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Bundesanwaltschaft, BKA und LKA sabotieren NSU-Ausschuss

Grafik: TP

Sicherheitsbehörden behandeln Landtag von Baden-Württemberg wie rechtlosen Bittsteller - Immer noch wird ermittelt - nur was genau?

NSU-Aufklärung 2017 live - dabei geht es weniger um die Taten und Täter, als um diejenigen, die aufklären sollten und nicht wollen.

Die Ermittlungsbehörden Bundesanwaltschaft (BAW), Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt von Baden-Württemberg (LKA) behindern fortgesetzt die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) des Landes. Das reicht bis zu Demütigungen. Doch der Ausschuss hat sich das selber zuzuschreiben. Er unterwirft sich seit zweieinhalb Jahren der Exekutive und deren Regeln. Die jüngste Sitzung lieferte dazu gleich drei Beispiele. Sie zeigen nebenbei, dass wir uns nach wie vor mitten im Skandal befinden und die Sicherheitsbehörden Teil davon sind.

Thema des Baden-Württemberg-Ausschusses ist der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter vom April 2007 in Heilbronn - der letzte der zehn Morde, die dem NSU zugeschrieben werden. Die BAW behauptet, die Täter seien allein Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen. Haltbar ist das nicht. Dennoch stützt der Ausschuss in Stuttgart die Sicht der Karlsruher Behörde. Er meint aber, es müsse Unterstützer gegeben haben. Die sucht er seit Monaten in Neonazi-Kreisen des Landes.

Handys von zwei Islamisten am Tatort Theresienwiese eingeloggt

Nach wie vor gibt es eine Reihe von offenen Spuren im Fall Heilbronn, die einen anderen Tatablauf nahelegen. Eine wurde jüngst von dem ARD-Magazin Report Mainz und vom Stern veröffentlicht. Danach waren am Tattag, dem 25. April 2007, bis kurz vor dem Anschlag auf die zwei Polizeibeamten um 14 Uhr Handys von zwei Islamisten am Tatort Theresienwiese eingeloggt.

Der U-Ausschuss in Stuttgart weiß das seit Dezember 2015, doch erst aufgrund der aktuellen Berichterstattung wurde er jetzt aktiv. Vom Generalbundesanwalt (GBA) erbat er Ermittlungen zu den Handynummern. Der lehnte postwendend ab, wie der PUA-Vorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) öffentlich mitteilte: Laut GBA gebe es keine Hinweise auf Verbindungen zu islamistischen Kreisen. Das sei eine bloße Vermutung und nicht durch Tatsachen gestützt.

Die obersten Ermittler der Bundesrepublik verteidigen ihre Zwei-Täter-Theorie ohne Rücksicht auf Widersprüche und andere Erkenntnisse. Beispiel eins der Aufklärungsblockade seitens der Behörden.

Es folgte Beispiel zwei: Das Bundeskriminalamt und die Personalie Thomas Starke.

Starke zählte zum unmittelbaren Umfeld des untergetauchten Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe. Er war einmal mit Zschäpe liiert, lieferte den dreien nach Jena Sprengstoff und besorgte ihnen nach ihrer Flucht nach Chemnitz den ersten Unterschlupf. Spätestens ab November 2000 war er eine V-Person des Staatsschutzes. Heute ist Starke einer der neun Beschuldigten, gegen die Ermittlungsverfahren wegen NSU-Unterstützung laufen.

Starke unterhielt in der Vergangenheit Kontakte nach Baden-Württemberg, unter anderem nach Heilbronn. Noch bis 2011 soll er immer wieder in Baden-Württemberg gewesen sein. Eine Vertreterin des LKA bezeichnete Starke im Februar 2017 gegenüber dem Ausschuss als "ganz entscheidende Figur", die "solch interessante Angaben zu Baden-Württemberg" gemacht habe, wie keine andere.

