschapswinkel (Wissenschaftsläden) firmierend, neuen Aufschwung und begann sich von dort aus in weitere europäische Länder zu verbreiten. Inzwischen gibt es über 60 Wissenschaftsläden in Europa, hauptsächlich in den Niederlanden, Deutschland, Österreich, Großbritannien und Frankreich. In Deutschland finden sich hierbei etwa Wissenschaftsläden in Berlin [32] und Bonn [33], in Österreich in Graz [34], Innsbruck [35], Salzburg und Wien [36] sowie in Zürich die Projektplattform Seed Sustainability [37], die transdisziplinäre studentische Nachhaltigkeitsforschung betreut und initiiert.27 [38] Die Initiative der Wissenschaftsläden wird von der Europäischen Kommission gefördert [39].

Die Wissenschaftsläden stellen in erster Linie den Versuch dar, den Bürgern für ihre Belange erforderliche Informationen, technische Assistenz oder wissenschaftliche Expertise kostenfrei zugänglich zu machen. Der genaue Ablauf und die diversen Ausprägungen unterscheiden sich zwischen den einzelnen Wissenschaftsläden. Oftmals sind sie Bestandteil von Universitäten und Forschungseinrichtungen, manche von ihnen arbeiten jedoch auch vollkommen autonom. Sie gleichen sich generell aber darin, dass ihre „Kunden“ keine Mittel für die Finanzierung von Auftragsforschung haben. Die Benutzer dürfen keine kommerziellen Interessen mit ihrem Ersuchen verbinden und vor allem sollte die Anfrage zu einer praktischen Anwendung oder Umsetzung der Ergebnisse durch die Bürger führen.

Hierzu könnte zum Beispiel gehören, dass besorgte Eltern einen Ausschlag bei Kindern festgestellt haben, die auf einem bestimmten Spielplatz gespielt haben und nun von dem nächsten Wissenschaftsladen die dafür befähigten Experten vermittelt bekommen wollen, die feststellen können, ob der Spielplatz mit Gesundheitsgefährdenden Stoffen belastet ist oder nicht. Der Wissenschaftsladen kontaktiert dann zum Beispiel Vertreter der dafür zuständigen Disziplinen, die wiederum beispielsweise Messarbeiten an ihre Studenten weitergeben können. So gewinnen die Studenten aus dem Alltagsleben gegriffene praktische Erfahrungen im Lauf ihres Studiums und die Experten und Bürger erhalten die Messwerte, die sie für stichhaltige Schlussfolgerungen und ihr weiteres Vorgehen benötigen. Ein derartiges Gutachten professioneller Wissenschaftler rückt die Bürger in eine weitaus sicherere Position, um bei den dafür zuständigen offiziellen Stellen eine Verbesserung ihrer Situation zu erwirken und staatliches oder kommunales Handeln einzufordern.

Die qualitative Besonderheit dieser Initiative ist, dass sie bei der Bürgerschaft ansetzt und ihre Relevanzen und Belange ins Zentrum aller Aktivitäten stellt. Bürger haben ein konkretes Problem und konsultieren den Wissenschaftsladen, der bei der pragmatischen Lösung des tatsächlichen Problems, das ihren eigenen Alltag betrifft, helfen soll. Wissenserzeugende Institutionen, wie etwa Universitäten oder Forschungseinrichtungen gehen hierbei funktionierende Beziehungen beispielsweise mit Bürgerinitiativen ein, die Antworten auf für sie drängende Fragen brauchen.

Dabei lässt sich im Umkehrschluss auch Interessantes über die Wissenschaften selbst erfahren. So stellt Alan Irwin fest, dass für die für die Bürger relevanten Probleme kaum eine einzelne wissenschaftliche Disziplin zuständig ist, sondern die Probleme, die die Bürgerschaft umtreiben oft komplex und vielgestaltig sind und neben einer rein naturwissenschaftlichen Seite ebenso oft soziale oder politische Aspekte, aber auch Belange, die die Gesetzgebung betreffen, beinhalten. Aus dieser Sicht sind die Trennungen der etablierten wissenschaftlichen Disziplinen in wissenschaftlichen oder akademischen Institutionen künstlich, da sie wenig mit den tatsächlichen Problemen, die den Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Alltag begegnen, zu tun haben. Oder in den Worten [40] der Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny: „Jedes Problem der Alltagswelt muss in ein wissenschaftliches Problem übersetzt werden, wenn es überhaupt in den Forschungsprozess eintreten soll.“ Aufgabe der Wissenschaftsläden ist es nun diesen Übersetzungsprozess in die Wege zu leiten.