Auskunftsverweigerungsrecht

Da gegen ihn ermittelt wird, hat Starke ein Auskunftsverweigerungsrecht. Der U-Ausschuss wollte deshalb vom BKA wissen, was der Mann in seinen Vernehmungen mit dem BKA 2012 ausgesagt hat und was man noch alles über ihn weiß. Doch statt den dafür kompetenten Hauptsachbearbeiter als Zeugen abzustellen, schickte die Behörde einen untergeordneten Kriminalkommissar aus München, der lediglich bei ein paar der Vernehmungen dabei war. Viele Fragen konnte der Zeuge nicht beantworten. Auskünfte zur V-Mann-Tätigkeit Starkes verweigerte er gleich ganz.

Die meisten Obleute äußerten sich über das Verhalten des BKA verärgert. Eine "Torpedierung unserer Arbeit" nannte es der SPD-Obmann Boris Weirauch. Der Grünen-Obmann Jürgen Filius sprach von einem "befremdlichen Auftritt". Er habe nicht den Eindruck, dass beim BKA ein "Aufklärungswille bestehe und man kooperativ" sein wolle, so wörtlich. Das ziehe sich wie ein "roter Faden" durch. Filius kritisierte auch das Verhalten des BKA-Vertreters, der den Zeugen begleitete und die Sitzung im Saal persönlich verfolgte. Er sei "stoisch" dabei gesessen, "ohne Reaktion" und ohne auf den Ausschuss zuzugehen.

Das gilt aber auch umgekehrt. Auch der Ausschuss suchte nicht den direkten Kontakt zu dem BKA-Mann, der ihm sogar namentlich bekannt ist. Die Befragung muss nun mit dem verantwortlichen Sachbearbeiter des BKA wiederholt werden.

Getoppt wurde das Ganze dann durch Beispiel drei der Obstruktion: Das Landeskriminalamt und die Manipulierung von Zeugen.

Steffen J. war einer der Neonazis aus Ludwigsburg, die Freundschaften mit Gesinnungskameraden aus Chemnitz pflegten. Er ist bis heute geduldeter vielfacher Waffenbesitzer. Zschäpe oder Mundlos, die in den 90er Jahren mehrfach in Ludwigsburg waren, will er aber nie persönlich begegnet sein. Und das obwohl sein Name in einem Mundlos-Brief auftaucht.

Gegen Ende seiner Befragung im Ausschuss erwähnte J. dann einen Vorgang, der zu denken geben muss. Nach aktuellen Kontakten zu früheren Kameraden gefragt, nannte er den Namen von Hans-Joachim S. aus Ludwigsburg, der auf der bekannten Telefonliste von Mundlos steht und der im Januar 2017 selber als Zeuge vor diesem Ausschuss saß. S. habe gewusst, dass er, J., nun auch als Zeuge vor den Ausschuss geladen worden sei. Woher habe der das gewusst? Antwort: Vom LKA.

Szenemitglied Jug P.

Hat die Polizei eine bevorstehende Zeugenvernehmung in die rechte Szene lanciert? Wenn ja, woher hat sie die Information, welcher Zeuge geladen werden soll?

Doch damit nicht genug. Steffen J. erklärte weiter, dass noch vor seinem Auftritt im Landtag das LKA mit ihm eine eigene Vernehmung terminierte. Überraschung im Saal. Worum ging es bei dieser LKA-Vernehmung? Antwort: Um das Szenemitglied Jug P. Der Rechtsextremist P. aus Baden-Württemberg gehört zu den Kontaktpersonen nach Chemnitz und Jena. Laut BKA soll er in Waffengeschäfte involviert gewesen sein. Steffen J. hatte ihn nach eigenen Angaben im Januar und im April 2017 in Ludwigsburg getroffen. Doch woher wusste das LKA von diesem Kontakt?

Sollte sich die Geschichte bestätigen, hätte das LKA auf Zeugen, die der Ausschuss vernehmen will, direkt Einfluss genommen. Einerseits durch die Streuung von Informationen über Ladungen und andererseits durch vorherige eigene Vernehmungen.

Das wirft eine Vielzahl von Fragen auf und macht möglicherweise eine eigene Vernehmung der LKA-Verantwortlichen im Ausschuss nötig. Was steht in der Vernehmung mit Steffen J.? Was will das LKA von Jug P.? Wurde Hans-Joachim S. tatsächlich informiert? Und wenn ja, warum?