Ein Großteil der Bürgerschaft im Allgemeinen und betroffene Bürgerinitiativen im Besonderen findet die Wissenschaften oft schwer zugänglich und betrachtet sie als nicht relevant für ihr eigenes Leben. Das Angebot der Wissenschaftsläden beschränkt sich in der Regel nicht nur auf naturwissenschaftliche Unterstützung. Je nach Ausrichtung bieten die Wissenschaftsläden auch sozialwissenschaftlichen Beistand an oder vermitteln Praktiker und Fachleute aus der Architektur, dem Betriebswirtschaftswesen oder den Geisteswissenschaften, wie etwa der Kunstgeschichte. Irwin untersuchte beispielsweise 49 erfolgreich abgeschlossene Anfragen beim Wissenschaftsladen in Belfast in Nord Irland und stellte fest, dass 20 davon im weitesten Sinne in den Bereich der Sozialwissenschaften fallen, sechs den Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaft zuzurechnen sind, sechs weitere mit Bauen und Häusern zu tun haben, jedoch nur in vier Fällen um konkrete naturwissenschaftliche Ratschläge ersucht wurde, vier weitere ließen sich dem Bereich Technologie im weitesten Sinne zuordnen, drei entfielen auf den Bereich der Geisteswissenschaften und sechs weitere konnten keinem der genannten Bereich zugeordnet werden.

Die transdisziplinäre Natur der real existierenden Probleme, die die Bürgerschaft betreffen stellen die Wissenschaftsläden nicht selten vor die Schwierigkeit, Praktiker und Fachleute zu finden, die sich für das relevante Problem zuständig fühlen. Des Weiteren benötigt die Initiative hoch engagierte Mitarbeiter und Experten, denn der Arbeitsaufwand ist oft beträchtlich und die Wissenschaftler handeln in Eigeninitiative und werden für ihre Leistungen nicht bezahlt. Zudem erkennt der offizielle Wissenschaftsbetrieb die im Rahmen der Anfragen an Wissenschaftsläden gewonnenen Erkenntnisse oft nicht als wissenschaftlich an. Berichte und Ergebnisse, die im Rahmen der Wissenschaftsläden publiziert werden, gelten oft als „graue Literatur“ und nicht als vollwertige, wissenschaftlich anerkannte Ergebnisse, die vor allem Nachwuchswissenschaftler deshalb nicht in ihrem professionellen Weiterkommen geltend machen können.

Dies wird als weiteres Indiz gewertet, dass wissenschaftliche Forschung, die bei der Alltagsrelevanz konkreter Probleme ansetzt, von den abgetrennten wissenschaftlichen Disziplinen nur selten an- und aufgenommen werden wird und so die Trennung der wissenschaftlichen Disziplinen gerade in diesem Zusammenhang oft eher hinderlich als erfolgreich ist. Hier setzt man jedoch auf die Möglichkeiten der technischen Vernetzung und hofft, dass insbesondere über das Internet die Erkenntnisse und Ergebnisse, die durch Initiativen der Wissenschaftsläden zutage gefördert wurden, archiviert, ausgetauscht und abgerufen werden können. Leydesdorff und Ward28 [41] ist deshalb zuzustimmen, wenn sie empfehlen, Initiativen wie die der Wissenschaftsläden, die zwischen Universitäten, Forschung und Öffentlichkeit vermitteln, nicht aus den Augen zu verlieren, wenn man vom Zugang der Bürgerschaft zu den Wissenschaften profitieren will:

If the university would like to profit from societal input both at the level of higher education and at the level of research, commonalities in the interfaces of research and higher education with the university environment should be further developed.

Denn aus systemtheoretischer Sicht kann die Berücksichtung und Rückkopplung der Relevanz der Wissenschaften aus Sicht der Bürger in ihrem Alltag den Universitäten selbst zu sozialer Integration und Legitimation verhelfen und ihnen dadurch den oft beanspruchten und durch Industrie- und anderen Drittmittelverpflichtungen in Atemnot geratenen akademischen Freiraum gewähren:

From the perspective of the institutions, the science shops operate at interfaces that are not continuously needed. However, these interfaces may be crucial for the development of a knowledge-based society from a system’s perspective. The translation of clients’ concerns and demands into the system and the feedback from research and higher education strengthen the social integration of universities and thus provide legitimation for the academic function. This collaboration deeply involves public audiences because their own substantive demands are taken seriously. Academic freedom can thus be appreciated more fully as a societal resource.

Unzählige Steuerzahler, die Forschung und Wissenschaft an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen mitbezahlen, werden zudem nie in den direkten Genuss eines Hochschulstudiums kommen. Die Initiative der Wissenschaftsläden könnte dazu beitragen, auch diesen Bürgerinnen und Bürgern einen Zugang zur Nutzung von Wissenschaft und Forschung für ihre eigenen Belange zu sichern.

Nachhaltige Zukunftsgestaltung: Herausforderung für Wissenschaft und Bürgerschaft

Vor dem Hintergrund eines diagnostizierten angespannten Verhältnisses zwischen den Wissenschaften und der Gesellschaft ergibt sich eine Reihe von Schlussfolgerungen. Oft scheint die Vermittlung wissenschaftlicher Gegenstandsbereiche durch die Medien problematisch oder zumindest häufig nicht im Sinne der Wissenschaftler zu sein29 [42]. Den Bürgerinnen und Bürgern wird in den Medien oft ein unrealistisches oder verzerrtes Bild vom wissenschaftlichen Alltag und der Natur der Wissenschaften vermittelt.

Wissenschaftsjournalisten unterstreichen dass sie es nicht als ihre Aufgabe betrachten hinsichtlich Wissenschaft und Technik aufzuklären und zu bilden.30 [43] Der Medienbetrieb orientiert sich am Kriterium der Profitmaximierung und wird deshalb auch hinsichtlich Wissens- und Wissenschaftsformaten einen oberflächlicher Unterhaltungsfaktor in Kauf nehmen, so lange dieser die Einschaltquoten und Auflagen steigert. Gleichzeitig scheint man jedoch in den Naturwissenschaften oft ein verzerrtes oder unrealistisches Bild von der Öffentlichkeit und ihrem Bedürfnis nach wissenschaftlicher Arbeit und Fakten zu haben. Michael31 [44] etwa stellt fest, dass die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse durch bessere Information keineswegs automatisch zunimmt, sondern wissenschaftliches Wissen von Bürgern zum Teil konsequent und absichtlich ignoriert wird, weil sie beispielsweise denken, dass sie die Wissenschaften nichts angingen; nicht für ihren Alltag relevant seien oder nur für Experten die dafür ausgebildet und bezahlt würden gemacht seien.

Eine „Scientific Citizenship“-Komponente im naturwissenschaftlichen Unterricht in Schulen könnte dazu beitragen, der Öffentlichkeit langfristig ein realistischeres Bild von wissenschaftlicher Praxis und ihrer Relevanz für ihren Alltag zu vermitteln. Dies könnte zugleich einen Grundstein für partizipative Verfahren einer zukünftigen Wissenschafts- und Technikgestaltung legen. Zudem könnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von morgen für die Abhängigkeit wissenschaftlicher Praxis von kulturellen, politischen, nationalen oder ökologischen Kontexten sensibilisiert werden. Darüber hinaus könnte ein funktionales Wissenschaftsverständnis idealerweise dazu beitragen, dass das Wissen um die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge Verhaltensänderungen insbesondere hinsichtlich umweltbewussteren Verhaltens und damit einer nachhaltigern Zukunftsgestaltung erwirken könnte.

Wenn diese Komponente des naturwissenschaftlichen Unterrichts dazu beitragen kann Bürgerinnen und Bürgern von morgen zu helfen wissenschaftliche Erkenntnisse als relevant für ihr Alltagsleben und –handeln zu erkennen könnte die Konzeption einer „Bürgerwissenschaft“ (Citizen Science) nach Alan Irwin und insbesondere Initiativen wie die der Wissenschaftsläden andererseits dazu beitragen die Belange der Bürgerschaft zumindest auf lokaler Ebene in den Wissenschaftsbetrieb mit einzubringen und diesen somit näher an die Bürgerschaft zu rücken. Wissenschaft und Technik spielen Schlüsselrollen in der nachhaltigen Zukunftsgestaltung. Insbesondere hinsichtlich der Abschätzung ökologischer Risiken und Gefahren ist die Bürgerschaft auf das Urteil wissenschaftlicher Experten angewiesen.32 [45]

Sich prinzipiell gegen Wissenschaft und Technik auszusprechen, selbst wenn viele ökologische Probleme und Risiken durch sie erst hervorgebracht und ermöglicht wurden, würde einer weiteren Gestaltung den Boden entziehen.33 [46] Vielmehr müsste es darum gehen die Belange der Bürgerschaft, etwa wenn es um ökologische Fragestellungen und Risiken geht, in den Betrieb der Wissenschaften einzubringen34 [47]:

The risk society is predicated on the ambivalence that science has both produced and legitimized these risks, while being the primary force, other than popular protest, through which these dimensions can be made visible. In this respect, the ecological movement cannot afford to be anti-scientific, but has to turn science back on itself. Scientific rationality and judgement need to be open to the community as a whole, as modernity is revealed to be a more uncertain and fragile construction than was previously assumed to be the case.