Hat das LKA noch bei weiteren Zeugen ähnlich gehandelt? Zum Beispiel im Falle von Corinna Brunsch? Am 30. Januar 2017 hatte der Ausschuss beschlossen, sie als Zeugin zu laden. Sie war einst ebenfalls in der rechtsextremen Szene von Ludwigsburg aktiv und kannte Mundlos und Zschäpe persönlich. Drei Tage nach dem Ladungsbeschluss verstarb Corinna Brunsch am 2. Februar 2017 plötzlich. Sie war zwar in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung, aber erst 46 Jahre alt. Wurde sie sowie die Szene ebenfalls vorfristig durch das LKA "gewarnt"?

Woher hat das LKA die Information über die Ladung von Zeugen durch den Ausschuss?

Und auch folgende Frage stellt sich nun: Woher hat das LKA die Information über die Ladung von Zeugen durch den Ausschuss? Etwa durch die Vertreter des Innenministeriums, die auch an internen Beratungssitzungen des Ausschusses teilnehmen dürfen?

Damit holt den Ausschuss möglicherweise ein Problem ein, das er schon in seiner ersten Arbeitszeit im Jahre 2015 hatte: Damals flossen über die Ministerialen vertrauliche Informationen aus dem UA an das Innenministerium und dann an LKA oder den Generalbundesanwalt ab. Als das bekannt wurde, beschloss der Ausschuss kurzeitig, die Vertreter des Innen- und des Justizministeriums aus seinen internen Sitzungen zu verbannen.

Bei der zweiten Auflage des Ausschusses wurde das wieder rückgängig gemacht. Heute dürfen die Funktionäre wieder wie selbstverständlich an den nicht-öffentlichen Beratungssitzungen des Gremiums teilnehmen. Und das, obwohl das Untersuchungsausschussgesetz (UAG) es anders vorsieht. Mitglieder der Regierung sollten zu internen Sitzungen nur Zutritt haben, wenn der Ausschuss das beschließt. (§ 10 UAG).

Der Ausschuss hat diese Reihenfolge einfach umgedreht: Er erteilte den Regierungsvertretern eine Art Blanko-Erlaubnis zur Teilnahme. Wenn sie nicht dabei sein dürfen, ist ein gesonderten Beschluss nötig.

Der mögliche Verrat von Zeugenladungen aus den eigenen Reihen - das wäre also ein selbstverschuldetes Problem des Ausschusses. Dass Zeugenladungen in der Szene kursierten, stieß bei einigen Mitglieder auf Kritik (Weirauch, Drexler: "Das geht überhaupt nicht!", Filius: "Kann nicht hingenommen werden."), es hieß aber auch, man wolle zunächst beim LKA ergründen, was da vorgefallen sei.

Keine Stellungnahme - "aus prinzipiellen Gründen"

Eine Stellungnahme wollte das LKA gegenüber Telepolis nicht abgeben - aus prinzipiellen Gründen und "aus Respekt vor dem Untersuchungsausschuss", so ein Sprecher.

Verweigerte Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft, ein falscher Zeuge des BKA, Beeinflussungen seitens des LKA - dass obendrein ein Zeuge nicht erschien, komplettiert die Sabotage dieses U-Ausschusses. Markus Mike F. zählte zur Chemnitzer und Jenaer Neonazi-Szene, zog Anfang der 90er Jahre nach Baden-Württemberg und war einer der wichtigsten Verbindungsleute zwischen der ost- und westdeutschen Szene. Er hatte auch Kontakte nach Heilbronn.

Schon gegenüber der zahnlosen, weil mit wenig Kompetenz ausgestatteten Ermittlungsgruppe (EG) Umfeld des LKA, hatte F. 2013 die Aussage verweigert, ohne dass er dafür belangt werden konnte. Jetzt hatte ihn der Ausschuss geladen. Er blieb ihm unentschuldigt fern.

Andererseits lieferte die Sitzung weitere Details der engen Verflechtung zwischen Neonazis aus Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen. So erfuhr man, dass der Anführer des Netzwerkes Blood and Honour von Sachsen, Jan B. Werner, der unter anderem an der Waffenbeschaffung für das Trio beteiligt gewesen sein soll, bei der NPD-Funktionärin Heike Simone W. zu Besuch war.

Auch gegen Werner läuft ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft. Das Besondere: Die NPD-Frau wohnte in Oberstenfeld, knapp 20 km südöstlich von Heilbronn, jenem Ort, wo ein halbe Stunde nach dem Polizistenmord, das mutmaßlich von Uwe Böhnhardt angemietete Wohnmobil von der Polizei registriert wurde. Bei der Ringfahndung wurden lediglich Auto-Kennzeichen aufgeschrieben, aber keine Fahrzeuge kontrolliert.

In oder bei Oberstenfeld wohnten noch mehr Szenemitglieder: Der frühere NPD-Funktionär Jörg H. sowie Andreas Graupner, ebenfalls aus Chemnitz nach BaWü umgesiedelter Rechtsextremist, der zum NSU-Umfeld zählte.

In Oberstenfeld untergeschlüpft?

Sind Böhnhardt und Mundlos nach der Tat in Oberstenfeld untergeschlüpft? Die Zeugen verneinten das für sich. Und Hinweise auf ein Unterkommen in dem Ort wollen die Ermittler nicht haben. Fuhr das Duo die Fluchtstrecke über Oberstenfeld, weil sie sie kannte? Oder saßen die beiden etwa gar nicht am Steuer des Fahrzeuges und andere Personen, Täter oder Helfer des Mordanschlages, suchten in Oberstenfeld Schutz?

Jedenfalls: Ob und wenn ja, wie die rechtsextreme Szene mit dem Polizistenmord zusammenhängt, bleibt bisher ein Rätsel. Wer aber andere Täter als die beiden Uwes ausschließt, wie es der Ausschuss in Einklang mit der BAW tut, wird dieses Rätsel - mutmaßlich - nicht lösen.

Vielleicht ist das fortgesetzte Scheitern dieses Ausschusses auch der Hintergrund einer aktuellen Personalie. Mit Matthias Fahrner verlässt innerhalb weniger Monate nach Simon L. der zweite wichtige Berater das Ausschussbüro. Fahrner war seit fünf Jahren intensiv mit dem NSU-Skandal befasst, zunächst als Vertreter des Landes Baden-Württemberg beim ersten U-Ausschuss des Bundestages, danach als rechte Hand des UA-Vorsitzenden Drexler in Stuttgart. Er will nun mit NSU nichts mehr zu tun haben.

Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes MI (Military Intelligence) in Hanau

Man könnte darin eine Absetzbewegung erkennen, wenn nicht zugleich ein spektakulärer Zugang zu verzeichnen wäre: Mit Rudolf K. heuert bei der AfD-Fraktion ein Mann an, der vor kurzem selber noch als Zeuge vor diesem Ausschuss saß. K. war einmal Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes MI (Military Intelligence) in Hanau. Nach Aufdeckung des NSU meldete er sich bei der Polizei und gab an, er habe am Tag nach dem Polizistenmord ein Gespräch zweier US-Beamten mit angehört, die sich über eine missglückte US-Operation am Vortag in Heilbronn unterhalten hätten.

In Heilbronn sei der Terrorist und Geheimdienstinformant Mevlüt Kar observiert worden. Vor dem Ausschuss in Stuttgart wiederholte K. diese Version allerdings nicht. Er äußerte sich allgemein und unbestimmt, die zwei GIs hätten nur über den Anschlag geredet.

Nach seinem Zeugenauftritt soll ihn die AfD, die bisher gleichsam nicht durch besonders investigative Fragen aufgefallen ist, auf eine Mitarbeit angesprochen haben. Er nahm das Angebot an, erklärt aber, dass die AfD für ihn politisch "ganz weit weg" sei. Die Identität dieses neuen AfD-Mitarbeiters enthüllte während der öffentlichen Presserunde nach der Sitzung kein anderer als der Ausschussvorsitzende selber. 1


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