Deshalb sollte darüber nachgedacht werden, ob und wie Wissenschaft und Bürgerschaft sich direkt und möglichst auch ohne den Umweg über massenmediale Vermittlung begegnen können. Grundsätzlich sind deshalb Initiativen die die Wissenschaften und die Bürger zusammenzubringen zu begrüßen. Dies muss nicht unbedingt die Eröffnung von Hunderten der hier angeführten Wissenschaftsläden beinhalten.

In Deutschland hat sich beispielsweise die Idee der Kinder-Universitäten [48] bewährt, in denen Wissenschaftler Vorlesungen speziell für die Belange und Interessen von Kindern halten (die jedoch auch interessierte Erwachsene anziehen) und sich anschließend ihren Fragen stellen. In Großbritannien gibt es umgekehrt eine Reihe von Projekten, die Wissenschaftler in die Schulen schicken, um dort leibhaftig mit den Kindern in Kontakt zu treten und ihnen zu zeigen, dass sie normale Menschen aus Fleisch und Blut sind wie alle anderen eben auch. Die sich zunehmend verbreitende Einrichtung der Cafe Scientifiques [49] bietet Bürgern die Gelegenheit, sich über neue Entwicklungen in den Wissenschaften und Technik zu informieren und in familiärer Atmosphäre mit Wissenschaftlern und Forschern in Dialog zu treten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon profitieren, wenn sie mit der Bürgerschaft in Kontakt treten.35 [50]

Theoretisch können derartige Projekte helfen, die Wissenschaften und Universitäten den Bürgern zugänglicher zu machen. Zusätzlich wäre es wünschenswert, auch in Deutschland darüber nachzudenken, ob der (natur)wissenschaftlicher Unterricht an Schulen um eine bürgerschaftliche Dimension erweitert werden sollte. Dies wäre eine hilfreiche Vorraussetzung, um bei zukünftigen gesellschaftlichen Kontroversen mit wissenschaftlichen und technischen Gehalten und Gegenständen die Bürger mitentscheiden zu lassen, was getan werden soll. Theoretisch wie wissenschaftspolitisch empfiehlt es sich in demokratischen Gesellschaften beispielsweise, die Bedenken sowie das Wissen von Bürgern in der Entscheidungsfindung miteinzubeziehen, vor allem dann, wenn die Folgen dieser Entscheidungen sie selbst betreffen.36 [51]

Vielleicht braucht es etwas Zeit, finanzielle Mittel, Anstrengung und Geduld, um das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Bürgerschaft zu verbessern und damit die Voraussetzung für eine partizipative und nachhaltige Zukunftsgestaltung zu schaffen. Lokale Initiativen wie Wissenschaftsläden, Besuche von Wissenschaftlern an Schulen, öffentliche Wissenschaftscafes und Diskussionsgelegenheiten oder Kinderuniversitäten können hierbei wichtige Beiträge leisten. Allerdings ist hier auch die Anstrengung und das Interesse von Bürgern gefragt, um diese Angebote wahrzunehmen und sie zu Erfolgen werden zu lassen. Die Restrukturierung des naturwissenschaftlichen Unterrichts an Schulen und die Berücksichtigung eine bürgerschaftliche Komponente bieten zudem eine besonders günstige und wertvolle Gelegenheit, das Verständnis der zukünftigen Bürger für die Praxis der Wissenschaften und ihre Wechselwirkungen mit der Gesellschaft langfristig und grundlegend zu verbessern.

Ein besseres und breiteres Verständnis der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist ein zentraler und wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem spannungsfreieren Verhältnis zwischen Bürgerschaft und Wissenschaft und damit zu einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung, bei der wissenschaftlichen und technischen Expertisen nach wie vor Schlüsselrollen zukommen werden.

Bei dem Aufsatz handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Version eines Vortrags, der am 10. November 2005 am Forschungszentrum für den wissenschaftlichen Nachwuchs an der Universität Konstanz gehalten wurde. Mein herzlicher Dank gilt hierbei Markus Steinmayr, sowie Claus Spiecker für Korrekturen und Verbesserungsvorschläge.


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[31] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_26
[32] http://www.tu-berlin.de/zek/kubus/
[33] http://www.wilabonn.de/
[34] http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/wila/
[35] http://www2.uibk.ac.at/fbi
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[40] http://europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/pdf/rtdspecial_comm_de.pdf
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[43] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_30
[44] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_31
[45] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_32
[46] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_33
[47] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_34
[48] http://www.die-kinder-uni.de/html/home.html
[49] http://www.cafescientifique.org/.
[50] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_35
[51] https://www.heise.de/tp/features/Buergerwissenschaft-und-Wissenschaftslaeden-3410349.html?view=fussnoten#f_36